Werkzeuge für den Völkerrechtsbruch
Die Drohnenbewaffnung in Deutschland und Rechtspositionen der Bundesregierung
Im Koalitionsvertrag heißt es: „Völkerrechtswidrige Tötungen lehnen wir kategorisch ab, auch durch Drohnen.“ Dennoch hat die Bundeswehr bewaffnungsfähige Drohnen geleast – wenn auch ohne die dazugehörigen Waffen. Die Bundesregierung beteuert zwar, die Drohnen nur rechtmäßig einsetzen zu wollen, vertritt aber völkerrechtliche Auffassungen, die sowohl Gerichte als auch weite Teile der Wissenschaft (hier und hier) als rechtswidrig einstufen. Solange sich das nicht ändert, sollte von einer Bewaffnung der Drohnen abgesehen werden. Andernfalls würde die Bundeswehr ein Werkzeug an die Hand bekommen, das es anderen Staaten bereits erleichtert hat, das Völkerrecht zu brechen.
Im Koalitionsvertrag steht auch: „Über die Beschaffung von Bewaffnung wird der Deutsche Bundestag nach ausführlicher völkerrechtlicher, verfassungsrechtlicher und ethischer Würdigung gesondert entscheiden.“ Wie diese „ausführliche Würdigung“ aussehen soll, bleibt nebulös. Jedenfalls hat das Bundesverteidigungsministerium zu einer Podiumsdiskussion am 11. Mai 2020 eingeladen und plant scheinbar noch im Juni 2020, eine Vorlage zur weiteren Behandlung und Entscheidung an den Bundestag zu richten. Es ist zu hoffen, dass die Podiumsdiskussion nicht der einzige Raum für – hoffentlich kontroverse – Debatten im Rahmen der „ausführlichen Würdigung“ bleibt.
Worum geht‘s?
Primär dreht sich die völkerrechtliche Diskussion darum, ob eine Erweiterung von Möglichkeiten, militärische Gewalt global einzusetzen, gerechtfertigt werden kann. Dabei geht es vor allem um Gewalt gegen nicht-staatliche Akteure, etwa in der Bekämpfung des internationalen islamistischen Terrorismus. Mit der Tötung General Qasem Soleimanis durch US-Drohnen Anfang Januar 2020 sowie den Einsatz bewaffneter Drohnen etwa der Türkei in Nordsyrien oder den Kampfdrohnen chinesischer und türkischer Herkunft beider Konfliktparteien in Libyen wurden die Einsatzgebiete von Kampfdrohnen ohnehin schon ausgeweitet. Mit dem Fall Soleimani sind gezielte Tötungen gar auf zwischenstaatlicher Ebene angekommen.
Es gibt verschiedene völkerrechtliche Stellschrauben, an denen die Protagonisten einer extensiven Ausdehnung militärischer Gewalt seit einigen Jahren drehen. Das betrifft vor allem das Gewaltverbot der UN-Charta und das humanitäre Völkerrecht sowie den damit verbundenen Menschenrechtsschutz.
Eine kleine Gruppe von Staaten artikuliert offen (etwa in Erklärungen gemäß Artikel 51 der UN-Charta an den UN-Sicherheitsrat), dass ihre Rechtsauffassung von der jahrzehntelangen, gefestigten Auslegung der anerkannten Ausnahmen vom völkerrechtlichen Gewaltverbot abweicht. Sie versuchen damit, den Einsatz militärischer Gewalt (zum Beispiel durch bewaffnete Drohnen) auf dem Hoheitsgebiet anderer Staaten zu rechtfertigen. Diese Auffassung hat machtpolitisches Gewicht, denn es handelt sich bei diesen Staaten allen voran um die USA und das Vereinigte Königreich – also zwei der fünf ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat. Dieses Gewicht zeigt auch die Praxis der Drohneneinsätze.
Ein Ansatzpunkt dieser Auffassung ist die Erheblichkeitsschwelle jenseits derer eine Gewaltausübung ein Selbstverteidigungsrecht auslöst. Drohungen, Anschläge und Attentate nicht-staatlicher Akteure werden schnell als bewaffnete Angriffe ausgelegt, die im Rahmen der Selbstverteidigung einen militärischen Einsatz in einem anderen Staat ohne dessen Zustimmung rechtfertigen sollen. Dabei wurde die Schwelle zum bewaffneten Angriff bislang zurecht sehr strikt ausgelegt, um das Gewaltverbot nicht leichtfertig zu unterlaufen.
Auch um die zulässige Intensität des Gegenschlags (etwa des Drohnenangriffs) wird gerungen. Dieser darf klassisch nur der Beendigung des bewaffneten Angriffs dienen, nicht aber in einen Folgeangriff übergehen. Eine Rolle spielt dabei auch die zeitliche Komponente, wonach Akte der Selbstverteidigung unmittelbar auf einen bewaffneten Angriff erfolgen müssen, da sie ansonsten rechtswidrige Vergeltungsmaßnahmen wären. Ebensowenig dürfen Angriffe zeitlich weit vorgelagert werden oder nur eine abstrakte Gefahr abwehren. Präventivschläge sind nur in engen Grenzen gegen unmittelbar bevorstehende Angriffe unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit erlaubt.
