Selbstverteidigung gegen Schmerzgriffe
Gegen rechtswidrige Polizeieinsätze darf man sich wehren, auch mit dem „scharfen Schwert“ der Notwehr. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der handelnde Beamte seine Kompetenzen bewusst überschreitet oder wenn er sich über die rechtlichen Eingriffsvoraussetzungen irrt. Wen die Polizei in offensichtlich rechtswidriger Weise mit sogenannten Schmerzgriffen konfrontiert, der darf sich also hiergegen verteidigen. Auch andere Personen dürfen dann einschreiten, den Betroffenen zu Hilfe eilen und den Schmerzgriff mittels Gewalt beenden (sogenannte Notwehrhilfe).
Continue reading >>Schmerzgriffe und Menschenrechte
Polizeiliche Schmerzgriffe bei einer Sitzblockade gegenüber sich absolut passiv verhaltenen Demonstrierenden verletzen deren Menschenrechte. Sie verstoßen nicht nur gegen das Verbot erniedrigender Behandlung aus Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention, sondern auch gegen die Menschenwürde, die zu achten und zu schützen nach Art. 1 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz Aufgabe aller staatlichen Gewalt ist. Entgegen der teilweise von den Bundesländern vertretenen Position finden die Schmerzgriffe schon in den polizeirechtlichen Vorschriften über den unmittelbaren Zwang keine Rechtsgrundlage.
Continue reading >>Effiziente Praktik oder Gift für den freiheitlichen Rechtsstaat?
Gewaltsames Handeln der Polizei kann nach den Polizeigesetzen der Länder, wenn es verhältnismäßig ist, als „unmittelbarer Zwang“ rechtmäßig sein und vielfach ist es auch erforderlich, um polizeiliche Aufgaben zu erfüllen. Ob dies auch für polizeiliche Schmerzgriffe gegen rein passiv Protestierende vor oder während der Räumung einer Straßenblockade gilt, erscheint jedoch zweifelhaft: Handelt es sich bei extremer Schmerzzufügung gegenüber den Betroffenen überhaupt um unmittelbaren Zwang im Sinne des Polizeirechts? Und kann diese Praxis tatsächlich noch als verhältnismäßig angesehen werden?
Continue reading >>GDPR Overreach?
After Meta introduced this model for its social networking services Facebook and Instagram in November 2023, several national data protection authorities called on the EDPB to clarify the compatibility of this model with the GDPR. Data protection law is to be used as a lever to prohibit media companies or online service providers from offering a service that is more data-minimalist than the traditional business model. Data protection authorities are therefore faced with the question of whether the GDPR should address "social justice" concerns.
Continue reading >>Paternalistische Freiwilligkeit
Nachdem das Digitalunternehmen Meta ein sog. „Pay-or-Consent“-Modell im November 2023 für seinen sozialen Netzwerkdienst Facebook eingeführt hatte, riefen mehrere staatliche Datenschutzbehörden den EDPB an, um die Vereinbarkeit dieses Modells mit der DSGVO zu klären. In einer grotesken Volte soll das Datenschutzrecht als Hebel dienen, Medienunternehmen oder großen Netzwerkbetreibern das Angebot einer Leistung zu untersagen, die datenminimalistischer ist als das überkommene Geschäftsmodell. Die Datenschutzbehörden stehen damit vor der Frage, ob die Interpretation der DSGVO einen „social justice turn“ vollziehen soll und Anliegen sozialer Gerechtigkeit zum Schutzzweck gemacht werden können.
Continue reading >>Funktionen eines Parteiverbotes
Das Parteiverbotsverfahren konfrontiert die Mitglieder der politischen Gemeinschaft mit der Frage, wo sie die Grenzen des politischen Raums ziehen wollen. Es verlangt eine Entscheidung der Frage, welche politischen Ziele, Werte und Forderungen im politischen Raum – in organisierter Form und mit dem Ziel einer Repräsentation im Parlament – vertreten werden dürfen und welche jenseits einer Tabugrenze liegen. In diesem Beitrag soll die These begründet werden, dass das Gericht den Verbotsmaßstab für ein Parteiverbot 2017 in problematischer Weise reformuliert und dem Anliegen des Art. 21 Abs. 2 GG damit möglicherweise mehr Schaden als Nutzen zugefügt hat.
Continue reading >>Warum wir einen Verbotsvertrag für fossile Brennstoffe brauchen
Während der COP 28 Konferenz schlossen sich Palau, Kolumbien, Samoa und Nauru offiziell der Forderung nach einem Vertrag über die Nichtverbreitung fossiler Brennstoffe an. Die Ankündigungen erfolgten in Dubai, während viele Organisationen der Zivilgesellschaft und Regierungsdelegationen sich noch für einen COP-Beschluss zum Ausstieg aus der Förderung fossiler Brennstoffe einsetzten. Diese eigenständige Vertragsinitiative, die vom Europäischen Parlament, der WHO sowie von zahlreichen Städten und wissenschaftlichen Einrichtungen unterstützt wird, wird von 12 Staaten angeführt, von denen 11 Inselstaaten sind, die am stärksten von der Klimakrise betroffen sind. Wie ich darlegen werde, ist es in der Tat eine gute Idee, einen neuen Vertrag über das Verbot der Förderung fossiler Brennstoffe auszuhandeln, auch wenn sich einige Öl, Gas und Kohle exportierende Länder weigern, daran teilzunehmen.
Continue reading >>Ist der Umgang mit Klimaprotesten in Deutschland menschenrechtswidrig?
Wegen der in vielen Staaten der Welt zunehmenden Repressionen gegenüber friedfertigen Protestbewegungen, die vor allem auf Sitzblockaden zurückgreifen, hatten der UN-Menschenrechtsausschuss und auch der UN-Sonderberichterstatter sich in den letzten beiden Jahren wiederholt zu den menschenrechtlichen Standards im Umgang mit störenden Protestformen geäußert. Die dort identifizierten Gefahren für das Menschenrecht auf Versammlungsfreiheit sind auch für die deutsche Situation aufschlussreich.
Continue reading >>Die planetarische Bürgerrechtsbewegung vor Gericht
Strafrechtliche Verurteilungen aufgrund friedfertigen Klimaprotestes exkludieren potenziell Bürger und Bürgerinnen, die sich für grundrechtlich geschützte Ziele einsetzen, aus dem demokratischen Prozess. Eine sich mit politischen Appellen an die Mehrheit richtende Minderheit wird so kriminalisiert. Ausbildungs- und Berufsbiographien können im Einzelfall gerade bei wiederholter Teilnahme an Protestaktionen durch Vorstrafen zerstört werden. Das kann im demokratischen Rechtsstaat bei konkreter Gefährdung oder Verletzung von Leib und Leben oder Eigentum anderer natürlich gerechtfertigt werden, bei einem friedfertigen Protest für Bürgerrechte aber in der Regel nicht.
Continue reading >>Digital Autonomy in Contractual Relationships
It is rare for two Advocates General of the European Court of Justice to differ on the interpretation of a fundamental legal act of the European Union. This is what recently occurred with regard to the General Data Protection Regulation.
Continue reading >>Digitale Autonomie in Vertragsbeziehungen
Es kommt selten vor, dass zwischen zwei Generalanwälten des Europäischen Gerichtshofs bei der Interpretation eines grundlegenden Rechtsakts der Europäischen Union grundsätzliche Deutungsunterschiede aufbrechen. Dies ist dieser Tage hinsichtlich der Datenschutz-Grundverordnung geschehen.
Continue reading >>Die Stadt, der Müll und der VGH Mannheim
Darf Tübingen eine kommunale Verpackungssteuer auf Einwegverpackungen erheben? Nein, sagt der VGH Mannheim. Die Diskussion um die Rolle der Einheit der Rechtsordnung bei steuerlichen Lenkungsabgaben ist mit dem Urteil aber nicht abgeschlossen, sondern neu eröffnet.
Continue reading >>Objektivitätsillusionen des Verfassungsrechts
In der Diskussion zwischen Ute Sacksofsky und Klaus Ferdinand Gärditz, an der sich jetzt auch Hans Peter Bull beteiligt hat, treffen zwei grundsätzlich unterschiedliche Weltverständnisse aufeinander. Gärditz nähert sich der Welt und dem in ihr zu beobachtenden Geschehen mit der Konstruktion einer eindeutigen Dichotomie. Für subjektives Empfinden, subjektive Weltdeutungen und Selbstverständnisse ist kein Raum. Die kulturtheoretisch sensibilisierte Sichtweise Ute Sacksofskys hingegen entwirft eine vollständig andere Welt.
Continue reading >>Die Enttabuisierung des Körpers
Die Diskussion über Impfpflichten wird moralisch – und moralisierend – geführt. Damit wird die Tiefendimension der Problematik aber nicht erschlossen. Die Einführung einer Impfpflicht ist nicht zuvörderst eine moralisch (oder auch verfassungsrechtlich) zu entscheidende Frage. Es geht vielmehr darum, wie wir uns politisch und gesellschaftlich im Schnittfeld zweier – sich kreuzender – Sinnmuster positionieren wollen, die je für sich einen wichtigen Bestandteil unseres kollektiven Orientierungssystems bilden.
Continue reading >>Exclusion from the EU is Possible as a Last Resort
On 7 October 2021, the Polish Constitutional Tribunal issued a decision that can only be compared to setting off a bomb. Only integrationist dream-walkers could take the position that there is no legal possibility to withdraw the status of EU membership from an EU member state that permanently disregards the conditions of membership.
Continue reading >>Ein Ausschluss aus der EU ist als Ultima-Ratio-Maßnahme möglich
Am 7. Oktober 2021 hat das polnische Verfassungsgericht eine Entscheidung erlassen, die sich nur mit dem Zünden einer Bombe vergleichen lässt. Nur integrationspolitische Traumwandler könnten die Position zu vertreten, dass es keine rechtliche Möglichkeit gibt, einen EU-Mitgliedstaat, der die Mitgliedschaftsbedingungen dauerhaft missachtet, den Status zu entziehen.
Continue reading >>Afghanistan and Great Power Interventionism as Self-Defense
We are still in the process of assessing the outcomes of 20 years of Western military and humanitarian presence in Afghanistan, and of a heartless and chaotic withdrawal. The current and somewhat self-centred debates may obscure considerable collateral legal nihilism. My main argument is that the re-interpretation of Art. 51 UN Charter by the US in the context of the so called “war on terror” was (and still is) an attempt to re-introduce new legal justifications for old forms of great power interventionism.
Continue reading >>Afghanistan und ‘Great Power Interventionism’ als Selbstverteidigung
Wir sind immer noch dabei, die Ergebnisse von 20 Jahren westlicher militärischer und humanitärer Präsenz in Afghanistan und eines herzlosen und chaotischen Abzugs zu bewerten. Diese selbstbezogenen Debatten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der "War on Terror" mit erheblichem rechtlichem Nihilismus einherging. Mein Hauptargument ist, dass die Neuinterpretation von Art. 51 UN-Charta durch die USA im Zusammenhang mit dem so genannten "war on terror" ein Versuch war (und immer noch einer ist), neue Rechtfertigungen für alte Formen des Großmachtinterventionismus einzuführen.
Continue reading >>„Ne bis in idem“ – auch für Mörder?
Vergangenen Freitag, am 11. Juni 2021, hat der Bundestag einen Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD behandelt. Inhalt: Wiederaufnahme im Strafprozess nach rechtskräftigem Freispruch bei Verbrechen wegen Mordes und Verbrechen nach VStGB. Der Entwurf führt ausdrucksstark an, dass die bisherige Rechtslage zu „schlechterdings unerträglichen Ergebnissen führen würde“. Doch Gegner des Vorhabens sehen die Rechtssicherheit in Gefahr, die anders zu beantworten sind, als dies der Gesetzentwurf macht.
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