Silvester, Strafrecht und Symbolpolitik
Der Nebel der Silvesternacht war gerade erst verzogen, als erneut die Diskussion um Gesetzesschärfungen angesichts von Angriffen auf Einsatzkräfte entbrannte. Innenministerin Nancy Faeser verwies auf den bereits vorliegenden Referentenentwurf und mahnte an, es müssten nun schärfere Strafen her. Dabei sind die geplanten Änderungen des StGB nicht nur überflüssig und unsystematisch. Sie verkennen auch die Bedeutung und Funktion des Strafrechts in einem Rechtsstaat.
Frühere Gesetzesverschärfungen
Widerstand und tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte sowie ihnen in § 115 StGB gleichgestellte Personen werden nach den §§ 113, 114 StGB bestraft. Diese wurden in der Vergangenheit bereits öfter in ihrem Anwendungsbereich erweitert und ihre Strafandrohung verschärft. 2011 wurde der obere Strafrahmen des § 113 StGB von zwei auf drei Jahre erhöht. Weiter wurde neben dem Regelbeispiel des Beisichführen einer Waffe auch das Beisichführen eines gefährlichen Werkzeugs unter dem Vorbehalt einer Verwendungsabsicht eingeführt. Die Erfüllung eines Regelbeispiels begründet erwartungsgemäß einen besonders schweren Fall. Der Strafrahmen liegt dann zwischen 6 Monaten und 5 Jahren Freiheitsstrafe. Bei § 114 StGB wurde der dritte Absatz mit dem Inhalt eingeführt, dass in Anlehnung an § 113 StGB auch bestraft wird, wer Hilfeleistende der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes oder eines Rettungsdienstes bedroht oder angreift. Diese Änderung wurde schon 2011 als unsystematisch, undurchdacht und in erster Linie als kriminalpolitischer Symbolakt kritisiert. 2017 wurde bei § 113 StGB das weitere Regelbeispiel der gemeinschaftlichen Tatbegehung eingefügt. Weiter wurde der Anwendungsbereich durch Streichung der Erforderlichkeit der Verwendungsabsicht in Bezug auf eine mitgeführte Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs erweitert. Der § 114 StGB wurde als selbstständiger Tatbestand mit erhöhtem Strafrahmen geschaffen, welcher den tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamt*innen oder Amtsträger*innen auch ohne Bezug auf eine konkrete Vollstreckungshandlung bestraft. Außerdem werden die Regelbeispiele sowie die Irrtumsregelungen des § 113 StGB auch auf § 114 StGB angewandt. Die Erweiterung des Personenkreises auf Hilfeleistende wurde in § 115 StGB festgehalten. Auch diese Gesetzesänderung wurde als handwerklich schlecht kritisiert, bei der weder Systematik noch Strafrahmen überzeugten. Die erhöhte Strafandrohung sei wirkungslos. Undurchdachte Änderungen erschwerten zudem die Auslegung der Normen. Der Staat nutze Gesetzesänderungen als kostengünstige, aber wirkungslose Alternative zu Präventionsmaßnahmen oder Ursachenforschung.
Der aktuelle Entwurf
Der vorliegende Referentenentwurf vom 27.09.2024, auf den sich die Innenministerin bezieht, soll Menschen, die für das Gemeinwohl tätig sind, besser vor Angriffen schützen. Deren Engagement soll dadurch erhalten werden. Begründet wird dies mit der zentralen Bedeutung, und damit besonderen Schutzwürdigkeit dieser Tätigkeiten für das demokratische Gemeinschaftswesen und den Rechts- und Sozialstaat. Die gestiegenen Zahlen von derartigen Angriffen seien geeignet, die Funktionsfähigkeit des Staates und das gesellschaftliche Miteinander zu gefährden.
