Wie klage ich meinen Landrat weg?
Die Wahlanfechtung als Quasi-Popularklage in Thüringen
In Thüringen finden am 26. Mai 2024 Kommunalwahlen statt. Die sogenannten kommunalen Wahlbeamt*innen – Oberbürgermeister*innen, Landrät*innen sowie hauptamtliche und ehrenamtliche Bürgermeister*innen – müssen wie alle anderen Beamt*innen auf dem Boden der Verfassung stehen. Vergangene Woche hat der Wahlausschuss des Landkreises Hildburghausen Tommy Frenck mit drei zu zwei Stimmen als Kandidaten zugelassen und damit vorläufig die nötige Verfassungstreue attestiert. Sollte der Rechtsextremist zum Landrat gewählt werden, steht den Wahlberechtigten ein bislang wenig beachteter Weg offen, um diese Einschätzung gerichtlich überprüfen zu lassen: In Thüringen kann jede*r Wahlberechtigte mit einer Wahlanfechtung als Quasi-Popularklage die Verletzung der Wählbarkeitsvoraussetzungen vor den Verwaltungsgerichten geltend machen. Politisch kann das Störgefühle auslösen. Wenn die Wahlberechtigten die Verfassungstreuepflicht in Anspruch nehmen, handelt es sich aber auch um einen Akt demokratischer Verfassungsmobilisierung.
Dürfen Nazis Landräte werden?
Die kurze Antwort auf diese Frage lautet nein. Nach § 24 Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 28 Abs. 2 S. 1 ThürKWG ist zum Landrat nur wählbar, wer die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Landesverfassung einzutreten. Hintergrund dieser Anforderung ist die rechtliche Stellung von Landrät*innen. Landrät*innen sind in Thüringen gem. § 106 Abs. 1 ThürKO Beamte auf Zeit. Als oberste Kommunalbeamt*innen gelten für sie im Wesentlichen die aus Art. 33 GG abgeleiteten Grundsätze des Berufsbeamtentums. Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat „jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte“. Geeignet im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG sind nur Personen, die auch „die Fähigkeit und innere Bereitschaft“ haben, die „dienstlichen Aufgaben nach den Grundsätzen der Verfassung wahrzunehmen, insbesondere die Freiheitsrechte der Bürger zu wahren und rechtsstaatliche Regeln einzuhalten“. Die Eignungsvoraussetzung der Verfassungstreue wird damit zur Voraussetzung der Wählbarkeit in das Amt. Das Thüringer Kommunalrecht sieht vor, dass die Wählbarkeitsvoraussetzungen von Wahlbeamt*innen vorab durch die Wahlleitung und den Wahlausschuss überprüft werden (hierzu Kutting). Wenn es hinreichende Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Einstellung gibt, dürften Kandidat*innen bereits nicht zur Wahl zugelassen werden.
Erster Schritt: behördliche Wahlanfechtung oder -prüfung
Sollte dennoch eine Person, die nicht die Verfassungstreueanforderung erfüllt, vom Wahlausschuss zugelassen und in ein kommunales Amt gewählt werden, kann die Rechtsaufsichtsbehörde die Wählbarkeit gem. § 32 Abs. 2 ThürKWG von Amts wegen überprüfen (auch hierzu Kutting). Daneben können jede wahlberechtigte Person und Mitbewerber*innen gem. § 31 Abs. 1 ThürKWG die Wahl anfechten. Die Anfechtung erfolgt innerhalb von zwei Wochen durch schriftliche Erklärung gegenüber der Rechtsaufsichtsbehörde. Die Erklärung muss damit begründet sein, dass bei der Wahl das Thüringer Kommunalwahlgesetz oder die Kommunalordnung (Wahlvorschriften) verletzt wurde. Die Rechtsaufsichtsbehörde prüft gem. § 31 Abs. 2 Satz 3 ThürKWG, ob es erhebliche Verstöße gegen die Wahlvorschriften gab, die geeignet sind, das Wahlergebnis wesentlich zu beeinflussen. Die Entscheidung soll gem. § 31 Abs. 2 ThürKWG binnen einer Frist von drei Monaten getroffen werden. Die individuelle Anfechtung der Wahl tritt damit neben die – fakultative – Wahlprüfung durch die Rechtsaufsichtsbehörde, die gem. Art. 32 Abs. 2 Satz 1 ThürKWG die Einhaltung der Wahlvorschriften auch nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist von Amts wegen prüfen kann.
