Verstößt die Energiekostenpauschale gegen den Gleichheitssatz?
Um die Energieversorgung sicherzustellen und bei steigenden Energiepreisen die Bevölkerung zu entlasten, entschließt sich die Bundesregierung zu immer neuen Maßnahmen. Zu diesen Entlastungsmaßnahmen gehört die Ende Mai vom Gesetzgeber verabschiedete Energiepreispauschale, die über den Arbeitgeber an Arbeitnehmer:innen ausgezahlt wird. Im Umkehrschluss sind davon alle Personen ausgenommen, die nicht über Einkommen aus Erwerbstätigkeit verfügen. Auch wenn der Gesetzgeber diese Ungleichbehandlung kaum überzeugend zu begründen vermag, sind die Erfolgsaussichten des dagegen gerichteten Musterverfahrens des VdK angesichts der weiten Gestaltungsspielräume wohl eher gering Umso wichtiger erscheint daher der politische Druck, der mit diesem Verfahren erreicht werden kann.
Die Energiepreispauschale behandelt ungleich
Mit der Energiepreispauschale sollen die mit den „sprunghaft und drastisch gestiegenen Energiekosten“ verbundenen Härten „kurzfristig und sozial gerecht abgefedert werden“ (S. 24 BT-Drs. 20/1765). Sie funktioniert grundsätzlich so, dass jeder Arbeitnehmerin im September vom Arbeitgeber ein der Einkommenssteuer unterliegender Betrag in Höhe von 300 EUR gezahlt wird (§ 117 Abs. 1 EStG). Alternativ wird die Einkommensteuervorauszahlung in dieser Höhe gekürzt. Durch die Steuerpflicht soll eine sozial ausgewogene Kompensation der Mehrbelastung erfolgen (S. 24 BT-Drs. 20/1765). Anspruchsberechtigt sind dabei alle „aktiv tätigen Erwerbspersonen“ (S. 24), und damit auch solche, die Arbeitslohn aus kurzfristiger oder geringfügiger Beschäftigung erhalten.
Nicht anspruchsberechtigt sind hingegen Personen, die kein Einkommen aus selbstständiger oder nichtselbstständiger Tätigkeit haben, also etwa nicht (neben-)erwerbstätige Rentner:innen sowie Personen, die Kranken-, Übergangs- oder Elterngeld erhalten.
Indem die Energiepreispauschale nicht an alle von erhöhten Energiepreisen betroffene Personen ausgezahlt wird, liegt eine Ungleichbehandlung vor. Denn dem Gesetzgeber wird durch Art. 3 Abs. 1 GG aufgegeben, „unter steter Orientierung am Gerechtigkeitsgedanken wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln“ (BVerfGE 98, 365 (385)). Dies gilt gleichermaßen für Belastungen wie für Begünstigungen (BVerfGE 110, 412 (431)). Es kann daher auch eine Ungleichbehandlung darstellen, wenn einer Personengruppe eine Begünstigung gewährt wird, einer anderen aber nicht (BVerfGE 110, 412 (431)). Erhalten also – wie im Fall der Energiepreispauschale – bestimmte Bevölkerungsgruppen, die von steigenden Energiepreise betroffen sind, eine Pauschale, andere, ebenso betroffene aber nicht, dann liegt darin eine Ungleichbehandlung.
Ist eine Ungleichbehandlung einmal festgestellt, so ist in einem zweiten Schritt nach der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung zu fragen, da Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung verwehrt: „Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind“ (BVerfGE 129, 49 (68)). Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtfertigung ist der anzulegende Prüfungsmaßstab, aus dem sich der Entscheidungsspielraum für den Gesetzgeber ergibt: Je strenger die Prüfung erfolgt, desto weniger Spielraum hat der Gesetzgeber und desto schwieriger wird eine Rechtfertigung. Erfolgt die Prüfung hingegen weniger streng, dann genügen einfache sachliche Gründe und der Gesetzgeber hat einen größeren Spielraum bei seinen Entscheidungen.
