VerfassungsPod #1: Deutsche Wohnen & Co. Enteignen
Sie hatten abgestimmt und sich für das Thema “Deutsche Wohnen & Co. Enteignen” als Gegenstand unserer Recherchen für die Pilotfolge des VerfassungsPod entschieden. Das war eine tolle Idee. Der Auftrag, den Berliner Volksentscheid und die Sozialisierung der Wohnungsbestände großer Immobilienkonzerne in der Bundeshauptstadt aus juristischer Perspektive auszuleuchten, hat sich als ungeheuer lohnend erwiesen. Wir haben so viel Material zusammen getragen, dass wir diese Folge in drei Teile aufgeteilt haben, damit Sie nicht den Überblick verlieren.
Teil 1: Eigentumsgrundrecht und Sozialisierung
Kann man den Wohnungskonzernen überhaupt ihr Eigentum wegnehmen? Was hat es mit Artikel 15 auf sich, der geheimnisvollen Sozialisierungsermächtigung in unserer Verfassung? Kann auch das Land Berlin von ihr Gebrauch machen?
00:00 bis 13:40: Intro, Fakten, worum es bei dem Volksentscheid geht und wie er zustande gekommen ist
13.40 bis 47:00: Eigentum und Grundrechtsschutz, Sozialisierung als Grundrechtsschranke oder wirtschaftspolitische Ermächtigung, Verhältnismäßigkeit
47:25 bis Ende: Landes- und Bundesverfassungsrecht, gilt Art. 15 Grundgesetz auch für das Land Berlin?
Teil 2: Entschädigung und Haftung
Was sind die Maßstäbe für die Entschädigung, die Berlin an Deutsche Wohnen & Co. zu zahlen hätte? Stimmt es, dass die erwartete Milliardensumme den Landeshaushalt sprengen würde? Und was sagt das internationale Recht dazu?
00:00 bis 14:12: Intro und die Berechnungsmethoden zur Ermittlung von Grundstückwerten
14:12 bis 24:43: Maßstäbe für die Bestimmung der Entschädigung bei Art. 15 GG
25:14 bis Ende: Völkerrecht – EMKR und Investitionsschutz
Teil 3: Umsetzung und Alternativen
Wie geht es weiter, wenn der Volksentscheid durchgeht? Was hat es mit der “Anstalt des öffentlichen Rechts” auf sich, die die Wohnungen übernehmen soll? Wie demokratisch ist das alles? Und wer könnte vor welchem Gericht dagegen klagen?
00:00 bis 20:52: Intro und die Ausgestaltung der Vergesellschaftung
21:24 bis 24:50: Rechtsschutz
25:20 bis Ende: Rechtspolitische Alternativen zur Vergesellschaftung
Wie geht es weiter?
Welches Thema sollen wir für die nächste Folge des VerfassungsPod angehen? Darüber können Sie abstimmen. Drei Themen stehen zur Auswahl. Zur Abstimmung geht es hier.
Wie können Sie uns unterstützen?
Einen Podcast wie diesen zu recherchieren und zu produzieren, macht richtig Aufwand. Es sind viele, viele Stunden Arbeitszeit in diese Folge geflossen.
Diesmal haben wir noch viel improvisiert (s. Foto), aber auf die Dauer werden wir investieren müssen, und zwar tüchtig. Das geht nur, wenn es uns gelingt, Sie davon zu überzeugen, Mitglied in unserer Steady-Fördercommunity zu werden und 5 Euro im Monat in den Topf zu werfen.
Und was haben Sie davon?
Als Steady-Mitglied sind Sie nicht nur passiver Konsument, sondern Teil des Projekts.
Die aktuelle Folge “DW Enteignen” ist noch sehr breit angelegt, was auch dem Thema geschuldet war. Aber eigentlich stellen wir uns vor, dass wir die Frage, der wir nachgehen, zuspitzen, damit wir das Problem, das das Thema interessant macht, exakt treffen. Das wollen wir mit Ihnen diskutieren. Wir wollen von unseren Steady-Mitgliedern erfahren, was sie interessiert. Wir wollen mit ihnen besprechen, welche Fragen wir stellen und welchen Spuren wir nachgehen sollen. Wenn Sie Mitglied werden, bekommen Sie den Zoom-Link und sind dabei.