Verstöße gegen Wahlvorschriften sind immer dann als erheblich anzusehen, wenn sie wesentliche Vorschriften über die Wahlvorbereitung, die Abstimmung bei der Wahl oder die Ermittlung und Feststellung des Wahlergebnisses betreffen (vgl. OVG Thüringen OVG Thüringen, Urteil vom 20.6.1996, 2 KO 229/96, Rn. 89 ff. – juris). Wesentliche Wahlvorschriften können alle Bestimmungen sein, die die tragenden Grundsätze des Wahlrechtes, nämlich die allgemeine, unmittelbare, gleiche, freie und geheime Wahl sichern sollen (vgl. VG Weimar). Dazu zählen auch die Voraussetzungen für die Wählbarkeit, wie die Verfassungstreueanforderung nach § 24 Abs. 3 ThürKWG. Dies ist ständige Rechtsprechung der thüringischen Verwaltungsgerichte. So hat das VG Weimar in einer Entscheidung aus 2020 geprüft, ob ein wesentlicher Verstoß gegen eine Wahlvorschrift vorliegt, weil ein Stadtratsmitglied gewählt wurde, dass die Wählbarkeitsvoraussetzung nach § 12 i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 3 ThürKWG nicht erfüllte, weil sie ihren Aufenthalt nicht in der Gemeinde hatte. Das VG Weimar hat die Wahl des Stadtratsmitglieds wegen dieses Mangels für ungültig erklärt. Das OVG Thüringen hat diese Entscheidung bestätigt. Danach dürften auch andere Wählbarkeitsvoraussetzungen wie die Verfassungstreue als wesentliche Wahlvorschrift gelten. Dies bestätigt auch die Überprüfung der Verfassungstreue Robert Sesselmanns im Rahmen der kommunalen Wahlprüfung von Amts wegen gem. § 32 Abs. 2 ThürKWG durch das Landesverwaltungsamt im vergangenen Sommer.
Zweiter Schritt: gerichtliche Wahlanfechtung als Quasi-Popularklage
Stellt die Rechtsaufsichtsbehörde auf den Anfechtungsantrag keinen Verstoß gegen Wahlvorschriften fest, kann gegen diese Entscheidung eine Wahlanfechtungsklage beim Verwaltungsgericht erhoben werden. Die Wahlanfechtungsklage wird von § 33 Abs. 1 ThürKWG vorausgesetzt und ist nach der Rechtsprechung des OVG Thüringen eine Gestaltungsklage eigener Art.
Die Wahlanfechtungsklage setzt keine Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO voraus. Die klagende Person muss sich nicht auf eine Verletzung eines subjektiven Rechts berufen können. Die Wahlanfechtungsklage als besondere Gestaltungsklage ist ausweislich der Leitentscheidung des OVG Thüringen an eine Popularklage angenähert. Die Formulierung „angenähert“ lässt sich dabei mit dem Umstand erklären, dass eine Klage nur von einer klageberechtigten Person erhoben werden kann. Klageberechtigt sind analog zur behördlichen Wahlanfechtung nach § 31 Abs. 1 ThürKWG alle Personen mit passivem oder aktivem Wahlrecht zu der jeweiligen Wahl. Statt eines allgemeinen Vorverfahrens nach §§ 68 ff. VwGO müssen Kläger*innen vor der gerichtlichen Wahlanfechtung gem. § 33 Abs. 1 ThürKWG die Wahl wie oben dargestellt nach § 31 Abs. 1 ThürKWG behördlich anfechten. Für die Wahlanfechtungsklage gilt die einmonatige Frist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO analog.
Fehlende Verfassungstreue führt zur Anfechtbarkeit der Wahl
Die Wahlanfechtungsklage ist begründet, soweit erstens erhebliche Verstöße gegen Wahlvorschriften vorliegen, die zweitens geeignet sind, das Wahlergebnis wesentlich zu beeinflussen vgl. § 31 Abs. 2 Satz 3 ThürKWG. Kläger*innen sind mit Einwendungen präkludiert, die sie nicht oder nicht hinreichend substantiiert und fristgemäß gem. § 31 Abs. 1 ThürKWG bereits gegenüber der Rechtsaufsichtsbehörde geltend gemacht haben.
