Sachsens Sonderweg
Der Freistaat als Zufluchtsort für Extremisten im Referendariat
Täglich grüßt das Murmeltier. Nachdem Sachsen in der Vergangenheit bereits mehrfach Schauplatz von gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen (vor allem rechtsextremen) Bewerber*innen zum juristischen Vorbereitungsdienst und dem Freistaat war, dürften derartige Streitigkeiten ihr nun vorläufiges Ende gefunden haben. Zum wiederholten Male darf eine Person, die zuvor in einem anderen Bundesland aufgrund mangelnder Verfassungstreue abgelehnt wurde, das Referendariat im Freistaat antreten. Eine neue Entscheidung des dortigen OVG (Beschl. v. 06.11.2025, Rn. 4ff.) zeigt auf, dass extremistische Bewerber*innen zukünftig kaum noch abgelehnt werden können. Sachsen droht ein Zufluchtsort für extremistische Personen zu werden.
Der aktuelle Fall Hoewer
Der aktuelle Fall beschäftigte nicht nur Sachsens Justiz. Bevor das OVG Sachsen über die Ablehnung des bekannten rechten Aktivisten John Hoewer zu entscheiden hatte, war dieser zuvor bereits in Rheinland-Pfalz mit seiner Bewerbung zum Referendariat gescheitert. Hoewer bewarb sich daraufhin Anfang 2025 zum ersten Mal in Sachsen beim OLG Dresden für das Referendariat, doch auch dieses lehnte ihn im April 2025 ab. Das daraufhin angestrengte Verfahren vor dem VG Dresden blieb erfolglos (Beschl. v. 06.06.2025, Az. 11 L 526/25). Im Verlauf des Jahres bewarb sich Hoewer erneut in Sachsen, wurde jedoch zum zweiten Mal abgelehnt. Das OLG Dresden begründete seine Entscheidungen vor allem damit, dass Hoewer bis Anfang 2025 Vorstandsmitglied beim Verein „Ein Prozent e.V.“ war, dem sachsen-anhaltinischen Landesverband der mittlerweile aufgelösten Jungen Alternative angehört hatte und Verbindungen zur „Identitären Bewegung“ hielt. Das OLG sah es als erwiesen an, dass Hoewer „nicht bereit oder in der Lage sei“, das erforderliche Mindestmaß an Verfassungstreue aufzubringen (vgl. Beschl. OVG Sachsen v. 06.11.2025, Rn. 4ff.). Hoewer zog daraufhin erneut vor das VG Dresden, scheiterte dort aber wiederholt (Beschl. v. 23.10.2025, Az. 11 L 1063/25). Das daraufhin eingeschaltete OVG entschied jedoch, dass er zum Referendariat zugelassen werden müsse. Nach Brian E. und Matthias B. ist Hoewer der dritte bekannte Aktivist aus dem rechten Spektrum, dem – nachdem er bereits in anderen Bundesländern abgelehnt wurde – die Zulassung zum Referendariat in Sachsen gelang.
Die Zulassungsvoraussetzungen in Sachsen
Angesichts dieser Fälle drängt sich die Frage auf, wieso Bewerber*innen in anderen Bundesländern als zu extremistisch für den Vorbereitungsdienst gelten und deren Verfassungstreue in Zweifel gezogen werden kann, dieselben Personen für das sächsische Referendariat jedoch über ausreichende Verfassungstreue verfügen sollen.
