Schrödingers Camp oder die Versammlungsfreiheit vor dem Gesetz
Um Veranstaltungen wie den aktuellen G20-Gipfel in der Freien und Hansestadt Hamburg zu ermöglichen, sind die zuständigen Landesbehörden regelmäßig bereit, sowohl den Bürgern vor Ort als auch den von außerhalb anreisenden Demonstrierenden tiefgreifende Grundrechtseingriffe zuzumuten. Dies geschieht, obwohl sämtliche Betroffenen – bis auf eine kleine gewalttätige Minderheit – grundsätzlich als Nichtstörer zu behandeln sind. Hierzu ließe sich aus versammlungsrechtlicher Sicht vieles sagen. Die dahinter stehenden grundsätzlichen Fragen sollen hier aber nicht das Thema sein. Thema soll auch nicht sein, warum eigentlich der Bundesinnenminister sich (mal wieder) öffentlich zu einem Sachverhalt äußert, der in den Zuständigkeitsbereich eines seiner Landeskollegen fällt.
Aufbereitet werden soll an dieser Stelle vielmehr der Vorgang um das anlässlich des G20-Gipfels geplante Protestcamp, der die Gerichte, bis hin zum BVerfG, nun schon mehrere Wochen beschäftigt und am Wochenende in den Geschehnissen um den Elbpark Entenwerder seinen vorläufigen Höhepunkt fand. Die Veranstalter des Protestcamps haben dabei schwere Vorwürfe gegen die Hamburger Polizei erhoben: Diese hätten „geputscht“, indem sie einen Beschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Hamburg vorsätzlich missachtet hätten. Schon vor dem eigentlichen Beginn des Gipfels ist eine rechtlich chaotische Situation entstanden, die jedenfalls für den Nichtjuristen kaum noch zu überblicken ist. Hier ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen ist das Hauptanliegen dieses Beitrags. Dabei zeigt sich, dass der Rechtsunterworfene, nur weil er vor Gericht obsiegt, noch lange nicht zu seinem Recht kommen muss, sondern mitunter wieder genau da anlangt, wo er am Anfang gestartet ist.
Der Gang der Entscheidungen
Der Weg zum Bundesverfassungsgericht
Geplant war das Protestcamp ursprünglich für den 30. Juni bis 9. Juli 2017 auf der großen Festwiese des Hamburger Stadtparks. Die Veranstalter rechneten mit circa 10.000 Personen aus aller Welt, die in 3.000 Zelten wohnen und übernachten sowie mit Hilfe mehrerer Großküchen verpflegt werden sollten.
Der Rechtsstreit nimmt dabei seinen Ausgangspunkt bei dem Versuch des Veranstalters, das Camp im April 2017 bei der Stadt Hamburg als Versammlung anzumelden. Diese verneinte allerdings den Versammlungscharakter des Camps, weshalb sie den Veranstalter nicht versammlungsrechtlich beschied, sondern lediglich auf das bestehende Verbot verwies, auf öffentlichen Grün- und Erholungsanlagen zu zelten. Erst später untersagte die Stadt das Camp schließlich auch per Bescheid – auf welcher Rechtsgrundlage dies geschah, geht aus den vorliegenden Entscheidungen nicht hervor. Gegen den Bescheid legte der Veranstalter Widerspruch ein, die sofortige Vollziehbarkeit wurde nicht angeordnet.
Hieraus entspann sich nun der erste Zug durch die Instanzen, an dessen Ende der Beschluss des BVerfG vom 28. Juni stand. Der Veranstalter suchte vor dem VG Hamburg um Eilrechtsschutz nach und beantragte, die Stadt im Wege der einstweiligen Anordnung gem. § 123 VwGO zur Duldung der Durchführung sowie Auf- und Abbau des von ihm angemeldeten Protestcamps zu verpflichten. Die 19. Kammer des VG Hamburg gab dem Antrag in ihrer Entscheidung vom 7. Juni statt. Im Wege einer Gesamtabwägung kam es zu der Einschätzung, das Camp unterfalle insgesamt der Versammlungsfreiheit. Eine Pflicht der Antragsgegnerin zur Duldung bestehe deshalb so lange, bis sie einen versammlungsrechtlichen Bescheid gegenüber dem Antragsteller erlasse, mit dem die Versammlung gem. § 15 VersG beschränkt oder verboten würde.
Auf die Beschwerde der Stadt Hamburg hin änderte das OVG Hamburg diesen Beschluss mit Entscheidung vom 22. Juni und lehnte den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ab. Anders als das VG sah das OVG das Camp nach einer wertenden Gesamtschau nicht als Versammlung an, da ein deutliches Übergewicht der nicht auf die Meinungskundgabe gerichteten Elemente bestünde. Während einzelnen Veranstaltungen in dem Camp durchaus Versammlungscharakter zukommen könne, sei die geplante Infrastruktur des Camps nicht vom Schutz der Versammlungsfreiheit erfasst. Diese Anlagen besäßen keine funktionale oder symbolische Bedeutung für das Versammlungsthema, sondern dienten in erster Linie der Schaffung von Schlaf- und Versorgungsgelegenheiten. Das (dauerhafte) Campieren auf öffentlichen Flächen ohne einen inhaltlichen Bezug zur Versammlung als „Ersatz-Obdach“ sei, „wegen der damit verbundenen Beeinträchtigung öffentlicher Belange (sic!) nicht mehr von dem Schutzbereich des Art. 8 GG erfasst.“
Gegen diesen Beschluss stellten die Veranstalter nunmehr einen Antrag auf einstweilige Anordnung gem. § 32 BVerfGG vor dem Bundesverfassungsgericht. Dieses entschied mit Beschluss vom 28. Juni. Da die Frage, in welchem Umfang und mit welchen Maßgaben der Schutzgehalt des Art. 8 I GG auch die längerfristige Errichtung von Infrastruktureinrichtungen umfasse, in der bisherigen Rechtsprechung des Gerichts noch nicht entschieden sei, erweise sich die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache weder als von vorneherein unzulässig noch unbegründet. Die notwendige Folgenabwägung des Gerichts fiel insofern zu Gunsten des Veranstalters aus, als das Gericht die Stadt Hamburg verpflichtete, das Camp bei ihren Entscheidungen als Versammlung zu behandeln und ggf. entsprechend auch versammlungsrechtlich zu bescheiden. Zugleich betonte das BVerfG jedoch, dass dies nicht bedeute, dass deshalb keine Auflagen gegen das Camp möglich seien, um eine nachhaltige Beeinträchtigung des Stadtparks auszuschließen. Könne die Versammlung deshalb nicht im Stadtpark durchgeführt werden – wie nach den Akten durchaus naheliegend sei und wie es sich im Übrigen mit Blick auf die nicht berücksichtigten Sicherheitsbelange ergeben könne –, könne die Stadt auch einen geeigneten Ersatzort für die Durchführung des geplanten Protestcamps zuweisen. Auch in diesem Fall sei die Stadt freilich zum Erlass von Auflagen befugt, um insbesondere eine Schädigung des Ersatzortes möglichst weitgehend zu verhindern. Schließlich führte das BVerfG noch aus, dass bei der Entscheidung auch berücksichtigt werden könne,
in welchem Umfang die Maßnahmen notwendige Infrastruktur zu eigenständigen Versammlungselementen darstellen und inwieweit sie darüber hinausgehen. Insbesondere sind die Behörden berechtigt, die Errichtung von solchen Zelten und Einrichtungen zu untersagen, die ohne Bezug auf Akte der Meinungskundgabe allein der Beherbergung von Personen dienen sollen, welche anderweitig an Versammlungen teilnehmen wollen.
