02 October 2024

Umkämpfte Meilensteine

Rechtsstaatlichkeitskonditionalität bei NextGenerationEU

Am 28. August 2024 haben vier Richterverbände in einer gemeinsamen Pressemitteilung bekanntgegeben, dass sie Berufung gegen den Medel Beschluss (Medel) des Gerichts der Europäischen Union eingelegt haben. Das EuG hatte ihre Klage bereits im Juni dieses Jahres als unzulässig abgewiesen. Ziel der Klage ist es, die Genehmigung des Rats zum polnischen Aufbau- und Resilienzplan unter NextGenerationEU für nichtig zu erklären.

Das Verfahren verdient bereits deshalb Aufmerksamkeit, weil es wieder einmal das ewige Thema des Individualrechtsschutzes vor den Gerichten der Europäischen Union betrifft. Die restriktive Anwendung der Klagebefugnis bei Individualnichtigkeitsklagen nach Art. 263 Abs. 4 AEUV sorgt seit Plaumann dafür, dass natürliche und juristische Personen den Umweg über ein nationales Gericht nehmen müssen (vgl. Art. 267 AEUV), wenn sie eine Entscheidung der Europäischen Gerichte erwirken möchten. Einmal mehr hat der EuGH nun die Möglichkeit, eine klar begrenzte Ausnahme zu seiner Rechtsprechung vor dem Hintergrund einer defizitären rechtsstaatlichen Lage in einem Nationalstaat zuzulassen.

Darüber hinaus – und von noch größerer Relevanz – wirft die Rechtssache wichtige, unbeantwortete materielle Fragen der Rechtsstaatskonditionalität auf. Insbesondere steht die Wirksamkeit des Instituts erneut auf dem Prüfstand – verhandelt erstmals im Kontext von NextGenerationEU. Es dient zuvorderst dem europäischen Budgetschutz, hat aber auch eine herausragende Bedeutung für die langfristige Solidaritätsbereitschaft der Staaten. Deswegen steht hinter diesen offenen Rechtsfragen auch die Fähigkeit, europäische Lösungen in Notsituationen zu finden.

Konditionalität und Rechtsstaatlichkeit

Bereits seit Jahren ist die Erkenntnis in Europa gereift, dass sich ein effektiver Werteschutz (Art. 2 EUV) in der Union nicht durch das Verfahren nach Art. 7 EUV gewährleisten lässt. Der Schutz europäischer Werte wurde vor dem Hintergrund zunehmender autokratischer Tendenzen in Mitgliedstaaten der EU immer notwendiger. Ein erster europäischer Ansatz für einen pragmatischen Werteschutz lag im Erlass der sog. Konditionalitätsverordnung. Sie richtet sich gegen Rechtsstaatlichkeitsverstöße, die die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz ihrer finanziellen Interessen beeinträchtigen oder ernsthaft zu beeinträchtigen drohen. Auf dieses Verfahren bezieht sich auch Art. 8 der Verordnung zur Einrichtung der Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF-VO). Die ARF ist das zentrale Instrument zur Verteilung europäischer Mittel zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie. Damit ist sie gleichzeitig Kernstück von NextGenerationEU. Rechtsstaatlichkeit und das in der Geschichte bislang größte europäische Sondervermögen sind folglich unmittelbar sekundärrechtlich miteinander verknüpft.

Daneben enthält die Dachverordnung für ein einheitliches Regelwerk der Kohäsionsfonds (Dach-VO) ebenfalls allgemeine Konditionalitätsregelungen zum Schutz des Unionshaushalts. Bei der Mittelverwendung der Kohäsionsfonds müssen stets die zielübergreifenden grundlegenden Voraussetzungen eingehalten werden (Art. 15 Dach-VO). Das beinhaltet unter anderem, Vorkehrungen dafür zu treffen, dass die aus den Fonds unterstützen Programme mit einschlägigen Vorschriften der Grundrechtecharta vereinbar sind. Stellt die Kommission Verstöße fest, kann sie die europäischen Auszahlungen einfrieren. Die Schlagkraft dieser Regel wird deutlich, wenn man berücksichtigt, dass die Kohäsionspolitik nahezu ein Drittel des europäischen Haushalts ausmacht.