Zunächst zum unkomplizierten Teil des Begründetheitsmaßstabs: Die zweite Voraussetzung (Geeignetheit das Wahlergebnis zu beeinflussen) ist jedenfalls immer dann erfüllt, wenn eine nicht wahlberechtigte Person zur Wahl zugelassen wurde. Zu diesem Ergebnis kommt die Rechtsprechung unter Verweis auf § 31 Abs. 2 Satz 4 ThürKWG. Danach ist die Wahl einer Person für ungültig zu erklären, wenn dieser Person die Wählbarkeit fehlte.
Hinsichtlich der ersten Voraussetzung gilt – wie bei der behördlichen Wahlanfechtung – dass die fehlende Verfassungstreue als Verstoß gegen die Wählbarkeitsvoraussetzung §§ 24 Abs. 3 i.V.m. 28 Abs. 2 ThürKWG einen Verstoß gegen Wahlvorschriften i.S.v. § 31 Abs. 2 Satz 3 ThürKWG darstellt. Die Verfassungstreueanforderung gem. §§ 24 Abs. 3 i.V.m. 28 Abs. 2 ThürKWG kann folglich auch gerichtlich geltend gemacht werden. Hierfür spricht zunächst der offene Wortlaut des § 31 Abs. 2 Satz 3 ThürKWG. Auch Vorschriften, die die Wählbarkeit betreffen, lassen sich unter den Begriff der Wahlvorschriften fassen. Dies entspricht der weiten Auslegung des Begriffs durch das OVG Thüringen, das nur die Geltendmachung bloßer Ordnungsvorschriften explizit ausschließt. Die Verfassungstreueanforderung ist gerade keine bloße Ordnungsvorschrift. Im Gegenteil: Die Verfassungstreueanforderung dient dem Ziel, die Eignung aller Mitarbeiter*innen des öffentliches Dienstes – und damit auch der kommunalen Wahlbeamt*innen – unterschiedslos zu gewährleisten. Nach Auffassung des BVerfG wird auf diese Weise die demokratische Zuverlässigkeit des öffentlichen Dienstes „als überragend wichtiges Gemeinschaftsgut“ sichergestellt.
Die materiellen Anforderungen an die Verfassungstreue von Beamt*innen hat Nitschke bereits hier erläutert. An die Verfassungstreue von kommunalen Wahlbeamt*innen gelten danach strenge Anforderungen. Für die Beurteilung der Erfolgsaussichten einer Wahlanfechtung wegen fehlender Verfassungstreue können drei Aspekte Orientierung bieten:
Erstens, für kommunalen Wahlbeamt*innen gelten dieselben beamtenrechtlichen Maßstäbe wie für sonstige Beamt*innen. Das OVG Thüringen führte hierzu aus:
„Allein die – verfassungsrechtlich nicht vorgegebene – Wahl des Bürgermeisters, seine im Beamtenrecht eingeräumte Sonderstellung (Befreiung von laufbahnrechtlichen Vorschriften und fachlichen Eignungsvoraussetzungen) sowie seine beschriebene exponierte Verwaltungsposition sind keine sachlichen Gründe, ihn auch von den persönlichen beamtenrechtlichen Eignungsvoraussetzungen freizustellen. Die Bestellung durch Wahl mag es rechtfertigen, den Bürgermeister, wie vom Gesetzgeber anerkannt, von ansonsten bestehenden fachlichen Eignungsvoraussetzungen zu entbinden. Die Wahl des Bürgermeisters befreit ihn jedoch nicht von der Anforderung der besonderen Verfassungstreue. Insoweit kann gerade vom höchsten Repräsentanten der Kommunalverwaltung nicht weniger verlangt werden als von anderen Beamten des Landes und der Gemeinden.“ (OVG Thüringen, Urteil vom 14.10.2003, 2 KO 495/03, Rn. 58, juris)
Zweitens, das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass Dienstherren vor Amtsantritt strengere Maßstäbe bzgl. der Verfassungstreue heranziehen können, als es später für die Annahme einer Dienstpflichtverletzung der Fall ist. Das Bundesverfassungsgericht begründet die niedrigere Schwelle damit, dass die Entfernung von Beamt*innen aus dem Dienst wegen Verletzung ihrer Treuepflicht nur im Wege eines förmlichen Disziplinarverfahrens möglich ist. Dienstherren hätten daher ein berechtigtes Interesse daran, dass niemand Beamte*r wird, der/die nicht die Gewähr bietet, jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten. Dienstherren hätten auch den Bewerber*innen gegenüber die Pflicht, die verfassungsrechtlich möglichen Vorkehrungen zu treffen, „damit er nicht genötigt wird, Beamte wegen ihrer politischen Treuepflicht in ein Disziplinarverfahren zu ziehen“. Ob diese Argumentation des BVerfG auf kommunale Wahlbeamt*innen übertragen werden kann, wurde bislang nicht gerichtlich entschieden. Dagegen spricht jedenfalls, dass die Wahlbeamt*innen auch durch eine Abwahl des Amtes enthoben werden können.
