Warum Haftstrafen für „Klima-Kleber“ die falsche Antwort sind
Vergangene Woche hat das Amtsgericht Tiergarten die 24-jährige Aktivistin Maja zu einer viermonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, ohne diese zur Bewährung auszusetzen. Der Aktivistin wurde vorgeworfen, sich im August 2022 an einem Gemälde festgeklebt zu haben. Angeklagt wurde sie zudem wegen der Beteiligung an einer Straßenblockade. Das Urteil sprach sie der gemeinschädlichen Sachbeschädigung (§ 304 StGB), der versuchten Nötigung (§§ 240, 22, 23 Abs. 1 StGB) und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) schuldig. Bereits Anfang März 2023 wurden zwei Aktivisten vom Amtsgericht Heilbronn (Urt. v. 06.03.2023 – 26 Ds 16 Js 4813/23) zu kurzen Freiheitsstrafen (zwei und drei Monate) verurteilt, die wegen Nötigung angeklagt waren. Es sind, soweit bekannt, die ersten Freiheitsstrafen, die in Deutschland im Zusammenhang mit Klima-Protesten verhängt wurden. Die (noch nicht rechtskräftigen) Entscheidungen, kurze Freiheitsstrafen zu verhängen und diese nicht zur Bewährung auszusetzen, sind – das ist zunächst einmal weniger rechtlich gemeint als vielmehr emotionaler Ausdruck – krass. Freiheitsstrafe, das bedeutet Einschließung, Isolation, erhöhte Suizidgefahr und Desozialisierung. Das tragende Argument beider Entscheidungen, die Aktivisten1) würden sich nach eigener Aussage von der Begehung weiterer Straftaten nicht abhalten lassen, weswegen die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe unerlässlich und eine Strafaussetzung zur Bewährung ausgeschlossen sei, bringt ein oberflächliches und zu kurz gegriffenes Verständnis der insoweit relevanten Vorschriften der § 47 und 56 StGB und deren Verhältnis zueinander zum Ausdruck.
Wir wollen uns im Folgenden nicht mit der Strafzumessung im engeren Sinne beschäftigen, also der Einordnung der Tat in den gesetzlichen Rahmen entlang der festgestellten strafschärfenden und strafmildernden Umstände mit Blick auf die „Schuld“ der Täter, die Grundlage für die Strafzumessung ist (§ 46 Abs. 1 StGB). Wir wollen die Argumentation insbesondere des Amtsgerichts Heilbronns – bislang sind nur die Urteilsgründe dieser Entscheidung bekannt –, anstatt einer Geldstrafe eine kurze Freiheitsstrafe zu verhängen und diese nicht zur Bewährung auszusetzen, nachvollziehen und kritisch würdigen.
Zum Verständnis von § 47 und 56 StGB
Die Entscheidungen sind in zweifacher Hinsicht begründungsbedürftig. Nach § 47 StGB darf eine Freiheitsstrafe von weniger als sechs Monaten nämlich nur im Ausnahmefall verhängt werden, nämlich dann, „wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerläßlich machen“. „Besondere Umstände“ liegen nach der Rechtsprechung vor, wenn bestimmte Eigenschaften oder Verhältnisse den Täter von durchschnittlichen Tätern entsprechender Taten unterscheiden. Sofern das Gericht derartige besondere Umstände feststellt, muss es prüfen, ob die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich ist. Mit der ersten Alternative wird auf die Möglichkeit der spezialpräventiven, mit der zweiten Alternative auf die Möglichkeit der generalpräventiven Rechtfertigung der kurzen Freiheitsstrafe abgestellt.2) Dabei sind kurze Freiheitsstrafen „zur Einwirkung auf den Täter“ dann „unerlässlich“, wenn sie unverzichtbar sind, um den Täter dazu zu bringen, künftig keine Straftaten mehr zu begehen. Das Gericht muss insoweit eine Sanktionsprognose vornehmen, bei der es die voraussichtlichen Wirkungen anderer Sanktionsformen mit den voraussichtlichen Wirkungen einer Freiheitsstrafe vergleicht.
Eine andere Frage ist es, ob die für unerlässlich gehaltene Freiheitsstrafe auch vollstreckt werden muss oder zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Ausgeschlossen ist eine Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung nach § 56 Abs. 1 StGB, wenn gerade nicht „zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lässt und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (…)“.
