Vom zwanglosen Genötigtwerden, Vegetarier zu werden
Zwei entgegengesetzte, aber gleichermaßen vorhersagbare mediale Wellen spülen gerade durch die sommerlich leeren Redaktionen anlässlich der Wahlprogramm-Aussage der Grünen, sich für einen “Veggie Day” in öffentlichen Kantinen einsetzen zu wollen.
Die eine Welle, ausgelöst durch die Bildzeitung und begeistert besurft von allerhand FDP- und CSU-Politikern sowie der FAZ-Wirtschaftsredaktion, empört sich fleißig über die grünen Spaßbremsen und Öko-Taliban, die nicht ruhen, solange es in Deutschland es noch ein Fleckchen gibt, auf dem noch kein Verbotsschild steht.
Die Gegenwelle, geritten z.B. von Zeit Online und Stefan Niggemeier, beeilt sich nachzuweisen, dass die Grünen ja überhaupt kein Verbot im Sinn hatten, die ganze Aufregung somit nur ein Scheinphänomen aus dem Sommerloch- bzw. Wahlkampf-Heißluftgebläse ist, ein albernes und durchschaubares Theater, auf das nur medial manipulierbare Vollidioten hereinfallen.
Mir scheint beides gleichermaßen viel zu kurz gesprungen.
Natürlich ist es falsch, wenn die Bildzeitung behauptet, die Grünen wollten irgendetwas verbieten. Das wollen sie gerade nicht. Von einem Verbot ist nirgends die Rede. Alles, was sie wollen, ist, dass öffentliche Kantinen eine “Vorreiterfunktion” übernehmen und einmal in der Woche nur fleischlose Gerichte anbieten. Und auch das wollen sie nicht aus moralischen Gründen oder aus schierer Lust an der Gängelung, sondern um die globalen umwelt- und ernährungspolitischen Folgen unseres Fleischkonsum als politisches Thema zu adressieren, was aller Ehren wert ist.
Die Grünen sind da sehr modern. Regulierung macht man heute am liebsten nicht mehr mit Verboten, Zwang und rigiden rechtlichen Freiheitseingriffen, sondern sanfter. Man setzt Anreize, man schafft Vorbilder, man gibt hier ein bisschen Geld aus und dort eine kleine Studie in Auftrag, man verändert die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und bewirkt so auf indirekte Weise viel effizienter, woran man sich mit direktem Hoheitsbefehl womöglich die Zähne ausgebissen hätte.
Ein Veggie-Tag in der Woche im Parlamentskasino, so werden sich die Verfasser des grünen Wahlprogramms gedacht haben, und die ganzen hart gesottenen Karnivoren in der Unions- und SPD-Fraktion merken mit einem Mal, dass vegetarisch sehr lecker sein kann, stellen ihre Essgewohnheiten um, helfen selbst die Fleischnachfrage senken und öffnen sich weiteren politischen Initiativen in dieser Richtung – ein schöner politischer Erfolg, ohne dass irgendjemand zu irgendwas gezwungen werden musste (außer dem Kantinenwirt des Bundestags vielleicht).
Heißt das – und damit komme ich zu der Gegenwelle – nun, dass die ganze Aufregung nur ein überflüssiger und manipulativer Humbug ist? Da wäre ich nicht so sicher.
Ich bin wahrhaftig von jeder Hoheitsstaatsnostalgie frei. Dennoch hat die gute alte Regulierung durch Gesetz und Rechtsbefehl immerhin einen großen Vorzug: Die politischen Kräfte, die sie betreiben, müssen abstrakt-generelle Regeln formulieren, sie müssen sie im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren begründen und verteidigen, sie müssen eine politische Mehrheit dafür organisieren und hinterher in der Öffentlichkeit für die Folgen ihres Tuns gerade stehen.
Das wird bei der modernen, sanften Regulierung neben dem Zwangs- und Verbots-Charakter auch gleich mitvermieden. Und zwar ganz folgerichtigerweise: Es gibt ja gar nichts, was man groß politisieren und diskutieren und begründen und rechtfertigen müsste. Ein paar Kantinen stellen ihre Menüs um. Mehr passiert ja nicht.
Nur, dass wir hinterher womöglich alle Vegetarier werden.
(Ich selbst, for that matter, bin dank Ottolenghi ohnehin schon zu drei Vierteln einer.)
Das scheint mir, wenn man das übliche FDP-Gezeter von wegen verbotswütige Grüne mal abzieht, der eigentliche Kern der Aufregung zu sein: Diese Art der nicht-invasiven Gesellschaftsmassage zur gezielten Beförderung bestimmter politischer Anliegen – hat das nicht etwas Expertokratisches, etwas Paternalistisches und etwas Manipulatives?
Man muss nicht Rainer Brüderle heißen, um diese Frage zumindest diskutierenswert zu finden.
Kontextsteuerung. Aber das direkte ordnungspolitische Ver- oder Gebot – das würde die FDP genauso unschön finden. Oder?
Sie wollen nichts vorschreiben oder verbieten,
empfehlen aber, dass öffentliche Kantinen an einem Tag in der Woche kein Fleisch anbieten.
Im Ergebnis treten sie also dafür ein, dass Menschen nicht frei entscheiden können ob und wann sie Fleisch essen wollen, denn das ist nun mal die logische Folge.