Die Entscheidung des VG Hamburg (Kammer 75) vom 1. Juli 2017
Trotz des Beschlusses des BVerfG erging seitens der Stadt zunächst keine versammlungsrechtliche Entscheidung. Am 29. Juni fand erneut ein Kooperationsgespräch zwischen den Beteiligten statt, welches allerdings ergebnislos abgebrochen wurde. Nach Angaben der Veranstalter hätten die Vertreter der Versammlungsbehörde mitgeteilt, die für das Protestcamp gewünschten Übernachtungsmöglichkeiten und Infrastrukturleistungen weiterhin zu untersagen.
Der Veranstalter wendete sich daraufhin zunächst erneut an das BVerfG, das den Antrag allerdings voraussehbar aufgrund der fehlenden Erschöpfung des einfachgerichtlichen Rechtswegs zurückwies.
Mit Schreiben vom 30. Juni 2017 teilte der Veranstalter der Stadt Hamburg nunmehr mit, dass er in Hinblick auf die weiter bestehende Ablehnung des Stadtparks als Versammlungsort durch die Stadt die Versammlung nunmehr auf der sogenannten Entenwerder-Halbinsel durchführen wolle. Am selben Tag suchte der Veranstalter erneut beim VG Hamburg um Eilrechtsschutz nach. Er beantragte erneut, die Stadt Hamburg zur Duldung von Aufbau und Durchführung eines Camps zu verpflichten, nunmehr an dem neugewählten Versammlungsort und nur noch mit bis zu 5.000 Teilnehmenden. Zur Begründung verwies der Veranstalter darauf, dass die Stadt, auch wenn sie bislang keine versammlungsrechtliche Verfügung erlassen habe, den Aufbau des Camps absehbar verhindern werde.
Am darauf folgenden Tag, dem 1. Juli, gab die Stadt Hamburg den Veranstaltern mit Bezug auf die ursprüngliche Anmeldung vom 24. April und dem anschließenden Schriftverkehr schließlich eine „Anmeldebestätigung mit beschränkenden Verfügungen“ bekannt. Darin enthalten waren mehrere Auflagen – diesmal auch jeweils unter Anordnung der sofortigen Vollziehung. Die Stadt verbot erstens, ein Protestcamp in Form einer Versammlung im Stadtpark oder im Elbpark Entenwerder durchzuführen, worunter auch der Auf- oder Abbau falle. Zweitens sei die Versammlung stattdessen auf dem am süd-östlichen Stadtrand von Hamburg, rund 18 Kilometer vom Stadtpark entfernt, gelegenen Frascatiplatz durchzuführen. Drittens seien das Aufstellen von Schlafzelten, das Errichten von Duschen sowie der Aufbau von Küchen untersagt. Viertens dürften maximal 10 Workshop-Zelte, die der öffentlichen Meinungskundgabe dienen, aufgebaut und genutzt werden. Der fünfte Punkt betraf den Einsatz von Ordnern.
Noch am 1. Juli erhob der Veranstalter Widerspruch gegen den Bescheid und beantragte nunmehr zusätzlich gem. § 80 V VwGO die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Punkte 1, 3 und 4 wiederherzustellen. Mit Beschluss vom gleichen Tag sah das VG Hamburg diesen Teil des Antrags schon deshalb als begründet an, weil der auf § 15 VersG gestützte Bescheid aufgrund eines Ausfalls des Ermessens rechtsfehlerhaft sei. Jedenfalls auf der Rechtsfolgenseite erwähne die Stadt den neuen Veranstaltungsort Elbpark mit keinem Wort, sondern verweise lediglich auf die Ausführungen zum Hamburger Stadtpark. Zusätzlich führte das VG aus, dass die Stadt, soweit sie darauf verweise, dass der Veranstalter zu keinem Zeitpunkt glaubhaft gemacht habe, dass das Übernachten auf dem Gelände und die dafür erforderliche Infrastruktur ein funktioneller oder symbolischer Teil der Meinungskundgabe sei, die Ausführungen des BVerfG verkenne, wonach das Protestcamp gerade in seiner Gesamtheit dem Schutz der Regelungen des Versammlungsrechts zu unterstellen sei, jedenfalls soweit die Errichtung von Zelten und Einrichtungen den aktiven Teilnehmern des Protestcamps diene.
Als unzulässig sah das VG hingegen den Antragsteil vom 30. Juni an, der sich auf § 123 VwGO stützte. Sein hiermit verbundenes Rechtschutzziel habe der Veranstalter bereits mit seinem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs erreicht. Damit und vor dem Hintergrund der Entscheidung des BVerfG sei es dem Veranstalter vorläufig erlaubt, das Protestcamp nach Maßgabe der Anmeldung einzurichten:
Soweit der Antragsteller ausgeführt hat, dass die Antragsgegnerin (auch ohne entsprechende Verfügung) den Aufbau des Camps mittels unmittelbaren Zwangs verhindern werde, ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin in Ansehung des hiesigen Beschlusses dennoch faktische Verhinderungsmaßnahmen ergreifen wird, solange dieser nicht durch einen entsprechenden Beschluss in einem etwaigen Beschwerdeverfahren aufgehoben worden ist.