Die Antwort auf die Frage lässt sich einem aufsehenerregenden und vielfach kritisierten Beschluss des Verfassungsgerichtshofs Sachsen (VGH) aus dem Jahr 2022 (Beschl. v. 21.10.2022, Az. Vf. 95-IV-21) entnehmen. Das Gericht entschied, dass die Ablehnung von Bewerber*innen zum Referendariat wegen mangelnder Verfassungstreue aufgrund politischer Betätigung nur dann möglich sein soll, wenn zugleich die freiheitliche demokratische Grundordnung (fdGO) in strafbarer Weise bekämpft werde. Das Novum der Entscheidung lag in der verbindlichen Auslegung der Ablehnungsgründe gem. § 8 Abs. 3 und 4 JAG Sachsen im Lichte der sächsischen Landesverfassung. Nach Abs. 3 S. 2 Nr. 3 JAG Sachsen ist die Aufnahme in den Vorbereitungsdienst zu versagen, wenn die Bewerber*in „die freiheitliche demokratische Grundordnung in strafbarer Weise bekämpft“. Nach Abs. 4 Nr. 1 kann die Aufnahme jedoch auch dann abgelehnt werden, wenn die Person „ungeeignet“ ist. Für die Ablehnung von Bewerber*innen aufgrund mangelnder Verfassungstreue sind – abgesehen von Abs. 3 S. 2 Nr. 3 – vor allem lit. a) und b) maßgeblich. Hiernach ist eine Person insbesondere dann ungeeignet, wenn durch ihre Aufnahme ins Referendariat eine „Störung des Dienstbetriebs“ zu befürchten wäre oder „wichtige öffentliche Belange ernsthaft beeinträchtigt würden“. Eine Ablehnung wegen „Ungeeignetheit“ von Bewerber*innen aufgrund politischer Betätigung ließe sich auf beide Alternativen stützen, insbesondere auch dann, wenn diese die Strafbarkeitsschwelle (noch) nicht überschreitet. Der VGH stellte sich jedoch gegen eine solche Interpretation. Die Ablehnungsgründe seien abschließend einheitlich dahingehend auszulegen, dass eine Ablehnung aufgrund politischer Aktivitäten ohne strafbares Vorverhalten nicht zulässig sei (vgl. Beschl. v. 21.10.2022, S. 12).
Der Vergleich mit Rheinland-Pfalz
Interessant ist der Fall Hoewer vor allem auch deshalb, weil in Rheinland-Pfalz ein gleichlautender Ablehnungsgrund normiert ist. Auch dort sind gem. § 14 Abs. 3 S. 1 JAPO Bewerber*innen nicht in den Vorbereitungsdienst aufzunehmen, wenn sie die fdGO in strafbarer Weise bekämpfen. Wie in Sachsen konnte sich das VG Koblenz nicht auf diesen Ablehnungsgrund berufen – Hoewer wurde kein strafbares Verhalten vorgeworfen. Gleichwohl versagte das Gericht ihm den Zugang zum Referendariat. Maßgeblich für diese Entscheidung ist ein Urteil des BVerwG (Urt. v. 10. Oktober 2024 – 2 C 15.23). Dieses hatte Ende 2024 über die Bewerbung von Matthias B. in Bayern zu entscheiden und war auf Distanz zum sächsischen Verfassungsgerichtshof gegangen. Das Gericht entschied, dass der Staat verfassungsfeindliche Bewerber*innen auch ohne strafbares Vorverhalten aufgrund deren politischer Aktivität ablehnen darf. Das VG Koblenz (Beschl. v. 09.05.2025, Az. 5 L 416/25.KO) beruft sich in seinem Beschluss maßgeblich auch auf dieses Urteil und stellt klar, dass das Grundgesetz die Anforderungen an die Verfassungstreue, welche Bewerber*innen für die Teilnahme am juristischen Vorbereitungsdienst vorweisen müssen, unmittelbar vorgibt. Personen könnten folglich auch aufgrund politischer Betätigung unterhalb der Strafbarkeitsschwelle wegen mangelnder Verfassungstreue abgelehnt werden (VG Koblenz, Beschl. v. 09.05.2025, S. 5).
Sächsisches Dilemma: Der Beschluss des Landesverfassungsgerichtshofs im Widerspruch zum Bundesverfassungsgericht
Es drängt sich die Frage auf, wieso die sächsischen Verwaltungsgerichte nicht auch dem Bundesverwaltungsgericht folgen und Hoewer vom Referendariat ausschließen konnten. Der Grund hierfür liegt in der Bindungswirkung des Beschlusses des Landesverfassungsgerichtshofs. Diesem kommt zum einen Gesetzeskraft zu (§ 14 Abs. 2 S. 2 SächsVerfGHG), zum anderen bindet er die Gerichte gerade auch im Hinblick auf die tragenden Gründe der Entscheidung (§ 14 Abs. 1 SächsVerfGHG). Das bedeutet, dass die sächsischen Verwaltungsgerichte an die Auslegung der Ablehnungsgründe im JAG Sachsen gebunden sind. Im Gegensatz dazu kommt dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts keine echte Bindungswirkung zu. Dem VG Koblenz war also im Unterschied zu den sächsischen Verwaltungsgerichten keine solche Auslegung vorgegeben, es konnte die Ablehnungsgründe entsprechend interpretieren und Hoewer ablehnen.
