Vorwärts in die klimapolitische Vergangenheit
Zur „Weiterentwicklung“ des Klimaschutzgesetzes durch die Ampel-Koalition
Nach zwei langen Verhandlungstagen veröffentlichten die Koalitionspartner SPD, Grüne und FDP vorgestern Abend das Ergebnis ihres Koalitionsausschusses: Ein „Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung“. Darin wird u.a. eine Novelle des Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG) angekündigt. So soll das KSG dahingehend „weiterentwickelt“ werden, dass die „Einhaltung der Klimaschutzziele […] künftig anhand einer sektorenübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung überprüft“ wird. Konkreter heißt es:
„Zukünftig werden alle Sektoren aggregiert betrachtet. Wenn die Projektionsdaten in zwei aufeinanderfolgenden Jahren zeigen, dass mit den aggregierten Jahresemissionen bis zum Jahr 2030 das Gesamtminderungsziel nicht erreicht wird, wird die Bundesregierung auf Basis der Vorschläge der maßgeblich für die Minderungsmengen der Sektoren verantwortlichen Bundesministerien Maßnahmen beschließen […].“
Dies deutet Änderungen in zweierlei Hinsicht an: Erstens kommt es künftig nicht mehr auf das einmalige Überschreiten der zulässigen Emissionsmenge an, sondern auf das Überschreiten in zwei aufeinanderfolgenden Jahren – ein klarer Rückschritt bei der Striktheit des KSG. Zweitens scheint wahr zu werden, was Klimaschützer:innen schon anhand einer ähnlichen Formulierung im Koalitionsvertrag1) vermutet hatten: Die sektorenspezifischen Emissionsreduktionsziele sollen nicht länger rechtsverbindlich sein. An ihre Stelle tritt eine aggregierte Betrachtung und an die Stelle des Sofortprogramms des jeweiligen Ministeriums (§ 8 Abs. 1 KSG) treten „Vorschläge“ der verantwortlichen Ministerien. Diese Entscheidung ist nicht nur rechtspolitisch verfehlt, sondern weckt auch verfassungsrechtliche Bedenken. Überzeugender wäre es daher, das Ziel des effektiven Klimaschutzes im Rahmen des bisherigen KSG zu erreichen.
Aufgegebene Errungenschaften
Der Erlass des KSG verfolgte zwei zentrale klimapolitische Ziele: Einerseits sollte der Klimaschutz nicht länger einzelnen Ministerien obliegen, sondern zu einer Gesamtaufgabe werden.2) Andererseits sollte Klimaschutz rechtsverbindlich werden. In Kombination begründen die Ziele die Erforderlichkeit rechtsverbindlicher, sektorenspezifischer Klimaziele.
Nach dem Vorschlag der Koalitionspartner wird diese Rechtsverbindlichkeit nun abgeschwächt. Dabei ist es wichtig, genau zu betrachten, was der Vorschlag ändert und was nicht: Nach wie vor wird das nationale Klimaziel auf einzelne Sektoren aufgeteilt und nach wie vor müssen die Vorschläge für Minderungsmaßnahmen von denjenigen Minister:innen ausgehen, die ihre Sektorenziele nicht erreicht haben. Diese Maßnahmen müssen sodann von der Bundesregierung beschlossen werden – auch dies entspricht der bisherigen Rechtslage (§ 8 Abs. 2 KSG). Einerseits ist bislang aber unklar, ob diese „Vorschläge“ in Zukunft nur noch regierungsintern zirkulieren oder weiterhin als Programm veröffentlicht werden müssen. Andererseits müssen sich die vorgeschlagenen Maßnahmen – anders als bislang (§ 8 Abs. 1 KSG) – nicht mehr ausschließlich auf den säumigen Sektor beziehen. Der Vorschlag beschränkt sich vielmehr auf die weiche Formulierung, dass „insbesondere jene [Minister:innen], in deren Zuständigkeitsbereich die Sektoren liegen […] zu den Maßnahmen der Minderung beizutragen [haben].“ Defizite in einem Bereich können durch besondere Ambition anderer Bereiche ausgeglichen werden – aggregierte Betrachtung eben.
Damit entsteht erneut die Gefahr, dass künftig wieder die überwiegend „umweltnahen“ Ministerien – die aktuell zudem alle in der Hand der Grünen liegen – für die unangenehmen Emissionsreduktionen verantwortlich sind. Die weiche Formulierung des Vorschlags („insbesondere [die zuständigen Minister:innen]“) dürfte daran wenig ändern.3) So gibt der Reformvorschlag eine der entscheidenden klimapolitischen Errungenschaften des KSG auf.
