04 November 2024

Weniger ist mehr

Vorschläge für eine strukturelle Reform der Nachrichtendienstkontrolle

Als letzte Woche ein mutmaßlicher IS-Anhänger nach einem Hinweis ausländischer Nachrichtendienste festgenommen wurde, dauerte es nicht lange bis die Kontrolle der Nachrichtendienste (erneut) als eine der Hauptursachen ausgerufen wurde: Unter anderem wegen der zu intensiven Kontrollen seien die Nachrichtendienste zur Anschlagsvermeidung auf Hinweise von Partnerdiensten angewiesen. Kurz zuvor hatte der Präsident des Bundesnachrichtendienstes in der öffentlichen Anhörung des Parlamentarischen Kontrollgremiums „eine zunehmende Dominanz der Kontrolle“ beklagt. Unabhängig davon kritisieren Praktiker, Politiker aber auch Wissenschaftler die hohe Anzahl von externen Kontrollinstitutionen für die Tätigkeit der Nachrichtendienste in Bund und Ländern schon lange. Kritisiert wird der als ausufernd empfundene bürokratische Aufwand für die Nachrichtendienste oder die Zersplitterung der Kontrolle auf unübersichtliche viele Kontrolleure. Während als Reaktion auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts neue Kontrollinstitutionen geschaffen werden, gab und gibt es trotz der weit verbreiteten Kritik an der Zersplitterung der Kontrolllandschaft keine (erfolgreichen) politischen Bestrebungen, bestehende Kontrollstrukturen aufzulösen oder auch nur zusammenzuführen. Fälschlicherweise wird häufig das Bundesverfassungsgericht für die Zersplitterung der Kontrolleure verantwortlich gemacht. Das verwundert, weil die Gesetzgeber verfassungsrechtlich einen großen Gestaltungspielraum haben und die Anzahl der Kontrolleure reduzieren könnten. Im Folgenden will ich daher Vorschläge unterbreiten, wie sich die Kontrollarchitektur durch relativ einfach umsetzbare Regelungen übersichtlicher gestalten ließe, ohne dabei Kontrolllücken entstehen zu lassen.

Zersplitterung der externen Kontrolle

Die Anzahl der externen Kontrolleure der Nachrichtendienste ist so hoch, dass selbst Fachleute sie häufig nicht vollständig überblicken. Deshalb ist es wichtig, zunächst festzuhalten, wer für die externen Kontrollen zuständig ist. Dabei ist zwischen politischen Kontrolleuren und Rechtskontrolleuren zu differenzieren.

Die Aufgabe der Rechtskontrolle ist es, ausschließlich die Rechtmäßigkeit des behördlichen Handelns zu prüfen. Darin liegt der wesentliche Unterschied zur politischen Kontrolle, die zwar regelmäßig auch die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen überprüft, deren Zweck aber anders gelagert ist: Die Organe politischer Kontrolle beabsichtigen, nachträglich die Behördenpraxis zu erfassen, die Rechtslage zu evaluieren, Missstände aufzudecken, politische Verantwortlichkeiten herzustellen und ggf. politische Veränderungen anzustoßen (Kornblum, Rechtsschutz 2011, S. 80; Bäcker, Hdb. des Verfassungsrechts 2021, 1715, 1755). Politische Kontrolle stellt – im Gegensatz zur Rechtskontrolle – explizit (auch) die Frage nach der Zweckmäßigkeit (BVerfG, Urteil v. 19.5.2020 – 1 BvR 2835/17, Rn. 300). Die politische Kontrolle und die Rechtskontrolle sind „grundsätzlich verschieden“, weshalb die eine gegen die andere nicht „aufgerechnet“ werden kann (Gusy, Grundrechte und Verfassungsschutz 2011, S. 129).

Neben der politischen Kontrolle durch die Abgeordneten gibt es spezielle parlamentarische Kontrollgremien. Dies sind auf der Bundesebene das Parlamentarische Kontrollgremium gem. Art. 45d GG, das Vertrauensgremium gem. § 10a Abs. 2 BHO sowie das Gremium gem. Art. 13 Abs. 6 S. 2 GG.

