Schwach, aber rechtmäßig
Die Abschwächung des Klimaschutzgesetzes verstößt nicht gegen das Grundgesetz
Die Bundesregierung plant eine Änderung des Klimaschutzgesetzes (KSG), in der es vor allem auch um eine Modifikation der bisherigen Regelungen zu den Sektorenzielen geht. Die vorgesehene Änderung hat erhebliche Kritik ausgelöst. Der Aufruf „Für eine völker- und verfassungsrechtskonforme Klimaschutzpolitik“ vom 31.8.2023 fordert die gesetzgebenden Organe des Bundes auf, die Klimaziele nicht abzuschwächen, und nimmt dabei wie viele andere Stellungnahmen auch auf den Klimabeschluss des BVerfG von 2021 Bezug. Dass die politische Kritik an einer Abschwächung des Klimaschutzgesetzes verfassungsrechtlich mit dem Klimabeschluss des BVerfG abgestützt werden kann, ist allerdings keineswegs so eindeutig, wie es in zahlreichen aktuellen Stellungnahmen zu dem Thema aufscheint. Denn auch nach dem Klimabeschluss sind gewisse Modifikationen und Abschwächungen der Einzelregelungen des Klimakonzepts durchaus zulässig.
Sektorspezifische Vorgaben
Das bisherige Konzept des KSG enthält in § 3 S. 3 nicht nur das allgemeine Ziel, Klimaneutralität zu erreichen, sondern zugleich auch sektorspezifische Vorgaben zu der Frage, wer in der Bundesregierung in welchem Zeitraum welche Ziele erreichen muss (§§ 4, 8 KSG). Die Regelungen zu sektorspezischen Vorgaben und einem darauf beruhenden koordinierten Vorgehen sollen nach Vorstellung der Bundesregierung modifiziert werden. Der vom Bundeskabinett am 21.6.2023 beschlossene Entwurf einer zweiten Novelle zum Klimaschutzgesetz sieht vor, dass die bisherigen sektorenspezifischen Vorgaben entfallen. Entscheidend für die Umsetzung sei das Gesamtziel. Sektorenspezifische Vorgaben seien dafür nicht zwingend erforderlich, lautet die Begründung der Bundesregierung. Paula Ciré und Philipp Schönberger haben die damit verbundenen Gefahren für die Klimaschutzziele eingehend dargelegt. In einem weiteren Beitrag beurteilt Philipp Schönberger die Abschaffung der bisherigen Sektorziele letztlich auch als verfassungswidrig, da nach dem Wegfall der Sektorenziele ein koordiniertes Vorgehen zur Zielerreichung nicht in der notwendigen Weise verfahrensrechtlich abgesichert sei.
Die geplante Abschwächung der Sektorenziele kann klimapolitisch zweifellos kritisch beurteilt werden. Insbesondere wird dadurch auch das Bundesverkehrsministerium begünstigt, das sich besonders hartnäckig einer klimapolitischen Wende gegenüber verweigert. Die Modifikation der bisherigen Sektorziele wäre nach der Rechtsprechung des BVerfG allerdings nur dann verfassungswidrig, wenn der Gesetzgeber damit Vorgaben des Art. 20a GG evident unterlaufen würde. Denn die Umsetzungsstrategie bei der Durchsetzung der Klimaziele obliegt nach dem Klimabeschluss des BVerfG wie auch der sonstigen Rechtsprechung zum Umweltrecht in erster Linie dem Gesetzgeber (Rn. 205). Ausdrücklich stellt das BVerfG klar: „Das Grundgesetz gibt nicht im Einzelnen vor, was zu regeln ist, um Voraussetzungen und Anreize für die Entwicklung klimaneutraler Alternativen zu schaffen“ (BVerfG, Rn. 249). Gerade auch unter Verweis auf die erheblichen prognostischen Unsicherheiten bei der Bestimmung der Klimaschutzziele belässt das BVerfG dem Gesetzgeber einen Spielraum, die Gefahrenlagen und Risiken in politischer Verantwortung zu bewerten (Rn. 162, 211). Das BVerfG hat in seinem Klimabeschluss die grundsätzliche Ausgestaltung des KSG ungeachtet der Tatsache für verfassungskonform erklärt, dass der Gesetzgeber mit der Begrenzung des Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad, und nur möglichst auf 1,5 Grad, gegenüber dem vorindustriellen Niveau keine sehr strengen Vorgaben gesetzt hat (Rn. 205).