Und Sie bekommen natürlich unsere famose Kaffeetasse:
Gesprächspartner_innen:
- Prof. Dr. Marietta Auer, Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie, Frankfurt, und Justus-Liebig-Universität Gießen
- Prof. Dr. Thorsten Beckers, Bauhaus-Universität Weimar
- Prof. Dr. Matthias Goldmann, Goethe-Universität Frankfurt
- Prof. Dr. Michael Kloepfer, Humboldt-Universität Berlin
- Prof. Dr. Markus Krajewski, Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen
- Dr. Pia Lange, Universität Bremen
- Prof. Dr. Florian Rödl, Freie Universität Berlin
- Sebastian Schneider, Jurist, Berlin
- Dr. Jana Schollmeier, Universität Trier
- Silvia Steininger, Max-Planck-Institut für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht, Heidelberg
- Prof. Dr. Fabian Thiel, University of Applied Science, Frankfurt
- Dr. John Philipp Thurn, Sozialgericht Berlin
- Prof. Dr. Christian Waldhoff, Humboldt-Universität Berlin
- Dr. Tim Wihl, Humboldt-Universität Berlin
- Dr. Benedikt Wolfers, Posser, Spieth, Wolfers & Partners, Berlin
Quellen:
- Isabella Beck, Carina Brendl, Gabriella Kinefss: Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen in Deutschland? Eine (kritische) Betrachtung an der Schnittstelle von Grund- und Menschenrechten, Freiburger Informationspapiere zum Völkerrecht und Öffentlichen Recht, 4/2020
- Jörg Beckmann: Rechtliche Zulässigkeit und Grenzen einer Vergesellschaftung bzw. Sozialisierung von Wohnimmobilien, Gutachten im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, 22.11.2018
- Martin Burgi: Eigentumsordnung und Wohnungsnot: Spielräume für eine wohnraumbezogene Bodenpolitik, NVwZ 2020, S. 257 ff.
- Hans Peter Ipsen: Enteignung und Sozialisierung, VVdSRL Bd. 10, 1951, S. 74 ff.
- Jörn Ipsen: Sozialisierung und Übermaßverbot, NVwZ 2019, S. 527 ff.
- Reiner Geulen: Rechtliche Stellungnahme zum Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer Wohnimmobilien in Berlin im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, 21.11.2018
- Bernhard Haaß: Vergesellschaftung von Wohnungsbeständen durch Volksgesetz, LKV 2019, S. 145 ff.
- Michael Kloepfer: Die Sozialisierung von Wohnungsunternehmen und die Verfassung, NJW 2019, S. 1656 ff.
- Maximilian Pichl: »Verfassungspositionen verteidigen«: Gedanken zur Debatte um die Vergesellschaftung von Wohneigentum, 25.4.2019, Verfassungsblog
- Helmut Ridder: Enteignung und Sozialisierung, VVdSRL Bd. 10, 1951, S. 124 ff.
- Cara Röhner: Eigentum und Vergesellschaftung in der Wohnungskrise. Zur Aktualität von Art. 15 GG, KJ 2020, S. 16 ff.
- Christian Schede, Johann-Frederik Schuldt: Vergesellschaftung von Grund und Boden, ZRP 2019, S. 78 ff.
- Jana Schollmeier: Die Gewährleistung von angemessenem und bezahlbarem Wohnraum als Verfassungsfrage, Nomos 2020
- Helge Sodan: Zur Verfassungsmäßigkeit der Sozialisierung von Immobilien privater Wohnungswirtschaftsunternehmen im Land Berlin. Rechtsgutachten erstattet im Auftrag vom BBU Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V., März 2019
- Standpunkt des Berliner Senats zum Antrag auf Einleitung des Volksbegehrens „Beschluss zur Erarbeitung eines Gesetzesentwurfs durch den Senat zur Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer Wohnungsunternehmen (Vergesellschaftungsgesetz)”, 24.9.2020, Abgeordnetenhaus Berlin, Drucksache 18/3054
- Fabian Thiel: Art. 15 Grundgesetz – obsolet? Helmut Ridder zum 100. Geburtstag, DÖV 2019, S. 497 ff.
- John Philipp Thurn: Schweigen als Sozialisierungssperre? „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ und der Eigentumsschutz der Berliner Landesverfassung, 14.5.2021, Verfassungsblog
- Volkert Vorwerk: Stellungnahme zum Berliner Volksbegehren “Deutsche Wohnen & Co. Enteignen” im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, 25.7.2018
- Christian Waldhoff: Verfassungsrechtliche Grenzen der Vergesellschaftung privater Wohnungsunternehmen mit religiösem Selbstverständnis in Berlin, Rechtsgutachten im Auftrag der HWS Berlin, Mai 2019
- Christian Waldhoff/Lara Liese: Das verfassungspolitische Labor. Verfassungsentwicklung in Berlin 2004–2020, Jahrbuch des Öffentlichen Rechts 2021, S. 905 ff.
