Wehrhafte Hochschulen und Wissenschaftsfreiheit
Immer wieder fallen sendungsbewusste Professorinnen und Professoren durch schrille Debattenbeiträge auf, bei denen politische Esoteriken, wirre Falschbehauptungen oder Verschwörungstheorien in die Semantik des Wissenschaftlichen gekleidet werden. Die Belastungen der Pandemielage haben eine hässliche Seite der akademischen Welt, die es schon immer gab, lediglich häufiger in Erscheinung treten lassen. Hochschulleitungen haben aus gutem Grund Hemmungen, sich öffentlich zu solchen Äußerungen von Hochschulmitgliedern zu positionieren oder sich – was häufig gefordert wird – davon zu distanzieren, um das Ansehen der Hochschule zu schützen. Auch die rechtliche Gemengelage, die bei einer amtlichen Reaktion zu berücksichtigen wäre, ist verwinkelt.
Wissenschaftsfreiheit oder Meinungsfreiheit?
Wissenschaftliche Äußerungen sind zunächst von bloßen Meinungen zu unterscheiden, weil verfassungsrechtlich hieran unterschiedliche Rechtsfolgen anknüpfen. Die Verfassung gestaltet die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) und die Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) als unterschiedliche Grundrechte aus, die verschiedenen Schranken unterliegen. Zunächst setzen sowohl wissenschaftliche als auch demokratisch-politische Diskurse die Möglichkeit offener Auseinandersetzung über divergente Positionen voraus. Die Meinungsfreiheit dient nicht nur der individuellen Persönlichkeitsentfaltung, sondern auch dem demokratischen Prozess.1) Für die Wissenschaftsfreiheit gilt nichts anderes. Ihre politische Funktion besteht jedoch weniger in der Meinungsbildung, als vielmehr darin, relative Wahrheitsansprüche aufrecht zu erhalten, die der politischen Disposition entzogen sind. Eine von der Meinungsfreiheit abgesetzte Wissenschaftsfreiheit ist in einer freiheitlichen Demokratie auch eine Antwort darauf, dass öffentlicher politischer Diskurs in freier Rede und Gegenrede nicht zwingend zu rationalen Erkenntnissen führen muss.
Im brodelnden Hexenkessel des Dafürhaltens: Meinungen
Die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) ist eben „kein Gütesiegel“,2) sie kommt allen Meinungen zu, unabhängig von ihrer Qualität, Anstößigkeit oder Ernsthaftigkeit. Tatsachenbehauptungen, die sich auf eine „objektive Beziehung zwischen Äußerung und Wirklichkeit“ beziehen,3) genießen den Schutz der Meinungsfreiheit, wenn sie als Grundlage der wertenden Meinungsbildung dienen.4) Das gilt selbst für unwahre Tatsachenbehauptungen.5) Nur wenn sie bewusst unwahr geäußert werden, sollen sie nach dem BVerfG keinen Schutz genießen.6) Hiernach fallen dann auch Verschwörungstheorien, extremistische Positionen oder krude Verirrungen, soweit sie nicht vorsätzlich unwahr sind, unter den Schutz der Meinungsfreiheit. Dafür unterliegen Meinungsäußerungen den vergleichsweise weiten Schranken der allgemeinen Gesetze (Art. 5 Abs. 2 GG).
Methodisch disziplinierte Gegenöffentlichkeit: Wissenschaft
Mit wissenschaftlichen Aussagen verbindet sich hingegen ein – stets relativer und vorläufiger – Richtigkeitsanspruch, der sich auf qualifizierte Gründe stützt. „Free speech makes no distinction about quality; academic freedom does“.7) Wissenschaftliche Kommunikation ist daher auch nicht akademische „Redefreiheit“, also eine besondere Meinungsfreiheit, sondern ein Aliud, das eher als Gegengewicht zur Beliebigkeit des Meinungskampfes fungiert. Wissenschaft im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG wird von der Rechtsprechung als Handlungszusammenhang verstanden, der „nach Inhalt und Form als ernsthafter und planmäßiger Versuch zur Ermittlung von Wahrheit anzusehen ist“.8) Akademisch verbrämtes Geplauder ist nicht schon deshalb Wissenschaft, weil es von einer Professorin oder einem Professor stammt.
