12 July 2023

Kommunale Wahlprüfung als Trumpf der Demokratie?

Zur Frage des richtigen Zeitpunkts der Überprüfung der Verfassungstreue kommunaler Wahlbeamter

Im Rahmen der Wahlprüfung für kommunale Wahlbeamte steht der demokratische Rechtsstaat in Thüringen zwischen Skylla und Charybdis. Da die kommunalwahlrechtlichen Anforderungen nicht erst für die gewählte Kandidatin gelten, sondern auch schon für die Zulassung der Wahlvorschläge, besteht bereits in diesem Stadium des Wahlverfahrens die Gefahr einer Fehlentscheidung. So könnte etwa ein Bewerber fälschlicherweise schon gar nicht zur Wahl zugelassen werden. Ein nachträglicher Eingriff wiederum führt unter Umständen zur Aufhebung des bereits geäußerten Wählerwillens.

Eine eindrucksvolle Illustration dieses Dilemmas liefert aktuell die Überprüfung einer Landratswahl in Südthüringen. Nachdem der AfD-Politiker und Landtagsabgeordnete Robert Sesselmann in der Stichwahl vom 25.06.2023 zum Landrat des thüringischen Landkreises Sonneberg gewählt wurde, kündigte das Landesverwaltungsamt Thüringen an, dessen Eignung unter anderem wegen seiner Mitgliedschaft in dem vom Verfassungsschutz als „erwiesen rechtsextremistisch“ eingestuften AfD-Landesverband zu überprüfen. Nur eine Woche nach Amtsantritt verkündet das Landesverwaltungsamt am 10.07.2023, es sehe „derzeit keine konkreten Umstände […], die von hinreichendem Gewicht und objektiv geeignet sind, eine ernsthafte Besorgnis an dessen künftiger Erfüllung der Verfassungstreuepflicht auszulösen. Schon die Ankündigung rief lautstarke Kritik hervor: Dass im Anschluss an die Wahl die Wählbarkeit eines Kandidaten geprüft werden soll, wurde als „Demokratie-Check“ bezeichnet – ein ambivalenter Begriff, der einerseits zutreffend beschreibt, dass eine Wahlbewerberin auf ihre demokratischen Grundwerte (Verfassungstreue) gecheckt wird, andererseits aber unaufhaltsam Wasser auf die Mühlen der AfD gießt. Denn die Überprüfung kann unter Umständen den bereits abgeschlossenen Wahlprozess korrigieren.

Eine genauere Betrachtung der kommunalwahlrechtlichen Rahmenbedingungen offenbart, dass es sich bei der Wahlprüfung gerade um ein Instrument zur Wahrung und nicht zur Beschädigung von Demokratie handelt. Der Blick auf die verfahrensrechtliche Ausgestaltung relativiert einen Großteil der an den Behörden geübten Kritik und zeigt, dass die gesetzgeberische Entscheidung in Thüringen die Chronologie des nun beschrittenen Weges vorzeichnet.

Die Prüfung durch den Wahlleiter und den Wahlausschuss

Die Rechtsgrundlage des durchgeführten Wahlprüfungsverfahrens bildet § 32 II ThürKWG. Hiernach kann die Rechtsaufsichtsbehörde von Amts wegen prüfen, ob die Wahlvorschriften bei Vorbereitung und Durchführung der Wahlen eingehalten worden sind und damit ihrer Aufgabe nachkommen, die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben zu überwachen. Liegt der Fehler des Wahlverfahrens in der fehlenden Wählbarkeit einer Kandidatin, so ist die Wahl nach § 32 II 4 i.V.m. § 31 II 4 ThürKWG für ungültig zu erklären und bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen eine Nachwahl durchzuführen, § 33 IV 1 ThürKWG. Andernfalls bleibt der gewählte Kandidat im Amt.

Nachdem die Wahlvorschläge eingegangen sind, vollzieht zunächst die Wahlleiterin eine Vorprüfung nach Aktenlage anhand der eingereichten Wahlunterlagen, die sich in erster Linie auf „Mängel“ formeller Art, wie insbesondere einen Verstoß gegen § 18 ThürKWO, bezieht. Dabei enthält das Gesetz im Übrigen keine klaren Regelungen, welche Anforderungen an die Person des Wahlleiters zu stellen sind.1) Ausgehend von dieser Vorprüfung stimmt der Wahlausschuss – bestehend aus dem Wahlleiter als Vorsitzenden und vier von ihm berufenen Wahlberechtigten als Beisitzer (§ 4 I 4 ThürKWG) – über die Zulassung des jeweiligen Wahlvorschlags ab und erlässt einen entsprechenden Beschluss. Dieses Verfahren nach § 17 ThürKWG soll die Beachtung der Wahlvorschriften gewährleisten, zu denen nach der Legaldefinition des § 31 I ThürKWG das ThürKWG selbst sowie die ThürKO zählen.

