Stahl und Whiskey – ein transatlantischer Handelskrieg?
Märkte sind durch Rivalität konstituiert und leben von dieser. In klassischer ökonomischer Theorie wird dabei zunächst davon ausgegangen, dass Rivalität zu positiven Wohlfahrtseffekten führt. Allerdings kann Rivalität eine so hohe Intensität erreichen, dass sie zu einer bewussten Beschädigung oder gar Zerstörung des Rivalen führt bzw. hierzu eingesetzt wird. In einem solchen Fall kann sozialwissenschaftlich von einem Wirtschafts- oder Handelskrieg gesprochen werden. In der Geschichte der internationalen Beziehungen ist der Wirtschafts- bzw. Handelskrieg nicht neu. Er wurde immer wieder beschrieben und praktiziert. Um dem inhärent zerstörerischen Potenzial solch intensiver Rivalität zu begegnen, ist, ebenso wie mit Blick auf die militärische zwischenstaatliche Auseinandersetzung, immer wieder versucht worden, den Wirtschafts- bzw. Handelskrieg durch Rechtsregeln zu verhindern oder jedenfalls einzuhegen.
Dass dies lange Zeit nicht gelang, zeigt in der jüngeren Geschichte deutlich der sogenannte Smoot-Hawley Tariff Act aus dem Jahre 1930 (Tariff Act of 1930), der unter anderem in Reaktion auf den Börsencrash am 24. Oktober 1929 zu substantiellen Zollerhöhungen der USA auf ca. 890 Produkte führte und als wesentliche Ursache für die Great Depression der 1930er Jahre angesehen wird. Mit der Schaffung des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) im Jahr 1947 wurde hierauf unmittelbar rechtlich reagiert. Die Rechtsordnung der Welthandelsorganisation (WTO) baut darauf auf. Klares Ziel der Nachkriegsordnung des Welthandels war es insofern, durch Rechtsregeln zerstörerische unilaterale Handelsbeschränkungen zu unterbinden bzw. zu disziplinieren. Schon vor diesem Hintergrund ist klar, warum die am 8. März 2018 von US-Präsident Trump verkündeten Zusatzzölle auf Einfuhren von Stahl und Aluminium zu weltweiter Erschütterung, Empörung und Besorgnis geführt haben. Die geplanten Zollerhöhungen der USA auf Einfuhren von Stahl und Aluminium sowie die beabsichtigten “Gegenmaßnahmen” der EU sollen nachfolgend in den maßgeblichen welthandelsrechtlichen Kontext gesetzt und so auch die rechtliche sowie politische Sensibilität der Gesamtproblematik verdeutlicht werden.
Die Systematik der handelspolitischen Schutzmaßnahmen
US-Präsident Trump rechtfertigt seine verschiedenen handelspolitischen Maßnahmen der jüngeren Zeit stereotyp damit, dass diese als Reaktion auf „unfaire“ Handelspraktiken anderer Staaten gegenüber den USA notwendig und gerechtfertigt seien. Damit einher geht die Beschreibung entsprechender handelspolitische Maßnahmen als „Strafzölle“. Auf Seiten der EU wird im Hinblick auf beabsichtigte Reaktionen auf die US-amerikanischen Zusatzzölle regelmäßig von “Gegenmaßnahmen” gesprochen. Aus welthandelsrechtlicher Perspektive sind diese Begriffe problematisch und bedürfen der Klarstellung. Zunächst ist in Erinnerung zu rufen, dass das Recht der sogenannten handelspolitischen Schutzinstrumente (Trade Defense Instruments – TDIs) prinzipiell zwischen Maßnahmen unterscheidet, die sich gegen „fairen“ und „unfairen“ Handel richten. Gegen faire Handelspraktiken können unter engen Tatbestandsvoraussetzungen allgemeine Schutzmaßnahmen nach Art. XIX GATT iVm dem WTO-Übereinkommen über Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Tatbestandlich ist hierfür im Wesentlichen notwendig, dass es zu unvorhergesehenen Importen eines Produktes in derart absoluten oder relativen Mengen gekommen ist, dass ein ernsthafter Schaden der heimischen Wirtschaft vorliegt oder droht. Eine überzeugende ökonomische Rechtfertigung für diese Art von Schutzmaßnahmen, die sich gegen marktgerechte Einfuhren aus dem Ausland richten, gibt es nicht. Die Notwendigkeit, allgemeine Schutzmaßnahmen ergreifen zu können, ist nur politökonomisch im Sinne eines Sicherheitsventils im Interesse der Gesamtstabilität des Welthandelssystems zu erklären. Da mit allgemeinen Schutzmaßnahmen marktkonforme Handelsströme aus Drittstaaten beschränkt werden und die Durchführung eines WTO-Streitbeilegungsverfahrens immer Zeit in Anspruch nimmt, gibt es auf sie bezogen ausnahmsweise die Möglichkeit “Gegenmaßnahmen” zu ergreifen. Hierauf ist zugleich noch näher einzugehen.
