20 December 2023

Warum wir einen Verbotsvertrag für fossile Brennstoffe brauchen

Als sich die COP28 letzte Woche dem Ende zuneigte, waren viele enttäuscht. Die erste globale Bestandsaufnahme, die als die zentrale Entscheidung der Konferenz gilt, wurde nach intensiven Verhandlungen nur in stark verwässerter Form angenommen. Die COP 28 konnte sich weder auf die überfällige Aufforderung einigen, die derzeitige Ausbeutung fossiler Brennstoffe auslaufen zu lassen („phasing out”), noch die Erkundung neuer fossiler Brennstoffe zu stoppen. Stattdessen wurden nur die Aufforderung zu einem nicht näher spezifizierten “Übergang” („transition away“) weg von fossilen Brennstoffen in den Energiesystemen sowie zu beschleunigten Bemühungen um einen „phase down“ aus der unverminderten Kohleverstromung beschlossen.

Die Weigerung einiger Staaten, die Notwendigkeit eines schnellen Ausstiegs aus allen fossilen Brennstoffen anzuerkennen, um die globale Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen, steht im Widerspruch zu jüngsten wissenschaftlichen Berichten, die eindeutig bestätigen, dass eine weitere Ausweitung der Öl-, Gas- und Kohleförderung es unmöglich machen wird, die globale Erwärmung innerhalb der im Pariser Abkommen festgelegten Grenzen zu halten. Dennoch planen Regierungen aus rohstoffreichen Ländern aktuell bis 2030 mehr als doppelt so viele fossile Brennstoffe zu fördern, als die 1,5°C-Grenze  erlaubt. Da für COP-Beschlüsse ein Konsens aller beteiligten Parteien erforderlich ist, ist es höchst unwahrscheinlich, dass auf einer COP jemals ein Verbot neuer Explorationen und ein Ausstieg aus der Förderung aus bestehenden Feldern und Minen beschlossen wird. Es überrascht daher nicht, dass die Staaten nach einem alternativen Vorgehen suchen.

Während der Konferenz schlossen sich Palau, Kolumbien, Samoa und Nauru offiziell der Forderung nach einem Vertrag über die Nichtverbreitung fossiler Brennstoffe an. Die Ankündigungen erfolgten in Dubai, während viele Organisationen der Zivilgesellschaft und Regierungsdelegationen sich noch für einen COP-Beschluss zum Ausstieg aus der Förderung fossiler Brennstoffe einsetzten. Diese eigenständige Vertragsinitiative, die vom Europäischen Parlament, der WHO sowie von zahlreichen Städten und wissenschaftlichen Einrichtungen unterstützt wird, wird von 12 Staaten angeführt, von denen 11 Inselstaaten sind, die am stärksten von der Klimakrise betroffen sind. In diesem Blogbeitrag werde ich eine erste Bewertung dieses Vorschlags im Kontext anderer aktueller Vertragsinitiativen vornehmen, die gegen den ausdrücklichen Willen und den aktiven Widerstand mächtiger Staatengruppen versuchen, internationale Rechtsstrukturen zu reformieren.

Wie ich darlegen werde, ist es in der Tat eine gute Idee, einen neuen Vertrag über das Verbot der Förderung fossiler Brennstoffe auszuhandeln, auch wenn sich einige Öl, Gas und Kohle exportierende Länder weigern, daran teilzunehmen. Der Vertrag sollte jedoch nicht nach dem Vorbild des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV) gestaltet werden, der fünf Kernwaffenstaaten das ausschließliche Recht auf den Besitz von Kernwaffen einräumt. Stattdessen sollte der Vertrag über fossile Brennstoffe dem neueren Vertrag über das Verbot von Atomwaffen (TPNW) nachempfunden sein, der Atomwaffen für alle Vertragsstaaten verbietet. Letzterer wurde 2017 von den Staaten ohne Atomwaffen gegen den erbitterten Widerstand der Atomwaffenstaaten angenommen, um den ins Stocken geratenen Abrüstungsbemühungen im Rahmen des alten und immer noch bestehenden NVV neues Leben einzuhauchen.