Konkret sieht der Entwurf unter anderem eine Reihe von Änderungen des StGB zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamt*innen und Rettungskräften sowie sonstiger dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten vor. So soll etwa in § 46 Abs. 2 StGB „die Eignung der Tat, eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen“ als Strafzumessungsgrund hinzugefügt werden. Damit werde entsprechend den auf erhöhten Unrechtsgehalt einer Tat gegenüber Personen, die sich für das Gemeinwohl engagieren, reagiert. Diese Ergänzung habe insbesondere auch eine Signalwirkung und knüpfe an die Neueinfügung von Strafzumessungsgrundsätzen der vergangenen Jahre an. In Abs. 2 des in der Praxis häufig angewendeten § 113 StGB soll als neues Regelbeispiel die Tatbegehung „mittels eines hinterlistigen Überfalls“ ergänzt werden. Dies diene zur Verdeutlichung des spezifischen Unrechtsgehalts und sei Ausdruck von Respekt und Wertschätzung für Vollstreckungsbeamt*innen und andere Hilfeleistende.
Gemeinwohlschädlichkeit und Strafzumessung
Der Katalog der in § 46 Abs. 2 StGB genannten strafzumessungserheblichen Umstände ist nicht abschließend. Somit können und werden auch Kriterien, welche nicht im Gesetz stehen, bei der Strafzumessung herangezogen. So kann etwa die direkte Absicht eines Täters bezüglich der Erreichung des Taterfolgs strafschärfend berücksichtigt werden. Der im Entwurf vorgesehene Umstand „der Eignung der Tat, eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen“ ist inhaltlich schon jetzt durch im Gesetz ausdrücklich genannte Strafzumessungsregelungen umfassend abgedeckt. So sind etwa die Beweggründe und Ziele der Täter*in, die Gesinnung der Tat und die verschuldeten Auswirkungen der Tat nach § 46 Abs. 2 StGB maßgeblich. Begeht ein*e Täter*in eine Tat, mit dem Ziel eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit zu beeinträchtigen, würde dies schon als Anreiz oder Motiv der Tat unter die Beweggründe und/oder die Gesinnung der Tat fallen. Würde hingegen als eine unbeabsichtigte Eignung der Tat, eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen Folge eine solche Beeinträchtigung eintreten, ist diese unter dem Gesichtspunkt der verschuldeten Auswirkungen der Tat strafschärfend zu beachten.
Die Einfügung des Entwurfs ist daher nicht notwendig, um die Gemeinwohlschädlichkeit von Taten strafschärfend beachten zu können. Der Ergänzung des § 46 StGB bedarf es daher nicht. Dies wird bemerkenswerterweise auch in der Begründung des Referentenentwurfs anerkannt. Dass der Zusatz dennoch erforderlich sei, wird mit der einhergehenden, angeblich notwendigen Signalwirkung der Gesetzesänderung begründet. In der Praxis erschwert jedoch die Nennung zu vieler Kriterien in § 46 Abs. 2 StGB die Behandlung atypischer Fallkonstellationen, da der beispielhafte Charakter der nicht abschließenden Aufzählung und damit der Interpretationsspielraum eingeschränkt wird. Zudem ist das Doppelverwertungsverbot aus § 46 Abs. 3 StGB zu beachten. Demnach dürfen Merkmale des Tatbestands, die schon bei der Bestimmung des gesetzlichen Strafrahmens als maßgeblich verwertet worden sind, nicht nochmals bei der Strafzumessung berücksichtigt werden. Dabei schützen die §§ 113-115 StGB bereits die rechtmäßig betätigte Vollstreckungsgewalt des Staates und die zu ihrer Ausübung berufenen Personen. Sowohl die abstrakte Vollstreckungsgewalt des Staates als auch konkret die diese ausübenden Personen, dienen dem Gemeinwohl. Vor dem Hintergrund des Doppelverwertungsverbots hat die Änderung des § 46 StGB somit keinen strafschärfenden Mehrwert bezüglich der von den §§ 113-115 StGB umfassten Verhaltensweisen gegenüber Personen. Bei anderen Delikten – wie etwa der gemeinschädlichen Sachbeschädigung nach § 304 StGB, also dem physischen Angriff auf Sachen, wird die Gemeinschädlichkeit schon jetzt bereits vom Tatbestand erfasst. Der verbleibende Anwendungsbereich der Ergänzung hingegen ist – insbesondere wegen der bereits ausgeführten schon bestehenden Regelungen des § 46 StGB – nicht ersichtlich.