Auch in den Bundesländern kontrollieren die parlamentarischen Kontrollgremien die Verfassungsschutzämter. Für die Haushaltskontrolle ist entweder der Haushaltsausschuss oder das Parlamentarischen Kontrollgremium zuständig. In einigen Bundesländern übernimmt das Parlamentarische Kontrollgremium oder die G 10-Kommission zudem die Kontrolle gem. Art. 13 Abs. 6 GG. Außerdem setzen Bundes- und Landesparlamente vermehrt Untersuchungsausschüsse ein, in denen auch die Tätigkeit der Nachrichtendienste untersucht wird.

Für die externe Rechtskontrolle der Nachrichtendienste sind die G 10-Kommissionen, Gerichte sowie der Bundes- bzw. Landesdatenschutzbeauftragte zuständig. Der Bundesnachrichtendienst wird zudem durch das Gerichtsähnliche Kontrollorgan und das Administrative Kontrollorgan des Unabhängigen Kontrollrats kontrolliert. Erwähnt werden muss auch die Haushaltskontrolle durch den Bundes- bzw. Landesrechnungshof.

Schaffung neuer Kontrolleure…

Der Entwurf eines neuen Landesverfassungsschutz in Hamburg illustriert, dass es eine gesetzgeberische Tendenz gibt, neue Kontrolleure zu schaffen, ohne die bestehende Kontrollarchitektur zu überarbeiten: Der Hamburger Senat schlägt vor, ein Unabhängiges Kontrollgremium für die Vorabkontrolle zu etablieren, das sich aus drei Mitgliedern der G 10-Kommission und zwei Berufsrichtern und fünf stellvertretenden Mitgliedern zusammensetzt (§ 9 HmbVerfschG-E). Das neue Unabhängige Gremium soll zukünftig unter anderem für die Genehmigung des Einsatzes verdeckter Ermittler, von Vertrauenspersonen und längerfristigen Observationen zuständig sein. Die G 10-Kommission soll daneben weiterhin für die Vorabkontrolle anderer Maßnahmen wie beispielsweise der (Quellen-)Telekommunikationsüberwachung oder von Auskunftsersuchen zuständig bleiben. Einen guten Grund für diese Aufspaltung gibt es nicht. Für das mit 207 Mitarbeitern im Vergleich zu anderen Behörden kleine Landesamt für Verfassungsschutz wären dann im Ergebnis drei externe Rechtskontrolleure zuständig: das neue Unabhängige Kontrollgremium, die G 10-Kommission und der Landesdatenschutzbeauftragte.

Das Bundesverfassungsgericht hatte in seiner Entscheidung zum bayerischen Verfassungsschutzgesetz aus dem April 2022 zwar eine „richterähnliche“ Vorabkontrolle für eingriffsintensive Maßnahmen gefordert, dem Gesetzgeber aber in der Frage, wer diese Aufgabe wahrnehmen soll, einen Spielraum gelassen. Der Kontrolleur müsse unter anderem weisungsfrei und unabhängig sein, über den Sachstand umfassend informiert werden, über die notwendige Sach- und Rechtskunde verfügen und abschließend entscheiden können. Wer die Kontrollen wahrnehmen soll, legt das Bundesverfassungsgericht aber nicht fest (BVerfG, Urteil v. 26. April 2022 – 1 BvR 1619/17). Dafür kommen mehrere Ausgestaltungen in Frage: Beispielsweise könnten die Richtervorbehalte auf andere Maßnahmen ausgeweitet oder die G 10-Kommissionen der Länder professionalisiert werden. In Bayern, Hessen und Sachsen haben sich die Landesgesetzgeber bei den Novellierungen ihrer Landesverfassungsschutzgesetze für eine gerichtliche Vorabkontrolle entschieden.