Angriff auf das Gewaltverbot
Deutschland schweigt meist zu internationalen Drohneneinsätzen und Völkerrechtsbrüchen. Doch manchmal äußerst sich die Bundesregierung, wenn auch nicht fallspezifisch, sondern in anderen, ähnlich gelagerten Kontexten. Das gibt Anlass zur Sorge. Während das Auswärtige Amt eine große Kampagne für den Multilateralismus und das Völkerrecht ins Leben ruft, bergen die völkerrechtlichen Positionen der Bundesregierung die Gefahr, das Völkerrecht als internationales Ordnungsinstrument nachhaltig zu schädigen.
Am 10. Dezember 2015 gab Deutschland eine Artikel 51-Erklärung an den UN-Sicherheitsrat hinsichtlich der Beteiligung an der Anti-ISIL Koalition und deutschen Tornados im syrischen Luftraum ab. Darin heißt es etwa, dass die bewaffneten Angriffe von ISIL u.a. gegen Frankreich ausreichend seien, um das kollektive Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 UN-Charta auszulösen. Diese Position geht implizit davon aus, dass das Selbstverteidigungsrecht auch gegenüber nicht-staatlichen Gruppen gilt und dass eine Zustimmung des betroffenen Territorialstaats – hier Syrien – nicht erforderlich ist, da dieser die Kontrolle über einen Teil seiner Gebiete an ISIL verloren hat. Die Erklärung ist extrem kurzgehalten und die Bundesregierung bleibt eine weitere Erläuterung schuldig, inwiefern die Attentate insbesondere in Frankreich die Schwelle eines bewaffneten Angriffs erreicht haben sollen. Die Bundesregierung führt auch nicht weiter aus, inwieweit das Selbstverteidigungsrecht auch dann einschlägig sein soll, wenn der betroffene Staat die nicht-staatliche Gruppe nicht einmal unterstützt (anders als etwa die Talibanregierung dies 2001 mit Al Qaida in Afghanistan tat), sondern selbst auf seinem Staatsgebiet bekämpft (mit anderen Bündnispartnern). Die Erklärung erweckt den Eindruck, dies sei gängige Staatenpraxis und herrschende völkerrechtliche Meinung, was mitnichten der Fall ist.
Wenn man diese Rechtsauffassung auf den Einsatz bewaffneter Bundeswehr-Drohnen bezieht, könnte man weltweit gegen nicht-staatliche Gruppen militärisch vorgehen, die Anschläge begehen und einen Rückzugsort haben. Dies geschieht auch zunehmend bereits durch andere Staaten, die sich nicht ans Völkerrecht gebunden fühlen, etwa bei grenzüberschreitenden Drohneneinsätzen der Türkei in Syrien und im Irak, und löst damit nach und nach das in der UN-Charta jahrzehntelang verankerte Gewaltverbot in den internationalen zwischenstaatlichen Beziehungen auf.
In einem der wenigen Gerichtsurteile, die sich mit Drohneneinsätzen und dem völkerrechtlichen Gewaltverbot beschäftigen, führte das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen am 19. März 2019 aus, dass der abzuwehrende Angriff eine hinreichende Schwere aufweisen müsse, um das Selbstverteidigungsrecht auslösen zu können. Zudem komme es auf die zeitliche Nähe zum dem bewaffneten Angriff an: Nachträgliche Vergeltungsmaßnahmen seien ebenso unzulässig wie Präventivschläge ohne eine unmittelbare Gefahr.
Die Position des Bundesverteidigungsministeriums, das in diesem Fall für die beklagte Bundesregierung das Verfahren führte, unterschied sich in dem Rechtsstreit kaum von den Positionen der USA. Während die Bundesregierung in ihrer Erklärung nach Artikel 51 sowie in den Vorlagen zur Verlängerung des Anti-ISIL-Mandats möglichst vage blieb, klang die Rechtsauffassung der Bundesregierung vor dem OVG NRW noch deutlich weitgehender, bis hin an die Grenzen dessen was bisher im Völkerrecht diskutiert wurde: Die Bundesregierung vertrat nicht nur die oben ausgeführte Ansicht, die eine Expansion des Selbstverteidigungsrechts mit sich bringen würde, sondern unterstütze auch die US-Position der präventiven Selbstverteidigung. Danach wäre die präventive Selbstverteidigung erlaubt, selbst bei einem möglichen zukünftigen, noch nicht genau bestimmbaren Angriff. Das OVG sah dies anders. Das Verfahren ist nunmehr beim Bundesverwaltungsgericht anhängig, da das Ministerium seine Rechtsauffassungen unverändert weiterverfolgt.