Wichtige Berufe bleiben außen vor
In der Begründung des Referentenentwurfs sind einige dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten aufgeführt, denen man einen stärkeren Schutz zukommen lassen will. Grundsätzlich positiv ist hier, das ausdrücklich auch ehrenamtliche Tätigkeiten genannt werden. Bei den beruflichen Tätigkeiten nennt der Entwurf in der Begründung explizit: Polizei- und Vollstreckungskräfte, Journalist*innen, Ärzt*innen, Berufsfeuerwehr- und Berufsrettungskräfte und Berufspolitiker*innen. Diese Aufzählung ist zwar nicht abschließend, hätte aber in der Praxis dennoch starken Einfluss auf die Auslegung der Regelung. Den genannten Berufen ist gemein, dass sie allesamt gesellschaftlich hoch angesehen sind. Für die meisten dieser Berufe sind entsprechend hohe Schul- und/oder Universitätsabschlüsse erforderlich. Berufe, die zweifelsfrei unmittelbar dem Gemeinwohl Berufe dienen – wie etwa Mitarbeitende des öffentlichen Personenverkehrs Pflegekräfte und andere vergleichbare Tätigkeiten – werden in dem Entwurf nicht genannt. Der mit der Ergänzung avisierte strafrechtliche Schutz käme also ohnehin schon in ihrer gesellschaftlichen Stellung privilegierteren Berufen zugute. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb innerhalb derjenigen Berufsgruppen, die sich allesamt als dem Gemeinwohl dienend definieren lassen, eine Unterscheidung im strafrechtlichen Schutz vorgenommen wird.
Widerstand mittels hinterlistigen Überfalls?
Das Regelbeispiel der Tatbegehung „mittels eines hinterlistigen Überfalls“ ist bei § 113 StGB unsinnig bzw. überflüssig. Die Idee des Regelbeispiels entstammt der gefährlichen Körperverletzung mittels hinterlistigem Überfalls nach § 224 Abs. 2 Nr. 3 StGB. Dessen Auslegungsregelungen sollen laut Referentenentwurf auch herangezogen werden. Dabei sind die Grunddelikte – also Körperverletzung und das Widerstandleisten grundverschieden. Der Widerstand in § 113 StGB ist gegen die Vollstreckungsbeamt*in gerichtetes Verhalten, das nach der Vorstellung des Täters die Vollstreckungsverhandlung erschweren oder verhindern soll. In der Praxis sind dies häufig eher passive Verhaltensweisen wie ein Versteifen der Arme, etwa um in einer Festnahmesituation die Fesselung zu verhindern bzw. zu erschweren. Die Körperverletzung hingegen zielt auf eine direkte Einwirkung auf den Körper des Opfers ab. Ein Überfall nach § 224 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist ein für das Opfer überraschender Angriff; hinterlistig ist er, wenn der*die Täter*in die Angriffsabsicht planmäßig verbirgt, um dadurch dem*der Gegner*in die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs und eine Vorbereitung auf die Verteidigung zu erschweren. Bereits sprachlich ist die dann erforderliche Gleichzeitigkeit von Widerstand und Angriff bei Einführung des Regelbeispiels in § 113 Abs. 2 StGB unstimmig. Rechtlich betrachtet dürfte eine solche Konstellation nahezu ausgeschlossen sein:
Wenn ein*e Vollstreckungsbeamt*in eine Vollstreckungshandlung durchführt, kann man nicht von einem überraschenden Angriff des*der Täter*in ausgehen, da diese*r sich als Reaktion auf die Vollstreckungshandlung lediglich zur Wehr setzt und Widerstand dagegen leistet. Somit kann bei einem reinen zur Wehr setzen und Widerstand leisten kein hinterlistiger Überfall vorliegen. Ginge man beispielsweise von einem Fall aus, indem der*die Täter*in den Vollstreckungsbeamt*innen „eine Falle stellen wolle“, indem die Beamt*innen zu einer Vollstreckungshandlung gebracht werden, nur um sodann Widerstand leisten zu können, ist § 113 Abs. 2 StGB nicht zum Zeitpunkt des Stellens der Falle einschlägig, da es zu diesem Zeitpunkt noch an einer Vollstreckungshandlung fehlt, welche erst zeitlich nachgelagert erfolgt.