Die Entscheidung des VG Hamburg (Kammer 75) vom 2. Juli 2017
Letzteres erwies sich allerdings als krasse Fehleinschätzung. Als der Veranstalter am Nachmittag des 2. Juli 2017 mit der Errichtung des Camps im Elbpark Entenwerder beginnen wollte, verwehrte ihm die Polizei den Zugang zu dem Gelände. Gegen 16 Uhr stellte der Veranstalter deshalb erneut einen Antrag auf einstweiligen Rechtschutz beim VG. Er rügte u.a., dass die Stadt Hamburg den Beschluss des VG vom 1. Juli missachtet habe. Es sei lediglich mündlich vor Ort ein (neues) Versammlungsverbot durch den Einsatzleiter ausgesprochen worden, dem der Antragsgegner vorsorglich widersprochen habe.
Gegen 18:45 Uhr gab die Stadt dem Veranstalter zudem einen neuen Bescheid bekannt, mit dem die Verfügung der Versammlungsbehörde vom 1. Juli 2017, soweit sie den Elbpark Entenwerder betraf, aufgehoben wurde. Sie bestätigte die Anmeldung der Versammlung und erließ erneut Auflagen, die inhaltlich den vorgehenden entsprachen, also unter anderem die Errichtung von Infrastruktureinrichtungen untersagten. Jedoch sollte als alternativer Versammlungsort nun nicht mehr der Frascatiplatz dienen, sondern die beantragte Versammlung wurde auf einen eingegrenzten Teilabschnitt des Elbparks Entenwerder beschränkt. Erneut wurde die sofortige Vollziehbarkeit der Auflagen angeordnet.
Hiergegen legte der Veranstalter ebenfalls noch am 2. Juli 2017 Widerspruch ein. Er machte insbesondere geltend, dass die Stadt keine erlaubte Versammlung verhindern dürfe. Der vorangegangene Bescheid müsse notfalls mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden. Die beanspruchte Fläche im Elbpark sei für die angemeldete Versammlung auch geeignet, so gebe es dort keine besonders schützenswerten Pflanzen oder Tiere, die durch die Anwesenheit von bis zu 5.000 Menschen gestört würden. Anderenfalls hätte die Stadt dort auch keine Partys, Konzerte oder Festivals mit mindestens ebenso vielen Personen genehmigen dürfen. Ein Camp ohne Übernachtung und Versorgung sei kein Camp. Das BVerfG habe entschieden, dass die hier in Rede stehende Versammlung als Ganzes dem Schutz des Versammlungsrechts unterfalle.
Dieses Mal lehnte die 75. Kammer des VG Hamburg jedoch sowohl den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung als auch den Antrag auf Anordnung einer Duldungsverpflichtung als unbegründet ab. Der neuen Verfügung lägen erkennbar Umstände für eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zugrunde. Diese bestehe zum einen hinsichtlich der zu befürchtenden Schäden für die Grünanlagen, da anzunehmen sei, dass eine Grünfläche durch die beantragte, mehrere Tage dauernde Nutzung durch 5.000 angekündigte Teilnehmer geschädigt werde. Zudem werde die Nutzung der Grün- und Erholungsflächen durch die Öffentlichkeit während der Dauer der geplanten Versammlung ausgeschlossen. Abseits der möglichen Teilnahme an der Versammlung stünden andere von der Stadt vorgesehene Nutzungsmöglichkeiten nicht mehr zur Verfügung. Anders als bei der Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis für eine kommerzielle Großveranstaltung, könne diesen Risiken auch nicht durch eine Sicherheitsleistung – das VG geht von einem notwendigen Betrag in Höhe von 250.000 Euro aus – entgegen gewirkt werden. Soweit der Veranstalter beteuere, der Rasen werde so schonend wie möglich behandelt werden, die Fläche hinterher gesäubert, aufgelockert und nötigenfalls neu bepflanzt, gäbe es dafür keine Gewähr.
In seinen Ausführungen verweist das VG Hamburg auf die in der Entscheidung des BVerfG vom 28. Juni vorgenommene Differenzierung, wonach bei der Entscheidung auch berücksichtigt werden könne, in welchem Umfang Teile des Camps notwendige Infrastruktur zu eigenständigen Versammlungselementen darstellen oder darüber hinausgingen, wobei die Behörden insbesondere berechtigt seien, „die Errichtung von solchen Zelten und Einrichtungen zu untersagen, die ohne Bezug auf Akte der Meinungskundgabe allein der Beherbergung von Personen dienen sollen, welche anderweitig an Versammlungen teilnehmen wollen.“ Bemerkenswerterweise führt das VG nun weiter aus, dass der Umstand, wonach das BVerfG das Protestcamp auch hinsichtlich der Aufstellung von „Zelten“ vorsorglich unter den Schutz des Art. 8 I GG gestellt habe,
nicht den Schluss zu[lasse], dass damit auch die Zelte erfasst sind, die dem Übernachten dienen. […] Derartige Einrichtungen stellen nur dann einen geschützten Teil der Versammlung dar, sofern ihnen eine funktionale oder symbolische Bedeutung für das Versammlungsthema zukommt und diese Art des Kundgebungsmittels damit einen erkennbaren inhaltlichen Bezug zur kollektiven Meinungskundgabe aufweist. Das Übernachten in einem Zelt auf dem Veranstaltungsgelände und die Errichtung von Duschen und Küchen ist vorliegend keine versammlungsimmanente Infrastruktur.
Das VG, dessen 19. Kammer in dem der Entscheidung des BVerfG vorangehenden Verfahren die Versammlungsfreiheit für das Camp noch als vorsorglich eröffnet angesehen hatte, interpretiert durch seine 75. Kammer die Entscheidung des BVerfG nunmehr gerade im Sinne einer Schutzbereichsbegrenzung. (Zur Untermauerung seiner Ausführung zum Schutzbereich verweist es zudem auf eine am Vortag ergangene Entscheidung des OVG Hamburg zu einer Veranstaltung im Volkspark Altona, in der das OVG den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit unter Hinweis auf die Entscheidung des BVerfG allerdings letztlich als eröffnet angesehen hatte.)
Die möglichen Beeinträchtigungen seien, so das VG, schließlich mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit abzuwägen. Einerseits müsse dem Antragsteller die Durchführung eines Protestcamps anlässlich des G20 Gipfels möglichst weitgehend ermöglicht, andererseits müssen aber nachhaltige Schäden des Parks verhindert und die diesbezüglichen Risiken für die öffentliche Hand möglichst gering gehalten werden. Der gebotene verhältnismäßige Ausgleich mit der Versammlungsfreiheit werde nun dadurch hergestellt, dass nur die in der Anlage zum Bescheid markierte Teilfläche des Elbparks für die vom Antragsteller angemeldete Veranstaltung genutzt und auf der übrigen Fläche die Nutzung untersagt werde. Die demgemäß für die Veranstaltung zu Verfügung stehende Teilfläche erscheine hinreichend, um die nach den vorstehenden Erwägungen relevanten „versammlungsimmanenten Veranstaltungsteile“ zu tragen.