Drittens, die Entlassung einer Beamtin ist nicht mit der Meinungsfreiheit gem. Art. 10 Abs. 1 EMRK vereinbar, wenn sie einzig auf die aktive Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei gestützt wird. Daher wird allein die Aufstellung eine*r Kandidat*in für eine verfassungsfeindliche Partei wohl nicht ausreichen, um einen Verstoß gegen die Verfassungstreue zu begründen. Hinzukommen müssen weitere Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Haltung der Beamt*in, etwa wenn verfassungsfeindliche Äußerungen oder Straftaten nachweisbar sind.
Kommunalwahlbeamte sind Beamte
Die Feststellung der Ungültigkeit einer Wahl im Nachhinein kann demokratische Störgefühle auslösen. Bei Stattgabe der Wahlanfechtungsklage stellt das Gericht gestaltend fest, dass die angefochtene Wahl ungültig ist. Stellt das Gericht die Ungültigkeit der Wahl fest, wird die Wahl selbst kassiert, § 33 Abs. 4 Satz 1 ThürKWG (so auch das OVG Thüringen). Wenn das Gericht eine Verletzung der Wählbarkeitsvoraussetzungen feststellt, wird davon abweichend die Gültigkeit der Wahl nicht aufgehoben. In diesem Fall ist, entsprechend der Wertung des § 31 Abs. 2 Satz 3 ThürKWG, nur die Wahl der konkreten Person für ungültig zu erklären. Gem. § 23 Abs. 1 ThürKWG ist bei Verlust der Wählbarkeit einer gewählten Person ein*e Nachrücker*in zu berufen. In jedem Fall führt die nachträgliche (erfolgreiche) Anfechtung der Wahl zu einem Eingriff in die Gleichheit der Wahl: Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl gebietet nach Auffassung des BVerfG, dass alle Staatsbürger*innen das aktive und passive Wahlrecht in formal möglichst gleicher Weise ausüben können. Die gewählte Person, deren Wahl erfolgreich angefochten wurde, kann nicht mehr von ihrem passivem Wahlrecht Gebrauch machen. Zudem werden Stimmen, die Bürger*innen – im Vertrauen auf eine ordnungsgemäße Durchführung der Wahl – für eine*n nicht wählbare Kandidat*in abgeben, nicht berücksichtigt. Zugleich tritt die aus demokratisch-mathematischer Sicht nicht intuitive Folge ein, dass eine Kandidat*in als gewählt gilt, obwohl eine andere Kandidat*in bei der Durchführung der Wahl eine Mehrheit erhalten hat.
Ein verfassungsrechtlicher Blick auf die Rolle und Funktion kommunaler Wahlbeamt*innen hilft, diese Störgefühle einzuordnen. Denn: Verfassungsrechtlich gelten andere Maßstäbe für Bürgermeister*innen und Landrät*innen als für gewählte Abgeordnete. Für erstere gelten die Grundsätze des Beamt*innentums, für letztere die Rechte aus dem freien Mandat. Dementsprechend hebt auch die Rechtsprechung die verwaltende Funktion von kommunalen Wahlbeamt*innen hervor. Vor dem Hintergrund, dass die Wahlbeamt*innen für viele Verwaltungsaufgaben zuständig, also vollziehend tätig sind und teilweise Weisungen unterliegen (§ 3 Abs. 1 ThürKO) ist dies auch sachlich gerechtfertigt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Differenzierungen und Einschränkungen des Grundsatzes der Gleichheit der Wahl statthaft, wenn die jeweilige Landesverfassung oder das Grundgesetz selbst ausdrücklich dazu ermächtigt oder der Verfassungsordnung sonst eine ausreichende Ermächtigung entnommen werden kann. Die Verfassungstreueanforderung gem. §§ 24 Abs. 3 i.V.m. § 28 Abs. 2 ThürKWG erfüllt diese Maßstäbe. Das beamtenrechtliche Eignungsmerkmal der Verfassungstreue stellt (wie oben dargelegt) die demokratische Zuverlässigkeit des öffentlichen Dienstes als „überragend wichtiges Gemeinschaftsgut“ sicher. Überzeugend geht das BVerfG davon aus, dass es von der demokratischen Zuverlässigkeit des öffentlichen Dienstes abhängt, ob sich die Verfassungsprinzipien in der täglichen Praxis bewähren.