Der relative Wahrheitsbegriff, der die Vorläufigkeit, Kritisierbarkeit und Revidierbarkeit von Wissen voraussetzt, bindet Wissenschaft i. S. v. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG an Ernsthaftigkeit, Rationalität und hinreichende Objektivierung, also letztlich an methodische Standards eines Faches. Dies muss nicht zwingend der disziplinäre Mainstream sein. Die Wissenschaftsfreiheit schützt gerade auch Außenseiter- oder Minderheitenpositionen bzw. neue Ansätze, die erst noch erprobt werden müssen.9) Das bedeutet jedoch kein Recht zur Beliebigkeit. „Aus der Offenheit und Wandelbarkeit von Wissenschaft, von der der Wissenschaftsbegriff des Grundgesetzes ausgeht, folgt […] nicht, daß eine Veröffentlichung schon deshalb als wissenschaftlich zu gelten hat, weil ihr Autor sie als wissenschaftlich ansieht oder bezeichnet“.10) Abweichungen vom Anerkannten müssen mit rationalen Argumenten begründet werden. Auch Renegades schulden qualifizierte und überprüfbare Rechtfertigung. „Ich sehe das halt anders!“ ist kein wissenschaftliches Argument. Umgekehrt kann das, was wissenschaftlich erforscht wurde und begründet werden kann, unter dem Schutz der Wissenschaftsfreiheit auch – z. B. durch Wissenschaftskommunikation in Pressemitteilungen, in Tweets, in Zeitungsartikeln, auf YouTube oder in Rundfunkbeiträgen – popularisiert werden.
Funktionaler Freiheitsschutz statt grundrechtsimmanente Wissenschaftstheorie
Was die Voraussetzungen und Grenzen von Wissenschaft sind, ist ein Kernthema der Wissenschaftstheorie, die sich gerade mit der Ausgrenzung von Nicht- und Pseudowissenschaft nicht immer leicht tut. Solche epistemologischen Debatten sind notwendig, haben aber andere – wissenschaftsinhärente – Funktionen, namentlich der kritischen Begriffsbildung. Die Wissenschaftsfreiheit schützt hingegen keine bestimmte Wissenschaftstheorie,11) sondern die Freiheitlichkeit der Kommunikation. Sie muss daher funktionell inklusiver sein und einen eher groben Filter einsetzen, um nicht als Kampfinstrument gegen missliebige Positionen missbraucht zu werden. Der Wissenschaftscharakter steht daher noch nicht deshalb infrage, weil Forschung oder Lehre Defizite aufweisen, solange basale Ansprüche an die Wissenschaftlichkeit nicht so grundlegend verfehlt werden, dass „nach Inhalt und Form von einem ernsthaften Versuch zur Ermittlung von Wahrheit nicht mehr die Rede sein kann“.12)
Das Unvermeidbare: Abgrenzungsprobleme
Gewichtige Indizien, ob etwas noch Wissenschaft ist, ergeben sich aus den Grenzen der Fachlichkeit. Zwar ist Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG selbstverständlich nicht an formale Qualifikationen gebunden. Die Wissenschaftsfreiheit setzt aber eine Diskursteilnahme aufgrund hinreichender Kenntnis des disziplinären Gegenstandes und seiner Methoden voraus. Wer sich außerhalb der eigenen fachlichen Qualifikation äußert, handelt im Zweifel nur meinungsbildend, aber nicht wissenschaftlich. Ein Evolutionsbiologe, der gegen Genderforschung trollt, eine gefühlt kritische Juristin, die sich zu vermeintlichen Erkenntnissen der Biowissenschaften äußert, eine Kulturwissenschaftlerin, die Debatten der Teilchenphysik kommentiert, weil doch ohnehin alles nur unsere Wirklichkeit erst konstituierende Sprache sei, ein Ex-Bundesbanker, der seine rassistischen Bestseller zu diffusen Migrationsfragen präsentiert, oder ein Parasitologie-Experte, der steile Theorien über die Biophysik der Virenverbreitung aufstellt, werden sich kaum auf das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit berufen können, weil es an minimalen Anforderungen an die fachliche Diskursfähigkeit fehlt.