Auf den von Seiten des Veranstalters erhobenen Vorwurf, die Stadt Hamburg habe die Entscheidung des VG vom 1. Juli missachtet, geht das Gericht wegen des aus seiner Sicht fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses nicht mehr ein. Nach einer telefonischen Mitteilung der Stadt an das Gericht werde der Aufbau der erlaubten Zelte und Anlagen nicht (mehr) durch polizeiliche Maßnahmen unterbunden. Vor diesem Hintergrund bestehe kein Anlass anzunehmen, dass der Veranstalter die Versammlung nicht in dem gestatteten Umfang durchführen könne.
„Missachtung“ der Entscheidung des VG Hamburg vom 1. Juli 2017
Rechtstreue Verwaltung
Der rechtlich wohl interessanteste Aspekt, dürfte – allein schon aufgrund der ungewöhnlichen Konstellation – die Frage sein, inwieweit die Polizei mit ihrem Vorgehen gegen die Aufbauarbeiten am Nachmittag des 2. Juli den Beschluss des VG vom 1. Juli missachtet hat. Wäre dies der Fall, läge hierin ein handfester Skandal.
Gem. Art. 20 III GG ist die Verwaltung an Gesetz und Recht gebunden, wobei unter letzteres auch die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte fallen. Dabei kommen Rechtsverstöße durch die Verwaltung zwar täglich vor – sei es aufgrund von Unkenntnis, sei es aufgrund divergierender Rechtsansichten. Die Anforderungen an den Tenor einer Entscheidung zielen aber darauf ab, Unklarheiten zu beseitigen und so grundsätzlich die Vollstreckbarkeit der Entscheidung zu ermöglichen. Unklarheiten darüber, was im konkreten Fall gesollt war, konnten demnach für die Stadt Hamburg eigentlich nicht bestehen. Ein Verstoß gegen die gerichtliche Entscheidung wäre demnach wohl als vorsätzlich oder jedenfalls grob fahrlässig anzusehen gewesen.
Der im Eilverfahren ergangene Beschluss des Gerichts ist grundsätzlich auch vollstreckbar, vgl. § 168 I Nr. 1 VwGO, unabhängig davon, ob noch Rechtsmittel zur Verfügung stehen und die Entscheidung bereits formell rechtskräftig ist. Deshalb wäre auch eine Argumentation, wie sie zwischenzeitlich wohl von Seiten der Polizei zu hören war, man wolle den Aufbau des Camps verhindern, damit die Veranstalter vor der Entscheidung des OVG über die durch die Stadt eingelegte Beschwerde keine vollendeten Tatsachen schaffen, nicht zu akzeptieren.
Eine vorsätzliche Missachtung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung durch die Behörde liefe letztlich Gefahr, das gesamte System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes aus den Angeln zu heben. Denn das Gericht kann eine Durchsetzung seiner Entscheidungen gegenüber den Behörden letztlich nur sehr eingeschränkt, vgl. § 172 VwGO, erzwingen – unmittelbarer Zwang steht ihm jedenfalls nicht zur Verfügung. Auch deshalb gehen die Verwaltungsgerichte grundsätzlich von der rechtstreuen Behörde aus, die eine einmal verbindlich festgestellte Rechtslage auch befolgt. Eine weitergehende Kontrolle kann letztlich nur politisch erfolgen. Würde dieser politische Konsens aufgekündigt, führte dies letztlich zum Ende des Rechtsstaats in der uns bekannten Form.
Missachtung des Gerichts?
Anders als die verständlichen Reaktionen der Betroffenen nahelegen, kann eine solche Missachtung im vorliegenden Fall aber nicht angenommen werden. Dass dies freilich nicht unbedingt an dem Willen der Polizei liegt, sich rechtstreu zu verhalten, wird deutlich, wenn deren Pressesprecher auch am 3. Juli noch betont, die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung durch das VG bedeute „dann natürlich nicht, dass man völlig frei ein Camp aufbauen kann.“ Denn unter dem Regime des Versammlungsrechts bedeutet das Nichtvorhandensein eines konkreten Verbots – aus dem bereits vorhandenen Bescheid zu vollstrecken, war der Polizei ja unzweifelhaft untersagt, die Allgemeinverfügung der Versammlungsbehörde vom 1. Juni erfasste den Bereich Entenwerder gerade nicht – eben genau dieses: Es besteht gem. Art. 8 I GG das Recht, sich ohne Erlaubnis zu versammeln.
Für eine Einschränkung des Versammlungsrechts bedurfte es also in jedem Fall einer erneuten Verbotsverfügung. Diese lag nach den Feststellung des Verwaltungsgerichts jedoch auch vor, wobei etwas unklar bleibt, wie sich die spätere schriftliche Verfügung gegenüber der früheren mündlichen verhält, d.h. ob es sich um eine bloße Bestätigung des mündlichen Verwaltungsakts handelte.
Rechtlich gesehen läge hierin nur dann eine Missachtung der gerichtlichen Entscheidung, wenn die Behörde zwar nicht durch die gerichtliche Entscheidung als solche, aber durch die schiere Weiterexistenz des nicht etwa gerichtlich aufgehobenen, sondern lediglich in seiner Wirkung ausgesetzten Verwaltungsakts daran gehindert gewesen wäre, eine neue Entscheidung zu erlassen. Von einer formellen Bestandskraft des Bescheids konnte hier freilich noch keine Rede sein. Aber auch ein materielles Abweichungsgebot erscheint an dieser Stelle eher fernliegend, zumindest wenn in die Neuregelung inzident auch die Aufhebung des alten Verwaltungsakts eingelesen wird. Darauf, dass ein anderes Ergebnis auch wenig zweckdienlich erscheint, mag der folgende Gedanke einen Hinweis geben: Die Entscheidung des Gerichts, die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung anzuordnen, gründete sich ja letztlich darauf, dass die Verwaltung das ihr zustehende Ermessen nicht gebraucht hatte. Es scheint im Ergebnis abwegig, die Behörde nunmehr daran zu hindern, den fehlerhaften Bescheid durch einen rechtskonformen zu ersetzen.
Eine umfassende Sperrwirkung wäre deshalb nur gegeben gewesen, wenn das VG die einstwillige Anordnung antragsgemäß beschieden hätte. Diesen Antrag sah das Gericht aber als unzulässig an, da es fälschlicherweise von einem fehlenden Rechtsschutzinteresse ausging.
