Volksverhetzung gegen Frauen
Zur geschlechtsbezogenen Dimension von Hate Speech
Am 9. Juni 2020 hat das OLG Köln entschieden, dass man auch gegen Frauen Volksverhetzung begehen kann. Diese wichtige Entscheidung ist Ausfluss der Einsicht, dass Hasskriminalität eine geschlechtsbezogene Dimension besitzt. Vor allem Hate Speech im digitalen Raum richtet sich häufig gegen Frauen. Die Entscheidung des OLG Köln überträgt dies in die strafrechtliche Praxis. Betrachtet man die Entscheidung zusammen mit den in Kürze in Kraft tretenden strafgesetzlichen Änderungen zum Thema Hasskriminalität, die erstmals auch Frauen als besonders stark von Hate Speech Betroffene in den Blick nehmen, zeichnet sich daher ein Paradigmenwechsel ab.
Der Tatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 StGB
Die Entscheidung des OLG ist dabei bemerkenswerter als es auf den ersten Blick erscheint. Bislang wurden Frauen von der Rechtsprechung nicht unter den Tatbestand der Volksverhetzung subsumiert. Dies mag angesichts des weiten Wortlauts der Vorschrift verwundern: Geschützt werden von § 130 StGB neben nationalen, rassischen, religiösen oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppen auch Teile der Bevölkerung. Auch Frauen sind Teile der Bevölkerung möchte man meinen, aber ganz so einfach ist die Rechtslage nicht.
§ 130 StGB stellt in Abs. 1 Nr. 1 das Aufstacheln zum Hass sowie das Auffordern zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen bestimmte Gruppen, Teile der Bevölkerung oder einzelne Angehörige einer Gruppe oder eines Bevölkerungsteils aufgrund ihrer Zugehörigkeit unter Strafe. § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfasst den Angriff auf die Menschenwürde durch Beschimpfung, böswilliges Verächtlich-Machen oder Verleumdung. In beiden Fällen muss eine Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens vorliegen. Absatz 2 der Norm erfasst in Nr. 1 und 3 die Verbreitung von Schriften und in Nr. 2 die Verbreitung mittels Rundfunk oder Telemedien. Im Unterschied zu Abs. 1 ist eine Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens nicht erforderlich.
Das Tatbestandsmerkmal „Teile der Bevölkerung“ hat der BGH in einer Linie von Entscheidungen weit definiert. Grundsätzlich ist ein Teil der Bevölkerung „eine von der übrigen Bevölkerung auf Grund gemeinsamer äußerer oder innerer Merkmale […] unterscheidbare Gruppe von Personen […], die zahlenmäßig von einiger Erheblichkeit und somit individuell nicht mehr unterscheidbar sind“. Die Unterscheidungsmerkmale können dabei „politischer, nationaler, ethnischer, rassischer, religiöser, weltanschaulicher, sozialer, wirtschaftlicher, beruflicher oder sonstiger Art“ sein. Allerdings hat der Gerichtshof in einigen Fällen eine Ausnahme angenommen. Danach soll es nicht ausreichen, wenn bei „der Verwendung von Sammelbegriffen der Personenkreis so groß und unüberschaubar ist und mehrere, sich teilweise deutlich unterscheidende Einstellungen oder politische Richtungen umfasst, dass eine Abgrenzung von der Gesamtbevölkerung aufgrund bestimmter Merkmale nicht möglich ist“.
Zu den in der Rechtsprechung anerkannten Teilen der Bevölkerung zählen dabei unter anderem Menschen mit Behinderungen, homosexuelle Menschen, PoC (unter verschiedenen Bezeichnungen), Arbeiter*innen, in Deutschland lebende Ausländer*innen, Bayer*innen, Beamt*innen, Protestant*innen, Freimaurer*innen und Sozialhilfeempfänger*innen [vgl. Sternberg-Lieben/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 130 Rn. 4.]. Keine Teile der Bevölkerung betreffen die Bezeichnungen „Linke- und Antifa-Brut“ sowie „Ausländerhuren“.
Die Bezeichnung „Ausländerhuren“ ist nach Auffassung des BGH zu vage und betrifft keine abgrenzbare Gruppe von Frauen. Dies ist schwer nachvollziehbar, handelt es sich doch bei der Gruppe von in Deutschland lebenden ausländischen Frauen – worauf die streitgegenständliche Aussage „Raus mit den Ausländerhuren“ augenscheinlich abzielt – um eine abgrenzbare Personengruppe, die zahlenmäßig erheblich und individuell nicht mehr überschaubar ist, und sich von der Gesamtheit der Bevölkerung aufgrund bestimmter Merkmale unterscheidet. Auch ist der bezeichnete Personenkreis nicht derart groß und unüberschaubar, dass eine Abgrenzung von der Gesamtbevölkerung aufgrund bestimmter Merkmale nicht mehr möglich ist. Weil die diffamierende Äußerung auf ein äußeres Abgrenzungsmerkmal (Ausländer + Frauen) abzielt, ist nicht nachvollziehbar, dass es auf die innere Einstellung der Gruppenmitglieder ankommen soll. In Deutschland lebende Bayer*innen, Protestant*innen oder Beamt*innen umfassen auch große Gruppen mit vielfältigen, teils sehr unterschiedlichen Einstellungen und politischen Richtungen, trotzdem bilden sie von der Rechtsprechung anerkannte Bevölkerungsteile im Sinne des § 130 StGB. Inkonsequent erschien die Entscheidung auch vor dem Hintergrund, dass von der Rechtsprechung in Deutschland lebende Ausländer*innen regelmäßig als Bevölkerungsteil angesehen werden. Die noch engere Gruppe der ausländischen Frauen nicht als solchen zu werten, stand dazu in einem inneren Widerspruch.
