Zwischen Bühne und Bann
Die AfD und die Grenzen des Öffentlich-Rechtlichen
Nachdem die AfD vom Verfassungsschutz als gesichert extremistische Bestrebung eingestuft wurde, ist eine Debatte darum entbrannt, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) der Partei weiter Sendezeit geben soll. Dabei wurde unter anderem in den Raum geworfen, dass es gegen den Programmauftrag der öffentlich-rechtlichen Sender verstoße, wenn sie AfD-Funktionäre einlüden. Eine Untersuchung der normativen Grundlagen ergibt, dass keine Pflicht dazu besteht, die AfD nicht einzuladen. Rechtspolitisch wäre es ohnehin fragwürdig, an die Einstufung des Verfassungsschutzes, die rechtlich auf einer dünnen Grundlage steht und das Ergebnis einer dem Innenministerium unterstellte Behörde ist, weitreichende Rechtsfolgen zu knüpfen. Dennoch verbleiben den Öffentlich-Rechtlichen durchaus Handlungsspielräume.
Eine gesichert extremistische Partei
Am 2. Mai 2025 hat das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD als gesichert extremistische Bestrebung eingestuft. Die Reaktionen aus Politik und Gesellschaft waren gewaltig. So forderte der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther, ein AfD-Verbot. Diskutiert wird außerdem, ob die Einstufung Auswirkungen auf AfD-Mitglieder im öffentlichen Dienst haben muss. Auch wenn der Verfassungsschutz hinsichtlich der Hochstufung mittlerweile eine Stillhaltezusage abgegeben hat – die Einstufung also im Rahmen des von der AfD angestrengten gerichtlichen Verfahrens ausgesetzt ist – bleibt die Relevanz der aufgeworfenen Fragen bestehen. Dies gilt auch für einen ausgiebig diskutierten Post von Monitor-Moderator Georg Restle auf Twitter, der forderte, auch der ÖRR müsse Konsequenzen aus der Hochstufung der AfD ziehen. Eine Gleichbehandlung von Rechtsextremisten verstoße gegen den Programmauftrag, Verfassungsfeinden dürfe keine Bühne gegeben werden – „nicht in Talks, nicht in der Tagesschau.“ Aber wäre es tatsächlich ein Verstoß gegen den Programmauftrag, wenn der ÖRR die AfD in seinen Sendungen weiter – wie bisher – berücksichtigen würde?
Der Programmauftrag der Öffentlich-Rechtlichen
Der Programmauftrag der Öffentlich-Rechtlichen ergibt sich grundlegend aus der verfassungsmäßigen Funktion des Rundfunks aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. Als dienende Freiheit soll der Rundfunk durch Information Meinungsbildung ermöglichen. Damit verlangt die Rundfunkfreiheit, wie es das BVerfG formuliert, dass „die Vielfalt der bestehenden Meinungen im Rundfunk in möglichster Breite und Vollständigkeit Ausdruck findet und dass auf diese Weise umfassende Information geboten wird.“ Diesen Auftrag hat der einfache Gesetzgeber abstrakt zu konkretisieren, darf dabei aber keine Vorgaben machen, die sich unmittelbar auf das Programm auswirken, da die konkrete Programmgestaltung in Händen des ÖRR verbleiben muss. Mit dieser Entscheidung bindet sich auch der Gesetzgeber hinsichtlich der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die so ausgestaltet sein muss, dass der Auftrag erfüllt werden kann. Diese inhaltliche „abstrakte Konkretisierung“ des Auftrags, die für Rundfunkprogramme wie Telemedienangebote gilt, nimmt der Gesetzgeber in § 26 MStV wahr. Um das Verhältnis von Programmauftrag und der Einstufung einer Partei als extremistisch zu klären, müssen möglichen Varianten eines Ausschlusses aus dem Öffentlich-Rechtlichen betrachtet werden. Restle forderte, der AfD „keine Bühne“ zu bieten und dürfte damit das, was den meisten vorschwebt, die ähnliche Forderungen stellen, gut beschreiben. Dieser Ansatz würde wohl darauf hinauslaufen, die AfD bei allen Gelegenheiten auszuschließen, bei denen sich die Partei selbstbestimmt der Öffentlichkeit präsentieren kann. Betroffen wären also Talkshows oder Interviews, nicht aber die Berichterstattung über die AfD generell. Eine solche Forderung würde ohnehin eindeutig gegen den verfassungsrechtlichen Auftrag, über das relevante Geschehen zu berichten, der auch in § 26 Abs. 1 S. 2 MStV niedergelegt ist, verstoßen – die AfD ist eine zu relevante Tatsache, als dass die Öffentlich-Rechtlichen sie ignorieren dürften, insbesondere in Nachrichtensendungen wie der Tagesschau.