Falsches Signal
Zudem geht von der vorgeschlagenen Änderung des KSG ein folgenreiches Signal aus. Hintergrund des Koalitionsstreits und des nun entworfenen Vorschlags sind (u.a.) die überschießenden Emissionen im Verkehrsbereich und die Weigerung des FDP-geführten Verkehrsministeriums, entsprechend § 8 Abs. 1 KSG ein Sofortprogramm mit hinreichendem Einsparungspotential vorzulegen.4) Die nun vorgeschlagene Reform nimmt insoweit offensichtlich „Druck vom Kessel“. Dieser Schritt ist unvereinbar mit der Funktionsweise des KSG.
Funktion des KSG als gesetzliches Planungsinstrument ist es, die künftig im Sinne des Klimaschutzes erforderlichen Beschränkungen schon heute absehbar zu machen und damit Menschen und Industrie eine rechtzeitige (und damit wenig einschneidende) Verhaltensanpassung zu ermöglichen. Das betont auch das BVerfG in seinem Klima-Beschluss:
„Grundlegend […] für eine vorausschauende Schonung künftiger Freiheit ist […], dass der Gesetzgeber einer möglichst frühzeitigen Einleitung der erforderlichen Entwicklungs- und Umsetzungsprozesse […] Orientierung bietet und diesen damit zugleich ein hinreichendes Maß an Entwicklungsdruck und Planungssicherheit vermittelt“ (BVerfGE 157, 30 [166]).
Diese Funktion des KSG kann nur erfüllt werden, wenn die Bevölkerung auf die Einhaltung des gesetzlichen Rahmens vertraut. Indem das KSG nun – keine vier Jahre nach seinem Erlass – bei erster Gelegenheit aufgeweicht wird, wird dieses Vertrauen in den Rahmen des KSG erschüttert und dessen Funktion (teilweise) unterminiert. So könnte der Eindruck entstehen, dass im Zweifel eher das KSG angepasst, als dass eine politisch unliebsame Maßnahme ergriffen wird.5)
Weniger Planungssicherheit
Hinzu kommt, dass die sektorenspezifische Aufteilung der Emissionsreduktionsziele eine spezifische Funktion hat: Sie schafft branchenspezifische Planungssicherheit. Dies erkennt auch das BVerfG in seinem Klima-Beschluss an. Dafür wählt es ausgerechnet das Beispiel des Verkehrssektors:
„Legte der Gesetzgeber beispielsweise frühzeitig konkret fest, dass dem Verkehrssektor ab einem bestimmten Zeitpunkt nur noch geringe jährliche Emissionsmengen zur Verfügung stehen, könnte dies Anreiz und Druck für die Entwicklung und Verbreitung alternativer Techniken und der dafür erforderlichen Infrastruktur entfalten“ (BVerfGE 157, 30 [167]).
Sofern lediglich die Gesamt-Reduktionsziele rechtsverbindlich und deren sektorenspezifische Erreichung weitgehend dem innerkoalitionellen Streit überlassen ist, können sich einzelne Branchen und Unternehmen gerade nicht mehr (oder wenigstens weniger klar) darauf einstellen, wann sie welche Reduktionen erreichen müssen. Im schlimmsten Fall – wenn etwa wie bislang der Verkehrssektor weitgehend unvermindert weiter emittiert – könnte es irgendwann zur „Vollbremsung“ (BVerfGE 157, 30 [135]) und zu den entsprechenden industriepolitischen Verwerfungen in der Automobilbranche kommen. Insoweit sprechen auch jenseits des Klimaschutzes Gründe gegen die Änderung.
Verfassungsrechtliche Zweifel
Die bislang angeführten Gründe haben auch verfassungsrechtliche Relevanz. Einerseits ist die rahmensetzende bzw. planende Funktion des KSG für die Argumentation des BVerfG in seinem Klimabeschluss – wie oben gesehen – essentiell.6) Dabei sagt das Gericht zwar nicht ausdrücklich, dass es ihm auf sektorenspezifische Vorgaben ankommt, die folgenden Ausführungen des Gerichts legen dies aber nahe. So erläutert das Gericht:
„Der nötige Entwicklungsdruck entsteht, indem absehbar wird, dass und welche Produkte, Dienstleistungen, Infrastruktur […] oder sonstigen heute noch CO2-relevanten Strukturen schon bald erheblich umzugestalten sind“ (BVerfGE 157, 30 [166 f.], Hervorh. d. Verf.).
Noch deutlicher wird das Gericht in Rn. 254:
„Jahresemissionsmengen und Reduktionsmaßgaben [müssen] so differenziert festgelegt werden, dass eine hinreichend konkrete Orientierung entsteht.“ (BVerfGE 157, 30, [169]).
