Von Agenten und globalen Kriegsparteien
Eine Demokratie am Scheideweg
Die georgische Demokratie befindet sich in der Krise. Die Regierungspartei „Georgischer Traum“ verschärft ihren autoritären, rechtsstaatsfeindlichen Kurs immer weiter. Nach dem Agentengesetz (Juni 2024) beschloss sie vor wenigen Tagen ein queer-feindliches „Gesetz über Familienwerte und den Schutz von Minderjährigen“. Am 26. Oktober wählen die Georgier:innen nun nach politisch ereignisreichen Monaten ein neues Parlament. Der aktuelle Wahlkampf des „Georgischen Traum“ lässt tief blicken.
Hintergrund
Die Partei „Georgischer Traum“ regiert seit 2012 in Georgien mit absoluter Mehrheit. Mit ihrem Aufstieg endete die Amtszeit von Michail Saakaschwili. Saakaschwili hatte zwar einige demokratische Reformen auf den Weg gebracht, zugleich aber seine politischen Gegner mit Gewalt verfolgt. Diese Missstände versprach der „Georgische Traum“ des Oligarchen Bidsina Ivanischwili zu beenden. Er selbst war nur ein Jahr als Premierminister im Amt (Oktober 2012-November 2013), bleibt aber eine mächtige Figur im Hintergrund.1) Über viele Jahre schien sich Georgien in aller Ruhe in Richtung der Europäischen Union zu bewegen; Anfang 2024 erhielt das Land sogar den lang ersehnten Status als Beitrittskandidat der EU.
Angriff auf die Zivilgesellschaft
Mit dieser Ruhe ist es nun vorbei. Bereits diesen Frühling richtete sich die internationale Aufmerksamkeit auf Georgien, als die Regierung den Entwurf eines „foreign-agents-law“ (Agentengesetz) erneut ins Parlament einbrachte. Im Jahr 2023 hatte sie schon einmal versucht, das Gesetz zu verabschieden (hierzu Zedelashvili.). Nach anhaltendem Protest der Zivilgesellschaft hatte sie ihren Plan zunächst aber wieder zurückgezogen – ein politisches Wirksamkeitserlebnis für viele junge Menschen im Land.
Der neue Entwurf unterscheidet sich von der ersten Fassung jedoch nur geringfügig. Lediglich das aus der russischen Gesetzgebung bekannte Label „ausländischer Agent“ wurde durch die (wenig harmlosere) Bezeichnung „Organisation, die die Interessen ausländischer Mächte verfolgt“ ersetzt. Nach nahezu einhelliger Auffassung ist das Gesetz vom russischen Agentengesetz inspiriert (siehe nur Phirtskhalashvili, Tsereteli) – auch die amtierende, regierungsunabhängige georgische Präsidentin Salome Zourabichvili teilt diese Einschätzung.2) Das russische Vorbild ist eines der entscheidenden Instrumente, mit denen die Regierung zivilgesellschaftliche Organisationen drangsaliert, unterdrückt und letztlich zum Einknicken bringt (föderales Gesetz 121-FZ vom 13.07.2012, hierzu Podoplelova). Es normiert endlose bürokratische Pflichten, ermöglicht schikanierende Bußgelder und individuelle Strafverfolgung. Darum stellen nach und nach zivilgesellschaftliche Organisationen ihre Arbeit ein, verlieren ihre Mitarbeiter:innen oder zensieren sich aus Angst selbst.3) Es verwundert nicht, dass autokratisch regierte Staaten in aller Welt Gefallen an dem Konzept des Agentengesetzes finden.4)
Zurück ins georgische Parlament: Es schien schwer vorstellbar, dass die Regierung das Gesetz ein zweites Mal zurückziehen und so Schwäche zeigen würde. Und doch war der Protest der Zivilgesellschaft, der sich über Wochen jeden Tag in die Straßen Georgiens trug, überwältigend. Auch die internationale Presse berichtete intensiv und kritisch über das geplante Gesetz und die Proteste.5) Hochrangige Vertreter aus der EU und den USA warnten vor den Folgen.6) Vergebens: Das Gesetz wurde beschlossen, die Parlamentsmehrheit überwand das Veto der Präsidentin. Wie stark die georgische Zivilgesellschaft unter Druck gerät, muss sich nun zeigen.
Marginalisierte Gruppen als Feindbild
Doch derweil verschärft sich die Lage im Land auch in anderen Bereichen. Am 17. September beschloss die Regierungsmehrheit ein Gesetz zur Verhinderung sog. „Propaganda von gleichgeschlechtlichen Beziehungen (…) in Bildungseinrichtungen und Fernsehsendungen“.7) Das Gesetz schränkt die Rechte queerer Menschen massiv ein. Adoptionen durch gleichgeschlechtliche Paare sind verboten. Im Ausland geschlossene gleichgeschlechtliche Ehen gelten als ungültig. Im Inland sind sie seit einer Verfassungsänderung ohnehin unmöglich. Arbeitsrechtlich ist nun „sexuelle Identität“ kein Diskriminierungsmerkmal mehr. Pride-Veranstaltungen dürfen verboten werden. Hinzu kommen umfassende Möglichkeiten zur Zensur von Büchern, Filmen und Lehrinhalten, die queeres Leben darstellen.8) Auf allen denkbaren Ebenen soll die Identität queerer Menschen unterdrückt und Diskriminierung ermöglicht werden.