Der polnische Aufbau- und Resilienzplan: Ohne Reformen keine EU-Mittel?

Die ARF sieht vor, dass Mitgliedstaaten der Kommission nationale Aufbau- und Resilienzpläne vorstellen müssen, um in den Genuss der Mittel von insgesamt 648 Milliarden Euro (Preise nachfolgend immer von 2022) zu kommen. Sie werden vorrangig mit den Zielen der ARF und des Europäischen Semesters abgeglichen und nach eingängiger Prüfung durch Vorschlag der Kommission vom Rat gebilligt. Die Mittel können dabei für nahezu jede staatliche Investition vorgesehen werden. Mit ihnen werden Brücken repariert oder Laptops für Schulen gekauft. Die Mittelausschüttung erfolgt in Tranchen und ist erfolgsabhängig an gemeinsam beschlossene Meilensteine geknüpft.

Der Rat billigte den polnischen Plan mit einem Wert von knapp 60 Milliarden Euro am 17. Juni 2022. Der Anhang der Bewilligung enthielt konkrete Meilensteine, die u.a. rechtsstaatliche Reformen der polnischen Justiz vorsahen. Insbesondere enthielt Meilenstein F1.1 ein Maßnahmenbündel zur Stärkung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Gerichte und Meilenstein F1.2 eines zur Verbesserung der Situation von Richtern, die von den Entscheidungen der (politischen) Disziplinarkammer des Obersten Gerichts in Disziplinarsachen und Fällen der richterlichen Immunität betroffen sind. Diese Meilensteine knüpfen an Reformen an, welche die bereits breit diskutierte und bekannte polnische Rechtsstaatskrise ins Auge fassen. Ihre Umsetzung sollte abgeschlossen werden, bevor die polnische Regierung die erste Tranche aus der ARF abruft. Eine Auszahlung sollte nicht vor Umsetzung bewilligt werden.

Mit ihrer Klage meinen die Verbände nun, dass die Meilensteine nicht mit europäischem Recht vereinbar sind; da die Meilensteine integraler Bestandteil der Billigung des polnischen Aufbauplans durch den Rat sind, steht in Frage, ob diese Ratsentscheidung als solche mit europäischem Recht vereinbar ist (Rn. 32, 33.). Dabei argumentieren die Verbände konkret, dass die Meilensteine nur unzureichende Garantien für die polnische Rechtsstaatlichkeit enthalten und teilweise sogar einen unzulässigen Rückschritt hinter das vom EuGH geforderte Niveau bedeuten.

Beispielsweise wird in der Klage die im Maßnahmenbündel F1.2 enthaltene Pflicht zur Einführung eines Überprüfungsverfahrens für betroffene Richterinnen und Richter gegen Entscheidungen der Disziplinarkammer gerügt. Nach Ansicht der Verbände ist die Pflicht nicht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang zu bringen, da Entscheidungen der Disziplinarkammer bereits ohne derartiges Verfahren europarechtswidrig seien. Mit ihrer Argumentation dürften sich die Verbände auf die W.Ż. Entscheidung des EuGH beziehen. Inwieweit diese Einzelfallentscheidung tatsächlich verallgemeinerungsfähig ist, bleibt abzuwarten. Darüber hinaus kritisieren die Verbände, dass die Meilensteine eine Reihe grundlegender Mängel beim polnischen effektiven Rechtsschutz nicht beheben würden, obwohl diese in Urteilen des EuGH, des EGMR, in anhängigen Vertragsverletzungsverfahren der Kommission oder in sonstigen Dokumenten durch Organe der Union festgestellt wurden. Damit sei die Fähigkeit aller Richterinnen und Richter, ihrer Tätigkeit ordnungsgemäß und unabhängig nachzugehen, gefährdet. Das Vertrauen in die polnische Justiz als solche könne auf diese Weise nicht ausreichend wiederhergestellt werden.