Programmauftrag contra AfD?
Lässt sich aus dem Programmauftrag also ein „Auftrag contra AfD“ entnehmen? Dieser Gedanke könnte normativ aus der Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks abgeleitet werden. Da dieser dem Zweck dient, Demokratie zu ermöglichen, könnte darin hinsichtlich des Programmauftrags eine Art Verbot einer demokratieschädlichen Ausgestaltung des Programms liegen. Dieser Gedanke kann auch an der einfachrechtlichen Ausgestaltung des Programmauftrags angeknüpft werden. § 26 Abs. 1 S. 1 MStV verlangt vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk, „die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse“ der Gesellschaft zu erfüllen, was inhaltlich der verfassungsmäßigen Funktion aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG entspricht (BeckOK InfoMedienR/Gersdorf, 47. Ed. 1. Mai 2021, MStV § 26 Rn. 14). Darüber hinaus fordert § 26 Abs. 1 S. 3 MStV, den „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ zu fördern. Den Wortlaut dieser Normen vor Augen, ließe sich argumentieren, dass Einladungen der AfD zu Talkshows und Interviews den Zielen zuwiderlaufen: Die AfD kann sich, unterstützt von Falschaussagen (wie bspw. im Bundestagswahlkampf), präsentieren, Angriffe auf demokratische Institutionen vor einem breiten Publikum führen und die gesellschaftliche Spaltung vorantreiben. Zu beachten ist auch, dass Rundfunksender durch § 3 S. 1 MStV in ihrem Angebot generell an die Menschenwürde gebunden werden. Angesichts der teilweise menschenfeindlichen Äußerungen von AfD-Funktionären könnte dies ebenfalls für einen generellen Ausschluss der AfD streiten, zumal die Hochstufung der Partei durch den Verfassungsschutz maßgeblich auf der Missachtung der Menschenwürde beruht. § 26 Abs. 2 S. 1 MStV hilft hingegen bei dieser Argumentation nicht weiter. Er bindet den ÖRR zwar an die „verfassungsmäßige Ordnung“, der Begriff ist dabei aber nicht im Sinne der Demokratieschutznormen, sondern vielmehr – wie im Rahmen der Schrankenbestimmung bei Art. 2 Abs. 1 GG – als Bindung des ÖRR an die gesamte Rechtsordnung zu verstehen.
Kein Programmauftrag contra AfD
Allerdings sprechen gewichtige Gründe dagegen, dass sich der Programmauftrag zu einer Pflicht verdichtet, die AfD auszuschließen. So baut die Argumentation über die Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks darauf auf, dass die Einladung der AfD tatsächlich der Demokratie schadet. Selbst wenn man die AfD wegen des Gutachtens des Verfassungsschutzes als rechtsextreme und antidemokratische Partei ansehen darf – hierauf wird zurückzukommen sein – fehlt doch ein empirischer Beleg dafür, dass die Programmgestaltung des Öffentlich-Rechtlichen der Partei so maßgeblich nutzt, dass das Programm als demokratieschädlich bezeichnet werden kann. Das gilt besonders, weil auch hinsichtlich der Alternative, also einem Ausschluss der Partei, unklar ist, ob dieser ihr nicht nutzen würde. Vor allem beruht aber der Grundgedanke, das Programm müsse durch inhaltliche Gestaltung die Demokratie schützen, auf einem Fehlverständnis der Funktion des ÖRR. Die dienende Funktion der Öffentlich-Rechtlichen vollzieht sich gerade über die journalistischen Standards folgende Berichterstattung, die Neutralität und Vielfalt voraussetzt. Als Grundlage für die Meinungsbildung kommt der ÖRR demnach nur in Betracht, wenn er in der Lage ist, diesem Leitbild zu folgen. Ein „Demokratievorbehalt“ über den Gegenstand der Berichterstattung würde diese Entscheidung für einen bestimmten Sachverhalt – hier eine politische Partei – vorwegnehmen und damit dem Konzept eines der Demokratie durch ein meinungsbildendes Programm dienenden ÖRR de facto aushebeln. Die Rundfunkfreiheit vertraut dabei auf die Bürger*innen als Rezipient*innen und geht davon aus, dass sie selbst die richtigen Schlüsse aus der Berichterstattung ziehen. In diesem Sinne kann auch § 26 Abs. 2 S. 2 MStV verstanden werden, der von den Öffentlich-Rechtlichen „Objektivität und Unparteilichkeit“ verlangt. Die Norm hat insbesondere den Zweck, „den für Missbrauch besonders anfälligen Bereich der politischen Kommunikation gegen Vereinnahmung von außen oder innen“ zu schützen (Beck RundfunkR/Eifert, 5. Aufl. 2024, MStV § 26 Rn. 89); sie folgt also dem Gedanken, dass die der Demokratie dienende Funktion der Öffentlich-Rechtlichen nur durch Neutralität und Vielfalt erreicht werden kann. Weiterhin muss beachtet werden, dass die Öffentlich-Rechtlichen hinsichtlich ihres Programms nicht nur grundrechtsberechtigt, sondern auch grundrechtsgebunden sind. So kann sich die AfD auf den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 i. V. m. Art. 38 Abs. 1 bzw. 3 Abs. 1 GG berufen. Auch dieser Aspekt spiegelt sich in § 26 Abs. 2 S. 2 MStV wider.