Das sächsische Dilemma ist folglich vor allem im Beschluss des Verfassungsgerichtshofs begründet. Dessen Auslegung der Ablehnungsgründe geht auf ein Fehlverständnis der Anforderungen an die Verfassungstreuepflicht der Referendar*innen zurück. Auch der Verfassungsgerichtshof geht zwar grundsätzlich davon aus, dass diese ein Mindestmaß an Verfassungstreue aufweisen müssen (Beschl. v. 21.10.2022, S. 12). Das Gericht erhebt jedoch die Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) zum Maßstab für die Bestimmung der Zulassungsvoraussetzungen zum Vorbereitungsdienst. Dies folge aus dem Umstand, dass das Referendariat auch Zugangsvoraussetzung für die Anwaltschaft sei und jede Zugangsbeschränkung zum Vorbereitungsdienst daher zugleich eine Berufswahlregelung für Anwält*innen darstelle. Personen, die von vornherein nicht vorhätten, in den Staatsdienst einzutreten, sondern Anwält*in werden wollten, könnten daher bei Ablehnung wegen mangelnder Verfassungstreue nicht zur Anwaltschaft zugelassen werden – und dies, obwohl die BRAO eine solche Verfassungstreuepflicht nicht normiere.
Diese auf den ersten Blick durchaus schlüssige Argumentation verkennt aber, dass der Gesetzgeber gerade nur diejenigen Personen zur Anwaltschaft zulassen will, welche die Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz erlangt haben (§ 4 Nr. 1 BRAO). Über diese Befähigung zum Richteramt verfügt jedoch nur eine Person, die ein rechtswissenschaftliches Studium mit der ersten Prüfung und einen anschließenden Vorbereitungsdienst mit der zweiten Staatsprüfung abgeschlossen hat (§ 5 Abs. 1 DRiG). Der BRAO-Gesetzgeber knüpft damit bewusst an eine Fremdausbildung (zum Richteramt) an und nimmt eben auch die höheren Voraussetzungen für die Zulassung zum Referendariat in Kauf. Diese Regelung ist nicht zwingend, der Gesetzgeber könnte auch eine eigenständige Ausbildung zur Anwaltschaft normieren. Tut er dies jedoch nicht und verknüpft die Zulassung zur Anwaltschaft mit dem Absolvieren des Referendariats, so müssen sich die Zulassungsvoraussetzungen zum Vorbereitungsdienst gerade nicht an der BRAO messen lassen.
Eingriffe in das Grundrecht der Berufsfreiheit, hier die Zugangsbeschränkung zum Rechtsreferendariat, sind vielmehr ausschließlich an den verfassungsrechtlichen Maßstäben von Art. 12 GG selbst auszurichten. Das Grundrecht wird seinerseits durch die Konstitutionsprinzipien des Grundgesetzes begrenzt. Zu diesen gehört auch das elementare Verständnis, dass der Staat jedenfalls keine Bewerber*innen ausbilden muss, die darauf ausgehen, die fdGO zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, d.h. welche die fdGO aktiv bekämpfen (BVerfGE 46, 43 [52]). Der Staat kann daher an Bewerber*innen für das Referendariat Mindestanforderungen an die Verfassungstreue stellen (BVerfGE 39, 334, [374]). Diese Mindestanforderungen können seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum zweiten NPD-Verbotsverfahren nochmals klarer bestimmt werden. Das Gericht ist davon abgerückt, die fdGO offen im Wege einer nicht abschließenden Aufzählung typischer verfassungswidriger Ziele zu definieren. Stattdessen vertritt das BVerfG das Konzept einer geschlossenen Definition, die an staatsrechtlich etablierte Rechtsbegriffe – insbesondere die Menschenwürdegarantie – anknüpft (BVerfGE 144, 20 [Ls. 3], vgl. dazu Thrun, DÖV 2019, 65). Durch die präzisierten Anforderungen an die fdGO lassen sich Verfassungsfeindschaft einerseits und verfassungsrechtlich abgesicherte Staatskritik andererseits nunmehr stringent(er) abgrenzen.
Vor diesem Hintergrund ist es mit Art. 12 GG zu vereinbaren, wenn Bewerber*innen aufgrund von politischer Betätigung auch unterhalb der Strafbarkeitsschwelle vom Referendariat ausgeschlossen werden. Die Auslegung des Verfassungsgerichtshofs ist folglich nicht mit der bundesverfassungsgerichtlichen Auslegung des Grundgesetzes zu vereinbaren. Es liegt daher nahe, dass der Verfassungsgerichtshof 2022 eigentlich zu einer Divergenzvorlage gem. Art. 100 Abs. 3 GG verpflichtet gewesen wäre, da er mit seiner Rechtsprechung zum inhaltsgleichen Grundrecht der Berufsfreiheit von der des Bundesverfassungsgerichts abgewichen ist. Abgesehen von einer solchen Pflicht zeigt der aktuelle Fall aber jedenfalls, dass eine Vorlage und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wünschenswert gewesen wären, um eine einheitliche Rechtsprechungspraxis zu ermöglichen.