Polen hat in Folge der Billigung des Aufbauplans durch den Rat eine Reihe an Reformen erlassen. Diese dürften allerdings den Anforderungen der Meilensteine nicht genügen. Trotzdem wurden die ersten Tranchen der ARF ausgezahlt. Und obwohl damit zu rechnen ist, dass sich die Lage in Polen nach den Wahlen 2023 weiter verbessern wird, stehen wichtige Reformen noch aus. So sind beispielsweise die Richterinnen und Richter, gegen die die vorherige Regierung unrechtmäßige Sanktionen verhängt hatte, immer noch nicht vollständig rehabilitiert. Die in der Klage aufgeworfenen Fragen – gerade hinsichtlich der Relevanz der gerichtlichen Vorgaben für das Mindestniveau an Rechtsstaatlichkeit – bleiben daher auch für das heutige Polen relevant. Denn es darf nicht unterschätzt werden, welcher positive Reformdruck von den Meilensteinen ausgehen könnte. Voreilig davon auszugehen, dass die Meilensteine erfüllt sind, kann diese Anreizwirkung schnell wieder ersticken.

Es fehlt schon an der Zulässigkeit

Das EuG hat sich in materieller Hinsicht nicht ausdrücklich auf die Rechtsstaatlichkeit in Polen bezogen, denn es hat die Nichtigkeitsklage bereits als unzulässig abgewiesen. Es hält hierbei an seiner bisherigen Rechtsprechung fest. Es hat die Klagebefugnis der Verbände aus eigenem Recht schnell abgelehnt, ebenso wie die Klagebefugnis der Richterinnen und Richter, deren Interessen vertreten werden, aus abgeleitetem Recht. Hier fehle es bereits an der unmittelbaren Betroffenheit; die Billigung des Rats wirke sich nach Ansicht des Gerichts nicht ohne weitere Vollzugsakte auf die Interessen- oder Rechtslage der Richterinnen und Richter aus.

Selbst jenen Richterinnen und Richtern, die durch die Disziplinarkammer verurteilt wurden, wird eine unmittelbare Betroffenheit abgesprochen. Und dass, obwohl die Meilensteine die Einführung eines beschleunigten Beschwerdeverfahrens für sie vorsehen. Es heißt konkret im Annex F1.2: Mit der Reform wird sichergestellt, dass Richter, die von Entscheidungen der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts betroffen sind, Zugang zu Überprüfungsverfahren in ihren Fällen haben. Nach Auffassung des EuG ist dieser Meilenstein aber nur eine Bedingung, die der Mitgliedstaat erfüllen muss, um eine Finanzierung aus der ARF erhalten zu können (Rn. 88). Hieraus könne man nicht schließen, dass der Meilenstein eine endgültige Verpflichtung zwischen Mitgliedstaaten und Richtern erzeugen würde. Insbesondere würden die Bedingungen des Meilensteins keine spezifisch auf sie anwendbare Regelung enthalten (Rn. 89).

Dieses Verständnis ist aber zu eng. Denn der Meilenstein ist eine Konkretisierung von Art. 8 ARF-VO und soll das Rechtsstaatlichkeitsniveau in Polen als solches anheben, gerade vor dem Hintergrund, den europäischen Haushalt zu schützen. Im Meilenstein F1 wird folgender Zweck angegeben: Die Reform soll zu einer Stärkung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der durch Gesetz geschaffenen Gerichte und Richter im Einklang mit Artikel 19 EUV und dem einschlägigen Besitzstand der EU führen. Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV verpflichtet Mitgliedstaaten im europäischen Rechtsschutzsystem mitzuwirken. In ASJP führte der EuGH aus, dass hierfür der Zugang zu unabhängigen Gerichten notwendig ist. Damit erzeugt Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV zwar kein subjektives Recht, schafft aber die mitgliedstaatliche Pflicht zur unionsrechtskonformen Einrichtung der nationalen Gerichte. Diese Pflicht wirkt also zumindest sekundär im Verhältnis zwischen Mitgliedstaaten und Richterschaft und ist notwendige Bedingung für die Finanzierung aus der ARF. Denn ein effektiver Haushaltsschutz ist ohne unabhängiges rechtsstaatliches System nicht denkbar. Die Konkretisierung dieser primärrechtlichen Pflicht in der ARF wirkt sich damit zumindest unmittelbar auf die Interessenlage der polnischen Richterschaft aus, da sie die unionsrechtskonforme Einrichtung der polnischen Gerichte im Einzelfall näher beschreibt. Dieser wesentliche Zusammenhang zwischen beiden Elementen wird vom Gericht durch die künstliche Trennung nur unzureichend berücksichtigt.