Ein neuer Vertrag über fossile Brennstoffe sollte jegliche Exploration und Ausbeutung neuer fossiler Brennstoffressourcen verbieten und gleichzeitig gemeinsame, aber differenzierte Verpflichtungen hinsichtlich der Beendigung der derzeitigen Förderung enthalten. Die Mitgliedstaaten wären nicht nur verpflichtet, die weitere Exploration zu verbieten, sondern auch die Einfuhr von fossilen Brennstoffen aus neuen Feldern und Minen. Trotz der zu erwartenden Nichtbeteiligung einiger Länder, die fossile Brennstoffe exportieren, würde dieses neue Instrument politischen Druck auf alle Regierungen weltweit ausüben, um die Ausbeutung fossiler Brennstoffe zu beenden und die weltweiten Finanzinvestitionen von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien umzulenken. Selbst wenn es dem neuen Vertrag an starken Durchsetzungsmechanismen mangelte und die Beteiligung nicht universell wäre, hätte er wohl dennoch eine dringend benötigte normative und symbolische Wirkung. Ein Verbot der eigentlichen Ursache der Klimakatastrophe würde eine Reihe extraktiver Praktiken ächten, die bis in die 1970er Jahre als produktive und relativ billige Grundlage für industrielles Wachstum galten, die aber, wie wir heute wissen, die Lebensgrundlage von Menschen und anderen Lebewesen auf diesem Planeten zerstören.

„Corrective Treaty Making“ oder wie die Betroffenen das Völkerrecht selbst in die Hand nehmen

Corrective treaty-making wird auch in anderen Bereichen des Völkerrechts von breiten Koalitionen kleiner und mittlerer Staaten zusammen mit Organisationen der Zivilgesellschaft genutzt, um dringende Reformen in internationalen Vertragsregelungen voranzubringen. Es handelt sich dabei um eine  kreative Reaktion auf einen wahrgenommenen institutionellen Stillstand, der häufig durch mächtige Staaten verursacht wird, die den rechtlichen und politischen Status quo verteidigen. Im Bereich der Abrüstung sehen wir neue Koalitionen der nuklearen “Habenichtse”, die in vielerlei Hinsicht mit dem alten rechtlichen Status quo des Atomwaffensperrvertrags (NPT) brechen und die Atomwaffenstaaten mit einem neuen ergänzenden Vertragsregime (TPNW) konfrontieren. Das Konzept solcher Koalitionen ist keineswegs neu. Bedjaouis Begriff der “solidarité de combat“, der von Wissenschaftlern in der Ära der Entkolonialisierung verwendet wurde, ist kürzlich von Arnulf Becker Lorca in seiner Analyse der gemeinsamen Antworten und neuen Vertragsprojekte von Ländern und Aktivisten aus dem globalen Süden nach der Covid-Pandemie innerhalb der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wiederbelebt worden.

Auch im Hinblick auf die Klimakrise haben breite Koalitionen kleinerer Staaten, angeführt von kleinen Inselstaaten, in den letzten Jahren bereits beträchtlichen Druck auf die Großmächte ausgeübt, um institutionelle Reformen einzuführen. Hierzu zählt etwa der Versuch, neue rechtliche Möglichkeiten für ein Recht auf Entschädigung für klimabedingte Schäden für “besonders betroffene” (most affected) Länder zu erkunden, indem unter der Führung von Vanuatu bei der UN-Generalversammlung ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs beantragt wurde. Im Gegensatz zur Ära der Entkolonialisierung setzen sich diese breiten Koalitionen kleiner und mittlerer Staaten nicht unbedingt nur aus Staaten des globalen Südens zusammen. Was diese Koalitionen verbindet, ist die gemeinsame Reaktion auf einen wahrgenommenen Stillstand oder gar Rückschritt bei der Verwirklichung der Ziele der jeweiligen völkerrechtlichen Regime. Auch wenn der Grad der Koordinierung und des Konflikts innerhalb dieser Koalitionen variiert, können sie wohl als gemeinsame Versuche der kleinen Staaten und der Zivilgesellschaft angesehen werden, Regimen Leben einzuhauchen, deren inhaltliche Ziele nicht nur für diese Staaten von existenzieller Bedeutung sind.