Gegen „unfaire“ Handelspraktiken richten sich Antidumping- und Antisubventionsmaßnahmen. Dumping und Subventionen werden dem Grunde nach als unfaire Handelspraktiken eingestuft. Unter bestimmten Voraussetzungen, insbesondere wenn die entsprechenden Handelspraktiken zu einem Schaden der heimischen Industrie führen, können daher Antidumpingzölle bzw. im Subventionsbereich Ausgleichsmaßnahmen ergriffen werden. Es handelt sich hierbei jeweils nicht um „Strafzölle“. Antidumpingzölle und Ausgleichsmaßnahmen dienen dazu, den durch Dumping bzw. Subventionierung gegebenen Preisvorteil eines Exportproduktes durch in der Regel einen Zusatzzoll zu relativieren und damit wieder einen „normalen“ Marktpreis zu gewährleisten.
Systematisch unabhängig von den handelspolitischen Schutzinstrumenten zu betrachten sind Handelsbeschränkungen, zum Beispiel durch Einfuhrkontingente oder Zusatzzölle aus nicht wirtschaftlichen Gründen. Konkret geht es hierbei um Maßnahmen, die sich unter Verweis auf den Schutz übergeordneter öffentlicher Güter (Art. XX GATT) oder die nationale Sicherheit eines WTO-Mitglieds (Art. XXI GATT) möglicherweise rechtfertigen lassen. Handelspolitische Erwägungen im Sinne von fairen oder unfairen Import- oder Exportpraktiken spielen hier keine Rolle.
Über die genannten Möglichkeiten handelspolitischer Maßnahmen hinausgehend gibt es im WTO-Recht, von Sonderregelungen u.a. für Entwicklungsländer abgesehen, keine Möglichkeit, auf bestimmte Handelspraktiken eines anderen WTO-Mitglieds unilateral zu reagieren. Es gibt insbesondere keine Möglichkeit im WTO-Recht, im Wege der allgemeinen völkerrechtlichen Repressalie zu handeln. Art. 23 Dispute Settlement Understanding (DSU) schreibt unmissverständlich vor, dass WTO-Mitglieder handelspolitische Differenzen unter ausschließlicher Nutzung des WTO-Streitbeilegungsmechanismus lösen müssen.