- Joachim Wieland: Verfassungsfragen der Vergesellschaftung von Wohnraum, Rechtsgutachten für die Bundestagsfraktion DIE LINKE und die Fraktion Die Linke im Abgeordnetenhaus von Berlin, August 2019
- Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages: Zur Vergesellschaftung eines privatwirtschaftlichen Wohnungsunternehmens nach Art. 15 GG, 29.1.2019, WD 3 -3000 -445/18
- Deutsche Wohnen & Co. Enteignen: Vergesellschaftung und Gemeinwirtschaft. Lösungen für die Berliner Wohnungskrise, 2. Aufl. März 2020
- Benedikt Wolfers, Kai-Uwe Opper: Vergesellschaftung von Grund und Boden in Berlin – zulässig? DVBl 2019, S. 542 ff.
Spannend! Zu der Literaturliste könntet ihr noch eine Stimme aus den 80er-Jahren anfügen, nämlich Albert Krölls, Das Grundgesetz als Verfassung des staatlich organisierten Kapitalismus (Deutscher Universitäts-Verlag, 1988), der dort Kapitel 3 seiner Interpretation des Art. 15 GG widmet und im Übrigen mit ein paar weiteren interessanten Daten zur Interpretationsgeschichte aufwartet. Obwohl oder gerade weil Krölls ein ehenerer Marxist ist, folgt er dabei nicht Ridder, sondern sieht in dem Gesamtgefüge der durch das GG etablierten Grundrechte eine normative Entscheidung des Verfassungsgebers für eine grundsätzlich kapitalistisch organisierte Wirtschaftsweise in der BRD. Art. 15 GG öffnet in seinen Augen daher nicht die Möglichkeit zur intralegalen Überwindung der Wirtschaftsverfassung, sondern stelle vielmehr eine Garantienorm des status quo dar.
Zu Teil 2 des Pods und zur Betrachtung im Rahmen der EMRK: Hier haben mich die Überlegungen, dass mit der Enteignung dem Menschenrecht auf “Wohnen” gedient werden soll (das dann gegen das Menschenrecht auf Eigentum abgewogen bzw. bei der Abweichung vom Grundsatz einer Entschädigung nach Marktwert berücksichtigt werden soll), überhaupt nicht überzeugt, denn die zu enteignenden Grundstücke und Gebäude dienen ja bereits ja jetzt dem Wohnen (und zwar offenbar innerhalb der gesetzlichen Maßgaben des Mietrechts usw.). Es liegt ein anderer Fall vor, als wenn eine “leere” Wiese enteignet werden soll, um dringend benötigten Wohnraum zu schaffen. Hier soll Wohnungseigentum enteignet und durch eine andere Form des Eigentums ersetzt werden.
Hi,
danke für die umfassende Recherche und den spannenden Podcast! Ich hätte mich gefreut, wenn ihr den konkreten Gesetzesentwurf der Initiative mit besprochen hättet und auch Stimmen dazu eingeholt hättet, einiges blieb ja im vagen, weil es vermeintlich kein konkretes Modell/Entwurf geben würde, der Gesetzesentwurf ist aber ja schon eine ganze Weile veröffentlicht (https://www.dwenteignen.de/dokumente/). Würde mich hier um Ergänzung freuen!
noch ein weiterer Literaturhinweis zur Interpretation des Art. 15, insbes. der Begriffe Grund und Boden, Produktionsmittel und Entschädigungshöhe, jeweils sorgfältig historisch, systematisch, begrifflich und teleologisch argumentierend und mit im Ergebnis Spielräume öffnendem Egebnis: Friedrich-Wilhelm Dopatka, Darstellung und Kritik der herrschenden Auslegung des Artiekl 15 GG, in: Gerd Winter (Hrsg) Sozialisierung von Unternehmen. Bedingungen und Begründungen. Vier rechts- und wirtschaftswissenschaftliche Studien, Europ. Verlagsanstalt 1976, 155-216. In dem Buch ist das Modell einer Sozialgemeinschaft abgedruckt, das auch für eine vergesellschaftete Wohnungsform in Betracht käme. Es wurde von dem Wirtschaftsrechtler Harald Koch (nach dem Krieg hess. Wirtschaftsminister, dann Bundestagsabgeordneter, dann Arbeitsdirektor bei Hoesch) entwickelt und 1948 publiziert. S. in dem Buch auch einen Beitrag über “freiwillige” Sozialisierungsformen von Helmut Kohl (nicht demjenigen), einen wirtschaftswiss. Beitrag von Jürgen Backhaus zur Sozialisierung sowie einen historischen über die (gescheiterte) Sozialisierung im Nachkriegshessen von G. Winter.