Beide Vorschriften, § 47 und 56 StGB, sind dabei voneinander unabhängig zu prüfen. Liegen die Voraussetzungen des § 47 StGB vor, ist also noch keine Aussage darüber getroffen, ob die kurze Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen ist oder, wie es unter Annahme der Unerlässlichkeit einer kurzen Freiheitsstrafe zwar naheliegen könnte, nicht zur Bewährung auszusetzen ist.
Wiederholungsankündigung als tragendes Argument
Das Amtsgericht Heilbronn begründete die Verhängung der kurzen Freiheitsstrafen nun allein damit, dass die Angeklagten glaubhaft angaben, „von strafrechtlichen Sanktionen nicht davon abgehalten zu werden, gleichgelagerte Straftaten zu begehen“, sodass „besondere Umstände in der Persönlichkeit des [jeweiligen] Angeklagten“ vorliegen, die zur „Einwirkung auf ihn die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe gemäß § 47 StGB auch unter Berücksichtigung des Übermaßverbotes unerlässlich machen.“ Aus der glaubhaften Kundgabe, zu weiteren Straftaten bereit zu sein , folgert laut Medienberichten auch das Amtsgericht Tiergarten die Notwendigkeit der Verhängung der viermonatigen Freiheitsstrafe.
Mit ebendieser Begründung verneinten die Gerichte aber zugleich die Möglichkeit, die kurzen Freiheitsstrafen zur Bewährung auszusetzen. Das Amtsgericht Heilbronn argumentierte, es könnte nicht erwartet werden, „dass die Angeklagten auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine weiteren Straftaten mehr begehen werden“. Das Gericht erkannte zwar in diesem Fall, dass die Angeklagten erstmals zu einer Freiheitsstrafe verurteilt würden, teilweise ja sogar zum ersten Mal überhaupt vor Gericht standen. Dennoch sei nach Auffassung der Richterin eine Einwirkung nur mittels Strafvollzugs „als einzig zur Verfügung stehendes Mittel“ zu erreichen, denn die Angeklagten hätten „glaubhaft und nachdrücklich bekundet (…), von neuen gleichgelagerten Straftaten durch kein Urteil der Welt abzuhalten zu sein“.
Verkannte Alternativen
Soweit das Amtsgericht Heilbronn allein auf die Ankündigung weiterer Straftaten abstellt, scheint es das Verhältnis von § 47 StGB und § 56 StGB zu verkennen. Derselbe Grund, nämlich die Ankündigung weiterer Straftaten, wird sowohl für die Frage der Unerlässlichkeit i.S.d. § 47 Abs. 1 StGB als auch für die positive Legalprognose i.S.d. § 56 Abs. 1 StGB herangezogen. Die Annahme, dass es „unerlässlich“ ist, auf den Täter einzuwirken, ist aber, wie gesagt, unabhängig von der positiven Legalprognose i.S.d. § 56 Abs. 1 StGB. Daher müssen in die Überlegungen hinsichtlich der Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe auch diejenigen Wirkungen einbezogen werden, die mit einer Strafaussetzung zur Bewährung unter Auflagen und Weisungen, ggf. unter Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers, gem. §§ 56a ff StGB erreicht werden könnten.3)
Jedenfalls das Amtsgericht Heilbronn hat solche Überlegungen aber überhaupt nicht angestellt. Und hier kommt ein zentrales Problem des strafrechtlichen Antwortspektrums auf klimaaktivistische Straftaten zum Ausdruck. Es mag zunächst kontraintuitiv erscheinen, aber denken wir einmal konsequent zu Ende, was das Amtsgericht Heilbronn und offenbar auch das Amtsgericht Tiergarten für die Unerlässlichkeit der Freiheitsstrafe als tragendes Argument heranzieht: Wenn das Gericht tatsächlich davon überzeugt ist, dass „kein Urteil der Welt“ sie davon abhalten könne, weiterhin gleichgelagerte Straftaten zu begehen und vor allem Geldstrafen sie nicht treffen würden, dann muss das Gericht auch davon ausgehen, dass auch der eigene Rechtsfolgenausspruch sie davon nicht abhalten wird. Das schreit doch förmlich danach, Alternativen in den Blick zu nehmen, für die man, je nach Ausgabe des Gesetzestextes, höchstens zwei Seiten weiter blättern muss: Wenn man eine kurze Freiheitsstrafe für unerlässlich hält, weil die Angeklagten ankündigen, sich von dem Urteil nicht beeindrucken zu lassen, könnten Bewährungsauflagen und -weisungen i.S.d. §§ 56b, c StGB eine bessere Lösung darstellen. Sie ermöglichen nämlich ein breiteres Reaktionsspektrum, in dessen Rahmen auch auf die spezielle Konfliktstruktur der Klima-Protesttat und auf die Täterpersönlichkeit und dessen Überzeugungen eingegangen werden kann. Während Bewährungsauflagen der „Genugtuung für begangenes Unrecht dienen“ (vgl. § 56a Abs. 1 StGB), haben Weisungen eine klar spezialpräventive Zielsetzung und sollen dabei helfen, keine weiteren Straftaten mehr zu begehen (§ 56c Abs. 1 S. 1 StGB). Das Gesetz macht in § 56c Abs. 2 StGB nur Vorschläge („namentlich“) für bestimmte Arten von Weisungen. Prinzipiell ist jede Weisung denkbar, die dabei helfen kann, dass der Täter in Zukunft keine Straftaten mehr begeht. Hier besteht Spielraum, Konfliktlösungen zu entwickeln, die die Konfliktstruktur klimaaktivistischer Straftaten adäquater adressieren können.