Neben diversen formalen Anforderungen findet sich im ThürKWG dabei die nach § 28 II ThürKWG grundsätzlich auch für Landräte – die als Wahlbeamte eine Art Zwitterstellung zwischen Mandatsträger und Beamten einnehmen, vgl. § 2 I ThürKWBG und § 106 I ThürKO – geltende Bestimmung des § 24 III ThürKWG. Demzufolge kann diejenige Person nicht gewählt werden, die nicht „die Gewähr dafür bietet, dass sie jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Landesverfassung eintritt“. Eine Mitgliedschaft in einer bisher nicht für verfassungswidrig erklärten Partei ist nicht ausreichend, um dieses Kriterium abzulehnen, vielmehr wird eine umfassende Einzelfallprüfung der jeweiligen Person vorausgesetzt.

Wenn auch dieses Erfordernis grundsätzlich zum Prüfungsmaßstab zählt, so ergibt sich bei realistischer Betrachtung, dass der Wahlausschuss eine umfassende Prüfung dieser Voraussetzung mangels personeller und zeitlicher Ressourcen nicht leisten kann. Nachdem die Überprüfung im Fall Sesselmann überraschenderweise lediglich ungefähr eine Woche gedauert hat, könnte man auf die Idee kommen, dass es nicht allzu viel Aufwand bedürfte, um thüringische Wahlausschüsse in die Lage zu versetzen, die Prüfung selbst vorzunehmen. Mit diesem Schluss würde man jedoch eine Pauschalisierung vornehmen, die der Vielzahl möglicher Einzelfallgestaltungen vermutlich nicht gerecht würde. In rechtlicher Hinsicht ziehen außerdem die Grundrechte des aktiven und passiven Wahlrechts den Befugnissen des Wahlausschusses Grenzen.2) Dies darf jedoch nicht so verstanden werden, dass die Überprüfung der Anforderungen des § 24 III ThürKWG gänzlich entfällt. Vielmehr bleibt die Pflicht des Wahlausschusses bestehen, in seinem Beschluss eine eindeutige Sachlage, aufgrund derer es an der Wählbarkeit einer Bewerberin evident fehlt, zu berücksichtigen. Damit ist der Prüfungsmaßstab bei der Zulassungsentscheidung betreffend die kommunalen Wahlvorschläge skizziert. In einem vergleichbaren Kontext stellt der Bayerische Verfassungsgerichtshof fest: „Fehlerhafte Entscheidungen des Wahlausschusses hat der Gesetzgeber bewußt in Kauf genommen und der anschließenden Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde im Wahlprüfungsverfahren unterworfen.“3)

Rechtsaufsicht als Risiko-Kompensation

Wie aktuell in Thüringen zu beobachten, wird die Rolle der Rechtsaufsichtsbehörde in diesem Verfahren als ein nachträglich agierendes Kontrollorgan verstanden. Dementsprechend wurde das Landesverwaltungsamt als Rechtsaufsichtsbehörde gem. § 118 II ThürKO erst nach Abschluss der Wahl tätig.

Man könnte vermuten, dass die Wählbarkeit deshalb erst nachträglich umfassend überprüft wurde, weil die Wahlprüfung nach § 32 II ThürKWG den Status der gewählten Kandidatin als Wahlbeamtin voraussetzt, den erst die Annahme der Wahl herstellt. Dies regelt § 2 I ThürKWBG, demzufolge außerdem eine Ernennung entfällt. Allerdings stellt sich die Pflicht der Gewähr des Eintretens für die freiheitlich demokratische Grundordnung (fdG) in § 24 III ThürKWG als ein gesondertes Kriterium neben dem der beamtenrechtlichen Eignung dar, das zusätzlich bereits Wählbarkeitsvoraussetzung ist. Für den Zeitpunkt der Wahl hat die Rechtsaufsichtsbehörde nun eine Entscheidung getroffen. Eventuelle zukünftige Verstöße unterliegen damit der regulären beamtenrechtlichen Ahndung.

