21 February 2025

Männerlastig, Frauen lästig?

Wie das neue Wahlrecht für Rückschritte in der Repräsentation von Frauen sorgt

Nach Veröffentlichung der Kandidat:innenlisten ist abzusehen, dass der neue Bundestag noch männerlastiger sein wird als zuvor. Ein Grund dafür ist die prognostizierte politische Verschiebung nach rechts: CDU/CSU und AfD, die traditionell einen niedrigen Frauenanteil unter ihren Kandidierenden haben, werden voraussichtlich Sitze hinzugewinnen – während Parteien mit mehr Frauen tendenziell verlieren werden. Aber selbst bei gleichbleibenden Machtverhältnissen würde das neue Wahlrecht bestehende Ungleichheiten verschärfen. Deshalb ist es gerade jetzt besonders wichtig, einen gesellschaftlichen Diskurs zu führen, wie auch die Gesetzgebung Parität stärken kann.

Seit den späten 1990er Jahren stagniert der Frauenanteil im Bundestag bei rund 30%. Für diejenigen, die fordern, dass die Hälfte der Bevölkerung auch im Bundestag mit der Hälfte der Sitze vertreten sein sollte, ist diese Zahl an sich schon nicht zufriedenstellend. Während der Frauenanteil im Bundestag nach der Wahl 2021 bei 34,8% lag, können wir für den am 23. Februar neu zu wählenden Bundestag schon eines sicher sagen: Die Zahl an weiblichen Abgeordneten wird deutlich schrumpfen. Das neue Wahlsystem trägt dazu über drei Mechanismen bei: Erstens gibt es weniger Listenmandate, über die besonders viele Frauen gewählt werden; zweitens setzen sich im Wettbewerb um vielversprechende Listenplätze vor allem Männer durch und drittens verlieren Frauen eher als Männer ihre Direktmandate, weil sie häufiger nur mit knappen Mehrheiten gewählt werden.

Weniger Listenmandate

Nach dem neuen Wahlrecht wird das durch die Zweitstimmen gewonnene Kontingent an Sitzen im Bundestag zunächst mit Direktkandidat:innen besetzt, übrige Plätze werden dann durch die Listen-Kandidat:innen aufgefüllt. Die Anzahl der Listenmandate sinkt so um etwa 100 Sitze. Für Frauen ist das fatal, denn sie ziehen über die Landeslisten der Parteien weitaus häufiger ins Parlament ein als über Direktmandate. 2021 gewannen Frauen 41% der Listenmandate, aber nur 26% der Direktmandate. Grund dafür ist, dass Entscheidungsträger:innen in den Parteien auch heute noch oft glauben, Frauen hätten geringere Chancen, Direktmandate zu gewinnen. Es gibt also 100 Sitze weniger, in denen Frauen numerisch gesehen stärker repräsentiert sind. Weniger Listenmandate bedeuten also automatisch weniger Frauen im Bundestag.

Männer auf Listenplätzen

Das Absenken der erfolgversprechenden Listenmandate führt zu einem besonders intensiven Wettbewerb um hohe Listenplätze. Bei dieser internen Konkurrenz sind Frauen systematisch im Nachteil, was ein Vergleich der Listenaufstellungen zwischen 2021 und 2025 deutlich macht. Besonders sichtbar ist das bei der SPD: Deren Listenmandate gewannen 2021 noch 58% Frauen; auf den gleichen Listenplätzen, die nach dem alten Wahlsystem besonders vielversprechend wären, finden sich 2025 schon nur noch 48% Frauen. Bedenkt man nun, dass die Anzahl der Listenmandate durch die Wahlrechtsreform im Schnitt um den Faktor 0.76 schrumpft, dann sind auf den so errechneten vielversprechenden Listenplätzen nur 36% Frauen – also 22 Prozentpunkte weniger als noch 2021.