Die Intensität dieser Prüfung ist abhängig von einem „am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte[n] verfassungsrechtliche[n] Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen“ (BVerfGE 138, 136 (180)). Er ist also anhand des jeweils betroffenen Regelungsbereiches zu bestimmen und hat sich dann am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu orientieren. Ein strengerer Maßstab wird dann angenommen, wenn sich das Differenzierungskriterium den Unterscheidungsmerkmalen von Art. 3 Abs. 3 GG annähert, wenn Freiheitsgrundrechte betroffen sind oder wenn das Kriterium von den Personen nicht beeinflusst werden kann.
Weite Gestaltungsspielräume für den Gesetzgeber
Im Hinblick auf die Energiepreispauschale ist dabei ein sehr weiter Gestaltungsspielraum anzunehmen. So geht das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Gesetzgeber im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit größere Gestaltungsfreiheit besitzt als in der Eingriffsverwaltung (BVerfGE 17, 210 (216); BVerfGE 130, 240 (254)). Dies gilt etwa bei Subventionen oder bei Sozialleistungen, die an die Bedürftigkeit (anders aber bei der Existenzsicherung) anknüpfen. In diesen Fällen ist der Gleichheitssatz erst dann verletzt, „wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt“ (BVerfGE 39, 280 (283)).
Ein solch weiter Gestaltungsspielraum ist auch bei der Energiepreispauschale anzunehmen, die zwar im EStG geregelt und damit formal dem Steuerrecht zuzuordnen ist, im Ergebnis aber der sozialen Gerechtigkeit und Sicherheit dient.
Doch trotz des weiten Spielraums braucht es einen sachlichen Grund für die Differenzierung, der sich in der Gesetzesbegründung nur versteckt findet. So heißt es auf S. 24, dass mit der Pauschale ein „Ausgleich für die kurzfristig und drastisch gestiegenen erwerbsbedingten Wegeaufwendungen“ getroffen werde. Der Gesetzgeber geht also davon aus, dass erwerbstätige Personen durch die gestiegenen Energiepreise besonders betroffen sind, weil dadurch ihr Weg zur Arbeit kostenintensiver wird. Mit dem Tankrabatt und dem 9-Euro-Ticket gibt es jedoch bereits Maßnahmen, die dem Zweck der Wegstreckenentlastungen dienen.
Steigende Energiepreise betreffen jedoch nicht nur die Wegstrecken, sie betreffen jeden Einzelnen etwa bei den Heiz- und Warmwasserkosten oder bei den Kosten für Strom. In den öffentlichen Verlautbarungen ging es – insbesondere, wenn auf den Zeitpunkt der Auszahlung abgestellt wurde – um die Energiekosten in Bezug auf Wohnen. Hier sind aber beide Gruppen grundsätzlich vergleichbar betroffen, sodass darin eigentlich kein Grund für die Unterscheidung liegen kann.
Auch wenn also diese Begründung nicht durchweg überzeugend ist – so ist auch nicht jede:r Arbeitnehmer:in in vergleichbarer Weise von erhöhten Wegstreckenkosten betroffen – und sich in öffentlichen Äußerungen von Regierungsmitgliedern noch weitere Begründungen finden lassen, ist vorstellbar, dass diese Begründung als sachlicher Grund ausreichen könnte. Das hängt auch mit der geringen Prüfungsintensität des Bundesverfassungsgerichts zusammen.
