11 May 2022

Wer hätte nicht gern ein Sondervermögen?

Was immer die vom Bundeskanzler angekündigte „Zeitenwende“ für die Internationalen Beziehungen bedeuten mag – billig zu haben ist sie nicht. Zur Finanzierung der Ertüchtigung der Bundeswehr soll die Regierung ermächtigt werden, Kredite in Höhe von bis zu 100 Milliarden Euro aufzunehmen. Über das politische Symbol einer Pauschalsumme, über deren Veranlassung und nähere verteidigungspolitische Verwendungszwecke wäre viel zu sagen. Die Sachverständigenanhörung des Haushaltsauschusses des deutschen Bundestages am 9. Mai konnte diese Parlamentsaufgabe selbstredend nicht erledigen.

Ohnehin sieht die fällige Verfassungsänderung ja nur eine Einmalermächtigung nebst Zweckbindung vor („Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit“). Augenscheinlich soll der so ergänzte Art. 87a Abs. 1a GG reiner Anlassbehelf bleiben. Er verbraucht seine Bedeutung durch Gebrauch. Und auch der konkretere Gesetzentwurf zum Bundeswehrsondervermögen kommt doch betont demokratisch daher. Eine baldige Eingemeindung in den ordentlichen Haushalt ist vorgesehen sowie ein Billigungsvorbehalt des Haushaltsausschusses „für Vorhaben des Sondervermögens, die ein Volumen von 25 Millionen Euro überschreiten“. So ist die Absicht offenkundig, den exekutiven Willkürspielraum zu beschränken. Eine Zeitenwende mit Ordnung, so scheint es.

Umso hellhöriger sollten wir für die finanzverfassungspolitische Melodie der Vorgänge werden. Das Vorhaben, einen riesigen Ausnahmewehretat zu schaffen, kann kein bloß pragmatisch bewältigter Sachzwang sein. Die Kombination von Ausnahme, Rüstung und Sonderfinanzierung bringt einen mächtigen Resonanzkörper zum Schwingen. Denn nicht nur ruft der Vorgang ins Gedächtnis, welch fatale Rolle das Gegeneinander von Staatsverfassung, Wehretat und Finanzverfassung in der deutschen Demokratie- und Diktaturgeschichte historisch gespielt hat. Der wehrpolitische Ausnahme-Etat macht erneut möglich, die steuerliche Regelfinanzierung und finanzzweckungebundene Budgetroutine in einem der demokratisch essentiellsten Souveränitätsfelder auszuhebeln.

Rot-gelb-grünes Licht

Das klingt zu dramatisch? Mit Gelassenheit mag reagieren, wer weiß, dass die Schaffung und Verwendung von Sondervermögen so sonderbar gar nicht ist. Einen astronomischen Ausnahmefiskus für Notlagen zu kreieren ist längst Normalität deutscher Finanzpolitik geworden. Finanzmarktcrash und Bankenkrise, Naturkatastrophen und „Corona“ haben die Notlösungsrhetorik normalisiert. Das spezielle Rechtfertigungsgebot für Sondervermögen ist längst durch den politischen Reklametrend verwischt, sogar Standardabgaben und Alltagsgesetze mit plakativen Zweckbindungen zu assoziieren („Solidaritätszuschlag“, „Gute-Kita-Gesetz“ usf.). Im hessischen „Gute-Zukunft-Gesetz“ – dem Versuch, ein „Corona“-bezogenes Sondervermögen einzurichten – floss beides gleich zusammen (Meickmann 2022). Die schwindelerregenden Summen selbst hingegen provozieren kaum noch effektives Misstrauen. Teile der für Zweidrittelmehrheiten erforderlichen Opposition signalisieren gar staatspolitischen Burgfrieden. Insofern wohl wird gelten: rot-gelb-grünes Licht für das Sondervermögen.

