USA: Lebenslang für Jugendliche – Ende einer barbarischen Strafrechtspraxis?
Die USA sind das einzige Land der Erde, dessen Justizsystem lebenslange Haftstrafen für Jugendliche ohne Aussicht auf Bewährung zulässt. Das könnte sich jetzt ändern – zumindest wenn es nämlich um Nicht-Tötungsdelikte geht.
Der US Supreme Court hat heute über die Frage verhandelt, ob diese Bestrafung “cruel and unusual” ist, was nach dem Eigth Amendment der US-Verfassung verboten wäre. Es geht um zwei Fälle, beide aus Florida, beide keine Kleinigkeiten, zugegebenermaßen: Joe Sullivan hatte mit 13 eine ältere Dame vergewaltigt. Terrance Graham hatte mit 16 einen Raubüberfall begangen und mit 17 gegen seine Bewährungsauflagen verstoßen. Immerhin: kein Mord, kein Totschlag. Beide wurden dazu verurteilt, den gesamten langen Rest ihres Lebens hinter Gittern zu verbringen.
Nach einer Studie der Florida State University gibt es 107 Jugendliche, die wegen Nicht-Tötungsdelikten verurteilt wurde, im Gefängnis zu sterben. Dazu kommen etwa 2000 jugendliche Mörder und Totschläger. 9 waren zur Tatzeit 13, 74 waren 14 Jahre alt.
Vor vier Jahren hatte der Supreme Court in Roper vs. Simmons mit 5 zu 4 Stimmen die Todesstrafe für Jugendliche für verfassungswidrig erklärt.
Die Courtwatcher vom SCOTUS Blog mutmaßen in einer ersten Analyse, dass Chief Justice John Roberts mit Aussicht auf Erfolg die Sache in Richtung einer abgemilderten Intervention des Gerichts zu lenken: Keine glatte Verfassungswidrigkeit dieser Strafe für Jugendliche, aber immerhin die Ansage, dass die Richter das jugendliche Alter des Täters bei der Straffestlegung in Betracht ziehen und die Länge der Strafe mit dem Alter und der Schwere der Tat ins Verhältnis setzen muss.
Update: Roger Alford auf Opinio Juris beobachtet, dass die Richter die Tatsache, dass die USA in dieser Frage international so völlig ohne Vergleich dastehen, in der Verhandlung überhaupt nicht interessiert hat. Seit Roper vs. Simmons 2005 habe der SC kaum noch einen verfassungsvergleichenden Pieps von sich gegeben, schreibt er und mutmaßt deprimiert:
the constitutional comparativism revolution may be fading…
Zitat aus Roper vs. Simmons:
The United States is the only country in the world that continues to give official sanction to the juvenile penalty. It does not lessen fidelity to the Constitution or pride in its origins to acknowledge that the express affirmation of certain fundamental rights by other nations and peoples underscores the centrality of those same rights within our own heritage of freedom.
Indeed it doesn’t.
Nur zum verfassungsvergleichenden Aspekt:
Nach meiner Einschätzung ist die amerikanische Öffentlichkeit gegenwärtig nicht “bereit”, Urteile zu akzeptieren, die im Kern mit dem Vergleichsargument begründet werden. Das widerspräche auch einer langen amerikanischen Tradition, auch wenn man dies bedauern mag. In jedem Fall scheint es im jetzigen Supreme Court mehrheitlich keine Aufgeschlossenheit gegenüber solchen Argumenten zu geben. Von Scalia, Thomas, Roberts und Alito ist das wirklich nicht zu erwarten, allenfalls Kennedy war schon mal in Ansätzen offen für einen Blick nach außen (hatte er nicht in Lawrence v. Texas auf das Ausland Bezug genommen?).
In der lead opinion wird daher – wie auch immer sie ausfällt -, das Vergleichsargument nicht erwähnt werden; es ist allerdings denkbar, dass es in einer concurring oder dissenting opinion kommt.
Von der Tendenz erwarte ich – allerdings in sehr engem Rahmen – eine Beschränkung dieser wirklich exzessiven Bestrafungen. Eine Kehrtwende zu einem humanen Strafkonzept, wie man sie sich als aufgeklärter Europäer vielleicht wünscht, halte ich für ausgeschlossen.
[…] die USA ist das gestrige Urteil des US Supreme Court aber ein riesiger Schritt: Denn anders als erwartet hat der SC damit zum ersten Mal überhaupt eine bestimmte Strafe unterhalb der Schwelle der […]