Wenig überraschend sehen Beobachter:innen auch hier wieder Parallelen mit russischer Gesetzgebung.9) Die Regelungen ähneln außerdem dem ungarischen sog. „Kinderschutzgesetz“ von 2021.10) Auch dort wird der Schutz vermeintlicher traditioneller Familienwerte als Grund angeführt, um eine erzkonservative, queerfeindliche Gesinnung durchzusetzen. Die georgische Präsidentin legte auch gegen dieses Gesetz ihr Veto ein. Am 3. Oktober 2024 überwand die Parlamentsmehrheit das Veto, seither ist es in Kraft.
Die EMRK als Rettungsanker?
Georgien hat im Jahr 1999 die EMRK unterzeichnet und sich damit auch der Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unterworfen. Dies ist sowohl für das Agentengesetz (siehe hierzu Phirtskhalashvili), als auch für das queerfeindliche „Familienwerte“-Gesetz ein Hoffnungsschimmer. Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR erfasst das Diskriminierungsverbot in Art. 14 EMRK auch die Diskriminierung wegen sexueller Orientierung.11) Eine Ablehnung eines Adoptionsantrags allein aufgrund sexueller Orientierung ist nach der Rechtsprechung des EGMR diskriminierend.12) Es liegt damit auf der Hand, dass Georgien gegen seine völkerrechtlichen Verpflichtungen verstößt.
Allerdings war auch Russland bis September 2022 formal Mitglied des Europarats. Auch Ungarn, Polen oder die Türkei ließen sich durch ihre völkerrechtliche Verpflichtung nicht davon abhalten, Menschenrechte und rechtsstaatliche Grundsätze zu missachten. Ob die EMRK als Hebel ausreichen wird, um die Gesetze zurückzudrehen, ist daher fraglich. Die derzeitigen Warnungen aus Europa scheinen die georgische Regierung wenig zu interessieren. Wie sie mit Urteilen aus Straßburg umgehen wird, sollte daher genau beobachtet werden.
Die Mobilisierung der Angst
In Georgien führen diese Angriffe auf Rechtsstaat und elementare Gleichheitsrechte zu Ausgrenzung und Gewalt.13) Bei einem guten Teil der Bevölkerung verfängt die Propaganda des „Georgischen Traum“. Die Partei verbreitet unter anderem ein Narrativ, wonach die EU, USA und andere Akteure von einer „globalen Kriegspartei“ gesteuert sind und Georgien in einen Krieg mit Russland verwickeln wollen.14) Die inländischen Nichtregierungsorganisationen seien dafür die Sprachrohre und gehörten durchleuchtet. Dieses Narrativ erhöht die Angst der Menschen im Land vor Krieg und Instabilität, wie die georgischen Wissenschaftler:innen Bogishvili15) und Andronikashvili16) herausarbeiten. Jüngst veröffentlichte die Regierungspartei Wahlkampfplakate, auf denen sie Bilder aus der von Russland überfallenen Ukraine mit friedlichen Bildern aus Georgien kontrastiert. Untertitelt sind die Plakate mit der Frage, ob die Menschen im Land lieber Krieg oder Frieden wollen.17) Hier findet sich das nächste Kreml-Narrativ: Die Plakate suggerieren, dass die Ukraine zwischen Krieg und Frieden wählen kann.
Ausblick
Die junge georgische Demokratie, seit ihrer Unabhängigkeit 1991 geprägt durch Bürgerkrieg, politische Instabilität sowie kriegerische Interventionen Russlands, ist auf eine kritische und kontinuierliche internationale Beobachtung dringend angewiesen.18) Insbesondere die Anwendung des Agentengesetzes muss genau verfolgt werden, um mögliche Repressionen gegen die Zivilgesellschaft schnell zu erkennen.
Der Wunsch der Georgier:innen nach einer Annäherung zur EU ist dabei weiterhin stark. Doch auch wenn die Regierung zuletzt auf viel Widerstand stieß, ausgedrückt durch Protest auf den Straßen, zeigte sich die Opposition überwiegend zerstritten. Ob sie es schafft, sich auf den Erhalt der Demokratie zu besinnen und ihre Differenzen hintanzustellen, ist offen. Georgien steht vor der kommenden Wahl, so auch die Worte Phirtskhalashvilis, am Scheideweg.
References