Humanitäres Völkerrecht dient ebenfalls der Rechtfertigung
Nicht nur das ius ad bellum steht im Zentrum der völkerrechtlichen Diskussion. Die Frage ist auch, ob sich ein Staat überhaupt in einem bewaffneten Konflikt befindet, wenn er mit Drohnen militärische Gewalt ausübt. In diesem Fall wäre nämlich das humanitäre Völkerrecht anwendbar. Hierbei geht es wieder darum, ob nicht-staatliche Akteure etwa aufgrund ihrer Struktur, Strategie und Befehlskette überhaupt Konfliktparteien sein können und ob ein Austausch von Feindseligkeiten eine gewisse Intensität erlangt hat. Reichen einzelne terroristische Anschläge an verschiedenen Orten der Welt aus, eine solche Intensität des gegenseitigen Austauschs von Feindseligkeiten zu erreichen, um von einem bewaffneten Konflikt zu sprechen? Wohl kaum. Einzig dort, wo nicht-staatliche Gruppen in einem abgrenzbaren Gebiet an Kämpfen beteiligt sind, wie in bestimmten Zeiträumen ISIL in Teilen Syriens und dem Irak, kann sicher von einer Konfliktsituation ausgegangen werden.
Und wenn humanitäres Völkerrecht anwendbar sein sollte, geht der Streit um die Auslegung von völkerrechtlichen Erlaubnistatbeständen weiter. Wer darf angegriffen werden? Es gilt das Unterscheidungsgebot zwischen Zivilisten und Kombattanten bzw. Kämpfern. Dieses muss strikt beachtet werden. Algorithmenunterstützte Angriffe aus der Luft auf Personen, die bestimmte Merkmale von Kämpfern erfüllen, aber nicht individuell als solche identifiziert wurden, genügen dem Unterscheidungsgebot des humanitären Völkerrechts nicht.
Den Völkerrechtsbruch schon argumentativ vorbereitet
Die Rechtsauffassung der Bundesregierung bedeutet für die versprochene ausführliche völkerrechtliche Würdigung jedenfalls nichts Gutes. Bewaffnete Drohnen sind – vor allem für die USA – das Mittel der Wahl, um politische Ziele mit völkerrechtswidrigen Mitteln zu verfolgen. Sollte die Bundeswehr nun ihre Drohnen bewaffnen, drohen etwa bei einer Erweiterung des Einsatzes in Mali und der Sahelzone Völkerrechtsverletzungen durch eine grenzüberschreitende Terroristenjagd mit tödlicher Gewalt. Auf dem Papier hat Deutschland das bereits juristisch vorbereitet.
Das ECCHR hat das im Text erwähnte Verfahren vor dem OVG NRW initiiert und unterstützt.
Da sich irregulär kämpfende Gruppen nicht an Landesgrenzen halten, ihre Kampfweise wie ihre grundsätzliche Strategie nicht mit den überkommenen Methoden früherer Zeiten gekontert werden können, sind neue Formen der Kriegsführung zwingend erforderlich. Folglich muss das entsprechende Recht angepasst werden. Überkommmene Auffassungen aus früheren, gänzlich anderen Zeiten um des Selbstzwecks wegen so exakt wie möglich aufrecht erhalten zu wollen ist weder moralisch sinnvoll noch praktisch. Das Töten von Menschen (auch wenn sie Feinde sind) ist grundsätzlich unmoralisch, so legal es auch sein mag. Die Frage der Notwendigkeit und der Legitimität sollten hier also vor der Frage der bloßen Papier-Legalität stehen. Da Völkerrecht nicht zuletzt Gewohnheitsrecht wird, entsteht durch die technische Weiterentwicklung des Kriegs hier zur Zeit schlicht und einfach neues Völkerrecht.
Wenn man Drohnen und ihre derzeitige Einsatzweise kritisieren will, dann sollte dies auf Grund von praktischen militärischen Erwägungen erfolgen, oder aus Gründen einer moralischen Diskussion welche die Frage nach der Legitimität stellt, nicht aber aufgrund eines Paragraphen-Fetischismus den man nur vorschiebt um das eigene Unbehagen damit irgendwie anders als mit bloßen Gefühlen zu begründen.
Völkerrechtswidrig kann auch mit jedem anderen Waffensystem getötet werden. Statt einer Drohne kann auch ein Angriff mit einer Rakete erfolgen, durch ein bemanntes Kampfflugzeug, durch ein Artillerie-Geschoss, durch einen Scharfschützen vor Ort. In keinster Weise ist dies dann eine rechtlich irgendwie andere Handlung, also eine Drohne einzusetzen.
Wenn man schon Menschen tötet ist die Diskussion darüber, auf welche Weise dies Legal und auf welche Weise es vermeintlich illegal ist gelinde gesagt pervers.
Die zunehmende grenzüberschreitende Gewaltanwendung durch andere Staaten ist eine Folge der sich verändernden Umstände, und nicht eine Folge der sich ändernden Technik. Auch diese ist nur ein Symptom der Aufweichung des Gewaltverbots und nicht die Ursache. Die Ursachen für den zunehmenden Verfall des Gewaltverbots sind in Wahrheit ganz andere, und hier zuvorderst die Anpassung feindlicher Gruppen an die bestehenden Verhältnisse und