All dies fällt mit einem anderen aktuellen Trend in internationalen Institutionen zusammen, nämlich der Verlagerung von der klassischen NGO-Vertretung hin zu privilegierten Mitwirkungsrechten der “am meisten betroffenen Organisationen”. NGOs mit Sitz im Norden wurden in den letzten zehn Jahren durch Basisorganisationen ersetzt, die sich hauptsächlich aus Einzelpersonen zusammensetzen, die persönlich von den Entscheidungen eines bestimmten Regimes betroffen sind, wie z. B. Kleinbauern aus dem globalen Süden in der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation. Zusammengenommen rechtfertigen es diese Trends, von “Koalitionen der am stärksten Betroffenen” zu sprechen, an denen sowohl öffentliche als auch private Akteure beteiligt sind, die sich derzeit auf unterschiedliche Weise gegen internationale Normen und Institutionen wehren bzw. diese verändern.

Die beobachteten Koalitionen versuchen, wahrgenommene Regimemängel durch neues verbindliches Recht zu korrigieren, sei es innerhalb, neben oder über bestehende Rechtssysteme hinweg. Surabhi Ranganathan hat in ihrer bahnbrechenden Arbeit über “strategisch geschaffene Vertragskonflikte” gezeigt, wie es Hegemonialmächten (insbesondere den Vereinigten Staaten) gelungen ist, multilaterale Vertragsregime durch eine strategische Verlagerung in die bilaterale Vertragsgestaltung Druck ausüben , um den Zielen von großen rechtssetzenden Konventionen wie dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen oder dem Römischen Statut entgegenzuwirken. In ähnlicher Weise, wenn auch gewissermaßen umgekehrt, versuchen breite Koalitionen der am stärksten Betroffenen derzeit, neues multilaterales Vertragsrecht zu schaffen, um Druck auf eine kleine Zahl von Hegemonialmächten auszuüben. Eines der ersten Beispiele für eine gegenhegemoniale Vertragsgestaltung durch breite Koalitionen der am stärksten Betroffenen war der Internationale Vertrag über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft, bekannt als “Seeds Treaty”, der zu Beginn des neuen Jahrtausends versuchte, ein hegemoniales, westlich dominiertes vertragliches System des geistigen Eigentumsschutzes für landwirtschaftliches Saatgut nachhaltig zu korrigieren.

Diese beobachteten Prozesse der korrigierenden Vertragsgestaltung zielen in der Regel darauf ab, vage formulierte Ziele bestehender Regelungen in konkrete, verbindliche und daher nun wirksame Verpflichtungen der Staaten umzuwandeln. Sie können auf substanzielle Reformen eines bestimmten Rechtssystems hinauslaufen, indem sie neue konkurrierende Normen gegen den Widerstand status-quo-orientierter Regierungen und privater Akteure schaffen. Natürlich kann der gemeinsame Rückgriff der Betroffenen auf neues Vertragsrecht diejenigen Staaten nicht binden, die diese Konventionen nicht ratifizieren. Ein solcher Gegen- oder Ergänzungsvertrag trägt aber dessen ungeachtet dazu bei, eine neue Norm zu schaffen, indem er politischen Druck auf eine zunehmend isolierte Gruppe von Regierungen ausübt und fortbestehende schädliche Praktiken anprangert. Die notwendige Abkehr von fest etablierten wirtschaftlichen und sozialen Praktiken erfordert immer auch zuerst einen Wandel von Werten und Normen. Ein solcher Wandel kann durch völkerrechtliche Verbote gefördert werden.