Diese Tendenz sehen wir bei allen Parteien – auch wenn die Lücke der 2021 gewählten und der 2025 prognostizierten Listenmandate für Frauen deutlich kleiner ausfällt, wenn eine Partei von vornherein weniger Frauen als Kandidatinnen aufstellt und in den Bundestag schickt. Konkret ergibt sich basierend auf den Wahlergebnissen von 2021 ein geschätztes Minus von 15 Prozentpunkten für die Linke (von 56% auf 41%), 11 Prozentpunkten für die Grünen (von 57% auf 46%), 6 Prozentpunkten für die CDU (von 38% auf 31%), 5 Prozentpunkten für die FDP (von 24% auf 19%) und 3 Prozentpunkten (von 13% auf 10%) für die AfD.

Häufiger verlorene Direktmandate

Nach dem neuen Wahlrecht entfallen direkt gewonnene Wahlkreismandate, wenn die Anzahl der gewonnenen Direktmandate die der laut Zweitstimmen zustehenden Sitze übersteigt. Wie gut Kandidat:innen in ihren Wahlkreisen abschneiden, gewinnt also an Bedeutung. Hier gibt es einen systematischen Unterschied zwischen Männern und Frauen: Im Schnitt erzielten erfolgreiche Direktkandidatinnen 2021 etwa 0.5 Prozentpunkte weniger als erfolgreiche Direktkandidaten. Forschung zeigt, dass das in der Regel nicht daran liegt, dass die Wähler:innen Kandidatinnen weniger zutrauen – vielmehr ist es oft so, dass Frauen eher da aufgestellt werden, wo Parteien nicht ganz so stark sind. Unabhängig davon ist der Effekt aber klar: Direkt gewählte Frauen haben eine niedrigere Chance als direkt gewählte Männer, in den Bundestag einzuziehen.

Die Folgen

Empirische Forschung zeigt, dass Abgeordnete, die bestimmte soziale Merkmale mit unterrepräsentierten Gruppen teilen, eher für deren Anliegen eintreten. Das bedeutet, dass Frauen im Parlament mit größerer Wahrscheinlichkeit frauenpolitische Themen auf die Agenda setzen und vernachlässigte Perspektiven sichtbar machen. Ihre Anwesenheit im Gesetzgebungsprozess ist daher nicht nur symbolisch wichtig, sondern hat auch konkrete Auswirkungen auf politische Inhalte. Zudem beeinflusst eine angemessene Repräsentation von Frauen, wie die Bevölkerung die Demokratie wahrnimmt. Wenn sich Bürgerinnen und Bürger in den gewählten Repräsentant:innen wiederfinden, steigt das Vertrauen in das politische System. Ein weiterer Effekt der zahlenmäßig gerechten Repräsentation von Frauen ist ihre Vorbildfunktion: Die Sichtbarkeit von Frauen in politischen Ämtern kann andere Frauen und Mädchen dazu ermutigen, selbst politisch aktiv zu werden. Dies verändert langfristig gesellschaftliche Einstellungen und erhöht die Akzeptanz von Frauen in Führungspositionen. Kurz gesagt: Eine hohe zahlenmäßige Repräsentation von Frauen ist nicht nur ein Zeichen von Gleichberechtigung, sondern auch eine Grundvoraussetzung für eine funktionierende, inklusive und demokratisch legitimierte Politik.

Potenzielle Maßnahmen

Was muss sich ändern, damit mehr Frauen in den Bundestag kommen?