Doch könnte die immer routiniertere Verschränkung von Megakrisen und Ausnahmebudgets durchaus Anlass zur Sorge bieten. Denn natürlich ist es regierungspolitisch attraktiv, einen vom regulären Haushalt abgesonderten Etat zu kreieren, wo ein massiver Mitteleinsatz politisch womöglich unpopulär ist oder der Regierungsapparat seine parlamentarische Sabotage fürchtet. Hegt die Regierung Zweifel an einer ‚unbürokratischen‘ Verfügungsfreiheit über wofür auch immer notwendige Mittel, könnten ihr parlamentarische oder föderale Transparenz- und Kompromisszwänge allzu lästig erscheinen. Da mag helfen, dass Sondervermögen „sich aus [der] rechtlichen und politischen Logik“ eines einzigen, periodischen, vollständigen und ordentlichen, d.h. gesetzmäßigen Budgets ausklinken: „Eine – meist beachtliche – Vermögensmasse wird neben dem zentralen Haushalt errichtet und an ihm vorbei verwaltet. Meistens ist für diese Ausgaben nicht das Parlament, sondern die Exekutive zuständig“ (Waldhoff 2022: S. 320).

No representation without taxation

Wollte man dagegen Bedenken anmelden, dann weniger konkret verfassungsrechtlicher als verfassungshistorischer und damit auch verfassungspolitischer Art. Verfassungsgeschichtlich kommt hier vor allem das fiskalisch gehegte Militärprivileg des kaiserzeitlichen Preußen in den Sinn. In der Verfassungskonstruktion von 1871 war angelegt, dass Preußen das Reich regierte und nicht umgekehrt. Parlamentshaushalt und Wehretat wurden dafür getrennt. Doch nicht nur die reichsverbindliche Personalunion von preußischem König und militärischem Oberbefehl des Kaisers bedurfte dieses asymmetrischen Fiskalföderalismus. Auch preußische Hegemonie, extraparlamentarischer Militäretat und preußisches Besitzstandswahlrecht bedingten einander. An der preußischen Finanzautonomie hing das Klassenwahlrecht und mithin die ökonomische Grundlage der politischen Ständehierarchie.

Deshalb behinderte Preußen nicht nur die budgetrechtliche Macht des Reichstags. Es musste auch die ökonomische Liberalisierung des eigenen Fiskus unterdrücken. Der Aufstieg von marktwirtschaftlichen Neureichen in die oberste Zensusklasse hätte die traditionelle Architektur des Ancien Régime untergraben und eine Machtverschiebung von Ost nach West, von Land nach Stadt, von den Agrarflächen zu den Industriezonen bewirkt. Folgerichtig versah Preußen die Logik des marktsteuerlich bestückten Standardbudgets einfach mit negativem Vorzeichen: je mächtiger der Kapitalismus Einzug hielt, desto stärker baute es die Steuern zurück. Die für die Geschichte dann so folgenreiche Misere der deutschen Sondereinnahmen – vom „Wehrbeitrag“ über die Kriegskredite bis zu den Kriegsanleihen, die ab 1913 einem steuerpolitisch unbeholfenen Parlament abverlangt oder gleich ganz ohne den Reichstag organisiert wurden – hat hier ihren Ursprung. In der modernen deutschen Finanzgeschichte hatten lediglich das ruinierte junge Weimar und die sozialistische DDR einen geringeren Steueranteil am Staatsbudget als das sich mittels staatseigener Unternehmungen vom kaum belasteten Steuer-Elektorat und vom Reichstag gleichermaßen emanzipierende Preußen der späten Kaiserzeit.

So versteht sich leichter, warum die Weimarer Republik einen strikt zentralistischen Steuerstaatskurs einschlug. Der schützte zwar nicht vorm Staat im Staate: Die geheime Aufrüstung der Reichswehr in der Weimarer Republik, erinnert Christian Waldhoff (2022: 320), verhinderte „pikanterweise in Zusammenarbeit mit der damaligen Sowjetunion“ die „parlamentarische Kontrolle der Armee“ und unterlief die „Rüstungsbegrenzungen des Friedensvertrags von Versailles.“ Noch die grundgesetzliche Forderung (Art. 87 a I GG), den Wehretat dem parlamentarischen Haushaltsplan zu unterwerfen, gehe auf diesen Coup zurück. Die Parlamentsarmee sollte keine Regierungswaffe sein. Heute nun ist es just dieses Gebot, kein außerparlamentarisches Sondervermögen für den Wehretat vorzuhalten, das besagte Verfassungsergänzung erfordert: damit solch ein Sondervermögen doch möglich wird. Nunmehr, ‚pikanterweise‘, gegen Russland.