…anstatt einer Zentralisierung der Vorabkontrolle

Statt wie in Hamburg nur neue Kontrollstrukturen zu schaffen, sollten die Gesetzgeber bereits bestehende evaluieren und überarbeiten. Bereits vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum bayerischen Verfassungsschutzgesetz gab es unterschiedliche Rechtskontrolleure, die Maßnahmen der Nachrichtendienste vorab genehmigt haben. Neben der Genehmigung der Wohnraumüberwachung durch ein Gericht ist in Bund und Ländern die jeweilige G 10-Kommission für die vorherige Genehmigung unterschiedlicher Maßnahmen zuständig. Zusätzlich zu den Maßnahmen nach dem G 10 kontrolliert sie überwiegend auch Auskunftsersuchen bei privaten Unternehmen. Auf der Bundesebene ist für die Genehmigung von bestimmten Befugnissen des Bundesnachrichtendienstes seit 2023 zudem das Gerichtsähnliche Kontrollorgan des Unabhängigen Kontrollrats zuständig.
Die Landesgesetzgeber, die ihre Verfassungsschutzgesetze bereits überarbeitet haben, haben es versäumt, diese Zersplitterung der Vorabkontrolle zu beheben. Sowohl in Bayern, Hessen als auch in Sachsen werden manche nachrichtendienstlichen Mittel durch Richter und andere durch die G 10-Kommission genehmigt. Demgegenüber hätte es nahegelegen, die Vorabkontrolle zu zentralisieren, um einen vergleichbaren Standard sicherzustellen und den Aufwand für den Nachrichtendienst zu verringern. Hinzu kommt, dass gegenüber einem Betroffenen häufig unterschiedliche Mittel angewandt werden, sodass für ein und denselben Sachverhalt zwei Rechtskontrolleure zuständig sein können, deren Kontrollergebnis sich unter Umständen widerspricht. Die Zentralisierung bei einem Vorabkontrolleur hätte noch dazu den Vorteil, dass dieser einen Überblick darüber hat, welche Maßnahmen gegenüber der Bestrebung oder dem Betroffenen angewandt werden, was eine realitätsnähere Verhältnismäßigkeitsprüfung ermöglicht. Um der Zersplitterung der Kontrolle auf der Landesebene entgegenzuwirken, sollte der Bundesgesetzgeber § 16 G 10 überarbeiten, sodass zukünftig nicht mehr zwingend „parlamentarische“ Kontrollen, sondern auch gerichtliche oder gerichtsähnliche Kontrollen ausreichen.

Jedenfalls ist dem hamburgischen Gesetzgeber zu raten, dem geplanten Unabhängigen Kontrollgremium die Aufgaben der G 10-Kommission zu übertragen und diese aufzulösen. Alternativ könnte er von der Schaffung des neuen Kontrolleurs Abstand nehmen und die G 10-Kommission professionalisieren. Warum man einer Behörde mit 207 Mitarbeitern – ohne zwingenden Grund – einen weiteren Rechtskontrolleur zumuten möchte, ist nicht nachvollziehbar.

Streichung der Wohnraumüberwachung

Zudem sollten die Gesetzgeber in Betracht ziehen, die Befugnis zur Wohnraumüberwachung zu streichen. Einerseits sollten Maßnahmen, die tatsächlich keine praktische Relevanz haben – was letztlich die Nachrichtendienste selbst bewerten müssen – aus den Fachgesetzen gestrichen werden. Und andererseits würde die damit verbundene Kontrollinstanz entfallen. Ersteres ist bei der Wohnraumüberwachung naheliegend, da sie für die Tätigkeit der Nachrichtendienste ohnehin nicht das Mittel der Wahl ist, da die verfassungsrechtlich zwingend einzuhaltenden Tatbestandsvoraussetzungen kaum je erreicht werden (Löffelmann/Zöller, Nachrichtendienstrecht, S. 103.). So schreibt das Grundgesetz für ihren präventiven Einsatz beispielsweise das Vorliegen einer dringenden Gefahr vor, was Nachrichtendienste selten bejahen können, weil sich ihre Tätigkeiten überwiegend im Vorfeld einer Gefahr abspielen. Hinzu kommt, dass die Befugnis nur eingesetzt werden darf, wenn geeignete polizeiliche Hilfe für das bedrohte Rechtsgut ansonsten nicht rechtzeitig erlangt werden kann. Konsequenterweise ist die Befugnis zur Wohnraumüberwachung (anders als fast alle anderen nachrichtendienstlichen Mittel) nur in dreizehn von 19 Nachrichtendienstgesetzen bundesweit enthalten. Auch der hamburgische Gesetzesentwurf sieht vor, die Befugnis aufzuheben. Die Nachrichtendienste, die dazu befugt sind, müssen sich die Maßnahme hingegen nach Art. 13 GG vorab richterlich genehmigen lassen. Somit würde mit dem Streichen der Befugnis auch dieser Richtervorbehalt wegfallen. Auf der Bundesebene und in den Bundesländern, die die Vorabkontrolle der anderen eingriffsintensiven Maßnahmen nicht dem Gericht übertragen haben, würde dadurch ein Rechtskontrolleur wegfallen.