Verhältnis Verfassungsgericht und Politik
Eine wesentliche Herausforderung bei der Abfassung des Klimabeschlusses von 2021 war es, dem Verhältnis von Verfassungsgericht und Gesetzgeber angemessen Rechnung zu tragen. Die Kommentierungen des Beschlusses haben sich vorrangig auf das vom BVerfG entwickelte Gebot der vorausschauenden Verteilung der Belastungen unter Berücksichtigung nachfolgender Generationen (intertemporale Freiheitssicherung) und die hier angesiedelten grundrechtsdogmatischen Fragen konzentriert (Rn 144 ff.). Weniger thematisiert wurde die grundsätzliche Frage des Verhältnisses von Verfassungsgericht und Gesetzgeber und dem Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers bei der Konkretisierung des Art. 20a GG. Das BVerfG hat in seinem Klimabeschluss zwar die Geltungskraft des Art. 20a GG deutlich unterstrichen und konkretisiert, den bisherigen Evidenzmaßstab bei der Beurteilung gesetzgeberischen Handelns in umweltrechtlichen Fragen unter dem Aspekt der grundrechtlichen Schutzpflichten aber letztlich nicht neu justiert (Rn. 152 ff., 172). Nach dem Evidenzmaßstab geht es im Rahmen der verfassungsgerichtlichen Prüfung um die Frage, ob der Gesetzgeber gänzlich untätig geblieben ist oder die getroffenen Schutzmaßnahmen offensichtlich ungeeignet waren (BVerfGE NJW 1996, 651; 77, 170 (215). Für eine stärkere Verpflichtung des Gesetzgebers wäre eine Umstellung von dem Evidenzmaßstab auf das Untermaßverbot erforderlich, da damit eine höhere Kontrolldichte bezogen auf die Tatsachenermittlung und die Prognoseentscheidung des Gesetzgebers einhergeht. Eine derartige Umstellung wird teilweise seit langem eingefordert und deshalb auch kritisiert, dass das BVerfG trotz eingehender Behandlung der Tatsachengrundlagen der Klimapolitik in seinem Klimabeschluss letztlich am Evidenzmaßstab festhält (Callies, Jus 2023 1(8)), Andere Stimmen betonen gerade umgekehrt die Bedeutung des Evidenzmaßstabs für die nach dem Gewaltenteilungsgrundsatz gebotene Berücksichtigung des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers (Sabine Schlacke, NVwZ 2021, 912 (914)). Nach Auffassung der ehemaligen Verfassungsrichterin Gabriele Britz, die an dem Klimabeschluss von 2021 als Berichterstatterin maßgeblich beteiligt war stellt die vom BVerfG gewählte Lösung einen „Mittelweg“ dar, „um verfassungsgerichtliche Übergriffe und Leerlaufen gerichtlicher Kontrolle von Art. 20 a GG andererseits zu vermeiden“ (NVwZ 2023, 825 (828)).