Als weitere Begründung wird die Verwaltungsvereinfachung angeführt. Die Hilfen sollen den Bürgern auf einfachem Wege gewährt werden, indem grundsätzlich der Arbeitgeber die Pauschale auszahlt, denn es fehlt derzeit an einer einfachen Möglichkeit für Direktzahlungen an Bürger:innen. Die Energiepreispauschale soll zudem der Einkommensteuer unterliegen, um so einen sozialen Ausgleich abhängig vom Einkommen zu schaffen. Expert:innen im Anhörungsverfahren schätzen gerade diesen Weg über die Besteuerung als gute Möglichkeit, die Energiekostenpauschale sozial gerecht auszugestalten: Diejenigen, die über weniger Einkommen verfügen und die so stärker von steigenden Energiekosten betroffen sind, erhalten mehr Geld, während diejenigen, die über ein höheres Einkommen verfügen und damit grundsätzlich weniger stark betroffen sind, weniger erhalten.
Eine solche Verwaltungsvereinfachung kann – gerade in Massenverfahren – zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung herangezogen werden, allerdings nur dann, wenn die damit verbundenen Härten nur unter Schwierigkeiten zu vermeiden sind, eine nur verhältnismäßig geringe Zahl von Personen betroffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist (BVerfGE 100, 138 (174)). Nur in besonders gelagerten Fällen dürfen dabei Ungleichheiten entstehen und es dürfen nicht ganze Gruppen stärker belastet (BVerfGE 71, 39 (50)) oder bevorzugt werden (BVerfGE 82, 126 (152)). Vor diesem Hintergrund könnte sich die Ungleichbehandlung schwieriger rechtfertigen lassen. Doch auch hier ist die geringe Prüfungsintensität zu berücksichtigen. In Verbindung mit der fehlenden Möglichkeit für Direktzahlungen spricht viel dafür, dass das Bundesverfassungsgericht dies als Rechtfertigung genügen lässt.
Schließlich können weitere Leistungen, die im Zuge der Energiekrise beschlossen worden sind, mit in den Blick genommen werden. So könnte eine Rechtfertigung gelingen, wenn durch die Entlastungsmaßnahmen in der Gesamtschau nur eine kleine Gruppe keine Entlastungen erhält. So verhält es sich wohl im Vergleich zwischen „aktiv Erwerbstätigen“ und Empfänger:innen von SGB II-Leistungen, die nicht „aufstocken“, also keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Ihre Last ist zum einen dadurch geringer, dass Teile der steigenden Energiekosten etwa über die Kosten der Unterkunft und Heizung übernommen werden müssten, zum anderen für Hilfebedürftige eine Einmalzahlung auch zum Ausgleich gestiegener Energiekosten vorgesehen ist.
Eine Entscheidung ist erst in einigen Jahren zu erwarten
Selbst wenn das Musterverfahren des VdK am Ende erfolgreich sein sollte, für die aktuell Betroffenen würde sie sehr spät kommen: Da es einer Verfassungsbeschwerde aktuell wohl an der unmittelbaren Betroffenheit fehlen würde, sie also unzulässig wäre, plant der VdK gegen die Einkommensteuerbescheide Einspruch einzulegen und dann den Instanzenweg der Finanzgerichtsbarkeit zu durchlaufen. Bis dann mit einer Entscheidung der Verfassungsbeschwerde zu rechnen ist, können einige Jahre vergehen. Bis dahin dürfte eine Nachzahlung, die sich durch die Entscheidung ergeben könnte, für die aktuell steigenden Energiepreise zu spät sein, um kurzfristige Entlastung zu bieten.
Umso wichtiger also, dass sich angesichts der weiter steigenden Energiepreise die Bundesregierung zu weiteren Entlastungsmaßnahmen entschließt, die gerade diejenigen unterstützt, die von der Energiepreispauschale nicht profitieren. Erste Verlautbarungen von verschiedenen Parteipolitiker:innen und auch von Bundeskanzler Scholz deuten bereits in diese Richtung. Die angekündigte Klage des VdK erhöht zumindest den Druck auf die Regierung, auch nicht aktiv Erwerbstätige stärker zu entlasten.
Ein kleiner Fehler. Auch ruhende Beschäftigungen, z. B. wegen Elternzeit erhalten diese Pauschale. Nur zur Anmerkung. MfG