Umfang der Versammlungsfreiheit
Trotz der mittlerweile sechs Entscheidungen, die der Veranstalter herbei geführt hat, ist es zu keiner befriedigenden Klärung der Frage gekommen, ob und inwieweit auch bloße Infrastruktureinrichtungen, die in derartigen Camps bereit gestellt werden, jedenfalls dann von der Versammlungsfreiheit erfasst werden, wenn sie bei Veranstaltungen gewisser Größenordnungen und Dauer zur angemessenen Wahrnehmung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit notwendig sind. Vor allem das BVerfG sah sich in der Kürze der Zeit zu einer entsprechenden Äußerung nicht in der Lage und beschränkt sich deshalb – jedenfalls nominell – auf eine Folgenabwägung. Problematisch erscheint dabei weniger deren Ergebnis als solches, als vielmehr die ergänzenden Überlegungen, die das BVerfG den Fachgerichten mit auf den Weg gab und die von diesen einerseits bereitwillig aufgenommen wurden, andererseits aber zu erheblichen Missverständnissen führten.
Als unmittelbares Ergebnis seiner Entscheidung ordnete das BVerfG die vorläufige Einstufung des Camps in Hinblick auf seinen Gesamtcharakter als Versammlung an. Zugleich spricht es in seinen weiteren Ausführungen u. a. davon, dass bei der Entscheidung auch berücksichtigt werden könne,
in welchem Umfang die Maßnahmen notwendige Infrastruktur zu eigenständigen Versammlungselementen darstellen und inwieweit sie darüber hinausgehen. Insbesondere sind die Behörden berechtigt, die Errichtung von solchen Zelten und Einrichtungen zu untersagen, die ohne Bezug auf Akte der Meinungskundgabe allein der Beherbergung von Personen dienen sollen, welche anderweitig an Versammlungen teilnehmen wollen.
Damit korrigiert das BVerfG den Beschluss des OVG zwar in Hinblick auf die Bewertung des Gesamtgepräges des Camps. Zugleich bestätigt es jedoch den vom OVG angelegten Maßstab, wonach die genannten Bestandteile alleine nicht der Versammlungsfreiheit unterfallen würden. Dies lässt sich dann so interpretieren, dass das Camp zwar als Versammlung anzusehen ist, allerdings nicht sämtliche Maßnahmen einen gleichwertigen Schutz genießen. Dies wirft indes weitere Fragen nach dem Umfang des Schutzes auf, etwa ob aus der Formulierung „Beherbergung von Personen […], welche anderweitig an Versammlungen teilnehmen wollen“ hervorgeht, dass zumindest eine Beherbergung von Personen, die an Aktionen des Camps teilnehmen wollen, weiter vollumfänglich geschützt ist. Zudem interpretierte das VG in seinem Beschluss vom 2. Juli – anders als das OVG, s.o. – die Ausführungen dahingehend, dass zwar das Camp als solches, nicht aber die entsprechenden einzelnen Bestandteile dem Schutzbereich des Art. 8 I GG unterfielen. Überspitzt gesagt handelt es sich hier im Ergebnis um Schrödingers Camp, das gleichzeitig der Versammlungsfreiheit unterfällt und der Versammlungsfreiheit nicht unterfällt.
Die Entscheidung des BVerfG stellt sich somit in mehrfacher Hinsicht als eine Art Mogelpackung heraus: Zum einen formuliert das Gericht letztlich doch einen Entscheidungsmaßstab, obwohl es angab, dazu nicht in der Lage zu sein. Zum anderen entwertet es den Schutz der Versammlungsfreiheit, wenn es die Maßnahmen zwar formell, aber nicht materiell dem Schutz von Art. 8 I GG unterstellt. Die Entscheidung zeigt erneut, dass durch die weite Ziehung des Schutzbereichs allein noch kein Mehr an Grundrechtsschutz zu erlangen ist, wenn die entsprechende Differenzierung zugleich lediglich auf die Abwägungsebene verlagert wird. Auch die bloße Auswechslung der Ermächtigungsgrundlage bringt keinen Freiheitsgewinn für den Grundrechtsträger.
Bedenklich erscheinen insofern auch die weiteren vom BVerfG angeführten Abwägungsgesichtspunkte, die erneut nicht in die behauptete Folgenabwägung passen, Stadt und VG aber die Blaupause für die spätere Beschränkung der Versammlung liefern:
So führt das BVerfG das Nutzungsinteresse der übrigen Öffentlichkeit an dem Versammlungsgebiet an, ohne dass deutlich wird, inwiefern dieses das Interesse der Versammlungsteilnehmer überwiegen sollte. Zum einen ist im Versammlungsrecht grundsätzlich anerkannt, dass die in der Versammlung liegende Nutzung jedenfalls insoweit eine Privilegierung gegenüber der sonstigen widmungsgemäßen Nutzung erfährt, solange diese den Zugang der Öffentlichkeit nicht grundsätzlich untersagt. Inwieweit nun das Interesse, gerade das Gebiet Entenwerder während der Dauer des G20-Gipfels als Erholungsgebiet zu nutzen, von diesem Grundsatz eine Abweichung begründen soll, wird nicht ersichtlich. Zum anderen erscheint die Argumentation schon ironisch, wenn zugleich große Teile des Hamburger Stadtgebiets für die Dauer des Gipfels für die Bürger der Stadt wegen der Sicherheitsvorkehrungen nur noch mit erheblichen Einschränkungen zu nutzen sind. Nach derselben Logik wäre dann auch der Gipfel selbst zu untersagen gewesen.
Schließlich ist auch das Abstellen auf angeblich schützenswerte fiskalische Interessen nicht überzeugend, wenn das Camp als solches zugleich der Versammlungsfreiheit unterstellt wird. Die Ausübung des politischen Grundrechts wird so von der finanziellen Leistungsfähigkeit der Veranstalter abhängig gemacht. Zugleich wird die kommerzielle Nutzung des öffentlichen Raums ein weiteres Mal gegenüber den Interessen der übrigen Öffentlichkeit privilegiert.
Fazit
Insgesamt zeigt sich der einstweilige Rechtsschutz als nur sehr eingeschränkt in der Lage, die vorliegende Problematik angemessen zu bewältigen und – jedenfalls vorläufig – Rechtsfrieden herzustellen. Nimmt man die letzte Entscheidung des VG Hamburg vom 3. Juli 2017, dann steht der Veranstalter letztlich wieder da, wo er auch am Anfang stand – er muss darum kämpfen, dass die Versammlungsfreiheit in der Entscheidung wenigstens angemessene Berücksichtigung findet. Der erneute Weg zu OVG und BVerfG erscheint somit vorgezeichnet.
Freilich ist zu fragen, ob es einerseits den Veranstaltern nicht auch möglich gewesen wäre, die Versammlung mit einem größeren zeitlichen Vorlauf zu planen. Andererseits lässt sich die lange Weigerung der Stadt, förmliche und damit auch rechtlich überprüfbare Bescheide zu erlassen, durchaus als Verzögerungstaktik interpretieren. Von dem von der Versammlungsfreiheit geforderten kooperativen Vorgehen der Stadt kann vorliegend jedenfalls keine Rede sein. Dies gilt nicht nur für Aktionen am 2. Juli, die zwar nicht als klarer Verfassungsbruch, angesichts der Ausführungen des VG, aber durchaus als unfreundlicher Akt zu interpretieren sind. Der lange Streit um die Reichweite der Versammlungsfreiheit hat am Ende auch dazu geführt, dass die einzelnen Versagungsgründe kaum einer ausführlichen Prüfung unterzogen werden konnten.
Vollends zur Farce gerät das Ganze, wenn die Polizei nunmehr offenbart, dass die in der Verfügung genannten Gründe in Bezug auf den Schutz der Grünanlagen offensichtlich von Anfang an nur vorgeschoben waren und es eigentlich um rechtlich nicht vermittelbare Sicherheitsinteressen ging: „Immer […] wenn wir solche Camps hatten, ist es zu schweren Ausschreitungen gekommen. […] [Man] kann […] doch wirklich von der Polizei nicht erwarten, dass wir diesen militanten Linksextremisten hier auch noch eine Rückzugfläche, eine Mobilisierungsfläche zur Verfügung stellen. […] Unsere Botschaft ist dort eindeutig: Aus Sicherheitsgründen, auch zum Schutz der Bevölkerung, werden wir diese Camps nicht zulassen.“ Vielleicht hat der Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Uhl jedenfalls in Bezug auf die Zeit des G20-Gipfels doch Recht mit seiner Annahme, dass „[das Land] von Sicherheitsbehörden geleitet“ wird.
Nachtrag 5.7.:
Das OVG hat heute über die Beschwerde des Antragstellers entschieden und überraschenderweise die Vollziehung der versammlungsrechtlichen Auflagen soweit ausgesetzt, dass nunmehr auf dem zugewiesenen Areal in Entenwerder das Aufstellen von bis zu 300 Schlafzelten für jeweils maximal 2 – 3 Personen, das Errichten von Waschgelegenheiten sowie den Aufbau einer Küche zur Selbstversorgung bis zum 9. Juli 2017 erlaubt wird, sofern die noch einzuholenden Vorgaben der Feuerwehr und des Bezirksamtes in Bezug auf Sicherheits und Hygienevorschriftung befolgt werden.
In seiner Begründung verweist das OVG auf den Beschluss des BVerfG, wonach das geplante Protestcamp vorsorglich den Regeln des Versammlungsrechts zu unterstellen ist. Gemeint sei damit das Protestcamp in seiner Gesamtheit entsprechend der Anmeldung, also grundsätzlich auch von der Anmeldung umfasste Infrastruktureinrichtungen. Nach Überzeugung des OVG kann dies nicht dahin verstanden werden, dass die Stadt befugt sei, vorgesehene Infrastruktur allein deshalb zu untersagen, weil sie nicht zwangsläufig für die Durchführung der Versammlung erforderlich ist, weil ihr also für sich genommen keine funktionale oder symbolische Bedeutung für das Versammlungsthema zukommt und sie keinen inhaltlichen Bezug zur kollektiven Meinungskundgabe aufweist. Andernfalls liefe die ersichtlich auf die Anmeldung des Antragstellers abstellende Anordnung des Bundesverfassungsgerichts, das geplante Protestcamp den Regeln des Versammlungsrechts zu unterstellen, leer. Die Untersagung von Einrichtungen müsse also – wenn sie nicht, was das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich klarstellt, mit Sicherheitsbelangen begründet wird – einen Bezug zum Umfang des Camps im Sinne der Flächeninanspruchnahme haben. In diesem Fall können Einrichtungen untersagt werden, denen jeglicher Bezug zur Meinungskundgabe fehlt, wie dies insbesondere bei Zelten der Fall sein kann, die als reine Schlafstätte für Menschen dienen, denen es nicht um den Besuch von Veranstaltungen im Camp selbst, sondern andernorts in Hamburg geht. Im Umkehrschluss geht das Beschwerdegericht davon aus, dass Zelte und vergleichbare Einrichtungen nicht allein deshalb untersagt werden können, weil das Übernachten für sich genommen kundgabeneutral ist, wenn es den Nutzern darum geht, die im Camp angebotenen Veranstaltungen zu besuchen bzw. an ihnen teilzunehmen. Dass die entsprechende Formulierung in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mit dem Wort „insbesondere“ eingeleitet worden sei, besage nach dem Verständnis des OVG lediglich, dass eine Untersagung derartiger Zelte und Einrichtungen in erster Linie in Betracht kommt.
Anders als das VG nimmt das OVG also keine Schutzbereichsbegrenzung vor. Im Ergebnis beschränkt es den Anspruch des Antragstellers dann auch in erster Linie insoweit, als es die von ihm genehmigte Infrastruktur und Fläche für die seitens des Antragstellers selbst angegebene Ausgestaltung des Camps für ausreichend ansieht.
Die mögliche Schädigung der Rasenfläche lässt das OVG hingegen nicht für ein Begrenzung ausreichen. Mit jeder Nutzung eines öffentlichen Ortes im Rahmen einer Versammlung gingenin der Regel hinzunehmende, weil weniger gewichtige Beeinträchtigungen u.a. von Rechten Dritter in Form der zeitweisen Entziehung dieser Fläche für die Nutzung durch Dritte, durch Verunreinigungen und durch möglicherweise zeitweise Beeinträchtigungen der Vegetation einher. Anders als noch zum Zeitpunkt des BVerfG-Beschlusses, werde das Camp auch lediglich noch für fünf Tage durchgeführt. Deshalb sei mit keiner übermäßigen Beeinträchtigung zu rechnen.
Die Seitens der Stadt geltend gemachten Sicherheitsbedenken, wonach das Camp als Rückzugsort für gewaltbereite Demonstranten dienen könne, lässt das OVG ebenfalls nicht durchgehen. Auch aufgrund der neuen Lage des Camps außerhalb der Innenstadt, sei nicht ersichtlich, inwiefern diese Befürchtung die Annahme einer hinreichend konkreten Gefahr im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG in Bezug auf die gesamte Veranstaltung rechtfertige. Etwaige gewaltbereite Demonstranten könnten auch andernorts nächtigen und sich außerhalb des Camps mittels mobiler Kommunikationsmittel verabreden.
Den erneut parallel gem. § 123 VwGO gestellten Antrag auf umfassende Duldung des Camps lehnt das OVG hingegen mit der lapidaren Begründung ab, dass ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Duldung der angemeldeten Versammlung neben dem Antrag nach § 80 V VwGO nicht statthaft sei. Es bleibt zu hoffen, dass die Polizei nicht erneut versuchen wird, die Wirkung der Entscheidung über Rücknahme und Neuerlass eines Verbotes zu umgehen. Angesichts des Umstands, dass es diesmal nicht um bloße Fehler bei der Entscheidungsfindung geht, sondern der Inhalt der Auflagen als solcher für rechtswidrig erachtet wird, wäre die bloße Wiederholung eines VA mit demselben Inhalts wohl auch ausgeschlossen; jedenfalls wäre offen, wie eine solche Wiederholung zu bewerten wäre. Nachlegen könnte die Stadt nunmehr wohl nur insoweit, als es ihr gelänge, eine von dem Camp ausgehende Gefahr für die Sicherheit zu begründen. Unklar bleibt allerdings, wie dies geschehen sollte.
Aus der Ferne betrachtet, kann man sich ein wenig wundern: in einer Millionenstadt wie Hamburg mit solch großen Umfeld, soll es nicht möglich sein, für ein paar Tausend Protestler genug verteilten Platz zu finden, auf welchem kontrolliertes Campieren möglich sein soll?
Ein grenzenlos uneinschränkbarer Anspruch, möglichst geballt konzentriert nahe an einem Veranstaltungsort campieren zu können, gegen welchen sich ein Protest richtet, kann allerdings problematisch bleiben.
Wenn man im Fernsehen sieht, was sich teils für organisiert gewaltbereiter Protest zusammenbrauen kann, kann ein wenig einleuchtend scheinen, dass man hier von staatlicher Seite nicht stets allzusehr zimperlich bleiben kann.
Mit Personen, welche Camps zum Übernachten für andere Zwecke als Versammlungsteilnahme nutzen wollen, können gewaltbereite Protestler gemeint sein, welche nicht mehr unter ein geschütztes Versammlungsrecht fallen können o.ä. Eine entsprechende, rechtliche Bewertung, solche allein nicht mehr als von der Versammlungsfreiheit geschützt anzusehen, könnte danach diesbezüglich zutreffend scheinen.
Das Vorgehen der Hamburger Behörden ist politisch grundfalsch. Klug wäre es gewesen, *früh* zu verfügen und in der Begründung das Kind gleich beim Namen zu nennen, d.h. die Angst vor gewalttätigen Ausschreitung. Das hätte sich locker mit dem bisherigen Verlauf solcher Gipfel belegen lassen.
Dazu ruhig erstmal etwas zu weitgehend verbieten und den Veranstaltern unter der Hand bedeuten, dass man sich – bei gleichzeitiger Offenhaltung der informellen Kommunikationskanäle – eine gerichtliche Auseinandersetzung darüber sogar wünscht.
Vorteil: durch das Gerichtsverfahren hätte sich in der Medienöffentlichkeit die Aufmerksamkeit sofort auf diesen Punkt (“Gewaltfreiheit”) fokussiert; die Behörde stünde moralisch auch völlig anders da (“die haben ja gar nix gegen Demos, sie wollen nur keine Ausschreitungen, und das versteht ja jeder”).
Sofern die Behörde dann – in einer Art “de-facto-Vergleich” – eine weniger harte Verfügung erlassen hätte, die das Camp teilweise zulässt, wäre der Ball psychologisch komplett bei den Veranstaltern gewesen, nun auch für einen friedlichen Verlauf zu sorgen.
Vielen Dank für den sehr informativen Beitrag.
Zum selben Thema jetzt auch JOHANNES FRANKE und NICO SCHRÖTER bei JuWiss http://www.juwiss.de/76-2017/
Auch von mir: Ganz herzlichen Dank für die übersichtliche Darstellung! Durch Tageszeitungslektüre kann man sein juristisches Informationsinteresse über das Thema nicht befriedigen und die ganzen Entscheidungen zu lesen, erschien mir dann doch als zu aufwendig…
Die Argumentation der Stadt ist sehr inkonsistent, wenn einerseits gesagt wird, dass der öffentliche Zugang zu den Flächen nicht mehr möglich ist – andererseits aber kommerzielle Veranstaltungen dort erlaubt sind, die ja genauso eine Einschränkung der Öffentlichkeit mit sich bringen.
“Es scheint im Ergebnis abwegig, die Behörde nunmehr daran zu hindern, den fehlerhaften Bescheid durch einen rechtskonformen zu ersetzen.”
Dass hier keine Sperrwirkung gegeben ist, würde ich teilen. Die gegen Mittag (12:00 Uhr) ergangene mündliche Verüfugung lautete doch aber offenbar: Die Fläche darf überhaupt nicht betreten und es darf überhaupt kein Camp (unabhängig von der Art der Zelte) aufgebaut werden. Ein solches vollständige Untersgung über mehrere Stunden wäre doch aber in jedem Fall rechtswidrig, ganz unabhängig von einer Bindungswirkung der VG-Entscheidung.
Wäre der mündliche VA hingegen mit dem späteren schriftlichen inhaltlich identisch, würde er kaum als Grundlage dafür dienen können, die Versammlungsteilnehmer stundenlang den Zutritt zum Versammlungsort zu verwehren…
Unabhängig davon: Fehlt es nicht jedenfalls bei einer mündlichen Verfügung an der (schriftlichen) Anordnung der sofortigen Vollziehung?
Das VG stellt in seinem Beschluss vornehmlich auf den nicht gewährleisten sorgsamen Umgang mit den öffentlichen Anlagen und dem Aufräumen nach der Veranstaltung ab. Bei kommerziellen Veranstaltungen, die meist eintägig sind, wie dem Rollings Stones-Konzert im Stadtpark, hat der Veranstalter eine Sicherheit von 250.000€ hinterlegt um den sorgsamen Umgang und die Aufräumarbeiten zu gewährleisten bzw. abzudecken.
@Karl-Heinz
M.E. besteht durchaus die nicht so geringe Wahrscheinlichkeit, dass die mündlichen Verfügungen und die anschlißenden Vollstreckungshandlungen in dem ein oder anderen Punkt rechtswidrig waren. Hinsichtlich des genauen Inhalts der Verfügung(en) bzw. den genauen Ablauf des Zwangsmitteleinsatzes lässt sich den zur Verfügung stehenden Materialien leider nur sehr wenig entnehmen.
Mir ging es an der Stelle deshalb nur um die Frage, inwieweit sich die Hamburger Polizei wissentlich über einen Gerichtsbeschluss hinweggesetzt hat und zumindest diesen einen Vorwurf kann man der Hamburger Polizei wohl nicht machen. Damit soll aber dem Vorgehen im Übrigen keineswegs ein Persilschein ausgestellt werden.
Zur Frage der Vollstreckbarkeit haben die Kollegen bei JuWiss noch einiges interessantes geschrieben.
Nachtrag: Das OVG hat heute über die Beschwerde des Antragstellers entschieden und überraschenderweise die Vollziehung der versammlungsrechtlichen Auflagen soweit ausgesetzt, dass nunmehr auf dem zugewiesenen Areal in Entenwerder das Aufstellen von bis zu 300 Schlafzelten für
jeweils maximal 2 – 3 Personen, das Errichten von Waschgelegenheiten sowie den Aufbau einer Küche zur Selbstversorgung
bis zum 9. Juli 2017 erlaubt wird, sofern
die noch einzuholenden Vorgaben der Feuerwehr und des Bezirksamtes in Bezug auf Sicherheits und Hygienevorschriftung befolgt werden.
http://justiz.hamburg.de/contentblob/9100882/eaf4f15b780afe750dd98105c01edd49/data/4bs148-17.pdf
In seiner Begründung verweist das OVG auf den Beschluss des BVerfG, wonach das
geplante Protestcamp
vorsorglich den Regeln des Versammlungsrechts zu unterstellen ist. Gemeint sei damit das Protestcamp in seiner Gesamtheit entsprechend der Anmeldung, also grundsätzlich auch von der Anmeldung umfasste Infrastruktureinrichtungen. Nach Überzeugung des OVG kann dies nicht dahin verstanden werden, dass die Stadt befugt sei, vorgesehene Infrastruktur allein deshalb zu untersagen, weil sie nicht zwangsläufig für die Durchführung der Versammlung erforderlich ist, weil ihr also für sich genommen keine funktionale oder symbolische Bedeutung für das Versammlungsthema zukommt und sie keinen inhaltlichen
Bezug zur kollektiven Meinungskundgabe aufweist. Andernfalls liefe die ersichtlich auf die Anmeldung des Antragstellers abstellende Anordnung des Bundesverfassungsgerichts, das geplante Protestcamp den Regeln des Versammlungsrechts zu unterstellen, leer. Die Untersagung von Einrichtungen müsse also
– wenn sie nicht, was das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich klarstellt, mit Sicherheitsbelangen begründet wird – einen Bezug zum Umfang des Camps im Sinne der Flächeninanspruchnahme haben. In diesem Fall können
Einrichtungen untersagt werden, denen jeglicher Bezug zur Meinungskundgabe fehlt, wie dies insbesondere bei Zelten der Fall sein kann, die als reine Schlafstätte für Menschen dienen, denen es nicht um den Besuch
von Veranstaltungen im Camp selbst, sondern andernorts in Hamburg geht. Im Umkehrschluss geht das Beschwerdegericht davon aus, dass Zelte und vergleichbare Einrichtungen nicht allein deshalb untersagt werden können, weil das Übernachten für sich genommen kundgabeneutral ist, wenn es den Nutzern darum geht, die im Camp angebotenen Veranstaltungen zu besuchen bzw. an ihnen teilzunehmen. Dass die entsprechende Formulierung in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mit dem Wort „insbesondere“ eingeleitet worden sei, besage nach dem Verständnis des OVG lediglich, dass eine Untersagung derartiger Zelte und Einrichtungen in erster Linie in Betracht kommt.
Anders als das VG nimmt das OVG also keine Schutzbereichsbegrenzung vor. Im Ergebnis beschränkt es den Anspruch des Antragstellers dann auch in erster Linie insoweit, als es die von ihm genehmigte Infrastruktur und Fläche für die seitens des Antragstellers selbst angegebene Ausgestaltung des Camps für ausreichend ansieht.
Die mögliche Schädigung der Rasenfläche lässt das OVG hingegen nicht für ein Begrenzung ausreichen. Mit jeder Nutzung eines öffentlichen Ortes im Rahmen einer Versammlung gingenin der Regel hinzunehmende, weil weniger gewichtige Beeinträchtigungen u.a. von Rechten Dritter in Form der zeitweisen
Entziehung dieser Fläche für die Nutzung durch Dritte, durch Verunreinigungen und
durch möglicherweise zeitweise
Beeinträchtigungen der Vegetation einher. Anders als noch zum Zeitpunkt des BVerfG-Beschlusses, werde das Camp auch lediglich noch für fünf Tage durchgeführt. Deshalb sei mit keiner übermäßigen Beeinträchtigung zu rechnen.
Die Seitens der Stadt geltend gemachten Sicherheitsbedenken, wonach das Camp als Rückzugsort für gewaltbereite Demonstranten dienen könne, lässt das OVG ebenfalls nicht durchgehen. Auch aufgrund der neuen Lage des Camps außerhalb der Innenstadt, sei nicht ersichtlich, inwiefern diese Befürchtung die Annahme einer hinreichend konkreten Gefahr
im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG in Bezug auf die gesamte Veranstattung rechtfertige. Etwaige gewaltbereite Demonstranten könnten auch andernorts nächtigen und sich außerhalb des Camps mittels mobiler Kommunikationsmittel verabreden.
Den erneut parallel gem. § 123 VwGO gestellten Antrag auf umfassende Duldung des
Camps lehnt das OVG hingegen mit der lapidaren Begründung ab, dass ein Antrag
auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Duldung der angemeldeten Versammlung neben dem Antrag nach § 80 V VwGO nicht statthaft sei. Es bleibt zu hoffen, dass die Polizei nicht erneut versuchen wird, die Wirkung der Entscheidung über Rücknahme und Neuerlass eines Verbotes zu umgehen. Angesichts des Umstands, dass es diesmal nicht um bloße Fehler bei der Entscheidungsfindung geht, sondern der Inhalt der Auflagen als solcher für rechtswidrig erachtet wird, wäre die bloße Wiederholung eines VA mit demselben Inhalts wohl auch ausgeschlossen; jedenfalls wäre offen, wie eine solche Wiederholung zu bewerten wäre. Nachlegen könnte die Stadt nunmehr wohl nur insoweit, als es ihr gelänge, eine von dem Camp ausgehende Gefahr für die Sicherheit zu begründen. Unklar bleibt allerdings, wie dies geschehen sollte.
Schließe mich dem Dank an den Autor für seine sehr verdienstvolle Arbeit an.