Die Entscheidung des OLG Köln
Die Entscheidung des OLG Köln, der zufolge auch Frauen Teile der Bevölkerung darstellen, ist daher erfreulich.
Streitgegenständliche Äußerungen waren u.a. die Bezeichnung von Frauen als Menschen zweiter Klasse bzw. minderwertige Menschen, die nur für die Reproduktion geschaffen seien. Diese Beiträge veröffentlichte der Angeklagte in einem von ihm betriebenen Internetforum. Dort konnte man auch folgende Äußerung lesen: „Die Doktrin der Gleichheit von Mann und Weib ist so wahnhaft wie die Doktrin der Gleichheit von Mensch und Tier.“
Der Angeklagte war vom LG Bonn in zweiter Instanz freigesprochen worden. Das LG hatte die Auffassung vertreten, dass ein allgemeiner Geschlechterschutz gerade nicht vom Schutzzweck des § 130 StGB umfasst sei, und entschieden, dass Frauen keine Teile der Bevölkerung seien. Dieses Urteil hob das OLG Köln auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des LG Bonn zurück. In der Auseinandersetzung mit der Argumentation der Berufungskammer stellte das OLG fest, dass die Entscheidung des BGH im oben beschriebenen Fall („Ausländerhuren“) nicht das Geschlecht als Merkmal ausgeschlossen hatte. Eine weitergehende Auseinandersetzung mit der oben beschriebenen Ausnahme des BGH unterblieb, was aber wegen der inneren Widersprüche der Ausnahme verzichtbar erscheint.
In einer lehrbuchmäßigen Auslegung des § 130 StGB legte das OLG sodann dar, dass auch Frauen Teil der Bevölkerung sind und demzufolge auch am Schutz der Norm teilhaben können: Grammatikalisch ließen sich Frauen zunächst problemlos unter den Begriff der Bevölkerungsteile subsumieren. Auch die Historie der Vorschrift verdeutliche, dass sowohl mit der Einführung als auch den nachfolgenden Änderungen jeweils eine Ausweitung des Schutzbereichs verbunden war. Die Historie zeige die „Entwicklung zu einem umfassenden ‚Anti-Diskriminierungstatbestand‘ auf, wobei der in den Schutzbereich einbezogene Teil der Bevölkerung keineswegs anhand der im Tatbestand ausdrücklich erwähnten Merkmale beschränkt ist. Mag auch der Hauptanwendungsbereich der Vorschrift in der Praxis nach wie vor im Bereich rechtsradikaler Hetze gegen Minderheiten liegen, lassen sich darunter dennoch auch diskriminierende Äußerungen gegen Homosexuelle, Transgender oder eben ‚die Frauen‘ subsumieren.“ In teleologischer Hinsicht sei zudem kein Grund ersichtlich, Geschlechtszugehörigkeit als mögliches Unterscheidungsmerkmal unterschiedlich zu den anderen anerkannten Merkmalen zu behandeln und ausschließlich letzteres aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift herauszunehmen. Auch die Tatsache, dass Frauen die statistische Mehrheit der Bevölkerung ausmachen, spreche nicht gegen ihre Einbeziehung, denn die Rechtsanwendung könne kaum von Zufälligkeiten der Majoritätenbildung abhängig gemacht werden.
Die Tatsache, dass Frauen keine (zahlenmäßige) Minderheit sind, steht der Einordnung als Bevölkerungsteil im Sinne des § 130 StGB nicht entgegen. Als „umfassender Anti-Diskriminierungstatbestand“ ist Gegenstand der Vorschrift der Schutz marginalisierter Gruppen unabhängig davon, ob es sich um statistische Minderheiten handelt. Eine marginalisierte Gruppe kann etwa anhand der (zugeschriebenen) Kriterien der Rasse (zum umstrittenen Begriff vgl. hier und hier), Religion, Nationalität, Ethnie, sexuelle Orientierung, Geschlechtsidentität, geistige bzw. körperliche Beeinträchtigung oder Geschlecht definiert werden. § 130 StGB knüpft damit – wie alle Vorschriften mit antidiskriminierungsrechtlicher Natur – an die gesellschaftliche Realität und strukturelle Machtverhältnisse an. Majorität ist nur Indiz, aber nicht Insignie gesellschaftlicher Macht.