Umfang und Bedeutung von Art. XXI GATT (Maßnahmen nationaler Sicherheit)
Die von US-Präsident Trump verkündeten Zusatzzölle auf Importe von Stahl und Aluminium bewegen sich außerhalb der Systematik handelspolitischer Schutzinstrumente. In den USA wurde das Untersuchungsverfahren, das die Grundlage für die Entscheidung von Präsident Trump für Zusatzzölle auf Einfuhren von Stahl und Aluminium ist, auf der Grundlage von Section 232 Trade Expansion Act of 1962 (19 U.S. Code § 1862) durchgeführt. Die Vorschrift bezieht sich explizit und ausschließlich auf handelsbeschränkende Maßnahmen zum Schutz nationaler Sicherheitsinteressen und versteht sich damit in direktem Bezug auf den höchst strittigen Art. XXI GATT, der im authentischen englischen Wortlaut wie folgt lautet:
Nothing in this Agreement shall be construed
(a) …;
(b) to prevent any contracting party from taking any action which it considers necessary for the protection of its essential security interests
(i) relating to fissionable materials or the materials from which they are derived;
(ii) relating to the traffic in arms, ammunition and implements of war and to such traffic in other goods and materials as is carried on directly or indirectly for the purpose of supplying a military establishment;
(iii) taken in time of war or other emergency in international relations; or
(c) ….
Als Rechtfertigung für die US-Maßnahmen im Stahl-und Aluminiumsektor kommen Art. XXI b) ii) und iii) GATT in Betracht. Der bereits genannte Untersuchungsbericht nach Section 232 bleibt hier etwas unklar. In ihm wird im Wesentlichen auf die Bedeutung von Stahl und Aluminium für die Rüstungsindustrie und kritische Infrastruktur der USA abgestellt. Angesichts der potentiell tatbestandlichen Weite des Art. XXI b) GATT ist es nicht per se ausgeschlossen, das Vorliegen der Voraussetzungen, die in den Unterpunkten (ii) und (iii) genannt sind, anzunehmen. Dass die USA sich damit zu Recht auf Art. XXI GATT berufen, ist so freilich nicht gesagt – im Gegenteil: die Argumentation der US-Regierung mutet schon fast grotesk an, zumal wenn man bedenkt, dass selbst das US-Verteidigungsministerium zunächst vertreten hat, dass die Verteidigungsfähigkeit des Landes nicht von den wirtschaftlichen Problemen der US-Stahlindustrie beeinträchtigt ist.
Aus WTO-rechtlicher Sicht stellt sich zunächst die Frage, inwieweit es überhaupt möglich ist, zu überprüfen, ob sich ein WTO-Mitglied zu Recht auf Art. XXI GATT beruft. Die USA, aber auch andere WTO-Mitglieder einschließlich die EU, haben dies schon zu Zeiten des alten GATT 1947 und seither immer wieder kategorisch und wiederholt bestritten (ausführlich hierzu Hahn, a.a.O., S. 294 ff.). Begründet wird dies insbesondere mit dem Wortlaut der Vorschrift („action which it considers necessary“), dem entnommen werden könnte, dass es sich um eine „self-judging clause“ handelt. Selbst wenn man das jedoch annehmen sollte, fällt es schwer, einen nicht-nachprüfbaren Beurteilungsspielraum auf die gesamte Vorschrift anwenden zu wollen. Zumindest die Unterpunkte von Art. XXI b) GATT sind jedenfalls eingeschränkt nachprüfbar. Dafür spricht auch, dass zahlreiche GATT- und heute WTO-Mitglieder immer wieder vertreten haben, dass die besondere Struktur des Art. XXI GATT es nicht ausschließt, dass die Vorschrift Gegenstand eines GATT/WTO-Streitbeilegungsverfahrens ist (ausführlich hierzu Schill/Briese, Self-Judging Clauses in International Dispute Settlement, Max Planck UNYB 13 (2009), 61/97 ff.).
Diese rechtliche Bewertung löst freilich nicht das zentrale politische Problem des Art. XXI GATT. Namentlich für die USA wäre es kaum politisch akzeptabel, wenn ein WTO Panel bzw. der Appellate Body – mit sehr guten juristischen Gründen zumindest im Sinne einer Willkürkontrolle – untersucht und im Ergebnis bestreitet, dass nationale Sicherheitsinteressen der USA zur Debatte stehen. Es ist konkret zu befürchten, dass in einer solchen Situation die USA von der Möglichkeit gebraucht machen würden, aus der WTO auszutreten (Art. XV WTO-Übereinkommen). Das wäre zugleich das Ende des gegenwärtigen multilateralen Handelssystems.