Für die nachträgliche Rolle der Rechtsaufsichtsbehörde spricht indes, dass es sich bei Wahlleiter und Wahlausschuss um zur Neutralität verpflichtete Wahlorgane handelt, die im Lichte des kommunalen Selbstverwaltungsgrundsatzes (Art. 28 II GG) möglichst eigenverantwortlich handeln sollen. Aus Gründen der Akzessorietät gilt zwar für die Rechtsaufsicht der gleiche Prüfungsmaßstab wie für den Wahlausschuss. Allerdings wird angenommen, dass im Rahmen der Entscheidung des Wahlausschusses grundsätzlich kein Raum für rechtsverbindliche rechtsaufsichtsbehördliche Maßnahmen besteht. Damit geht zwangsläufig eine Einschränkung der üblicherweise bestehenden Reichweite der Legalitätskontrolle durch die Rechtsaufsicht einher, welche mit der Sonderstellung begründet wird, die dem Wahlorgan in dieser Selbstverwaltungsangelegenheit im zusätzlich besonders geschützten Bereich demokratischer Wahlen zukommt.

Die auf den ersten Blick demokratiefreundlichere frühe Nichtzulassung eines i.S.v. § 24 III ThürKWG nicht wählbaren Bewerbers durch den Wahlausschuss birgt dabei zudem das schwerwiegende Risiko, eine gerichtlich – auch im Eilrechtsschutz – nicht korrigierbare Fehlentscheidung zu treffen.4) Gemäß der Regelung des § 17 V ThürKWG sind Beschlüsse des Wahlausschusses, in denen Einwendungen nicht abgeholfen wird, nur im Wege der Wahlanfechtung und Wahlprüfung (§§ 31 und 31 ThürKWG) nachprüfbar. Das beschränkt das Verfahren zunächst auf das wahlrechtliche Instrumentarium und sperrt den Rechtsweg für die von dem Beschluss Betroffenen bis zu einer Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde. An der Vereinbarkeit einer solchen Regelung mit der Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 IV GG bestehen nach höchstrichterlicher Rechtsprechung keine Zweifel.5)

Die umfassende nachträgliche Überprüfung durch die Rechtsaufsichtsbehörde betrifft allein diejenige Kandidatin, die die Wahl gewonnen hat. Demgegenüber birgt eine Vorfeldkontrolle mit möglicher Nichtzulassung zur Wahl die Gefahr einer Annullierung derselben im Rechtsschutzwege, ohne, dass es auf den Wahlerfolg ankäme. Entsprechend ausgeweitet wäre der von der Entscheidung beschwerte Personenkreis, der die Wahl nachträglich angreifen könnte.

Im Hinblick auf die Rechtssicherheit und im Interesse eines ökonomischen Verfahrens kann die Angreifbarkeit der Wahl allein durch die gewählte Kandidatin daher als zusätzlicher Vorteil begriffen werden.

Vorgeschaltete Beratungspflicht als Chance?

Es zeigt sich also, dass thüringische Wahlausschüsse die vollständige Eignungsprüfung nicht leisten können – und sollen. Anderenfalls müsste man die Wahlausschüsse für die Entscheidung über das Erfordernis des § 24 III ThürKWG qualitativ entsprechend ausstatten und sinnvollerweise auch eine gerichtliche Kontrollmöglichkeit einrichten, um die Wahrscheinlichkeit einer nachträglichen Korrektur des Wählerwillens zu minimieren. Dies wäre im Hinblick auf die Intention der Gewährleistung eigenverantwortlich agierender Wahlorgane auf kommunaler Ebene wohl nur konsequent. Trotzdem stünde dem entgegen, dass der Wahlvorbereitungsprozess zeitlich begrenzt ist.

Wenn daher also keine echte Alternative zu der Inkaufnahme der Fehleranfälligkeit des Zulassungsverfahrens inklusive erst nachträglicher rechtsverbindlicher Korrekturmöglichkeit besteht, stellt sich die Frage, ob der damit einhergehende Effekt sog. Demokratieverdrossenheit möglicherweise dennoch hätte gemindert werden können.

Ins Blickfeld tritt vor diesem Hintergrund der bisher kaum beachtete Absatz 1 der Wahlprüfungsvorschrift des § 32 ThürKWG. Dieser betrifft den Zeitpunkt vor der Wahl und bestimmt, dass die Rechtsaufsichtsbehörde „bei der Vorbereitung und Durchführung der Wahlen auf die Einhaltung der Wahlvorschriften hinzuwirken“ hat.

Als besondere Ausprägung des Unterstützungsgrundsatzes, den § 116 ThürKO für die Aufsichtsbehörden zugunsten der beaufsichtigten Stellen in Form einer Soll-Vorschrift normiert, statuiert § 32 I ThürKWG explizit die Pflicht, auf die Einhaltung der Wahlvorschriften hinzuwirken, worunter in erster Linie die Beratung der Wahlorgane verstanden wird.6)

Hieran lässt sich die These knüpfen, dass der Gesetzgeber mit dieser besonderen Ausprägung der Beratungspflicht den für den Zeitraum vor der Wahl allgemein angenommenen Verzicht auf klassische Aufsichtsmittel kompensieren wollte.