Das EuG erteilt auch der von den Verbänden vorgeschlagenen extensiven Auslegung von Art. 263 Abs. 4 AEUV i.V.m. Art. 47 der GRCh eine eindeutige Absage. Die Verbände argumentieren, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen im konkreten Einzelfall wegen der Erfordernisse des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes und der Rechtsstaatlichkeit (Art. 2 EUV) weit ausgelegt werden müssen. Das Gesamtsystem der Rechtsbehelfe beruhe auf der Prämisse von rechtsstaatlich agierenden Mitgliedstaaten. Diese Prämisse sei in Polen aber nicht mehr gegeben, da dort systemische Mängel vorlägen und sowohl Unionsrecht als auch die Rechtsprechung des EuGH bewusst missachtet werden. Ein Vorabentscheidungsersuchen sei daher in Polen kein effektiver Rechtsbehelf mehr.

Das EuG hält dem entgegen, dass eine Auslegung von Art. 263 Abs. 4 AEUV im Lichte von Art. 47 GRCh nicht zu einer Änderung des Gesamtsystems der Rechtsbehelfe führen darf. Auch kann eine solche Auslegung nicht zur Folge haben, dass die ausdrücklich im Vertrag aufgeführten Voraussetzungen von Art. 263 Abs. 4 AEUV ausgesetzt werden (Rn. 113, 114). Insbesondere sei aus Art. 47 GRCh nicht abzuleiten, dass der Einzelne ein uneingeschränktes Recht habe, eine Nichtigkeitsklage gegen Rechtsakte der Europäischen Union unmittelbar vor den Gerichten der Europäischen Union zu erheben (Rn. 115).

Ein solches uneingeschränktes Recht haben die Verbände allerdings gar nicht gefordert. Vielmehr verweisen sie auf eine substanzielle Schwachstelle im Gesamtsystem des europäischen Rechtsschutzes, die Berücksichtigung in der Anwendung einzelner Rechtsbehelfe finden muss. Wenn nicht gewährleistet ist, dass im Streitfall und bei Bedarf ein Vorabentscheidungsverfahren vom nationalen Gericht betrieben wird, muss dieses Defizit im Einzelfall durch den Zugang zur Nichtigkeitsklage ausgeglichen werden. Die Auswirkung eines nationalen Rechtsstaatsdefizits kann nicht schlicht übergangen werden. Nur dann, wenn ein solches Defizit vorliegt und sich im konkreten Fall auswirkt, ist eine Ausnahme gerechtfertigt. Von einem uneingeschränkten Recht auf eine Nichtigkeitsklage kann folglich keine Rede sein.

Das Urteil offenbart an dieser Stelle erneut die Mängel des europäischen Individualschutzsystems. Obschon im konkreten Einzelfall Argumente für die unmittelbare Betroffenheit sprechen, bekräftigt Medel jedenfalls das Bedürfnis nach einer extensiven Auslegung von Art. 263 Abs. 4 AEUV i.V.m. Art. 47 der GRCh. Die Implikationen eines nationalen Rechtsstaatsdefizits wurden an anderer Stelle bereits mit ähnlichen Schlussfolgerungen erörtert. Andere fordern – wie die Verbände in Medel auch – eine Angleichung von Luxemburg an Strasburg nach dem Vorbild des KlimaSeniorinnen-Urteils des EGMR. In jedem Fall bleibt zu attestieren, dass eine Schutzlücke im europäischen Rechtsschutzsystem bestehen bleibt, da Einzelne Unionsrecht nicht durchsetzen können, wenn das rechtsstaatliche System in einem Mitgliedstaat defizitär ist. Dass selbst die von rechtsstaatswidrigen Disziplinarverfahren betroffenen polnischen Richterinnen und Richter vor diesem Problem stehen, macht es besonders anschaulich. Es steht allerdings leider zu befürchten, dass auch dieser Ruf nach Reform ungehört verhallen wird.