Das Recht auf “Gegenmaßnahmen” gegen allgemeine Schutzmaßnahmen
Die EU hat angekündigt auf die US-Maßnahmen mit drei Maßnahmenpaketen reagieren zu wollen. Zunächst strebt man in Kooperation mit weiteren Partnern (wohl insbesondere Japan und Australien) ein WTO-Streitbeilegungsverfahren an. Darüber hinaus will die Union bei einer festgestellten Schädigung der heimischen Wirtschaft durch die US-Maßnahmen ihrerseits Schutzmaßnahmen verhängen. Am problematischsten ist jedoch die dritte Maßnahme welche die Union angekündigt hat: in Reaktion auf die US-Maßnahmen plant man “Gegenmaßnahmen” nach dem Abkommen über Schutzmaßnahmen, u.a. auf Einfuhren von Whiskey, Motorrädern und Peanutbutter aus den USA.
Wie bereits angedeutet, finden derartige “Gegenmaßnahmen” ihre rechtliche Grundlage in Art. 8.2 des Übereinkommens über Schutzmaßnahmen (ÜSM) sowie Art. XIX:3 GATT.
Die ökonomische Ratio hinter Art. 8.2 ÜSM sowie XIX:3 GATT ist, dass sich allgemeine Schutzmaßnahmen – anders als Anti-Dumping oder Anti-Subventionsmaßnahmen – nicht gegen unfairen, sondern gegen fairen Handel richten. In der Folge gerät das ursprünglich multilateral vereinbarte Verhältnis von Verpflichtungen und Zugeständnissen aus dem Gleichgewicht. Schließlich trifft die Schutzmaßnahme ein WTO-Mitglied, das sich WTO-rechtskonform verhalten und keinerlei unfairer Handelspraktiken bedient hat. Nichts destotrotz führt die Schutzmaßnahme dazu, dass das betroffene Mitglied verschuldensunabhängig Handelsnachteile erleiden muss. Entsprechend kann einem solchen Mitglied nicht zugemutet werden, zunächst den langwierigen Prozess einer Streitbeilegung in Anspruch zu nehmen. Daher ist Zweck der vorgesehenen “Gegenmaßnahmen”, die entstandenen Handelsnachteile bereits kurzfristig auszugleichen und das ursprünglich bestehende Gleichgewicht aus Verpflichtungen und Zugeständnissen wiederherzustellen. (Wolfrum/Stoll, Trade Remedies, Art. 8 SA, Rn. 4; Lee, Safeguard Measures in World Trade, 107) Entsprechend ist es im Grunde genommen begrifflich falsch von „Gegen- oder Vergeltungsmaßnahmen“ zu sprechen, da diesen nicht der Zweck der Vergeltung, sondern des rein ökonomischen Ausgleichs erlittener Nachteile zukommt.
Diese Ratio findet sich auch in der Struktur des Art. 8 ÜSM wieder, welcher in Abs. 1 in einem ersten Schritt verpflichtende bilaterale Verhandlungen vorsieht. Erst nach Scheitern dieser Konsultationen sieht Art. 8.2 ÜSM die Möglichkeit für “Gegenmaßnahmen” vor, stellt jedoch gleichsam eine Reihe enger prozessualer und materieller Voraussetzungen auf. In prozessualer Hinsicht setzt Art. 8.2 ÜSM zunächst strikte zeitliche Grenzen für „Gegenmaßnahmen“, um Rechtsmissbrauch zu verhindern. Darüber hinaus erfordert die Vorschrift, dass der Rat für Warenverkehr nach einer formellen Notifizierung der „Gegenmaßnahme“ keine Einwände gegen diese geltend macht.