Der Verfassungsschutzbericht: Ein Fragwürdiger Anknüpfungspunkt
Nicht nur die rechtliche Begründbarkeit eines Verstoßes gegen die Programmfreiheit durch Einladung der AfD, sondern auch die Grundlage, auf der dieser unterstellt wird, wirft Zweifel auf. So berief sich Restle in seinem Posting, ebenso wie andere, auf die neue Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz. Dass diese Verknüpfung nicht den gesetzlichen Vorstellungen entsprechen kann, wird klar, sobald man Überlegungen dazu anstellt, was es bedeuten würde, wenn sich für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (Rechts)folgen hinsichtlich seines Programmauftrags aus Einschätzungen des Verfassungsschutzes ergeben würden. Dann wären die Sender an eine behördliche Entscheidung gebunden, die erst nachträglich durch ein Nachrichtenmagazin veröffentlicht wurde. Der Programmauftrag würde durch staatliche Einflussnahme auf Kosten der Programmautonomie geschmälert. Hier verbindet sich das oben ausgeführte objektiv-rechtliche Argument aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG also mit seiner subjektiv-rechtlichen Gewährleistung für die öffentlich-rechtlichen Sender. Die Funktion als vierte Gewalt, die von Medien verlangt, gerade staatliches Handeln kritisch zu hinterfragen, um Machtmissbrauch zu verhindern, würde mit Blick auf den Verfassungsschutzbericht kollabieren. Weiterhin muss betont werden, wie unterschiedlich Verfassungsschutzbehörden und Rundfunk in ihre Funktionen für die Demokratie sind. Die Verfassungsschutzbehörden sollen als „Frühwarnsystem“ der Demokratie Daten von potenziell antidemokratischen Bestrebungen sammeln und über diese im Rahmen des „Verfassungsschutz durch Aufklärung“ nach § 16 BVefSchG berichten. Damit ist die Funktion des Verfassungsschutzes gerade darauf angelegt, Demokratie durch offensive Parteinahme zu schützen. Dem bereits dargestellten Ansatz der Rundfunkfreiheit in ihrer dienenden Funktion steht das diametral entgegen. Auch aus dieser Perspektive ist es fernliegend, Berichte des Verfassungsschutzes als Grundlage für Programmpflichten der Öffentlich-Rechtlichen heranzuziehen. Zuletzt ist die Einstufung des Verfassungsschutzes auch rechtlich gesehen eine ausgesprochen dünne Grundlage, um Auswirkungen auf andere Rechtsgebiete zu verlangen. So geht die Unterteilung von Beobachtungsobjekten des Verfassungsschutzes in Prüffall, Verdachtsfall und gesichert extremistische Bestrebung nicht auf eine gesetzliche Grundlage zurück, sondern ist eine von der Behörde selbst geschaffene Kategorisierung. An diese, von der Behörde selbst entwickelten Kategorien können kaum Rechtsfolgen mit solcher Tragweite geknüpft werden.