Es braucht strukturelle Reformen, um Chancengleichheit in der deutschen Politik sicherzustellen. Eine gesetzliche Quote für Wahllisten wäre eine bewährte Lösung, die in der Wissenschaft international als wirksames Instrument anerkannt ist. Sie könnte sicherstellen, dass Frauen nicht systematisch aus dem Parlament gedrängt werden, sondern angemessen vertreten sind. Wie sich solche Quoten rechtlich konkret umsetzen ließen, ist im deutschen Kontext zwar umstritten, da frühere Versuche einer Listenquotierung von Verfassungsgerichten gekippt wurden. Aber ähnlich wie bei der Wahlrechtsreform, sollte ein negatives Gerichtsurteil den Reformprozess nicht beenden, sondern dazu einladen, über verfassungskonforme Lösungen nachzudenken.  Denkbar wären beispielsweise drei verschiedene Lösungsansätze unterschiedlicher Intensität und Reichweite:

Ein entsprechendes Paritätsgesetz ließe sich verfassungskonform machen, indem man die Gleichstellung von Mann und Frau bei Wahlen im Grundgesetz verankert (für eine Verfassungsmäßigkeit auch ohne Verfassungsänderung siehe Röhner). Eine solche Verfassungsänderung bräuchte allerdings im Bundestag eine 2/3-Mehrheit. Vor dem Hintergrund der prognostizierten politischen Verschiebung nach rechts erscheint dies nach der Wahl noch schwieriger als bisher.

Denkbar wäre auch, die Parteienfinanzierung als Hebel zu nutzen, um die paritätische Nominierung von Kandidierenden für Parteien attraktiver zu machen. Indem man Parteien finanziell belohnt, die einen hohen Frauenanteil unter ihren Kandidat:innen haben, würde man nicht nur die Listenplätze, sondern ggf. auch die Direktmandate indirekt quotieren. Wichtig für den Effekt solcher Anreize wäre allerdings zu berücksichtigen, dass bestimmte Kandidaturen (sei es auf Listenplätzen oder in Wahlkreisen) vielversprechender sind als andere. Eine vergleichbare Regelung findet sich in Österreich, wo Parteien mit 3% mehr gefördert werden, die in ihrem Parlamentsklub mehr als 40% Mandatsträgerinnen haben.

Daneben bleiben natürlich auch freiwillige Quoten, die die Parteien bei der Nominierung durchsetzen, eine Lösung – vorausgesetzt sie werden konsequent umgesetzt und effizient gestaltet. Dazu müssten auch vielversprechende Listenplätze quotiert und entsprechend dem Reisverschlussverfahren besetzt werden und auch die Spitzenposition genauso häufig an eine Kandidatin wie an einen Kandidaten gehen. Der Knackpunkt von freiwilligen Quoten ist, dass sie auch unter Druck strikt eingehalten werden müssen – also beispielsweise auch, wenn der Bundestag schrumpft und der Wettbewerb um den Verbleib im Parlament besonders intensiv ist.

Insgesamt ist leider davon auszugehen, dass der Bundestag deutlich weniger divers wird – nicht nur was Frauen angeht. Denn die beschriebenen Entwicklungen wirken sich ebenso auf die Repräsentation von anderen marginalisierten Gruppen aus.


SUGGESTED CITATION  Kröber, Corinna; Stephan, Lena: Männerlastig, Frauen lästig?: Wie das neue Wahlrecht für Rückschritte in der Repräsentation von Frauen sorgt, VerfBlog, 2025/2/21, https://verfassungsblog.de/wahlrechtsreform-frauen/, DOI: 10.59704/a327c8e43a8c7e7e.

Leave A Comment

WRITE A COMMENT

1. We welcome your comments but you do so as our guest. Please note that we will exercise our property rights to make sure that Verfassungsblog remains a safe and attractive place for everyone. Your comment will not appear immediately but will be moderated by us. Just as with posts, we make a choice. That means not all submitted comments will be published.

2. We expect comments to be matter-of-fact, on-topic and free of sarcasm, innuendo and ad personam arguments.

3. Racist, sexist and otherwise discriminatory comments will not be published.

4. Comments under pseudonym are allowed but a valid email address is obligatory. The use of more than one pseudonym is not allowed.




Explore posts related to this:
Bundestagswahl, Geschlechtergerechtigkeit, Parität, Paritätsgesetz, Wahlrecht, Wahlrechtsreform


Other posts about this region:
Deutschland