No taxation without authorization

Verfassungspolitisch hingegen ist auf einen prinzipiellen Umstand zu verweisen: Die zueinander komplementär gebaute und grundrechtlich unterfangene Finanz- und Wirtschaftsverfassung der BRD sieht ein liberalkapitalistisches Steuerstaatsideal als Regelfall an. Hierbei unterliegen nicht die Staatseinnahmen im Allgemeinen einer besonderen Rechtfertigungsbedürftigkeit. Denn ‚one (wo)man, one vote‘, Privateigentumsgarantie, Freizügigkeit, Berufs- und Unternehmerfreiheit, allgemeine Steuerpflicht ohne individuellen Gegenleistungsanspruch sowie allgemeines und gleiches Wahlrecht harmonieren hier in modellgültiger Weise.

Was dagegen eigens begründungsbedürftig ist, sind Abgaben und Einnahmen, die zu diesem dynamischen Autorisierungskreislauf in einem prinzipiellen Konflikt stehen. Dazu gehören etwa entschädigungsschiefe Enteignungen, fiskalisch motivierte Gefängnisarbeit oder Wehrdienste. Und dazu zählen Einnahmen, die die liberaldemokratische Repräsentationseinheit aktuell oder potentiell, punktuell oder prinzipiell verlassen. Beispielsweise, weil sie nicht vorrangig die Bürger_innen für die Finanzierung von Staatstätigkeit und die bewilligungsfähigen Folgekosten von Regierungsentscheidungen in Anspruch nehmen, sondern auf Neben- und Schattenhaushalte zugreifen, finanzmarktgeschäftlich tätig werden, auf nicht-öffentliche Kassen und anonyme Spenden setzen oder Kosten vorsätzlich und unentgeltlich oder effizienzspekulativ rechtlich wehrlosen oder unmündigen Dritten direkt auferlegen oder indirekt auf sie überwälzen (auf Zwangsarbeiter_innen, staatseigene Nutztiere, Söldnerfirmen und Soldateska, Billiglohnländer usf.).

Die Grauzonen sind sicher zahlreich. Steuerstaatlichkeit in Gänze zu realisieren ist weder möglich noch sinnvoll. Hervorzuheben ist jedoch, dass die Steuervorrangnorm eigentlich keine Etatstrategie wünschen kann, die zwecks komparativer Kostenvorteile oder aufgrund von Machtkalkülen Bürger_innen oder Parlament aus der ökonomischen Verantwortung für politische Entscheidungen entlässt oder gar verdrängt. Andernfalls wäre das Risiko einer systemüberwindenden Strategie oder eines die fiskaldemokratische Souveränität des Staates verspielenden Abenteurertums zu groß. Das ist die freiheitliche Seite des Steuerstaatsgedankens: In der Fluchtlinie sollen Öffentliche Finanzen in Form allgemeiner Zwangsabgaben gleichheitsgerecht und nach individueller Leistungsfähigkeit und Zumutbarkeit gewichtet aus dem voraussichtlichen Leistungsreservoir der eigenen Bevölkerung gedeckt werden können.