Dann sollte man doch zumindest so ehrlich sein und das auch zugeben damit klar wird wofür man steht:
Einschränkung der Wahlfreiheit beim Essen, erst mal für Kantinenesser.
ob irgendwelche gurus, oberpriester oder ökoterroristen mir erzählen wollen, was ich zu essen habe – ich halte von allen dreien nichts.
und sogenannte empfehlungen können dank entsprechender meinungsmache schlimmere regulierung sein als gesetze. gekaufte wissenschaftler und entsprechende gutachten samt journaille haben bisher noch jeden unfug als positivum verkauft.
wie wäre es denn mit der Idee Massenmord einfach komplett zu verbieten. Die Menschen würden obendrein soger noch gesünder leben. Hier geht es nicht um ein Verbot, sondern um den gesunden Menschenverstand. Und wer davon nichts abbekommen hat wird sich natürlich über vegetarische/vegane Ernährung aufregen, aber da muß mann als vollpfosten einfach mal durch!
… tatsächlich: Die Formulierer und Standartenträger des gesunden und förderlichen Gemeininteresses kommen mit der schlichten sozialen Ächtung oft deutlich besser voran, als mit Gesetzesinitiativen, bei denen sich möglicherweise sogar eine gewisser spontaner Verteidigungsreflex der Beglückten regen könnte – was unbedingt zu vermeiden ist.
Die Richtung aber bleibt klar: Wir kümmern uns um Euch – ob ihr wollt oder nicht ! Sei es das Rauchverbot (selbst Nichtraucher) , der Veggiday (was für ein Wort !), die Helmpflicht für Radfahrer, CO2 Reisebeschränkung, Glühbirnenverbot, Heizstrahlerverbot/Abgabe, Schützenfestvögel (Nichtschütze) (!) – das Karussel dreht sich weiter und jeder kommt mal dran. Versprochen !
Was spricht gegen so einen Veggie-Day?
Wie kann man sich darüber aufregen, einmal in der Woche kein Fleisch zu essen???
Es gab mal eine Zeit da war der Fleischkonsum ein Highlight.
Ich handhabe es z.B. so, dass ich Fleisch nicht öfter als einmal in der Woche konsumiere.
Es bedarf auch ein wenig gesunden Menschenverstand, zu begreifen, dass täglicher Fleischkonsum, der Gesundheit nicht zu geute kommen kann.
Dazu fällt mir ein Zitat ein. In Douglas Adams’ “Restaurant am Ende des Universums” fragt das Rind, das ausdrücklich verspeist zu werden wünscht, Arthur Dent folgendes:
“Sie wünschen einen Salat? Sind Sie sicher, dass der Salat damit einverstanden wäre?”
@Max: Dass es schon seit einigen Jahrhunderten einen Trend weg von harter, obrigkeitsstaatlicher, sanktionsbehafteter und hin zu sanfter, hintergründiger, auch anreizbasierter Sozialdisziplinierung gibt, hat ja schon Michel Foucault ganz schön in “Überwachen und Strafen” beschrieben. Das, was die Grünen in ihrem Wahlprogramm vorschlagen, ist offensichtlich kein Gesetzgebungsakt. Stattdessen kündigen sie an, dass sie versuchen wollen, den Diskurs (im foucaultschen Sinn) so zu beeinflussen, dass eine häufigere vegetarische Ernährung auch ohne staatliche Sanktionsdrohungen zur sozialen Norm wird. Ihre Methode unterscheidet sich insofern nur wenig von den Kirchen, die ja ebenfalls jahrhundertelang einen fleischlosen Freitag gepredigt haben (wenn auch nicht als ökologisches, sondern als religiöses Gebot).
Gerade wenn man sich auf eine foucaultsche Sichtweise einlässt, wird allerdings auch klar, dass man diese sanfte Form der diskursiven Einflussnahme und sozialen Disziplinierung nicht nicht ausüben kann. Wenn Kantinen kein Fleisch anbieten, dann drängen sie uns subtil zu einer vegetarischen Ernährungsweise. Wenn Kantinen dagegen täglich Fleischgerichte im Angebot haben, dann normalisieren sie damit ebenso subtil den täglichen Fleischkonsum. Beides erfolgt fast vollkommen zwanglos (schon weil niemand dazu gezwungen ist, überhaupt in einer Kantine essen zu gehen). Zugleich wirkt sich beides auf unser Zusammenleben aus und kann daher legitimerweise Objekt einer öffentlichen Auseinandersetzung sein. Aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob eine der beiden Verhaltensweisen wirklich so viel “paternalistischer” ist als die andere. Am Ende ist die Existenz irgendwelcher sozialen Normen ebenso unvermeidlich wie Einzelnormen immer umstritten sind.
Am Ende hätten die Vorschläge der Grünen allerdings wahrscheinlich für weniger Aufregung gesorgt, wenn sie sie als Sparpaket verkauft hätten: Da die Fleischproduktion (vor allem, wenn man die öffentlichen Umweltfolgekosten mit einrechnet) sehr teuer ist, kann der Staat Geld sparen, wenn in öffentlich subventionierten Kantinen kein Fleisch mehr angeboten wird. So gewendet, könnte der “Veggie-Day” am Ende womöglich selbst dem Bund der Steuerzahler einleuchten 😉
@Manuel: um das jetzt unter Foucault-Kategorien zu kontern, bin ich nicht theoriefes