Was bleibt ist, dass die nachträgliche gerichtliche Wahlanfechtung im Vergleich zur Überprüfung durch Wahlausschüsse im Voraus, mit erheblicheren politischen Kosten verbunden ist. Die Zulassung eines notorischen Rechtsextremen wie Tommy Frenck als Kandidat für ein hervorgehobenes demokratisches Amt zeigt indes, dass es der Möglichkeit einer nachträglichen Korrektur als weiterer Schutzvorkehrung für den demokratischen Rechtsstaat bedarf. Die gerichtliche Wahlanfechtung kann diese Funktion aus zwei Gründen leisten: Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Wahl durch unabhängige Gerichte ist Ausdruck der Gewaltenteilung; die Anrufung des Gerichts durch eine wahlberechtigte Person selbst, die die Gewährleistung der Verfassungstreue einfordert, bindet dieses Verfahren an die Bürger*innen zurück. Die erfolgreiche Anfechtung einer hypothetischen Wahl von Tommy Frenck wäre damit nicht nur die notwendige Korrektur einer fragwürdigen Verwaltungsentscheidung, sondern ein Akt der demokratischen Verfassungsmobilisierung.
Danke für den Beitrag.
Leider behandelt er die spannende Frage nicht, ob eine Bürgermeister-/Landratswahl auch anfechtbar ist, wenn jemand nicht wählbares zur Wahl zugelassen war, aber nicht gewählt wurde. Gerade im Kontext einer Stichwahl können ja auch unterlegene Kandidaten einen Einfluss auf das Endergebnis haben. Sollte das ein Anfechtungsgrund sein, könnte dadurch auch mal ein Gericht entscheiden, wie die Kandidatur von Tommy Frenck einzustufen ist.
Außerdem möchte ich Ihrer Einschätzung zur Rechtsfolge der Ungültigkeitserklärung der Wahl zum Landrat widersprechen.
Sie gehen davon aus, dass dann der nächste Kandidat aus der durchgeführten Wahl nachrückt, egal wie viele Stimmen er bekommen hat.
Richtigerweise bezeichnen Sie das als aus “demokratisch-mathematischer Sicht nicht intuitive Folge”. Diese Intuition habe ich zum Anlass genommen, das Gesetz genauer zu studieren. Sie stellt sich als richtig heraus. Wenn sich der gewählte Landrat als nicht wählbar herausstellt, hat eine neue Wahl stattzufinden.
§ 31 II 3, 4 ThürKWG machen einen Unterschied zwischen der Ungültigerklärung “der Wahl” insgesamt wegen Wahlfehlern und der Ungültigerklärung “der Wahl einer Person”, wenn dieser die Wählbarkeit fehlt.
Diese Differenzierung hat für den Gemeinderat/Kreistag eine Bedeutung: statt dass eine Nach- oder Neuwahl stattfindet, rückt der nächste Bewerber nach. Das regelt § 23 I ThürKWG ausdrücklich und bestimmt auch, welches der nächste Bewerber ist. Die Ungültigerklärung der Wahl wird exakt gleich behandelt wie der Rücktritt in der laufenden Amtszeit oder jedes andere vorzeitige Ende der Amtszeit. Dieses System ist in ganz Deutschland üblich (vgl. BayVGH vom 13.6.1979 – 4 B – 660/79).
Für den Bürgermeister (und den Landrat, § 28 ThürKWG) gilt etwas anderes. Zwar werden die Vorschriften über die Wahl des Gemeinderats und damit auch § 23 ThürKWG für anwendbar erklärt, aber nur soweit nicht etwas anderes geregelt wird (§ 24 I ThürKWG). § 25 II 1 ThürKWG enthält aber eine eigenständige Regelung zum Umgang mit dem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Amt: es ist eine Neuwahl durchzuführen. Das entspricht dem Charakter der Bürgermeisterwahl als Personenwahl, bei der eine absolute Mehrheit (ggf. in der Stichwahl, § 24 VIII ThürKWG) für die Person stimmen muss. Ein Nachrücken des unterlegenen Kandidaten passt dazu nicht.