Geht die Tathandlung weit über das Widerstandleisten des § 113 StGB oder auch den tätlichen Angriff des § 114 StGB hinaus, wird diese Tat ohnehin schon mit bereits existierenden Vorschriften härter bestraft. So sieht etwa die gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 StGB einen Strafrahmen von bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe vor. Das Einfügen eines besonders schweren Falls in Form der Tatbegehung mittels eines hinterlistigen Überfalls ist also nicht erforderlich, um in derartigen, ohnehin eher hypothetischen Fällen härter bestrafen zu können.
Fazit
Die §§ 113 – 115 StGB stellen bereits nach geltender Rechtslage Verhaltensweisen unter Strafe, welche die Schwelle zur Nötigung nach § 240 StGB oder Körperverletzung nach § 223 StGB noch nicht überschreiten. Mit den Regelungen werden also schon jetzt auch Verhaltensweisen geahndet, die gegenüber einem einfachen Bürger straffrei wären. Dabei ist die Mindeststrafe des § 114 StGB schon jetzt höher als die der § 223 StGB und § 240 StGB. Die über die einzelne Person hinausgehende Betroffenheit des Gemeinwesens durch solche Taten kommt damit bereits zum Tragen. Für andere Konstellationen besteht mit der bestehenden Gesetzeslage – insbesondere dem § 46 StGB – für die Gerichte ein genügender Handlungsspielraum. Dies gilt erst recht, wenn nun noch der geschützte Personenkreis um Rettungskräfte und Ehrenamtliche erweitert wird. Nach dem Ultima-Ratio-Prinzip ist das Strafrecht lediglich letztes Mittel staatlicher Machtausübung gegenüber dem Einzelnen. Es verbietet sich daher aus rechtsstaatlichen Gründen, das Strafrecht als Betätigungsfeld für Symbolpolitik und vermeintliche Klarstellungen zu nutzen. Erweiterungen sind nur dann geboten, wenn es Strafbarkeitslücken zu schließen gilt oder die bestehende Rechtslage erkennbar nicht ausreichend ist. Beides ist hier nicht der Fall. Weiter ist von den genannten Änderungen kein wirksamerer Schutz der für das Gemeinwohl tätigen Personengruppen – sofern sie denn überhaupt von den Änderungen erfasst sind – zu erwarten. Dies gilt insbesondere bezüglich der §§ 113, 114 StGB. Die Anzahl der Taten ist nach der Gesetzesverschärfung von 2011 nicht gesunken, sondern im Gegenteil, sogar gestiegen. Auch nach der Gesetzesänderung in 2017 sind die Fallzahlen bis heute gestiegen. Offenbar hält eine höhere Strafandrohung nicht von der Begehung solcher Taten ab. Eine weitere Verschärfung vermag das Problem daher nicht zu lösen. Verbesserter Schutz und Anerkennung von Engagement lässt sich eben nicht oder nur sehr eingeschränkt über ein schärferes Strafrecht bewirken. Reine Symbolpolitik nutzt weder dem Rechtsstaat noch den Betroffenen.