Quo vadis, Sachsen?
Der Fall Hoewer offenbart daher vor allem das Dilemma der sächsischen Gerichte. Neben dem VG Dresden war auch das OVG recht deutlich in Widerspruch zum Verfassungsgerichtshof getreten (vgl. OVG Sachsen, Beschl. v. 06.11.2025, Rn. 14), musste diesem aber widerwillig folgen. Auch wenn die Gerichte also Zweifel an der landesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung haben und in diesen auch durch das Urteil des BVerwG bestärkt werden, bleiben sie an den Beschluss vorerst gebunden.
Diese Rechtslage hat zur Folge, dass derzeit kein anderes Bundesland ähnlich hohe Hürden für die Ablehnung von extremistischen Bewerber*innen aufgrund deren politischer Aktivität hat. Dies ist insbesondere deshalb nicht frei von Ironie, da Sachsen durch die Gesetzesänderung, mit der die Strafbarkeitsschwelle überhaupt in das JAG aufgenommen wurde, eigentlich wehrhaftere Zulassungsvoraussetzungen gegenüber extremistischen Bewerber*innen schaffen wollte.
Gleichwohl ist auch dieser Zustand nicht unüberwindbar. Der Landesgesetzgeber könnte die Vorschrift des § 8 JAG Sachsen ändern, stünde dann jedoch vor der Schwierigkeit, mit einer solchen Vorschrift gegen das Verfassungsverständnis des Verfassungsgerichtshofs zu verstoßen. Die Oberlandesgerichte könnten nach einer Gesetzesänderung Bewerber dann jedoch zunächst ablehnen. Daneben wären auch die Verwaltungsgerichte von der vom Verfassungsgerichtshof vorgegebenen Auslegung des JAG befreit. Im Übrigen könnte auch der Bundesgesetzgeber tätig werden und durch eine eigenständige Regelung in den §§ 5ff. DRiG die Zulassungsvoraussetzungen zum Referendariat regeln. Dies hätte den Vorteil, dass die bundesrechtlichen Regelungen dann von allen Bundesländern einheitlich angewandt werden müssten und kein Bundesland und auch kein Landesverfassungsgericht einen Sonderweg gehen könnte. Dies gilt umso mehr, als ein Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofs aussteht. Je nachdem, wie dieser über die Zulassungsvoraussetzungen zum Vorbereitungsdienst entscheidet, könnte dies dazu führen, dass sich die Regelungen zu den Zulassungsvoraussetzungen in Ost- und Westdeutschland weiter auseinanderentwickeln.
Daneben können die Gerichte aber bereits jetzt ein Verfahren gem. Art. 100 GG dem Bundesverfassungsgericht vorlegen, wenn sie zur Überzeugung gelangen, dass die Zulassungsregelung im sächsischen Ausbildungsgesetz in der vorgegebenen Auslegung mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren ist (dazu Gärditz). Hieran werden sie nicht durch § 14 Abs. 1 SächsVfGHG gehindert. Warum das OVG Sachsen dies im aktuellen Fall nicht getan hat, ist die einzig offenbleibende Frage in der Entscheidung. Gleichwohl ist dem OVG zugute zu halten, dass zwischen der Möglichkeit und der Pflicht zur Ablehnung von Bewerber*innen zu differenzieren ist. Das BVerfG hat lediglich entschieden, dass der Staat Bewerber*innen, die das Mindestmaß an Verfassungstreue nicht erfüllen, ablehnen kann – nicht, ob er sie tatsächlich ablehnen muss. Auch wenn es in der Entscheidung davon spricht, dass die Mindestanforderungen aus zwingendem Verfassungsrecht (BVerfGE 46, 43, [Ls. 1, 55]) abgeleitet werden, ist damit nicht abschließend geklärt, ob die Länder ein Weniger an Verfassungstreue ausreichen lassen dürfen.
Unter dem Strich bleibt es aber vorerst dabei, dass Sachsen zum Zufluchtsort für extremistische Bewerber*innen zu werden scheint.