Mindestvoraussetzung von Wissenschaft ist eine hinreichende epistemische Offenheit. Wer sich wissenschaftlicher Semantik bedient, um lediglich von vornherein feststehenden politischen Positionen zur besseren Durchsetzbarkeit oder Sichtbarkeit zu verhelfen, genießt nicht den Schutz der Wissenschaftsfreiheit.13) Es mag Disziplinen geben, die aufgrund ihrer zur Weißglut politisierten Diskurspraktiken Schwierigkeiten haben, wissenschaftlich gemeinte Aussagen von bloßen politischen Debattenbeiträgen und Machtkämpfen um Deutungshoheit zu unterscheiden. Das ist dann aber kein Problem der Grundrechtsdogmatik, sondern das verlotterter Fachkulturen.
Zumutung der Wahrheit: Duldungspflicht gegenüber wissenschaftlichen Äußerungen
Aussagen, die wissenschaftlich begründet werden, müssen unter dem Schutz des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG hingenommen werden, selbst wenn sie für manche verletzend, anstößig oder politisch fehlgeleitet wirken. Wissenschaftliche „Wahrheiten“ stehen unter Kritik-, nicht unter Abwägungsvorbehalt. Die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG kommen nicht zur Anwendung. Verfassungsimmanente Schranken des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG sind untauglich, wissenschaftlich „richtige“ – also methodisch-fachlich kohärent begründete – Aussagen als solche zu unterbinden, weil weder staatliche Institutionen noch Einzelne einen Anspruch darauf haben, nicht mit wissenschaftlicher Richtigkeit konfrontiert zu werden.
Das BVerwG stellte insoweit klar, dass einer Hochschule nicht die Befugnis zustehe, wissenschaftliche Forschungsarbeiten von Amts wegen „fachlich zu bewerten und einer wissenschaftlichen Kritik zu unterziehen“. Die Universität bzw. ihre Organe dürften „nur dann und nur gegenständlich begrenzt tätig werden, wenn und soweit gegen einen Wissenschaftler aufgrund von konkreten Anhaltspunkten schwerwiegende Vorwürfe erhoben werden, etwa daß er verantwortungslos gegen grundlegende Prinzipien der Wissenschaftlichkeit verstoßen oder die Forschungsfreiheit mißbraucht habe oder daß seinen Arbeiten der Charakter der Wissenschaftlichkeit abzusprechen sei“.14) Das ist aus gutem Grund eine hohe Hürde. Aber sie kann genommen werden. Wer Verschwörungstheorien verbreitet, ins Blaue hinein Behauptungen aufstellt, mit aus der Luft gegriffenen oder frei erfundenen Zahlen jongliert, die auf keiner wissenschaftlichen Quelle gründen, oder rationale Wissenschaft selbst schon gar nicht für möglich hält und alles auf politische Machtspiele reduzieren möchte, argumentiert nicht mehr wissenschaftlich i. S. v. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG.
Meinungskampf im öffentlichen Dienst: Mäßigungsgebot
Für beamtete Professorinnen und Professoren gilt das allgemeine Mäßigungsgebot. Es ist Bestandteil hergebrachter Grundsätze des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG)15) und wäre daher sogar geeignet, als verfassungsimmanente Schranke zwar nicht den Inhalt, aber die Form wissenschaftlicher Kommunikation einzuhegen. Wissenschaftliche Aussagen werden freilich bereits durch die Verpflichtung einer fachlich-methodischen Argumentation weitgehend gemäßigt. Wer schrill polemisiert, freihändig spekuliert oder hetzt, betreibt schon der Form nach keine Wissenschaft. Die bloße Meinungsfreiheit von Beamtinnen und Beamten kann hingegen auch jenseits der Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG durch das Mäßigungsgebot nach Art. 33 Abs. 2 GG eingeschränkt werden, was § 33 Abs. 2 BeamtStG konkretisiert. Das Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes muss der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die das jeweilige Amt erfordern (§ 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG).
Werden mit einem Amt unabhängige Aufgaben in Forschung und Lehre übertragen, korrespondiert dem eine besondere öffentliche Richtigkeitserwartung, der alle Beteiligten gerecht werden müssen. Wissenschaft hat nur die Macht des Wortes. Aber diese zählt. Wer kraft Amtes für epistemische Verlässlichkeit bürgt, muss auch auf die berechtigten Erwartungen Rücksicht nehmen, dass echte Wissenschaft drin ist, wo Wissenschaft draufsteht. Es gehört zu den funktionalen Kernpflichten eines wissenschaftlichen Amtes, das Vertrauen in die Wissenschaft nicht dadurch zu beschädigen, indem man ins Blaue hinein nicht belegbare Behauptungen aufstellt und diese wie wissenschaftlich begründbare Tatsachen präsentiert. Und wer Verschwörungstheorien nährt, Fake News verbreitet oder sich rein spekulativ zu Fragen in einer Form äußert, die suggeriert, es ginge um wissenschaftlich begründbares Wissen, kann das Mäßigungsgebot verletzen (Dienstvergehen).
Keine Sanktion ohne Gesetz: Ermächtigungsgrundlage für amtliche Kritik
Nimmt eine Hochschulleitung in amtlicher Eigenschaft eine negative Bewertung von Äußerungen eines Hochschulmitglieds vor, liegt hierin ein Grundrechtseingriff, der kraft Grundrechtswesentlichkeit16) einer gesetzlichen Ermächtigung bedarf.17) So hatte das VG Berlin in einem Eilverfahren der Charité untersagt, ein Fachjournal von Amts wegen über wissenschaftliches Fehlverhalten bei der Entstehung der Veröffentlichung zu informieren. Das Gericht hat angedeutet, dass es hierfür eine Ermächtigungsgrundlage für erforderlich halte, seine Entscheidung aber letztlich tragend darauf gestützt, dass die hierzu getroffenen Feststellungen nicht ausreichend gewesen seien.18)
Soweit beamtete Professorinnen und Professoren die Grenzen der Forschungsfreiheit in einem Maß überschreiten, das mit Dienstpflichten nicht mehr vereinbar ist, kann Fehlverhalten auf der Grundlage des Disziplinarrechts zwar sanktioniert werden.19) Jedoch ergibt sich aus dem Dienstrecht keine Ermächtigung, ergriffene Maßnahmen auch öffentlich zu machen. Das BVerwG vertritt darüber hinaus, dass die Kompetenz einer Hochschule, „ob ein Wissenschaftler den ihm verfassungsrechtlich garantierten Freiraum wissenschaftlicher Forschungsfreiheit überschritten und möglicherweise andere verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter verletzt hat“, letztlich „unmittelbar aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG“ folge.20) Überzeugend ist dies nicht. Grundrechte sind keine Eingriffsermächtigungen und die einer Hochschule nach Art. 19 Abs. 3 GG zustehende (kollektive) Wissenschaftsfreiheit richtet sich nach außen gegen den Staat, aber nicht unvermittelt nach innen gegen die ihrerseits grundrechtsberechtigten Hochschulmitglieder.21) Selbst wenn man aber unterstellt, die Begründung des BVerwG sei tragfähig, würde auch hieraus noch keine Kommunikationskompetenz folgen, interne Untersuchungsergebnisse öffentlich zu machen.
Das BVerwG hat überzeugend eine „sich aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ergebende Verantwortung der Fakultäten für die Redlichkeit der Wissenschaft“ betont.22) Wird die Redlichkeit, Vertrauenswürdigkeit oder Verlässlichkeit von Wissenschaft durch öffentliche Äußerungen beeinträchtigt, reicht eine hochschulinterne Reaktion hierfür nicht aus. Die Schutzverantwortung lässt sich nur durch öffentliche Positionierung angemessen erfüllen, um den sozialkommunikativen Angriff auf die Integrität von Forschung und Lehre abzufangen. Das kann nicht allein der Scientific Community überlassen bleiben, wenn die Störung wegen der impliziten Inanspruchnahme eines wissenschaftlichen Amtes der Hochschule zugerechnet wird und daher die Vertrauenswürdigkeit sowie die Reputation der Einrichtung beschädigt. Grundrechtliche Schutzpflichten ersetzen zwar keine Eingriffsermächtigung. Bestehende Rechtsgrundlagen sind aber im Lichte der verfassungsrechtlichen Verpflichtung auszulegen.
Öffentlichkeitsarbeit nach Presserecht als Ermächtigungsrahmen
Als Einfallstor hierfür kommt das allgemeine Presserecht in Betracht. Behörden (zuständige Organe der Hochschulleitung eingeschlossen) sind nach Landespresserecht verpflichtet, den Vertretern der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienenden Auskünfte zu erteilen (z. B. § 4 Abs. 1 PresseG NW). Diese Rechtsgrundlage ist richtigerweise auch Ermächtigung für Öffentlichkeitsarbeit durch Pressemitteilungen aus eigener behördlicher Initiative.23) Eine Hochschulleitung kann hiernach im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit Auskunft über ihre gesetzliche Aufgabenerfüllung in Forschung und Lehre geben. Das schließt es wegen der Schutzverantwortung nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ein, über den Umgang mit Fehlverhalten zu berichten. Grenzen sind die Verhältnismäßigkeit, das Sachlichkeitsgebot und die Neutralitätspflicht.24) Eine Hochschule darf also nicht ihrerseits polemisch werden, in den politischen Meinungskampf eintreten oder sich wissenschaftliche Streitentscheidungskompetenz anmaßen. Sie darf aber – unter den aufgezeigten Voraussetzungen – sachlich erläutern, dass bestimmte Positionen, die Hochschulmitglieder scheinbar als Stimmen der Wissenschaft einnehmen, unwissenschaftlich sind oder es sich um private politische Äußerungen handelt, von denen sich die Hochschule als Ort wissenschaftlicher Forschung und Lehre distanziert. Eine Hochschule kann richtigstellen, aufklären oder vor Gefahren warnen, die von Pseudowissenschaft ausgehen, wenn man sie ernst nimmt.
Resümee: Verteidigung der Glaubwürdigkeit von Wissenschaft
Hochschulen sind keine Arena für den politischen Meinungskampf, sie sind Orte wissenschaftlicher Forschung und Lehre. Sie werden gerade als institutionelle Ankerplätze für eine vorpolitische Rationalität benötigt und müssen glaubwürdig Distanz zu allgemeinpolitischen Auseinandersetzungen halten. Um die Integrität der und das Vertrauen in die Wissenschaft zu sichern, müssen sich Hochschulen dann auch gegen diejenigen wehren, die ihre epistemische Amtsautorität missbrauchen und mit dem Anschein von Wissenschaft Falschbehauptungen, unhaltbare Spekulationen oder krude Verschwörungstheorien verbreiten. Die Hochschulen sind es der Glaubwürdigkeit von Wissenschaft schuldig.
Dieser Artikel ist aufgrund eines redaktionellen Versehens zunächst ohne Fußnotenapparat erschienen. Die Schuld trifft allein die Redaktion, nicht den Autor. Wir bitten das Versehen zu entschuldigen.
References
↑1 | BVerfGE 82, 272 (281). |
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↑2 | Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR IX, 3. Aufl. (2011), § 190 Rn. 310. |
↑3 | BVerfGE 94, 1 (8). |
↑4 | BVerfGE 90, 1 (15); 94, 1 (7). |
↑5 | BVerfGE 99, 185 (197). |
↑6 | BVerfGE 90, 1 (15). |
↑7 | Scott, Knowledge, Power, and Academic Freedom, 2019, S. 118. |
↑8 | BVerfGE 35, 79 (113); 47, 327 (367). |
↑9 | BVerfGE 90, 1 (12). |
↑10 | BVerfGE 90, 1 (12). |
↑11 | BVerfGE 35, 79 (112); 90, 1 (12). |
↑12 | BVerfGE 90, 1 (13); BVerwGE 102, 304 (311). |
↑13 | Vgl. BVerfGE 90, 1 (12); Britz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. I, 3. Aufl. (2013), Art. 5 III (Wissenschaft) Rn. 20. |
↑14 | BVerwGE 102, 304 (311); Pfeffer, in: Conrad/Grünewald/Kalscheuer/Milker (Hrsg.), Öffentlich-rechtliches Äußerungsrecht, 2022, § 8 Rn. 46. |
↑15 | BVerfGE 108, 282 (323). |
↑16 | BVerfGE 40, 237 (249); 47, 46 (79); 49, 89 (126 f.); 80, 124 (132); 95, 267 (307 f.); 101, 1 (34); 108, 282 (311); 116, 24 (58); 128, 282 (317); 134, 141 (184); 141, 143 (170 f.); 147, 253 (309 ff.). |
↑17 | Für die Öffentlichkeitsarbeit zutreffend OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 17.10.2017 – 4 B 786/17, ZUM-RD 2018, 190 (191); Gounalakis, NJW 2012, 1473 (1477). |
↑18 | VG Berlin, Beschl. v. 1.11.2011 – VG 12 L 1036.11. |
↑19 | BVerwGE 102, 304 (308). Analoges gilt auch nach Arbeitsrecht bei privatrechtlich Angestellten. |
↑20 | BVerwGE 102, 304 (310). |
↑21 | Gärditz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 5 Abs. 3 (Wissenschaft), Rn. 173; Pfeffer, Anm. 14, § 8 Rn. 43. |
↑22 | BVerwGE 159, 148 (168). |
↑23 | OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 17.10.2017 – 4 B 786/17, ZUM-RD 2018, 190 (191 f.); VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 4.8.2017 – 1 S 1307/17, NJW 2018, 90 (92). Zum Streitstand und kritisch z. B. Rodenbeck, StV 2018, 255 (256 f.). |
↑24 | Für die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung BVerfG, Urt. v. 15.6.2022 – 2 BvE 4/20, NVwZ 2022, 1113 (1115, 1118 f., 124), Rn. 79, 112, 173. |
Danke für diesen Beitrag, der eine interessante Frage recht eingängig beleuchtet, den Leser aber teilweise stutzen lässt. In praktischer Hinsicht ist man nach dessen Lektüre jedenfalls wenig weiter gekommen.
Wenn der Autor bezüglich der Wissenschaft von einer “Distanz zu allgemeinpolitischen Auseinandersetzungen” spricht, so fragt sich ja gerade, wo diese Trennlinie verläuft. Das gilt in Sonderheit für eine Wissenschaft wie die Rechtswissenschaft, die nicht empirisch sondern hermeneutisch arbeitet. Besonders anschaulich dafür sind Beiträge von Professoren auf diesem Blog. Wer möchte seriös beurteilen, in welchem Beitrag wo genau die Grenze zwischen Wissenschaft und bloßer Meinung verläuft?
Vor diesem Hintergrund ist auch folgende (apodiktische) Feststellung des Autors irritierend:
“Die Wissenschaftsfreiheit setzt aber eine Diskursteilnahme aufgrund hinreichender Kenntnis des disziplinären Gegenstandes und seiner Methoden voraus. Wer sich außerhalb der eigenen fachlichen Qualifikation äußert, handelt im Zweifel nur meinungsbildend, aber nicht wissenschaftlich.” Mit dem weiten Wissenschaftsbegriff des Art. 5 Abs. 3 GG ist das von vornherein unvereinbar. Art. 5 Abs. 3 GG steht ausdrücklich unter keinem “Professionsvorbehalt”, der hier sehr eigentümlich zu konstruieren versucht wurde.
Aus einer systemtheoretischen Perspektive heraus könnte man anmerken, dass die Maßstäbe der “Rationalität” wissenschaftlicher Meinungen nichts anderes sind als systeminterne Maßstäbe bzw. niemals etwas anderes als solche sein können. Das ist meiner Auffassung nach auch richtig und hängt notwendigerweise mit Pfadabhängigkeiten in der Entwicklung der Wissenschaft zusammen, insbesondere jedoch mit der institutionellen Voreingenommenheit insbesondere der deutschen Rechtswissenschaft.
Dazu muss man in der deutschen Rechtswissenschaftsgeschichte nur mal auf Theodor Viehweg schauen, der mit Recht betonte, dass viel der Rechtswissenschaft auf Topik beruhte. Man denke daran, wie sich Leute wie Larenz darüber echauffiert haben, ebenfalls dabei ertappt worden zu sein, einen Flickenteppich aus Allgemeinplätzen als systematische Behandlung des Rechtsstoffs zu behandeln. Geändert hat sich daran nicht viel – vermutlich würde jemand wie Viehweg heute ebenfalls als Nestbeschmutzer gelten.
Das Problem ist nicht, WAS Personen in der Wissenschaft sagen. Es ist auch wichtig, “Postmodernisten”, “Solipsisten” und “Nihilisten” zuzuhören, weil sie gerade dazu da sind, allzu schnelle “Suchen nach Wahrheit” den vorgeblich sicheren Boden unter den Füßen wegzuziehen.
Das Problem ist vielmehr, DASS Menschen daran gehindert werden, etwas zu sagen, aufgrund von Institutionalisierung und akademischer Machtkonzentration.
“Hochschulen sind keine Arena für den politischen Meinungskampf, sie sind Orte wissenschaftlicher Forschung und Lehre.”
Sind Hochschulen nicht offensichtlich beides? An vielen (wenn nicht den meisten) Hochschulen finden regelmässig politische Veranstaltungen statt (etwa in Form von Debatten), in denen explizit ein politischer Meinungskampf stattfinden soll. Darüber hinaus ist es doch ein Merkmal der modernen Erforschung des Politikbegriffs, dass dieser nicht einfach auf einige wenige Sphären isoliert werden kann, sondern, dass dieser sämtliche (zumindest öffentlichen) Lebensbereiche erfasst.
Ich muss ehrlich gesagt sagen, dass ich die Naivität des Authors fast schon schockierend finde. Wir leben in einer Zeit in der der Begriff “Replication Crisis” nurmehr seit Jahren grassiert. Ganze akademische Bereiche sind davon betroffen. Es ist ein Fakt, dass viele “Wissenschaftler” nicht mehr gemäß der wissenschaftlichen Methoden forschen sondern viel mehr versuchen ihre Versuche und Daten so zu strukturieren, dass sie das gewünschte Ziel in etwa so darstellen wie gewünscht. Sich jetzt also hinzustellen und besonders in Bezug auf akademische Forschung so zu tun als sei dieselbe über jeden Zweifel erhoben WEIL es sich ja um wissenschaftlichn Erkenntnise handelt, erscheint mir im besten Fall naiv und im schlimmsten Fall einfach nur verlogen.
Die “replication crisis” zeigt uns doch deutlich wie sehr BESONDERS Naturwissenschaftler dazu neigen ihre Ergebnisse nicht nur zu schönigen sondern sie gar von Grund auf zu fälschen, siehe u.a. den erst kürzlich aufgedecken Skandal bzgl Alzheimerforschung bzgl dere im Juli herauskam, dass sich die gesamte Branche seit 20 Jahren auf gefälschte Forschungsergebnisse gestützt hat. Wir leben in einer Zeit, in der Personen alle möglichen Mittel missbrauchen um Karriere zu machen. Und darunter fallen INSBESONDERE Forscher, weil Menschen wie SIE diese selbigen als die neuen Priester illustrieren.
Skepsis ist gesund. Besonders in einer Zeit wie der heutigen wo sich Politik und Land auf auf Zahlen und Stichproben von Behörden verlassen bzgl derer ihnen ein Erstsenester VWL Student die wertlosigkeit der Stichprobe attestieren könnte.
Ich bin mit der Schlussfolgerung absolut nicht einverstanden: “Hochschulen sind keine Arena für den politischen Meinungskampf, sie sind Orte wissenschaftlicher Forschung und Lehre. Sie werden gerade als institutionelle Ankerplätze für eine vorpolitische Rationalität benötigt und müssen glaubwürdig Distanz zu allgemeinpolitischen Auseinandersetzungen halten.”
Niels Bohr, Albert Einstein, Andrei Dmitrijewitsch Sacharow wurden politisch und die Welt sollte ihnen dafür applaudieren. Vor politischer Repression ist es Pflicht, politisch zu werden, auch in Europa: https://foederalismus.at/news_detail.php?id=1219
Sie meinen es sicher gut, Herr Prof. Gärditz. Aber Ihr Ansatz ist hoch gefährlich, er öffnet der Cancel Culture und Cancel Science Tür und Tor. Sie bereiten der Herrschaft der herrschenden Meinung und der Ausgrenzung der Mindermeinung den Weg. Und da ist sie doch, die “Meinung”, die Sie von Wissenschaft abgrenzen wollen. Das funktioniert nicht und das darf auch nicht funktionieren. Ich schließe mich daher den kritischen Kommentaren zu Ihrer Meinung an. Gottseidank dürfen Sie sie äußern.
Sehr geehrte Frau Kaufhold, ich lese den Beitrag ganz gegensätzlich. Die Debatte um Cancel Culture und der Beitrag von Herrn Gärditz ergänzen sich: Auf der einen Seite steht die Bedrohung, dass missliebige, aber von der Wissenschaftsfreiheit geschützte Positionen an den Hochschulen “gecancelt” werden; andererseits- und diese Bedrohung adressiert Herr Gärditz – steht die Gefahr, dass das Forum der Hochschule missbraucht wird, um Unwissenschaftliches im Deckmantel der Wissenschaft zu verbreiten. Beide Aspekte müssen sich der Frage stellen, wie weit der Schutzumfang der Wissenschaftsfreiheit reicht. Dass er einen anderen Zuschnitt als die Meinungsfreiheit hat, finde ich einleuchtend. Dass der politische Meinungskampf auch an Hochschulen stattfindet, ist sicherlich unzweifelhaft der Fall – hier finde ich die Kritik berechtigt, weil Hochschulen keine unpolitischen Orte sind oder sein sollten. Dem Beitrag ist doch aber zugute zu halten, dass er sich der Verortung der Wissenschaft annimmt, die gerade nicht nur Meinungen kolportiert, sondern Positionen zu ergründen und zu fundieren sucht, dabei “ernsthaft und planmäßig” vorgeht und die Falsifikation der eigenen These immer in Rechnung stellt.