Ausnahme-Vermögen

Für anderes sind die Spezialfälle gedacht: Sonderabgaben, Sonderhaushalte, Sondervermögen. Sie sollen Ausnahmen vom Regelfall sein (Isensee 2007). Assoziative Besonderheiten des „Sondervermögens“ sind mithin mehr als Wortklingelei. Denn wie es Ausnahmen so an sich haben, implizieren sie bereits die Norm. Ihre Evidenz verweist mindestens so sehr auf den Normalfall wie auf die Abweichung von ihm. Im Unterschied zum Feudalstaat, zum Rentierstaat oder zum sozialistischen Staat soll der freiheitliche Staat keine Eigenmittel besitzen, die ihn in den Status setzten, sich selbstständig zu unterhalten, also die materielle Reproduktion seiner Herrschaft unabhängig von den gleichartigen geldlichen Zuflüssen seiner staatsbürgerlichen Interessenten und ihrer Wirtschaftskraft zu gewährleisten (Depenheuer/Kahl 2017).

Damit aber werden „Sonder-Vermögen“ auch politisch und politik-ökonomisch interessant. Denn insofern sie Abweichungen für konkrete und akute Finanzierungsbelange aufzeigen, gerät ja nicht allein die materielle Reproduktion des Staates und die institutionelle Standardstruktur seiner Finanzen ins Blickfeld. Sehr viel allgemeiner wird überhaupt daran erinnert, dass es andere als die uns über einige Nachkriegsjahrzehnte hinweg vertrauten Fiskalwege gibt. Max Weber zählte Dutzende Typen der „Art[en] der Beschaffung der Nutzleistungen für das [politische] Verbandshandeln“ (1919/20: 428ff.). Die moderne Marktsteuer ist nur einer davon, und nicht einmal der historische oder hiesige Normalfall. Ein sonderlich stabiler Modus materieller Reproduktion von Herrschaft ist der Steuerstaat ebenfalls nicht. Wollen wir nur das letzte deutsche Jahrhundert heranziehen, waren weder das kaiserzeitliche Preußen noch die frühe Weimarer Republik, Hitlers Reich oder die DDR Steuerstaaten, und auch das historische Urteil über all die jüngeren Finanzkrisen und ökonomischen Ökologiewenden ist längst nicht gesprochen.

Unwillkürlich also werden durch die derzeitige Lage konkurrierende Fiskalvarianten aufgerufen, und zwar nicht, weil sie immerzu faktische Optionen wären, sondern weil das aktuelle Zusammentreffen von Sonderanlass, Finanznotwendigkeit und Sonderfinanzierungsoption zugleich die Vielzahl historischer und prinzipieller Alternativen in Erinnerung ruft. Dass sich die jüngsten Diskussionen um angemessene Reaktionen auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine überhaupt umgehend auf staatsfinanzwirtschaftliche Achillesfersen und Netzwerke konzentrierten und dabei schnell erkannten, dass die Ressourcenfrage nicht nur die üblichen Kriegsfinanzierungsprobleme (schnelle Mobilisierung großer Geldmengen bei gleichzeitiger Inflations-, Preis-, Produktions-, Konsum- und Stimmungskontrolle) umfasst, dürfte sowohl damit zu tun haben, dass Russland kein Steuerstaat ist, wie auch damit, dass erhebliche Teile der deutschen Steuereinnahmen am marktlich geordneten Zufluss russischer Zufallsressourcen hängen, konkret also: an fossilen Bodenschätzen.

Fiskalregimes

Angesichts dieser fiskalischen Agonalität und Ressourcenasymmetrie lässt sich unsere gewöhnliche Selbstgewissheit darüber, dass steuerliche Regelfinanzierung normativ und rational vorzugswürdig sei (dazu Reimer 2013), nicht ohne Weiteres durchhalten. Die vielen Wirtschafts-, Finanz- und Staatsfinanzkrisen der vergangenen Jahrzehnte, die planetarischen Herausforderungen des Anthropozäns und nun auch dieser Krieg bedingen, dass nach dem postsozialistischen Flautetriumph der 1990er Jahre endlich immer mehr und mitunter sogar bedeutende Schriften erscheinen, die Zusammenhänge zwischen Wirtschaftssystem, politischem Regime, Parteien- und Politikfinanzierung sowie allgemeiner und föderalistischer Staatsfinanz wieder grundsätzlicher untersuchen.