Eine Gefahr, die nicht unterschätzt werden sollte
In dem Bestreben, die ohnehin schon zentrale Stellung des Verfassungsschutzes immer weiter auszubauen, liegt eine nicht unerhebliche Gefahr für die Demokratie. Eine Tendenz in diese Richtung ist derzeit klar erkennbar und hat sich zuletzt bspw. im Stiftungsfinanzierungsgesetz niedergeschlagen. Rechtspolitische Forderungen, die an Einschätzungen des Verfassungsschutzes geknüpft werden, sind allerdings mit großer Vorsicht zu genießen. Der Inlandsgeheimdienst ist letztlich eine Behörde, die der Fachaufsicht des Innministeriums untersteht. Was dies im Einzelfall bedeuten kann, zeigte sich in der Amtszeit von Horst Seehofer, der von seiner Aufsicht auch im Hinblick auf eine Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz als Verdachtsfall Gebrauch machte. Weil es Seehofer politisch geschadet hätte, wenn die Behörde die Aussage „der Islam gehört nicht zu Deutschland“ als Indiz für eine verfassungsfeindliche Einstellung bewertet hätte, ließ er diese Passage kurzerhand streichen. In diesem Fall lief das darauf hinaus, dass der Bericht über die AfD abgemildert wurde, es ist aber leicht vorstellbar, dass der Vorgang auch in die umgekehrte Richtung funktionieren würde. Zudem kommt es immer wieder vor, dass Verfassungsschutzbehörden Kapitalismuskritik mindestens in der Nähe von Verfassungsfeindlichkeit einordnen, was angesichts der wirtschaftspolitischen Neutralität der Verfassung geradezu grotesk ist. Solche Einschätzungen sind aber Folgen einer Behörde, die letztlich politisch agieren muss und dabei auf ausgesprochen unbestimmte Rechtsgrundlagen verwiesen ist. Insoweit sollte auch ein weiteres Argument ernst genommen und nicht etwa als Strohmann abgelehnt werden: Wenn die AfD die Möglichkeit bekommt, auf auch nur ein Landesamt für Verfassungsschutz inhaltlich einzuwirken, kann die rechtspolitische Forderung, Konsequenzen an Einstufungen des Verfassungsschutzes zu knüpfen, leicht zum Demokratie aushöhlenden Boomerang werden.
Was kann der öffentlich-rechtliche Rundfunk tun?
Aus diesem Ergebnis, darf allerdings nicht der Schluss gezogen werden, der öffentlich-rechtliche Rundfunk habe aufgrund seines Funktionsauftrags nur wenig Handhabe im Umgang mit der AfD. Festgestellt wurde lediglich, dass sich aus den verfassungsrechtlichen Grundlagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks keine Pflicht ergibt, eine Partei wie die AfD aus weiten Teilen des Programms auszugrenzen. Dieses Ergebnis schlägt sich auch in der einfachgesetzlichen Ausgestaltung der Programmfreiheit nieder. Damit ist noch nichts darüber gesagt, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk gezwungen ist, die AfD in seine Sendungen einzuladen: Die im Hinblick auf Parteien geforderte Vielfalt verdichtet sich in der Regel nicht zu einem Anspruch, an bestimmten Sendungen teilnehmen zu dürfen, sondern führt nur dazu, dass sie im Gesamtprogramm „angemessen zu Wort kommen“ müssen. Es bleibt also bei dem Befund, dass die redaktionelle Entscheidung darüber, wer zu welchem Thema eingeladen wird, weitgehend ungebunden ist. Gerade darin liegt die Stärke des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Der Vorstoß Restles scheint vor diesem Hintergrund eher wie ein verzweifelter Versuch, die Sender zu einer andren Programmpolitik bewegen zu wollen, denn an einem von Verfassungsschutzberichten beeinflussten Rundfunk kann Restle als Journalist eigentlich kein Interesse haben. Es sind also stets die Sender selbst, die entscheiden, wen sie wann und zu was einladen. Sie haben damit maßgeblichen Einfluss darauf, in welchem (inhaltlichen!) Umfang sich die AfD in ihren Sendungen in Szene setzen kann. Unproblematisch möglich bleibt es außerdem, Auftritte von AfD-Politikern durch Expert*innen einordnen zu lassen, Falschaussagen zu entlarven und rechtsextreme Argumentationsmuster aufzuzeigen. Dieser Weg bleibt mühsam und ist riskant – die Bewertung einer Partei durch den Verfassungsschutz bietet aber keine sinnvolle Alternative zur aktiven Programmgestaltung an.