Wie nicht nur die Binnensystematik der Norm zeigt, ist die vorgesehene Beratung dem Instrument der Wahlprüfung nach Absatz 2 des § 32 ThürKWG vorgeordnet. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber der Rechtsaufsicht ein spezielles Instrument an die Hand gegeben, um einerseits der Eigenverantwortlichkeit der Wahlorgane und andererseits der Legalität des Wahlverfahrens Rechnung zu tragen. Es bietet unter Umständen die Möglichkeit, das Spannungsfeld zu lösen, bevor überhaupt der Gang zur Wahlurne erfolgt.

Nun ist nicht bekannt, inwiefern von dieser Möglichkeit im konkreten Fall Gebrauch gemacht worden ist. Der Beschluss des Wahlausschlusses zur Zulassung des Wahlvorschlags Sesselmann erging am 09. Mai 2023. Weder wurde von einer Konsultation der Rechtsaufsicht durch die Wahlorgane des Landkreises Sonneberg berichtet, die durch eine solche in einem doch eher atypischen Fall wie dem vorliegenden von der Fachkompetenz der Rechtsaufsichtsbehörde womöglich hätten profitieren können; noch ist bekannt, dass sich die Rechtsaufsichtsbehörde im Vorfeld der Wahl oder der Stichwahl in den Prozess beratend involviert hätte. Letzteres entspräche dabei vermutlich am ehesten der Stoßrichtung des § 32 I ThürKWG, da in der Formulierung „hat […] hinzuwirken“ ein aktivisches Element zweifellos erkennbar ist.

Ein Königsweg ist nicht in Sicht

Doch auch unter Ausschöpfen des Potentials des § 32 I ThürKWG bleibt fraglich, ob ein solches Vorgehen das Kernproblem gelöst hätte. Gesetzt den Fall, dass der Wahlausschuss aufgrund der Beratung durch die Rechtsaufsichtsbehörde davon Abstand nähme, einen Wahlvorschlag zuzulassen, stünde der Vorwurf des „Demokratie-Checks“ vermutlich weiterhin im Raum. Statt der nachträglichen Korrektur des Wählerwillens sähe man sich in diesem Fall mit einer vor der Wahl gerichtlich nicht überprüfbaren Limitierung der zur Wahl stehenden Kandidatinnen konfrontiert, die wohl nicht weniger verfassungspolitische Sprengkraft besäße. Außerdem birgt die möglicherweise folgende Überprüfung wiederum das weiter gespannte Risiko der Annullierung der Wahl. Das bringt es mit sich, Wahlvorschläge im Interesse der Grundrechte des aktiven und passiven Wahlrechts sowie des Rechts der Parteien auf Aufstellung ihrer Kandidatinnen im Zweifel zunächst zuzulassen. Gleichwohl ist die Bedeutung der sachgemäßen Prüfung, ob ein Bewerber auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht, nicht zu überschätzen – handelt es sich doch um ein unverzichtbares Instrument zum Schutz der Demokratie.

Nicht zuletzt wegen des zu verzeichnenden bitteren Nachgeschmacks wird man über die Zweckmäßigkeit der Verfahrensgestaltung weiterhin politisch streiten. Positivrechtlich hat sich der Thüringer Gesetzgeber jedoch in sich stimmig dafür entschieden, die umfassende Prüfung komplexerer wahlrechtlicher Voraussetzungen, wie die der Wählbarkeit nach § 24 III ThürKWG, aus dem Zulassungsverfahren weitgehend auszuklammern. Wollte man sich politisch für eine vorgezogene Kontrolle entscheiden, bedürfte es dann allerdings einer tiefgreifenden Reform des gesamten Wahlvorbereitungsprozesses inklusive einer Stärkung der Rolle der Rechtsaufsicht sowie der Aufnahme eines gerichtlichen Kontrollverfahrens.

Im Sonneberger Fall hat die nachträgliche Kontrolle keine tatsächlichen Konsequenzen für den gewählten Kandidaten. Ähnlich gelagerte Fälle werden jedoch folgen. So stellt die AfD auch bei der Bürgermeisterwahl am 10. September im thüringischen Nordhausen einen Kandidaten. Als Präzedenz hat der Fall Sesselmann nun jedoch sicherlich bewirkt, das Gefühl der Überraschung hinsichtlich der Wehrhaftigkeit der Demokratie beim Wahlbürger in Zukunft zu mindern.