Sicher wäre es verfrüht, von einer Renaissance des Themas zu sprechen. Der Kreis der fiskalsystemvergleichenden Forscher_innen ist dafür zu klein, zu disparat und oft zu prekär. Immerhin aber überwindet die insgesamt überschaubare Anzahl von Büchern jene Selbstgefälligkeit der Trente Glorieuses, indem sie daran erinnert, dass sich das Paradigma Steuerstaatlichkeit als angeblich weltgeschichtlicher Standard erst lange nach dem Zweiten Weltkrieg durchsetzte und nur für wenige überdies krisengeplagte Jahrzehnte in Westeuropa und Nordamerika überhaupt galt (Döpking 2018).

So werden wir längst wieder mit der Bandbreite der einst von Richard Musgrave so genannten „Fiscal Systems“ konfrontiert (Musgrave 1969; zuvor schon Schumpeter 1918, später Bonney et al. 1999). Dazu zählen neben längst global diskutierten Arbeiten Thomas Pikettys und seines Kreises (Piketty 2020; Zucman 2014) auch eine Reihe rechtswissenschaftlicher Studien (jüngst etwa Schuppert 2019; Boysen 2021), politikökonomische (Cagé 2020; Hager 2016) und politiktheoretische Arbeiten (Dietsch 2015; Huhnholz 2018) sowie eine steigende Zahl finanzhistorischer Darstellungen und konkreter Länderstudien (z.B. Banken 2018; Buggeln 2022; Mehrotra 2014; Seelkopf et al. 2019; Steinmo 2018), ferner eine Menge von Arbeiten, die alternative Wirtschaftsmodelle nicht nur historischer oder utopischer Art anthropologisch oder normativ untersuchen (Adloff 2018; Corneo 2014; Scott 2017; Wright 2017).

Neben gebührenstaatlichen Sondierungen, dem Modell Steueroase (Ötsch 2020), Wolfgang Streecks Spezialfall „Konsolidierungsstaat“ (Streeck 2013) oder Mariana Mazzucatos „Unternehmerstaat“ (2014) geraten hierdurch auch die für Autoritarismus anfälligsten Fiskalvarianten wieder in den Blick: Staaten, die durch Ausbeutung natürlicher Ressourcen, Ausnutzung geographischer Sonderlagen oder die Erpressung, vorsätzliche Deportation, Inhaftierung und Arbeitsversklavung von Menschen und anderen Tieren über Extraktionsquellen verfügen, die zur materiellen Reproduktion ihrer Herrschaft nicht auf die formal freie Vermarktung individueller Leistungsfähigkeit ihrer eigenen Bürgerinnen und Bürger angewiesen sind (siehe Waldner/Smith 2015; Reno 2015).

Die Substitution von Steuern und steuer- oder marktbasierten Staatsschulden durch die hoheitliche Ausbeutung unfreier oder staatseigener Quellen erleichtert dabei eine willkürliche Politik des Abkaufs von Partizipation. Versorgung trumpft Protest, Loyalty erstickt Voice. Da die dafür erforderliche rentierstaatliche Ausbeute aber nicht nur für Isolation genutzt wird, etwa Abschottungen nach dem großen Modell Saudi-Arabiens oder dem kleinen Katars ermöglicht (Diamond 2010; Mitchell/Gengler 2018), sondern beispielsweise auch auf finanzmarktliche Integration mittels Staatsfonds oder auf Auslandsfinanzierung setzt (m.E. Entwicklungshilfe, Staatsbürgerschaftsverkauf, EU-Agrarsubventionen usf.), ist das Spektrum jener Staaten breit, die auf liberalkapitalistische Steuern im engeren Sinne zu gewichtigen Teilen verzichten (z.B. Corbacho 2013; Herb 2005; Schlichte 2005). Sie tun sich leichter (oder könnten es tun), den No taxation without representation-Modus zu ignorieren und stattdessen auf herrschaftsadäquat vorgeplante Beutezuteilung zu setzen.