Nicht zuletzt könnte mit dieser vom OLG-Köln ausgesprochenen Facette als Antidiskriminierungsrecht eine sinnvolle Eingrenzung des Tatbestandes bewirkt werden. So hat Anja Schmidt vorgeschlagen, dass § 130 StGB auf jene Bevölkerungsteile beschränkt wird, die marginalisierte Gruppen darstellen. Denn diese Gruppen sind besonders betroffen von verhetzenden Herabwürdigungen, die immer auch einen schwerwiegenden Angriff auf die Grundlagen des Zusammenlebens und -wirkens in der pluralistischen Demokratie – und damit eine Störung des öffentlichen Friedens im Sinne des § 130 StGB – bedeutet [vgl. Schmidt, Diskriminierende Kriminalität, in: Mangold/Payandeh, Handbuch Antidiskriminierungsrecht (i.E.)].
Eine verfassungsrechtliche Achillesferse?
Diese Rekonstruktion als Antidiskriminierungstatbestand könnte auch das verfassungsrechtliche Problem für die Entscheidung des OLG Köln und ähnlich gelagerte Entscheidungen lösen – jedenfalls was Verurteilungen nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 1 lit. c und gegebenenfalls Nr. 2 und 3 angeht. § 130 StGB ist eine Einschränkung von Äußerungen, die an Inhalte anknüpft und vermag daher nur unter bestimmten Voraussetzungen vor der strikten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsfreiheit zu bestehen. Die Tatbestandsalternativen der § 130 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 1 lit. c und gegebenenfalls Nr. 2 und 3 setzen eine Menschenwürdeverletzung durch die Äußerung des Täters voraus, was den Schutz der Meinungsfreiheit für die Äußerung regelmäßig entfallen lässt. Zuletzt hat Mathias Hong darauf hingewiesen, dass das Gericht in BVerfGE 93, 266, 300 f – Soldaten sind Mörder für ein Durschlagen einer gruppenbezogenen Menschenwürdeverletzung auf den*die Einzelne*n die Überschaubarkeit jener Gruppe zur Voraussetzung gemacht hat.
Wenn die BVerfG-Rechtsprechung, die primär anhand des Tatbestands der Beleidigung entwickelt wurde (Kollektivbeleidigung), für die Menschenwürde-Tatbestandsalternativen des § 130 StGB gelten sollte, hätte dies weitreichende Konsequenzen für den Tatbestand. So führte der Gleichlauf zwischen § 185 und § 130 StGB zur „verfassungsrechtlichen Individualisierung“ des primär geschützten Rechtsguts des öffentlichen Friedens. Als Antidiskriminierungsnorm will § 130 StGB aber gerade bestimmte Formen struktureller Diskriminierung von Gruppen und Bevölkerungsteilen verbieten und würde durch diesen Rückbezug auf die Menschenwürde Einzelner stark eingeschränkt. Damit wären insbesondere große Gruppen, einschließlich der Frauen, wohl von dessen Anwendung ausgeschlossen. Schließlich wäre auch fraglich, ob die verfassungsrechtliche Dogmatik, die zuletzt durch eine Revitalisierung der Schmähkritik und Formalbeleidigung an die Entwicklungen in den digitalen Medien angepasst wurde, ohne Weiteres in das digitale Zeitalter übertragbar ist. Einen Ausweg hat Stefan Magen in seinem Staatsrechtslehrerreferat beschrieben: im Rahmen des Art. 130 GG sollte das Gericht auch die Herabwürdigung von Gruppen anhand der Merkmale des Art. 3 Abs. 3 GG als eine Einschränkungsalternative der Meinungsfreiheit anerkennen, denn die Herabwürdigung einer Gruppe anhand von identitätsrelevanten Merkmalen muss „aus Sicht eines verständigen Publikums vernünftigerweise als Herabsetzung aller [merkmalstragenden] Personen verstanden werden“.
Fazit
Das Urteil des OLG Köln setzt ein wichtiges Zeichen in der Debatte um den strafrechtlichen Umgang mit Hate Speech gegen Frauen. Bislang wurden deren geschlechtsbezogene Dimension und andere Formen von Hasskriminalität gegen Frauen fast vollkommen ausgeblendet. Dabei sind Frauen überproportional häufig Ziel von geschlechterbezogener Hassrede. Gleichzeitig sind Frauen überproportional vulnerabel für Verstummungseffekte, wenn Äußerungen auf Identitätsmerkmale der Betroffenen abzielen. Diese Dimension von Hate Speech ernst zu nehmen ist ein überfälliger Schritt, der einen wichtigen Beitrag zu einer geschlechtergerechten Anwendung des (Straf-)Rechts leisten kann.