Ein Verbotsvertrag für fossile Brennstoffe

Nach dem Vorbild dieser Vorläufer, insbesondere des Vertrags über das Verbot von Kernwaffen (TPNW), sollte der neue Vertrag die Exploration fossiler Brennstoffe verbieten und klare Fristen für die weitere Förderung aus bestehenden Feldern und Minen setzen. Er sollte auch eine Bestimmung zur Stärkung der Zusammenarbeit bei der Umstellung der Energieinfrastrukturen von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien enthalten. Um den Grundsatz der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten zu wahren, müssten Länder, deren Pro-Kopf-Emissionen unter dem Schwellenwert liegen, der zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze erforderlich ist, später aussteigen als diejenigen, die pro Kopf und Jahr mehr emittieren, als ihr verbleibender Anteil an den Emissionen erlaubt. Der neue Vertrag, der von den am stärksten Betroffenen initiiert und hoffentlich von einer breiten Staatenkoalition unterstützt wird, würde neben dem Pariser Abkommen stehen und sich auf dessen verbindliche Ziele beziehen. Abgesehen von einem Überwachungsmechanismus, an dem der Internationale Ausschuss für Klimaänderungen (IPCC) beteiligt sein könnte, sollte der Vertrag keine neuen institutionellen Strukturen oder Durchsetzungsmechanismen vorsehen. Seine primäre Rolle wäre die einer (symbolischen) Normentransformation, eine Rolle, die das Völkerrecht traditionell recht erfolgreich zu spielen vermag.

Schon aus Zeitgründen scheint klar, dass die weitere Ausbeutung fossiler Brennstoffe vor dem Eintritt von weiteren Kipppunkten für das Weltklima nicht durch eine mächtige globale institutionelle Struktur zur Regulierung der Weltwirtschaft abgewendet werden wird. Stattdessen wird sie entweder durch lokale und nationale Maßnahmen abgewendet, die sich gegen die Ausbeutung fossiler Brennstoffe zur Wehr setzen, und auf einen schnellen Übergang zu erneuerbaren Energien drängen, oder sie wird weiterhin verheerende Folgen für unseren Planeten haben. Eine rechtliche Ächtung in Form neuen Völkervertragsrechts könnte lokalen und nationalen Akteuren bei ihren widerständigen Maßnahmen, einschließlich strategischer Prozessführung, gegen einen zunehmend lebensbedrohlichen Status quo zur Seite stehen.


SUGGESTED CITATION  von Bernstorff, Jochen: Warum wir einen Verbotsvertrag für fossile Brennstoffe brauchen, VerfBlog, 2023/12/20, https://verfassungsblog.de/warum-wir-einen-verbotsvertrag-fur-fossile-brennstoffe-brauchen/, DOI: 10.59704/e160f6807cecbb61.

2 Comments

  1. Harald Okun Thu 21 Dec 2023 at 12:33 - Reply

    Eine gute Idee, um ein positives Netzwerk zu schmieden. Hoffen wir, dass da viele Senfkörner eine schnelle und mächtige Wirkung entfalten.

    • Weichtier Thu 21 Dec 2023 at 15:27 - Reply

      Der Verweis auf die Senfkörner ist sehr schön. Mk 4,30-32: „Und er sprach: Womit wollen wir das Reich Gottes vergleichen, und durch welches Gleichnis wollen wir es abbilden? Es ist wie mit einem Senfkorn: Wenn das gesät wird aufs Land, so ist’s das kleinste unter allen Samenkörnern auf Erden; und wenn es gesät ist, so geht es auf und wird größer als alle Kräuter und treibt große Zweige, sodass die Vögel unter dem Himmel unter seinem Schatten wohnen können.

      Bislang handelt es sich bei den 12 Staaten noch um vergleichsweise kleine Senfkörner. Kolumbien liegt nach dem BIP irgendwo um Platz 40 und Fidschi (größter der 11 Inselstaaten) hinter Platz 150 (von knapp 200 Staaten).

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