In gleicher Weise ist in § 24 IX 2 ThürKWG auch geregelt, dass bei Nichtannahme der Wahl durch den Gewählten eine Neuwahl stattzufinden hat.
Allerdings gibt es keine ausdrückliche Regelung, wie nach der Ungültigerklärung der Wahl zum Bürgermeister zu verfahren ist. Es könnte insofern § 23 ThürKWG eingreifen, der ein Nachrücken vorsieht. Die Regelung des § 23 ThürKWG passt aber nicht zur Bürgermeisterwahl: einen Nachrücker vom gleichen Wahlvorschlag gibt es nicht, wie es bei der Verhältniswahl zum Gemeinderat angeordnet ist (§ 23 II ThürKWG). Zwar enthält § 23 III ThürKWG auch eine Vorschrift für die “Mehrheitswahl”, wo der stimmenmäßig nächste Bewerber gewählt ist, dies bezieht sich aber auf die Wahl mit relativer Mehrheit in den Gemeinderat, wenn es nur einen oder keinen Wahlvorschlag gibt (§ 19 ThürKWG). Die Bürgermeisterwahl findet demgegenüber mit absoluter Mehrheit statt, hat also einen ganz anderen Charakter.
Eine Anwendung von § 23 ThürKWG auf die Ungültigerklärung der Wahl zum Bürgermeister scheidet demnach aus sachlichen Gründen aus. Deutlich näher liegt die analoge Anwendung der Vorschriften für den Bürgermeister bei Nichtantritt oder vorzeitigem Ende des Amtes (s.o.). Diese schreiben eine Neuwahl und kein Nachrücken vor. Damit liegt eine anderweitige Regelung iSd § 24 I ThürKWG vor.
Daher rückt bei der Ungültigerklärung der Wahl zum Bürgermeister niemand nach, sondern es ist erneut zu wählen. Zu diesem Ergebnis kommt auch Schneider, in: Praxis der Kommunalverwaltung Th A-27, § 31 ThürKWG Nr. 7 (Stand Januar 2024; beck-online).
Fraglich ist nur noch, ob eine Nachwahl (so im Allgemeinen bei Ungültigkeit der Wahl, § 33 IV ThürKWG; dieser Ansicht Schneider) oder eine Neuwahl (so die Analogie zu §§ 25 II 1, 24 IX 2 ThürKWG) durchzuführen ist. Das mag an dieser Stelle offen bleiben.
An sich macht es keinen Unterschied, ob er gewählt worden ist oder nicht. Wenn er gewählt wird, ist halt die Mandatsrelevanz keine Frage mehr. Praktisch sind die Gerichte aber bei der Auswirkung auf Dritte zurückhaltend; wenn man das nicht sehr ausführlich darlegt, wird es leicht ignoriert oder als unsubstanziiert bewertet, so z.B. das BVerfG bei der NPD-Landesliste in Berlin. Wobei da die Relevanz der NPD auch wirklich nicht mehr allzu groß war. Und es gibt Bundesländer, die fehlerhafte Zulassung überhaupt von der Wahlprüfung ausschließen (weil solche Wahlfehler quasi vom Wählervotum geheilt werden können). Dazu gehört aber nicht Thüringen, wo es halt auch für das Amt von Wahlbeamten unmittelbar relevant sein kann.
Ihre Ausführungen zur Folge der Ungültigkeit sind völlig richtig.
Hallo,
vielen Dank für den Artikel.
Im Artikel wurde nicht benannt, oder ich hatte es leider überlesen, ob auch bereits gegen die Zulassung durch den Wahlausschuss vorgegangen werden kann.
Das erscheint mir als das demokratischere Vorgehen, da hier dann nicht die Wahl selbst beeinträchtigt wird.
Gibt es hierzu keine rechtliche Grundlage?
Viele Grüße
Patrick
“Zudem werden Stimmen, die Bürger*innen – im Vertrauen auf eine ordnungsgemäße Durchführung der Wahl – für eine*n nicht wählbare Kandidat*in abgeben, nicht berücksichtigt.” – stimmt, unschön. Wäre aber leicht zu ändern, indem man endlich die Ersatzstimme ermöglicht.