In materieller Hinsicht muss das die „Gegenmaßnahmen” erlassende Ausfuhrmitglied von der entsprechenden Schutzmaßnahme betroffen sein. Betroffenheit im Sinne dieser Formulierung meint nicht de jure Betroffenheit, sondern vielmehr faktische Betroffenheit des tatsächlichen Exportvolumens. Schließlich sind Schutzmaßnahmen gem. Art. 2.2 ÜSM ohnehin unter Wahrung des Grundsatzes der Meistbegünstigung gegenüber allen Staaten zu erlassen. Entsprechend sollte eine de jure Betroffenheit immer gegeben sein, was das Tatbestandsmerkmal des Art. 8.2 ÜSM anderenfalls hinfällig machen würde.
Letztlich verbietet Art. 8.3 ÜSM den Erlass von “Gegenmaßnahmen” innerhalb der ersten drei Jahre, sofern die zugrundeliegende Schutzmaßnahme aufgrund eines absoluten Anstiegs der Importzahlen erlassen wurde und im Einklang mit WTO-Recht steht.
Die US-Maßnahmen und die “Gegenmaßnahmen” der EU
Die Ankündigung von “Gegenmaßnahmen” durch die Union erscheint zunächst problematisch vor dem Hintergrund, dass die Maßnahmen der US-Regierung gar nicht als allgemeine Schutzmaßnahmen, sondern als Maßnahmen nationaler Sicherheit deklariert wurden. Über die Hintergründe dessen kann nur spekuliert werden, wobei jedoch bekannt ist, dass der US-Präsident ein gewisses politisches Interesse an einer Verschärfung des Handelsstreits mit Kanada und Mexiko im Rahmen der NAFTA-Neuverhandlungen hat. Hätten die USA die Maßnahme als allgemeine Schutzmaßnahme deklariert, wären sie gem. Art. 802 NAFTA sowie nach nationalem US-Recht verpflichtet gewesen, Mexiko und Kanada unter Umständen von der Maßnahme auszuschließen. Trotz der Einordnung als Maßnahme nationaler Sicherheit kündigte die US-Regierung nun dennoch an, für Kanada und Mexiko zeitlich begrenzte Ausnahmen zu implementieren. Damit stellt die US-Administration ihr Vorgehen nicht mehr als Verpflichtung, sondern als freiwilliges Entgegenkommen dar und setzt die NAFTA Partner in den Neuverhandlungen dahingehend unter Druck, ihrerseits ebenso Zugeständnisse zu machen.
Nichtsdestotrotz kommt die Union in der Bewertung der US-Maßnahmen zu dem Ergebnis, dass es sich bei den angekündigten Zöllen auf Stahl und Aluminium eigentlich nicht um Maßnahmen nationaler Sicherheit, sondern um versteckte allgemeine Schutzmaßnahmen nach dem ÜSM sowie Art. XIX GATT handele. In der Konsequenz beruft sich die Union auf ihr Recht aus Art. 8.2. ÜSM zum Erlass einer „Gegenmaßnahme“, um die drohenden Handelsverluste auszugleichen. Das ist politisch verständlich, aber rechtlich problematisch:
Zunächst steht die Frage im Raum, wem es eigentlich zusteht, darüber zu entscheiden, worum es sich bei einer in Frage stehenden Maßnahme handelt: um eine allgemeine Schutzmaßnahme oder um eine Maßnahme zur Sicherung nationaler Sicherheitsinteressen? Einerseits könnte sich aus dem Prinzip der Staatensouveränität sowie dem Wortlaut von Art. XXI (b) GATT ergeben, dass diese Einschätzung allein dem die Maßnahme erlassenden Mitglied zusteht. Die weite Formulierung von Art. XXI GATT („action which it considers necessary“) könnte ein Indiz für eine weite Einschätzungsprärogative jenes Mitglieds über die Natur der Maßnahme sein. Zudem sieht Art. 12.1 ÜSM eine Notifizierung für allgemeine Schutzmaßnahmen beim Ausschuss für Schutzmaßnahmen vor. Aus der Pflicht zur Notifizierung ließe sich ableiten, dass es auch dem erlassenden WTO-Mitglied obliegt zu entscheiden, ob es die Maßnahme überhaupt als allgemeine Schutzmaßnahme betrachtet.