Ob eine Aufweichung der Zuständigkeitsregelungen im KSG dem gerecht wird, erscheint zweifelhaft. Weiteren Grund für Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der geplanten Änderung liefert auch Art. 20a GG. Diesem wird ein umweltrechtliches Rückschrittsverbot entnommen.7) Zwar ist insoweit anerkannt, dass Art. 20a GG nur ein stabiles Gesamtniveau an Umweltschutz garantiert und punktuellen Rückschritten nicht entgegensteht. Zudem wurde das Rückschrittsverbot bislang nur im Kontext materieller Rechtsänderungen, nicht aber bei Veränderungen des institutionellen Rahmens diskutiert. Angesichts der enormen Bedeutung des KSG („Kerngesetz des Klimaschutzes“), die auch das BVerfG in seinem Klimabeschluss deutlich betont und noch gestärkt hat, erscheint es aber denkbar, dass das Gericht die vorgesehene Änderung (mE zu Recht) als grundlegend bewertet. Es wäre eine besondere Ironie des Schicksals, wenn das, was mit einem „Modernisierungspaket Klimaschutz“ begonnen hatte, letztlich am umweltrechtlichen Rückschrittsverbot des Grundgesetzes scheitert.
Fazit
Der Reformvorschlag erweist dem Klimaschutz einen Bärendienst. Zwar wurden im Koalitionsausschuss nach zähem Ringen auch einige Klimaschutzmaßnahmen vereinbart. Ohne die klare, rechtsverbindliche Verantwortung aller Minister:innen dürfte effektiver Klimaschutz in Zukunft aber noch schwieriger durchsetzbar sein, als bislang schon.
Im Übrigen lässt sich die Reform auch nicht damit rechtfertigen, dass erst der sektorenübergreifende Ansatz es ermögliche, Klimaschutz dort zu betreiben, wo er am effektivsten ist. Dieses Argument, das vor allem von FDP-Politiker:innen vorgebracht wird, suggeriert, dass in anderen Bereichen zahlreiche Maßnahmen bereitstehen, die nur darauf warten ergriffen zu werden und die auch auf keinerlei Widerstand in der Koalition stoßen würden – insoweit handelt es sich wahrscheinlich um einen ‚red herring‘ (Scheinargument). Doch selbst, wenn derlei Vorschläge tatsächlich bereitstünden, würde dies die Änderung des KSG nicht erfordern. Schon der aktuelle Rechtsrahmen ermöglicht es, die Sektorenaufteilung konkret anzupassen (§ 5 Abs. 4 KSG) und damit Raum für die effektiveren Maßnahmen in anderen Sektoren zu schaffen. Insoweit lässt sich die Änderung also auch nicht mit dem Ziel effektiven Klimaschutzes rechtfertigen. Tatsächlich scheint es bei dem Vorhaben darum zu gehen, die jeweiligen Minister:innen vom juristischen und politischen Druck zu befreien, den das KSG bislang liefert. Diesen Gefallen sollte man ihnen nicht tun.
References
↑1 | Mehr Fortschritt wagen, Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, S. 56. |
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↑2 | Vgl. etwa das Zitat der ehemaligen Bundesumweltministerin Svenja Schulze, Südwestpresse vom 7.12.2018: „[Das alte Spiel,] dass nur die Umweltministerin die Vorschläge macht und alle anderen sagen, was alles nicht geht, [sei nunmehr] vorbei.“ |
↑3 | Wenn die erforderlichen Sofortprogramme nicht einmal erlassen werden, wenn dies gesetzlich vorgeschrieben ist (§ 8 Abs. 1 KSG), warum sollte das bei gelockerten Anforderungen anders sein? |
↑4 | Die vom MBDV bislang vorgeschlagenen Maßnahmen erfüllen nach Ansicht des Expert:innenrats der Bundesregierung nicht die Anforderungen des § 8 KSG, Expertenrat für Klimafragen, Prüfbericht zu den Sofortprogrammen 2022 für den Gebäude- und Verkehrssektor, S. 81. |
↑5 | Dieser Eindruck ist im Übrigen auch für die marktorientierten Instrumente des Klimaschutzes fatal. So entfaltet etwa die Ankündigung eines stufenweise steigenden CO2-Preises nur dann ihre Wirkung, wenn glaubhaft ist, dass die Preissteigerung durchgehalten wird. |
↑6 | Das Wort essentiell ist hier nicht zufällig gewählt. Nachdem das BVerfG in seinem Klimabeschluss zunächst eine Verletzung von Schutzpflichten und des Staatsziels Umweltschutz verneint, wird die Verfassungswidrigkeit des KSG letztlich (nur) damit begründet, dass kein hinreichend klarer Planungshorizont geliefert wird. |
↑7 | Siehe BVerfGE 157, 30 (148) m.w.N. |
ich kann dem nur zustimmen. wenn man das noch mal so konkret liest, kann man nicht umhin, der Letzten Generation mit ihren Aktionen zuzustimmen… egal wie blödsinnig einige Umsetzungen hierbei sind.