Skandinavische und südostasiatische Staatsfonds stehen dann neben Orbáns Ungarn und Putins Russland, einer Reihe von Steueroasen in Europa und Übersee wie auch neben den Staaten, die von Fracking bis Regenwaldrodung auf die kurzfristige, international besehen: passiv-aggressive Strategie setzen, die ökologischen und ökologisch bedingten Folgekosten überzuwälzen, territoriale Zufallsressourcen zu kommerzialisieren und sie direkt, staatseigen oder nur passiv lizenzrechtlich durch Monopolisten, Kartelle oder politische Staatsinteressenten vermarkten zu lassen (siehe z.B. Carney 2019; Kruchem 2020; Xu/Bahgat 2010; Widerquist/Howard 2012). Seit jeher vorn dabei: Russland (Easter 2016; Etkind 2021; Kindler 2022; Kotsonis 2014; Luong 2015).

in fisco veritas

Dies zusammengenommen, verweist das geplante Sondervermögen auf eine mehr als bloß symbolische Konfrontation von Steuerstaat versus Petrolstaat und auf mehr als das akute Standardkriegsproblem fiskalischer Ressourcenmobilisierung. Der aktuelle deutsche Verfassungskick, Parlamentsbindungen und Finanzierungsfesseln ausgerechnet zugunsten einer exekutiven Militärkasse zu lockern, obwohl steuerliche Wege – wie auch die Sachverständigenanhörung vermerkte – gangbar sind, spekuliert nicht allein auf leistungslose Okkasionalitätsprämien wie Putin auf russische Petroleinnahmen. Roulette gespielt wird auch verfassungspolitisch. Denn wie liberal ist die Verfassungsrealität, wenn einer Regierung so sehr vertraut wird, dass ihr mit der Durchbrechung ordentlicher Haushaltsgrundsätze ein wehrwirtschaftliches Zeitfenster geöffnet wird, währenddessen ihr militärischer Schattenhaushalt von parlamentarischer und von steuerdemokratischer Kontrolle zugleich und absichtlich entbunden ist?

Literatur

Frank Adloff: Politik der Gabe. Für ein anderes Zusammenleben, Hamburg: Nautilus 2018.

Ralf Banken: Hitlers Steuerstaat. Steuerpolitik im Dritten Reich, Berlin u. Boston 2018

Richard Bonney et al. (Hrsg.): Crisis, Revolutions and Self-sustained Growth: Essays in European Fiscal History, c. 1130-1830, Stamford 1999.

Sigrid Boysen: Die postkoloniale Konstellation. Natürliche Ressourcen und das Völkerrecht der Moderne, Tübingen 2021.

Marc Buggeln: Das Versprechen der Gleichheit. Progressive Steuerpolitik und die Reduktion sozialer Ungleichheit 1871-1945, Berlin (i.E. 2022).

Julia Cagé: The Price of Democracy. How Money Shapes Politics and What to Do about It, Cambridge 2020.

Richard W. Carney: Authoritarian Capitalism. Sovereign Wealth Funds and State-Owned Enterprises in East Asia and Beyond, Cambridge 2019.

Ana Corbacho et al. (Hrsg.): More than Revenue. Taxation as a Development Tool, Basingstoke 2013.

Giacomo Corneo: Bessere Welt: Hat der Kapitalismus ausgedient? Eine Reise durch alternative Wirtschaftssysteme, Wien: Goldegg 2014; Erik Olin Wright: Reale Utopien. Wege aus dem Kapitalismus, Berlin 2017 (Orig. 2010).

Otto Depenheuer & Bruno Kahl (Hrsg.): Staatseigentum. Legitimation und Grenzen, Berlin 2017.

Larry Diamond: Why are there no Arab Democracies?, in: Journal of Democracy, 21(1), 2010, S. 93-112.

Peter Dietsch: Catching Capital, Oxford 2015.

Lars Döpking (Hrsg.): Schwerpunktheft „Von Steuern und Staaten“, Mittelweg 36, 27(