Gegen eine solche Auffassung spricht zunächst die Existenz des Art. 8 ÜSM selbst. Schließlich erkennt dieser einem betroffenen WTO-Mitglied explizit das Recht zu, seinerseits “Gegenmaßnahmen” zu erlassen. Würde die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieses Rechts davon abhängen, ob eine vorherige Notifizierung erfolgt ist, würde dies Tür und Tor für eine Aushöhlung des Rechts auf “Gegenmaßnahmen” öffnen. Schließlich könnte das die vermeintliche Schutzmaßnahme erlassene Mitglied die Notifizierung unterlassen oder die Maßnahme anders deklarieren, um damit dem betroffenen Mitglied die Möglichkeit zur “Gegenmaßnahme” aus Art. 8.2 ÜSM zu nehmen. Dies stünde in Widerspruch zu Art. 3.2 sowie Art. 19.2 DSU, wonach es bei der Auslegung von WTO-Recht nicht zu einer Schmälerung von Rechten von WTO-Mitgliedern kommen darf.
Zudem hat der Appellate Body bezogen auf Art. III:1 GATT wiederholt festgestellt, dass es für die Ermittlung der Zielrichtung einer Maßnahme nicht auf deren Titel oder den vom erlassenden Mitglied vorgebrachten Regelungszweck ankommt. Vielmehr müsse eine umfassende und objektive Analyse von „design, […] architecture, and […] revealing structure of a measure“ im Lichte der konkreten Anwendung vorgenommen werden (WT/DS8/AB/R und andere, S. 29; WT/DS87/AB/R, para. 71ff). Hieraus könnte zumindest abgeleitet werden, dass es nicht dem die Maßnahme erlassenden Mitglied allein obliegt, einer Maßnahme einen bestimmten Charakter verbindlich abzusprechen. Ob sich daraus wiederum e contrario ein Recht für das die “Gegenmaßnahmen” erlassenden Mitglied ableiten lässt, der Maßnahme einen bestimmten Charakter verbindlich zuzusprechen, bleibt jedoch offen.
Selbst wenn man annehmen würde, dass der EU das Recht aus Art. 8.2 ÜSM dem Grunde nach zusteht, wäre noch das Erfüllen von dessen Voraussetzungen notwendig. Insbesondere Art. 8.3 ÜSM wirft hierbei einige weitergehende Fragen auf. Wären dessen Voraussetzungen erfüllt, so dürfte die Gegenmaßnahme frühestens drei Jahre später erlassen werden. Um sofort reagieren zu können, müsste die EU zunächst wohl den Nachweis erbringen, dass die US-Maßnahme nicht auf einen absoluten Anstieg der Importe zurückgeht. Im Normalfall versteht sich dieses Tatbestandsmerkmal aus Art. 8.3 in Bezug auf Art. 2.1 und 3 ÜSM. Diese Vorschriften regeln – vereinfacht gesagt –, dass das die Schutzmaßnahme erlassende Mitglied vorher in einer Untersuchung das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale einer allgemeinen Schutzmaßnahme festgestellt haben muss. Eine solche formale Untersuchung im Sinne von Art. 2.1 sowie Art. 3 ÜSM gab es im Zweifelsfall bezogen auf die US-Maßnahmen aber gar nicht, da die US-Regierung die Maßnahme überhaupt nicht als allgemeine Schutzmaßnahme betrachtet (siehe lediglich: