11 March 2024

Weichenstellungen gegen drohenden Demokratieabbau

Die CDU im ostdeutschen Parteiensystem vor einem Umbruch

Das Parteiensystem Deutschlands steht womöglich kurz vor einem Umbruch. Lange Zeit galt es im internationalen Vergleich als außerordentlich stabil. Nun droht bei den im Herbst dieses Jahres in Brandenburg, Sachsen oder Thüringen bevorstehenden Landtagswahlen das parlamentarische Ende von gleich drei systemtragenden Parteien. Mehr noch: In vielen Parlamenten europäischer Staaten kooperieren konservative oder christdemokratische Parteien mit rechten Parteien. Die Spannbreite reicht von verbalen Annäherungen oder einer punktuellen Zusammenarbeit bei Personal- und Sachentscheidungen über die Ausgestaltung von Minderheitsregierungen bis hin zu festen Koalitionen während einer vollen Wahlperiode. Rechtspopulistische Regierungsbeteiligungen bedeuten zumeist einen Demokratieabbau. Doch Deutschland muss sich diesem Trend nicht anschließen. Es können aufeinander abgestimmte parteiensystemische und parteienorganisatorische Weichen gestellt werden. Garant dafür, die extreme Rechte auf Abstand zur Exekutive zu halten, kann die CDU sein.

Die rechtspopulistische Versuchung der CDU

Landesparlamentswahlen sind in besonderer Weise anfällig für angebots- oder nachfrageinduzierte Verschiebungen der Kräfteverhältnisse des Parteienwettbewerbs. Ähnlich wie Europawahlen, die schon im kommenden Juni zusammen mit Kommunalwahlen abgehalten werden, sind sie „second order elections“, d.h. die Wahlbeteiligung fällt geringer aus als bei Bundestagswahlen und es besteht größere Experimentierfreude bei der Stimmabgabe. Mobilisierungsstarke Parteien, seien es Protestparteien, nicht-etablierte Parteien und/oder extreme Parteien, können von der nachrangigen Bedeutungsbeimessung einer Nebenwahl profitieren.

Davon wird wahrscheinlich auch wieder die AfD profitieren. Wichtig ist deshalb eine klare und belastbare Positionierung der CDU in den ostdeutschen Parteiensystemen, die dort aufgrund ihrer Mitgliederstärke, ihres elektoralen Zuspruchs und programmatischen Mitteposition ein „Gravitätszentrum“ bildet. Zwar lässt sich mit Blick auf die Mitglieder der CDU bei zentralen politischen Einstellungen eine größere Nähe zu den AfD-Mitgliedern als zu den Mitgliedern von SPD, Bündnisgrünen und erst recht der Linkspartei ausmachen. Zum Teil können auch habituelle Gemeinsamkeiten und thematische Schnittmengen beschrieben werden, die bereits zu gemeinsamen Abstimmungen in Landtagen und kommunalen Vertretungskörperschaften beigetragen haben. Letzten Endes liegt jedoch eine unüberwindbare Differenz von hoher Tragweite vor, nämlich, dass dem Rechtspopulismus ein antipluralistischer Alleinvertretungsanspruch innewohnt und er im Grunde allen anderen Parteien, gerade auch der CDU, die politische Daseinsberechtigung abschreibt. Bei den Einstellungen der Mitglieder beider Parteien wurde dementsprechend eine große Systemunterstützung innerhalb der Unionsmitgliedschaft und eine starke Ablehnung innerhalb der AfD-Mitgliedschaft gemessen.

Noch deutlicher wird die Unmöglichkeit einer Zusammenarbeit aufgrund konfligierender Wertvorstellungen zwischen der Union und der AfD, wenn deren innerparteilich erstarkender Rechtsextremismus mit seiner inhärenten Menschen- und Demokratieverachtung in Rechnung gestellt wird. So wurden die AfD-Verbände in Sachsen, Sachsen-Anhalt (beide im vergangenen Jahr) und Thüringen (bereits 2021) von den jeweiligen Verfassungsschutzämtern als „gesichert rechtextremistisch“ eingestuft. Der gesamte Bundesverband der AfD wird beim Bundesamt für Verfassungsschutz intern als „rechtextremistischer Verdachtsfall“ geführt und könnte schon bald analog zu den drei mitteldeutschen Ländern hochgestuft werden.

Um einem nicht gänzlich ausschließbaren Hineinstolpern eines CDU-Landesverbands in eine Kooperation mit der AfD von vornherein einen Riegel vorzuschieben, sind drei aufeinander abgestimmte Weichen zu stellen. Die erste betrifft das Parteiensystem. Dabei sind die anderen nicht-populistischen Parteien gefordert, der CDU im Rahmen einer gemeinsamen strategischen Übereinkunft mehr als bisher entgegenzukommen, ggf. auch indem sie eine CDU-geführte Minderheitsregierung tolerieren. Die CDU müsste dafür im Gegenzug versprechen, sich in keinerlei Hinsicht auf den Rechtspopulismus zuzubewegen. Zweitens ist eine koalitionspolitische Flexibilisierung der CDU erforderlich, die eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei in Ostdeutschland zulassen würde. Drittens ist in der CDU ein breiter innerparteilicher Klärungsprozess anzustoßen, sodass die ersten beiden Weichenstellungen am Ende von der gesamten Mitgliedschaft mitgetragen würden.

Strategische Parteienübereinkunft und Option einer CDU-geführten Minderheitsregierung

Im öffentlichen Diskurs über den Umgang mit der AfD dominiert der Begriff der „Brandmauer“. Dieser suggeriert, es brauche nur eine Mauer vor die AfD gestellt werden und alle Probleme würden gelöst. Dies ist mitnichten so. Eine wirksame parteiensystemische Abgrenzung vom Rechtspopulismus und Rechtsextremismus ist viel voraussetzungsvoller. Erforderlich ist eine strategische Übereinkunft der Parteien, die sich zum Prinzip des Pluralismus bekennen. Nach dem Vorbild des belgischen Cordon sanitaire sollten dabei auch Medien Mitverantwortung tragen, etwa indem sie keine Live-Interviews mit rechtspopulistischen Politiker:innen ausstrahlen, um keine Plattform für demokratieunterminierende Agitation zu bieten.

Bisher richtet sich die Aufmerksamkeit beim Umgang mit der AfD vor allem auf die CDU. Sie wird zurecht als hauptverantwortlich für die Abgrenzung zur AfD angesehen. Dabei mangelt es jedoch mitunter an Anerkennung ihrer koalitionspolitischen Flexibilität. Diese stellt die CDU in Zweier- und Dreierkoalitionen unterschiedlicher Konstellation mit der SPD, FDP und den Bündnisgrünen unter Beweis. Faktisch duldet sie in Thüringen mehr oder minder verlässlich sogar eine linke Landesregierung unter Führung der postkommunistischen Linkspartei.

Warum sollte in Thüringen im Rahmen einer strategischen Übereinkunft nicht auch die Linkspartei eine CDU-geführte Minderheitsregierung unterstützen können? Selbst wenn die CDU nach der Partei DIE LINKE bei der Thüringer Landtagswahl am 1. September 2024 aus dem Rennen ginge, was nicht gerade wahrscheinlich ist, könnte dies eine Option sein. Dann würde von beiden Parteien gleichermaßen viel politisches Entgegenkommen abverlangt werden. Dass nur diejenige Partei die Regierung bilden kann, die bei der Wahl die meisten Stimmen erzielt hat, trifft im parlamentarischen Regierungssystem ohnehin nicht zu. Vielmehr kommt es darauf an, eine Koalition zu bilden, die ausreichend vom Parlament unterstützt wird. Denkbar wäre bei dieser ersten Weichenstellung auch eine Rotation des Ministerpräsidentenpostens zwischen beiden Parteien während der Legislaturperiode, wie sie aus Israel bekannt ist.

Zusammenarbeit der CDU mit der Linkspartei in Ostdeutschland ermöglichen

Die CDU sollte ihren Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber einer Zusammenarbeit mit der LINKEN aufgeben, zumindest im Osten Deutschlands, wenigstens aber in Thüringen, um ein Maximum an Koalitionsoptionen innerhalb des demokratischen Parteienspektrums zu gewährleisten. Gerade bei den im kommenden Herbst bevorstehenden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen wird es darauf ankommen, dass die dort vermutlich erneut stark abschneidende AfD keine Chance erhält, die jeweilige Landesregierung direkt oder indirekt zu beeinflussen. Hinzukommt wahrscheinlich das Bündnis Sahra Wagenknecht, das die Mehrheitssuche als populistische Partei noch weiter erschweren würde. Die koalitionspolitische Flexibilisierung der CDU wird im Ansatz schon heute in Thüringen praktiziert. Offiziell hält die Bundes-CDU jedoch (noch) an ihrem Antikommunismus fest, der für die West-CDU unter Konrad Adenauer einst identitätsstiftend war. Trotz des Wegfalls des Feindbildes der Sowjetunion hallt er bis heute nach. Allerdings werden damit Sichtweisen und Stimmen aus dem Osten reflexhaft übertönt oder abgeschnürt, die eigentlich die parteiensystemischen Gegebenheiten der CDU in den ostdeutschen Ländern und die hier dargelegten notwendigen Schlussfolgerungen daraus deutlich machen müssten.

Generell versteht sich die CDU als eine Regierungspartei, die pragmatisch zwischen vorhandenen Optionen abwägen und sich dann für das aus ihrer Sicht „kleinere Übel“ entscheiden kann. Oberstes Parteiziel ist das office-seeking. Schließlich ist darauf zu verweisen, dass von den Regierungsbeteiligungen der LINKEN in den vergangenen drei Jahrzehnten nirgendwo eine Revolution und damit auch keine Gefahr für die Demokratie ausgegangen ist. Dass man auf der persönlichen Ebene gut mit Vertreter:innen der postkommunistischen Partei zusammenarbeiten kann, werden gerade Unionsmitglieder kaum bestreiten, die ihrer Partei bereits zu DDR-Zeiten angehört haben. Freilich besteht bei einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei für die CDU das Risiko, dass sich Teile der Unionsklientel bei zukünftigen Wahlen abwenden könnten. Umso wichtiger sind die kommunikative Geschlossenheit und Überzeugungskraft der Unionsspitze bei dieser Frage.

Schaffung von Akzeptanz innerhalb der CDU

Eine Schlüsselfigur für die beiden skizzierten Weichenstellungen und deren innerparteiliche Akzeptanz ist der Bundesvorsitzende der CDU. Ein als konservativ geltender Parteichef ist derzeit im Grunde die richtige Person dafür, der Union die Richtung zu weisen und sie dabei zusammenzuhalten. Ihm wird man bei der Abgrenzung nach Rechtsaußen wahrscheinlich eher Folge leisten als einer/m Vorsitzenden aus dem Mitte-Flügel. Wurden diesbezüglich Stimmen aus dem ehemaligen Merkel-Lager laut, etwa seitens des CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther aus Schleswig-Holstein, verpufften sie schnell. Im rechten Flügel der CDU leuchtet so manchem Mitglied kaum ein, was gegen eine Kooperation mit der AfD spricht. Zur Illustration kann die „WerteUnion e.V.“ dienen, allerdings längst nicht nur diese.

Der Parteichef und Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz weiß um solche Stimmungen innerhalb seiner Partei und hat in den vergangenen Monaten versucht, sie durch rhetorische Annäherungen an rechtspopulistisches Vokabular einzufangen. Dabei verhielt er sich oft nicht geschickt und eindeutig, sondern nahm eigene Aussagen manchmal noch in der Nacht wieder zurück, z.B. bei der Frage, ob eine Zusammenarbeit mit der AfD in den Kommunen möglich sein sollte oder nicht. Seine Unberechenbarkeiten und sein Zickzackkurs haben die CDU verunsichert und seine eigene Position als Parteichef innerparteilich gefährdet.

Dennoch ist ein programmatischer Rechtsschwenk seiner Partei ausgeblieben. Er würde auch das Ende des Anspruchs der CDU, Volkspartei zu sein, bedeuten. Parteientypologisch ähnelt die CDU bis heute dem Modell einer „Catch-All-Partei“, die auf der Nachfrageseite das Ziel der Stimmenmaximierung verfolgt und auf der Angebotsseite ein breites Themenangebot bereithält. Merz darf nicht der Versuchung unterliegen, aus persönlichen Abgrenzungsbestrebungen zu Angela Merkel oder anderen Motiven, das Programmprofil seiner Partei thematisch zu verengen. Diese Gefahr wird mit Blick auf die jüngste CDU-Wirtschaftsprogrammatik unter der Wortschöpfung „Freidemokratisierung diskutiert. Vielmehr braucht die CDU, thematisch und personell, liberale, christlich-soziale und konservative Aushängeschilder. Für deren Umgang mit der AfD wird entscheidend sein, ob der notwendige innerparteiliche Klärungsprozess unter einer konsequenten Bundesparteiführung gelingt, sodass die CDU am Ende eine verlässliche Partnerin im deutschen Cordon sanitaire gegen Rechtsaußen sein kann.

Die Zukunft der Demokratie steht und fällt mit der CDU

Die drei ostdeutschen Landtagswahlen im Herbst 2024 dürfen nicht zu Kipppunkten der Demokratie werden. Eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der AfD auf der Regierungsebene kann schlimmstenfalls ein Einfallstor für eine längerfristige demokratische Regression darstellen. Auf eine Entzauberung der AfD durch exekutive Verantwortungsübernahme kann angesichts anhaltender rechtspopulistischer Regierungsbeteiligungen in vielen europäischen Staaten nicht gesetzt werden. Entscheidend für das Fernhalten der AfD von Regierungsämtern ist die CDU. Den Preis dafür braucht die Union aber nicht allein zu zahlen. Wichtig wäre, dass die anderen pluralistischen Parteien Verständnis für eine koalitionspolitische Flexibilisierung der CDU zeigen. Die AfD würde durch den Cordon sanitaire vermutlich noch mehr Wind auf ihre rechtspopulistischen Mühlen erhalten. Deshalb ist immer wieder aufzuzeigen, dass die AfD eben keine „normale“ Partei ist, sondern die Demokratie abbauen möchte. Zum Schutze der demokratischen Errungenschaften in Deutschland, insbesondere des pluralistischen Parteiensystems, der Rechtstaatlichkeit und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, dürfen und müssen besondere Maßnahmen getroffen werden. Nicht zuletzt ist die entschlossene Abgrenzung gegen Rechtsaußen im ureigensten Daseinsinteresse der CDU, um nicht zu riskieren, vom Rechtspopulismus aufgefressen zu werden.


SUGGESTED CITATION  Höhne, Benjamin: Weichenstellungen gegen drohenden Demokratieabbau: Die CDU im ostdeutschen Parteiensystem vor einem Umbruch, VerfBlog, 2024/3/11, https://verfassungsblog.de/weichenstellungen-gegen-drohenden-demokratieabbau/, DOI: 10.59704/8973f2babb062582.

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