Die Konfliktstruktur klimaaktivistischer Straftaten
Die Tendenz härterer Sanktionierung klimaaktivistischer Straftaten durch Verhängung kurzer Freiheitsstrafen ohne Bewährung scheint die Konfliktstruktur der Klima-Proteste indes mehr und mehr aus den Augen zu verlieren. Zugegeben: Die klimaaktivistischen „Straftäter“ unterscheiden sich von durchschnittlichen Straftätern hier darin, dass sie ihre weitere Tatbereitschaft vor Gericht offen signalisieren. Und trotzdem liegt die Annahme „besonderer Umstände“ i.S.v. § 47 Abs. 1 StGB nur bei oberflächlicher Betrachtung nahe. Es muss doch danach gefragt werden, welche Bewertungsrichtung dieser Umstand hat. Klima-Proteste sind gerade dadurch gekennzeichnet, dass die „Straftaten“ letztlich auf Wiederherstellung eines gesetzmäßigen Zustandes abzielen – die Einhaltung völkerrechtlich verbindlicher Klimaschutzziele und die Erhaltung natürlicher Lebensgrundlagen als Basis der Entfaltung alles Politischen und der Gesellschaftsordnung. Auch das unterscheidet sie von herkömmlicher Kriminalität. Eine Rechtfertigung der Straftaten wegen eines rechtfertigenden (Klima-)Notstandes (§ 34 StGB) mag man unter Verweis auf den Vorrang der Gefahrenabwehr durch den Staat und den verbindlichen Regeln demokratischer Partizipation mit guten Gründen ablehnen (nicht nur wir, sondern auch Ronen Steinke hat kürzlich darauf hingewiesen, dass auch dieser „Vorrang“ irgendwann sein Ende findet). Aber muss die Antwort wirklich Knast sein? Ja, es liegen besondere Umstände vor, aber sind das solche, die § 47 Abs. 1 StGB meint, um eine Freiheitsstrafe zu rechtfertigen?
Nun könnte man einwenden, dass es gerade Wesensmerkmal des zivilen Ungehorsams ist, für strafrechtliche Konsequenzen einzustehen. Ohne Einstehen für die strafrechtlichen Konsequenzen komme dem Protest die Symbolkraft abhanden, so hört man in letzter Zeit häufiger. Offenbar scheint man den (nicht strafrechtlichen!) Begriff des zivilen Ungehorsams mittlerweile dazu zu benutzen, eine Bestrafung von Klimaaktivisten zu rechtfertigen, ja sogar als zwingend anzusehen. Das kann nicht sein. Wie viele andere Aktivisten auch, will zum Beispiel die verurteilte Aktivistin Maja jedenfalls für diese strafrechtliche Konsequenz nicht einstehen. Das hat sie in einem Video auf Twitter zum Ausdruck gebracht. Dann ist die Tat – jedenfalls nach Ansicht Einiger – vielleicht kein ziviler Ungehorsam. Ja und?
Noch ein Wort zum Knast
Dass „die kurze Freiheitsstrafe an und für sich … nichts taugt“, hat Franz v. Liszt schon vor knapp 120 Jahren erkannt.4) Das gilt besonders für kurze Freiheitsstrafen, die in der Regel mehr schaden als nützen, weil sich die (übrigens auch mehr als fraglichen) positiven Wirkungen des Vollzugs einer Freiheitsstrafe in der kurzen Zeit überhaupt nicht entfalten können. Dafür drohen aber die schädlichen, vor allem desozialisierenden, stigmatisierenden und psychischen Wirkungen der Haft in voller Härte. Der Gesetzgeber hat sich mit dem 1. StrRG und 2. StrRG aber trotz dieser Erkenntnis nicht zu einer Abschaffung kurzer Freiheitsstrafen, sondern nur zu der Kompromisslösung des § 47 StGB durchringen können. Damit werden in Ausnahmefällen die schädlichen Haftwirkungen in Kauf genommen, die gerade einem zu kurzer Freiheitsstrafe Verurteilten – und damit neben den beiden vom Amtsgericht Heilbronn Verurteilten auch der 24-jährigen Aktivistin Maja – überproportional intensiv drohen. Der Begriff des unmittelbaren Haftschocks beschreibt dabei gut, was insbesondere Erstverbüßer in den ersten Tagen im Gefängnis erleben. Die plötzliche Isolation, die Trennung von Freunden, Familie und dem sozialen Umfeld und der Verlust von Autonomie sind dabei nur beispielhafte psychosoziale Belastungsfaktoren einer Inhaftierung. Durch das Gefühl, plötzlich aus dem Leben gerissen zu sein, erhöht sich das Risiko erheblicher psychischer Beeinträchtigungen wie zum Beispiel Depressionen. Daher verwundert es nicht, dass die Suizidrate sich im Strafvollzug befindlicher Personen überproportional groß ist, nämlich 5,6-mal höher bei männlichen und 8,6-mal höher bei weiblichen Inhaftierten im Vergleich zur männlichen bzw. weiblichen Allgemeinbevölkerung.5)
Gesunder Menschenverstand?
Mit der Verurteilung zu kurzen Freiheitsstrafen gehen das Amtsgericht Heilbronn und das Amtsgericht Tiergarten zum Äußersten, was das Strafrecht an Sanktionsform hergibt, um Aktivisten von der Straße zu holen. Am Ende sollte sich vielleicht jeder und jede einmal ganz frei davon machen, ob die Entscheidungen der Gerichte juristisch vertretbar und die Klima-Proteste das angemessene Mittel sind, um die Bundesregierung zur Einhaltung des Rechts zu bewegen und sich ernsthaft fragen: Ist die drohende Zerstörung der sozialen Existenz junger Menschen durch Einsperren in einen Haftraum eine angemessene Antwort darauf, sich dafür einzusetzen, dass die natürlichen Lebensgrundlagen unser aller geschützt werden?
References
↑1 | Hinweis: Aufgrund einiger Rechtsprechungszitate im generischen Maskulin haben wir uns aus Einheitlichkeits- und Übersichtlichkeitsgründen für eine ausnahmsweise Verwendung des generischen Maskulins insgesamt entschieden. |
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↑2 | Zum Ganzen Meier, Strafrechtliche Sanktionen, 5. Aufl. 2019, S. 93 f. |
↑3 | Vgl. Meier, Strafrechtliche Sanktionen, 5. Aufl. 2019, S. 94 f. |
↑4 | von Liszt, Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge (Bd. 1). Berlin: J. Guttentag, 1905, S. 346. |
↑5 | Opitz-Welke/Bennefeld-Kersten/Konrad/Welke, Prison suicides in Germany from 2000 to 2011, International Journal of Law and Psychiatry 36 (2013), 386–389; nochmal höher ist die Suizidrate wiederum für Personen in Untersuchungshaft. |
“Am Ende sollte sich vielleicht jeder und jede einmal ganz frei davon machen, ob die Entscheidungen der Gerichte juristisch vertretbar… sind”
Ich lobe zumindest die gnadenlose Ehrlichkeit dieses letzten Absatzes in Bezug auf die Intention der Autoren. Damit haben sie anderen Kollegen viel voraus, die sowas unter dem Deckmantel der Rechtsdogmatik heraus geschrieben haben wollen.
Abseits davon kann ich dieser Aussage jedoch in keinem erdenklichen Fall zustimmen. Worum sollte sich ein Jurist sonst kümmern, wenn nicht um die rechtlichen Konsequenzen dieses Verhaltens?
Liebe/-r Pyrrhon von Elis,
da liegt glaube ich ein Missverständnis vor, was wir meinen – die Bedeutung des Satzes ist in der Tat ambivalent. Was wir an dieser Stelle sagen wollen, ist, dass die juristische Bewertung womöglich schon auch “irgendwie” vertretbar ist – es gibt eben kein exaktes Ergebnis in normativen Fragen –, dass man sich doch aber unabhängig davon, dass es vielleicht juristisch vertretbar ist, einmal Fragen sollte, ob Knast wirklich die beste Antwort auf das Verhalten sein kann (ein Stichwort wäre hier vielleicht auch “autoritärer Legalismus”).
Und sehen Sie es uns bitte nach, dass wir über die Ausräumung dieses Missverständnisses hinaus nicht weiter in eine inhaltliche Diskussion einsteigen wollen, das können wir gerne im Rahmen einer Veranstaltung persönlich oder durch weitere Veröffentlichungen.
Viele Grüße
Alles in Ordnung. Allerdings hört für mich die Diskussion ab der Feststellung des Verdikts “vertretbar” auf, wenn es denn so getroffen wurde. Zumindest aus juristischer Perspektive.
Deswegen würde ich eine solche Diskussion angesichts der jetzigen Rechtslage überhaupt nicht führen wollen. Es gäbe sicherlich libertäre Theoretiker, die in jeder Form der Steuererhebung eine Form “autoritären Legalismus'” erblicken, allerdings begegne ich diesen Personen mit demselben Schulterzucken, das ich hier an den Tag lege.
dura lex, sed lex.
Das entscheidende Problem lässt der Beitrag leider unbehandelt und begnügt sich stattdessen mit dem Abgrasen von Allgemeinenschauplätzen, wie der erhöhten Suizidalität im Strafvollzug.
Die Autoren kritisieren, dass die Gerichte nicht den gesetzlichen Spielraum ausgenutzt und keine Konfliktlösungen entwickelt hätten, die die Konfliktstruktur klimaaktivistischer Straftaten adäquater adressieren könnten.
Leider pubktet der Beitrag an diesem, für ihre Argumentation entscheidend, Punkt mit ohrenbetäubenden Stille. Wie sähe denn eine solche Konfliktlösung aus, fragt sich der gemeine Leser? Und worin besteht nun der Mehrwert in diesem Beitrag? Die Zusammenfassung der Rechtsprechung finde ich auch im Kommentar, danke!
Liebe:r Roman,
Bei der Lektüre des Artikels hat sich mir zunächst auch diese Frage aufgedrängt, was ein (wohlwollendes) Gericht denn tatsächlich für Möglichkeiten im Rahmen von Auflagen nach § 56b Abs. 2 S. 1 StGB hätte, um der „Konfliktstruktur klimaaktivistischer Straftaten“ in sachgerechter Weise zu begegnen. Zugleich könnte der Aktivistin so gezeigt werden, dass ihr Protest gegen die offensichtlich und anerkannt unzureichende Klimapolitik der Bundesrepublik zwar nachvollziehbar ist, sich aber des falschen Mittels bedient. Als Auflage könnte demnach in Betracht kommen, was auch in der breiten Öffentlichkeit oft als Vorschlag genannt wird:
– Einen (hohen) Geldbetrag an Wiederaufforstungsprojekte oder zu zahlen
– Selbst einige Bäume zu pflanzen, die CO2 binden
– Einen (hohen) Geldbeitrag an politische Klimaschutzorganisationen zu zahlen
– Durch z.B. Vorträge an Schulen oder der VHS auf die Dringlichkeit der Klimakrise aufmerksam zu machen
– Sich über politische Parteien in Deutschland zu informieren
– Sich über Möglichkeiten zu informieren, den individuellen CO2-Fussabdruck zu senken
– An friedlichen Versammlungen teilzunehmen
Aber glauben Sie, dass dadurch die Klimakrise aufgehalten würde, deren Lösung nach schnellen und politischen Taten verlangt? Ich auch nicht. Und deswegen ist der Protest der Aktivistin vielleicht doch das beste Mittel…
Im Übrigen stimme ich der auch von Ihnen unwidersprochenen Erkenntnis der beiden Autor:innen zu, dass eine unbewährte Freiheitsstrafe ihren Zweck verfehlt, wenn zugleich das Gericht selbst davon überzeugt ist, dass eine Freiheitsstrafe die Aktivistin zumindest nicht über den Zeitraum derselben hinaus von ähnlichen Protesten abhalten wird – was ich aber für einen nur unzureichenden Zweck einer solchen Freiheitsstrafe halte.
Gruss,
WMR
“Am Ende sollte sich vielleicht jeder und jede einmal ganz frei davon machen, ob die Entscheidungen der Gerichte juristisch vertretbar und die Klima-Proteste das angemessene Mittel sind, um die Bundesregierung zur Einhaltung des Rechts zu bewegen…”
Ist es denn gerichtlich festgestellt worden, dass die aktuelle Bundesregierung das Recht nicht einhält? Das oft zitierte Urteil des BVerfG zum Klimaschutzgesetz wurde ja vom Bundesgesetzgeber umgesetzt und die neue BRegeriung hat darüber hinaus noch weitere Schutzmassnahmen vorgenommen. Woher kommt die Sicherheit, dass die Ampel Recht nicht einhält?
Es muss einen umtreiben, wenn in rechtswissenschaftlichen Kreisen die Preisgabe der Unverbrüchlichkeit unserer Rechtsordnung ernsthaft als „gesunder Menschenverstand“ verbrämt wird. Denn nichts anderes würde es bedeuten, wenn man die sogenannten „Aktivisten“ im Grunde sanktionslos gewähren ließe (insb. weil Geldstrafen überwiegend durch Spendengelder beglichen werden oder ohnehin kein pfändbares Vermögen vorhanden ist und daher keine abschreckende Wirkung entfalten). Bezeichnend in diesem Zusammenhang waren bereits Wenglarczyks Nöte in einem vorhergehenden Verfassungsblog-Beitrag bei der Suche nach einer juristischen Begründung für die Straffreiheit von Klebe-Blockaden, die über einen abwegigen Verweis auf § 60 StGB und die strafprozessuale Verfahrenseinstellung nicht hinausging. Und auch Co-Autorin Wolf wollte (wie das AG Flensburg) den Hausfriedensbruch eines Baumbesetzers als gerechtfertigt („Klimaschutz als rechtfertigender Notstand) wissen.
Nachdem das AG Heilbronn die Haftstrafen gegen die beiden „Klimaaktivisten“ verhängte, haben sie im Übrigen noch am selben Tag wieder eine Straße blockiert. Welchen konkreten Inhalt hätten denn die hier nach Auffassung der Autoren zu erteilenden Weisungen (ggf. unter Einsatz von Bewährungshelfern) haben müssen? Die Anregung, „Konfliktlösungen zu entwickeln, die die Konfliktstruktur klimaaktivistischer Straftaten adäquater adressieren können“ ist in diesem Zusammenhang eine leere Phrase.
Wenglarczyk präsentiert auch in seinem anderen Verfassungsblogeintrag jedoch keinen konkreten Ansatz, wie die von ihm eingeforderte „konstruktive, gemeinsame Lösung“ bzw. die „Spielräume für konstruktive Konfliktschlichtung“ letztlich aussehen könnten, was auch nicht überrascht. Denn solches „Aushandeln“ hat eben im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung unseres Gemeinwesens, d.h. durch Beteiligung am gewaltfreien politischen Diskurs zum Zwecke der demokratischen Herbeiführung von Mehrheiten für das jeweilige Anliegen stattzufinden; ein in diesem Fall geradezu buchstäbliches „Gesetz der Straße“ darf es auch hier nicht geben.
Die von den „Aktivisten“ in der Klima-Debatte aufgeworfenen Untergangsszenarien und der daraus abgeleitete Absolutheitsanspruch, dem sich alle anderen Staatsziele ausnahmslos, d.h. ohne jede Güterabwägung, unterzuordnen hätten, machen die „Letzte Generation“ hingegen unberechenbar und gefährlich. Denn bei einer solchen Verabsolutierung des Anliegens kann dessen wirkliche oder auch nur wahrgenommene Erfolglosigkeit in der logischen Konsequenz nur zu einer weiteren Radikalisierung frustrierter und fanatischer Teile dieser Gruppierung führen.
Da erscheint es höchst bedenklich, wenn Jana Wolf in ihrem Verfassungsblog-Beitrag zum Urteil des AG Flensburg bekundet, dass mit „zunehmendem Fortschritt des Klimawandels und konstant unzureichenden Maßnahmen“ eine Durchbrechung des staatlichen Gewaltmonopols „jedenfalls nicht fern[läge]“ und von beiden Autoren auch in diesem Beitrag wiederholt wird, dass der „Vorrang“ des staatlichen Gewaltmonopols „irgendwann sein Ende [fände]“. “