Rechtsstaatliche Konditionalität ist die Minimalanforderung für mitgliedstaatliche Solidarität

Über die oben skizzierten Fragen hinaus ist das Verfahren relevant, weil der EuGH die Gelegenheit nutzen könnte, den Konditionalitätsmechanismus von NextGenerationEU scharf zu stellen. Gerade eine Äußerung zum Verhältnis von Rechtsstaatlichkeit und Solidarität wäre zu begrüßen, denn NextGenerationEU verzichtet ersatzlos auf herkömmliche Konditionalitätsmechanismen, wie sie vom European Stability Mechanism bekannt sind. Das Gemeinschaftsziel der soliden Haushaltsführung aus Art. 121, 126 AEUV wird damit aus den Augen verloren. Dabei soll nicht kritisiert werden, dass die Europäische Union ein beispielloses Konjunkturprogramm zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie auf den Weg gebracht hat, wohl aber die zusammenhangslose Auslobung von Investitionszielen und mangelnde supranationale Kontrolle der nationalen Investitionen.

Konditionalität – trotz ihres zuweilen schlechten Rufs – kommt aber eine wichtige Brückenfunktion zwischen europäischer Solidarität und nationaler Souveränität zu. Sie macht für alle Mitgliedstaaten glaubhaft, dass europäische Ziele, wie beispielsweise eine solide Haushaltsführung, trotz solidarischer mitgliedstaatlicher Unterstützung eingehalten werden. Das wiederum sichert die wechselseitige Bereitschaft zu Solidaritätsakten in der Zukunft.

Vor diesem Hintergrund ist die rechtsstaatliche Konditionalitätsanforderung von NextGenerationEU eine Art Basisanforderung für Solidarität in der Gemeinschaft. Wenn schon ein Wert aus Art. 2 EUV, also dem Fundament der Union, nicht sicher von einem Mitgliedstaat eingehalten wird, wieso sollte man diesem dann Unterstützung gewähren? Diese Lesart wird auch vor dem Sinn und Zweck der Konditionalitätsverordnung, Art. 8 ARF-VO und der Präambel zu den Justizreformen im Durchführungsbeschluss des Rats zur Billigung der Bewertung des Aufbau- und Resilienzplans Polens evident.

Gerade bei einem wachsenden europäischen Haushalt ist eine solidarische Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten alternativlos. Je mehr in Europa (um)verteilt wird, desto eher müssen Mitgliedstaaten auf ein gemeinsames Wertegerüst vertrauen können. Nicht zuletzt der jüngste Vorschlag zur Wettbewerbsfähigkeit der Union vom ehemaligen Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, zeigt, dass ein deutlich vergrößerter Haushalt nicht bloß ein frommer Wunsch, sondern mittelfristiges politisches Ziel ist. Umso wichtiger ist ein wachsendes Verständnis für den Zusammenhang zwischen Solidarität, Rechtsstaatlichkeit und dem europäischen Haushalt. Mit Blick auf ein kurzfristiges politisches Handeln mag es rational wirken, die Umsetzung von rechtsstaatlichen Konditionalitätsanforderungen nicht einzufordern. Die Billigung des Rats wird durch diese Überlegung jedenfalls verständlich. Langfristig droht durch ein solches Verhalten aber die Solidaritätsbereitschaft zwischen den Mitgliedstaaten zu erodieren.

Ausblick

Obwohl Medel bis dato weitläufig unter dem Radar geflogen ist, steckt in der Rechtssache enormes Potential. Dem EuGH bietet sich erneut die Chance, den europäischen Individualrechtsschutz substanziell zu stärken, indem er eine wohlbegründete Ausnahme zur engen Auslegung von Art. 263 Abs. 4 AEUV zulässt. Das ist derzeit wohl leider nicht zu erwarten. Dennoch besteht die Möglichkeit, dass zumindest für die Richterinnern und Richter, die von der Disziplinarkammer verurteilt wurden, die Klagebefugnis bejaht wird, um eine Entscheidung in der Sache zu treffen. Diese könnte ein Baustein in der Absicherung der zukünftigen Solidaritätsbereitschaft der Mitgliedstaaten sein.


SUGGESTED CITATION  Leson, Mattis: Umkämpfte Meilensteine: Rechtsstaatlichkeitskonditionalität bei NextGenerationEU, VerfBlog, 2024/10/02, https://verfassungsblog.de/umkampfte-meilensteine/, DOI: 10.59704/9ab52a2ad203297a.

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