Nach der bestehenden Rechtsprechung des BVerfG werden die verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 20a GG durch Modifikationen des Gesetzgebers bei der Umsetzung der Klimaziele nur verletzt, wenn dadurch die Mindestanforderungen an die verfassungsrechtlich gebotene Klimaschutzpolitik unterlaufen werden. Sektorenspezifische Vorgaben können rechtspolitisch als effizienter erachtet werden, ihre Abschwächung an sich ist danach aber nicht verfassungswidrig, solange das Gesamtkonzept insgesamt sachlich konsistent auf das Erreichen der Klimaziele ausgerichtet ist. Das vorgesehene neue Modell nach dem Entwurfs der geplanten Novelle zum KSG sieht eine Nachsteuerung auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller Emissionen (§ 4 Abs. 1 und Anlage 2a KSG-E) und weiterhin eine transparente Auflistung aller Daten aus allen Sektoren vor. Der bislang mit relativ schwachen Kompetenzen ausgestattete Expertenrat, der die Unter- oder Überschreitung der Jahresemissionsgesamtmengen feststellt, und prognostisch für die Zukunft einschätzt, ob die bisherigen Maßnahmen ausreichen, und Empfehlungen um weiteren Vorgehen abgibt (§§ 11, 12 KSG-E 2023), erfährt eine gewisse Stärkung. Der Expertenrat hat in seiner Stellungnahme zum Entwurf des Klimaschutzprogramms 2023 vom 22.8.2023 eine Zielverfehlung betreffend die anvisierte Emissionsminderung nach derzeitigen Stand prognostiziert und eine noch stärkere Transparenz betreffend die Datenlage, ein systematisches Monitoring und ein in sich schlüssiges und konsistentes Gesamtkonzept eingefordert. Grundsätzlich werden vom Expertenrat allerdings auch erhebliche Erfolge des bestehenden Konzepts anerkannt, und die Umstellung von der bloßen nachträglichen Feststellung von Zielverfehlungen auf eine Prognose für die Zukunft begrüßt.
Ob die Politik der Vorgabe einer CO2 Minderung Rechnung trägt, lässt sich nicht an einem punktuellem Tun oder Unterlassen ablesen. Entscheidend ist vielmehr, dass der Gesetzgeber vorausschauend für die insgesamt erforderliche CO2 Minderung sorgt. Bezogen auf Einzelmaßnahmen besitzt der Gesetzgeber weiterhin einen erheblichen Gestaltungspielraum. Die ehemalige Verfassungsrichterin Gabriele Britz hat im Zusammenhang mit der Forderung nach einem Tempolimit als einem verfassungsrechtlichen Gebot darauf hingewiesen, dass der Klimabeschluss des BVerfG von 2021 durch neuere Entscheidungen wie die zum Tempolimit weder relativiert noch korrigiert wurde und die sich bereits aus dem Klimabeschluss ergebenden Grenzen einer verfassungsgerichtlichen Verpflichtung des Gesetzgebers aufgezeigt. Und André Bartsch hat aktuell die Problematik einer Verpflichtung des Gesetzgebers zu Detailmaßnahmen in diesem Zusammenhang überzeugend aufgezeigt. Auch im Zusammenhang mit der aktuellen Debatte zu den Sektorenzielen gilt, dass Veränderungen der Umsetzungsstrategien zur Erreichung der Klimaziele grundsätzlich zulässig sind. Das BVerfG hat in seinem Klimabeschluss von 2021 die Vorgabe von Zielen für einzelne Sektoren innerhalb der Bundesregierung als „naheliegend“ bezeichnet, aber nicht als verfassungsrechtlich zwingend geboten.
Verfassungsrechtliches Abschwächungsverbot?
Veränderungen des KSG, die sich in Teilen als Abschwächung gegenüber dem bisherigen Konzept darstellen, wären verfassungswidrig, wenn aus Art. 20a GG ein generelles verfassungsrechtliches Verschlechterungsverbot folgen würde. Das ist aber nicht der Fall. Das BVerfG hat in seinem Klimabeschluss von 2021 auch eine schwächere Neuausrichtung der Klimaziele für grundsätzlich möglich erachtet, allerdings verbunden mit dem Hinweis, dass eine Neuausrichtung mit schwächeren Klimaschutzzielen wegen des damit verbundenen ökologischen Rückschritts“ vor Art. 20a GG eigens gerechtfertigt werden müsse (Rn. 198, 212, dazu Britz, NVwZ 2022, 825 (828)). Der Klimabeschluss des BVerfG von 2021 statuiert keinen generellen Vorrang des Klimaschutzgebots aus Art. 20a GG vor anderen Belangen (Rn 198), stellt allerdings unmissverständlich klar, dass dem Klimaschutz bei dem notwendigen Ausgleich nicht nur eine zunehmende Bedeutung zukommt, sondern für einen Vorrang anderer Belange besondere Gründe vorliegen müssen: „Wegen der nach dem heutigen Stand weitestgehenden Unumkehrbarkeit des Klimawandels wäre eine Überschreitung der zum Schutz des Klimas einzuhaltenden Temperaturschwelle jedoch nur unter engen Voraussetzungen – etwa zum Schutz von Grundrechten – zu rechtfertigen. Zudem nimmt das relative Gewicht des Klimaschutzgebots in der Abwägung bei fortschreitendem Klimawandel weiter zu“ (Rn. 198). Speziell bezogen auf den Gesundheitsschutz und den Schutzanspruch aus Art. 2 II 1 GG im Zusammenhang mit dem Klimawandel verweist das BVerfG (Rn. 164) auf mögliche Anpassungsstrategien und deren Wirkungen und Bewertung (bauliche Maßnahmen, Stadt- und Landschaftsplanung). Josef Christ, derzeit noch Richter im Ersten Senat des BVerfG, hat in einem Beitrag betont, dass eine Neuausrichtung der Klimaziele möglich ist, „solange diese plausibel sind und eine wenigstens grobe gerichtliche Überprüfung des verfassungsrechtlichen Klimaschutzgebots, der intertemporalen Freiheitssicherung auf dem Weg hin zur Klimaneutralität und der grundrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz vor den Folgen des Klimawandels erlauben.“ (NVwZ 2023, 1193 (1196)).
Nach dem Klimabeschluss des BVerfG von 2021 gibt es kein generelles verfassungsrechtliches Verschlechterungsverbot in Fragen der Klimapolitik, sondern ein Abwägungsgebot, bei dessen Anwendung Belangen des Klimaschutzes ein sehr hohes Gewicht zukommt. Eine grundlegende Abschwächung der Klimaziele ist bereits auf Grund der eingegangenen vertraglichen Bindungen wie dem Pariser Klimaabkommen nicht denkbar (Callies, Jus 2023, 1 (5)). Einzelne Elemente der Umsetzungsstrategie können allerdings durchaus Änderungen und auch gewissen Abschwächungen unterworfen werden. Wenn sich das gewählte Konzept aber insgesamt als offensichtlich untauglich für das Erreichen der Klimaziele erweist, kann sich das Konzept auch nach dem aktuell vom BVerfG zu Grunde gelegten Evidenzmaßstab als verfassungswidrig erweisen. Aktuelle fachliche Beurteilungen des derzeitigen Klimakonzepts der Bundesregierung prognostizieren eine deutliche Verfehlung der Klimaziele (vgl. die Stellungnahme des Expertenrats vom 22.8.2023 und die Stellungnahme des Berliner New Climate Institute (CAT)). Sollten sich diese Prognosen weiter erhärten und eine Nachjustierung des Klimakonzepts nicht gelingen, wird das BVerfG zukünftig in einem eventuellen Klimabeschluss II die Frage zu klären haben, ab welchem Ausmaß eine Verletzung der Klimaziele in eine Verfassungsrechtsverletzung umschlägt, und vor allem auch, welche Vorgaben gegenüber dem Gesetzgeber in diesem Fall in Betracht kommen. Die Annahme, all diese Fragen seien im Klimabeschluss des BVerfG von 2021 schon abschließend geklärt, trifft nicht zu. Die hier bestehende Herausforderung für die verfassungsgerichtliche Bearbeitung einer Abschwächung klimapolitischer Konzepte stellt sich in zugespitzter Form, sollten CDU und CSU ihre Ankündigung wahrmachen, nach einem möglichen Wahlsieg bei der nächsten Bundestagswahl das derzeitige klimapolitische Konzept der Bundesregierung in erheblichen Teilen rückabzuwickeln.