Mit der Streichung der Wohnraumüberwachung aus den Nachrichtendienstgesetzen des Bundes würde auch die Zuständigkeit des Gremiums nach Art. 13 Abs. 6 GG für die Nachrichtendienste entfallen.

Auflösung des Vertrauensgremiums

Wie in einigen Bundesländern üblich, sollte auch auf der Bundesebene das Parlamentarische Kontrollgremium (und nicht wie bisher das Vertrauensgremium) die Ausgaben der Nachrichtendienste bewilligen und beaufsichtigen. Um haushälterische Expertise trotzdem einbinden zu können, wäre es denkbar, jeweils einem Haushaltsexperten der im Parlamentarischen Kontrollgremium vertretenen Fraktionen ein Beratungsrecht einzuräumen. Für diese Lösung spricht, dass die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums die Politiker sind, die sich mit der Arbeit der Nachrichtendienste am besten auskennen und deshalb entsprechende Haushaltsposten inhaltlich am ehesten bewerten können. Durch diese Lösung würde sich nicht nur der Aufwand für die Nachrichtendienste und die Anzahl der Geheimnisträger verringern, sondern es ließe sich auch die Kontrolldichte erhöhen, weil die beiden Gremien dann von der Exekutive nicht mehr mit Verweis auf ihre jeweilige Zuständigkeit gegeneinander ausgespielt werden können.

Abbau von Parallelzuständigkeiten

Mit dem Administrativen Kontrollgremium hat die Große Koalition 2021 – ohne verfassungsrechtliche Notwendigkeit – neben dem Bundesdatenschutzbeauftragten (BfDI) einen weiteren Datenschutzkontrolleur für die Tätigkeiten des Bundesnachrichtendienstes etabliert. Das Administrative Kontrollorgan kontrolliert Datenverarbeitungen im Rahmen der strategischen Ausland-Fernmeldeaufklärung auf ihre Rechtmäßigkeit, während der BfDI alle Datenverarbeitungen des BND auf ihre Datenschutzkonformität hin überprüfen kann. Die überschneidenden Zuständigkeiten im Bereich der strategischen Ausland-Aufklärung wurden schon vor Verabschiedung der letzten BDNG-Novelle kritisiert und könnten zugunsten des BfDI aufgelöst werden (Wetzling/Moßbrucker, BND-Reform, die Zweite 2020, S. 15 f.).

Fazit

Obwohl in Teilen der Politik und der Nachrichtendienste durchaus üblich, ist es nicht nachvollziehbar, wenn dem Bundesverfassungsgericht die Hauptverantwortung für die zunehmende Zersplitterung der Kontrolllandschaft zugeschrieben wird. Denn es sind die Gesetzgeber, die die hohe Anzahl der Kontrolleure verfassungskonform reduzieren könnten. Bisher werden diese gesetzgeberischen Möglichkeiten allerdings viel zu wenig genutzt. Das mag auch daran liegen, dass im Ernstfall eine Schuldzuweisung an die Kontrolleure und das Bundesverfassungsgericht deutlich bequemer ist, als strukturelle Defizite der nachrichtendienstlichen Arbeit aufzuarbeiten.