US-Angriffe auf den „Islamischen Staat“ in Libyen: Die dünnste aller Rechtsgrundlagen
Am Freitag, dem 19. Februar 2016 flogen die USA Luftangriffe gegen ein westlich von Tripolis gelegenes Ausbildungslager des „Islamischen Staats.“ Erklärtes Hauptziel war der Tunesier Noureddine Chouchane, der unter anderem bei den Anschlägen auf das Nationalmuseum von Bardo maßgeblich involviert gewesen sein soll. Weitere Militärschläge könnten folgen – US-Präsident Barack Obama hat einmal mehr klargestellt, gegen den „Islamischen Staat“ überall vorzugehen, wo er auftaucht.
Völkerrechtlich haben die USA sich darauf berufen, dass die „libyan authorities on the ground“ über die Militärschläge unterrichtet waren. Mit anderen Worten: Es handelt sich um eine mit Einverständnis der Regierung vorgenommene Intervention („Intervention auf Einladung“). Dadurch wird das Gewaltverbot prima facie folglich nicht verletzt, weil die Verletzung der territorialen Integrität nicht gegen den Willen des betroffenen Staats erfolgt.
Die Intervention auf Einladung
Die Intervention auf Einladung ist allerdings eine ganz allgemein höchst strittige Rechtsgrundlage. Das hat vor allem drei Gründe.
Zum einen könnte die Unterstützung von außen ein despotisches Regime gegen den Willen der Bevölkerung am Leben erhalten. Deswegen erachten viele jedwede Intervention in einem Bürgerkrieg – also sowohl auf Seiten der „Rebellen“ als auch der Regierung – als mit dem Selbstbestimmungsrecht unvereinbar. Womit sie völkerrechtlich untersagt ist, sofern es sich um keine „Gegeneinmischung“, also eine Reaktion auf eine vorangegangene Verletzung dieses Prinzips, handelt (siehe dazu insbesondere die Resolution des Institut de droit international zum Prinzip der Nichteinmischung in Bürgerkriegen). Dieses Problem stellt sich in Libyen nicht – schließlich handelt es sich beim „Islamischen Staat“ zweifelsohne um keine „Freiheitskämpfer“ im Sinne des Selbstbestimmungsrechts.
Andererseits ist oft fragwürdig, ob ein Einverständnis überhaupt vorliegt. So hatte die Sowjetunion die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 anfänglich noch mit einem „Hilferuf“ begründet und später aufgrund der klar gegenteiligen Stellungnahme der tschechoslowakischen Regierung fallengelassen. Auch beim sowjetischen Einmarsch in Afghanistan 1979 wurde das Vorliegen einer Einladung von den meisten Staaten als höchst unglaubwürdig in Frage gestellt.
Selbst wenn es ein solches gibt, nicht immer klar, ob ihr Urheber die dafür notwendige innerstaatliche Befugnis hat. So beriefen die USA sich bei ihrer Intervention in Grenada 1983 auf den dortigen Generalgouverneur, obwohl dieser über keine wie auch immer gearteten Kompetenzen verfügte.
Libyen als „failed state“
In Libyen stellt sich dessen ungeachtet ein Sonderproblem, da das Land seit dem Ausbruch des Kriegs gegen Muammar al-Gaddafi nicht mehr zur Ruhe gekommen ist. Das Gebiet wird von unterschiedlichen Gruppierungen kontrolliert, von denen zwei die Regierungseigenschaft für sich beanspruchen: Der international anerkannte „Abgeordnetenrat“ unter Aguila Saleh Issa mit Sitz in Tobruk und der in der Hauptstadt Tripolis befindliche „Neue Allgemeine Nationalkongress“ unter Nuri Bosahmain. Letzterer sieht sich als Nachfolger des 2011 gebildeteten und damals auch als neue Regierung anerkannten Nationalen Übergangsrats.
Die Berufung auf das Einverständnis einer zwar anerkannten, jedoch selbst im Umbruch befindlichen und nur einen Teil des Staatsgebiets kontrollierenden Regierung, bereitet Bauchweh. Der Sprecher des Außenministeriums selbst konnte auf die Nachfrage zum Zustand der angesprochenen „authorities“ in Libyen lediglich angeben, dass zum derzeitigen Zeitpunkt „some governmental structure“ existiere – Russia Today hat die Erklärungsnot entsprechend für eigene Zwecke genützt.
In gewisser Hinsicht erinnert die gegenwärtige Lage an jene in Somalia 1992. Auch dort konnte sich nach dem Sturz eines Diktators und dem damit einhergehenden Wegfall des gemeinsamen Feinds keine Einheitsregierung bilden; ebenso gab es damals zwei Rivalen (Mohammed Farah Aidid, bis heute aufgrund der gescheiterten US-Militäroperation in Mogadischu, die auf seine Ergreifung abzielte, bekannt – man denke nur an den Film „Blackhawk down“ – und Ali Mahdi Mohammed). Allerdings lag im Gegensatz zur heutigen Situation in Libyen eine Resolution des Sicherheitsrats (794) vor, die die nachfolgende „Operation Restoring Hope“ autorisierte.
Andere Rechtsgrundlagen?
Im Zusammenhang mit Somalia wurde auch diskutiert, ob das Gewaltverbot bei „failed states“ überhaupt zur Anwendung kommen soll. Schließlich würden dadurch zum Leidwesen der betroffenen Bevölkerung die unterschiedlichen bewaffneten Gruppen geschützt, nicht der Staat. Allerdings konnte sich eine derartige Lesart des Gewaltverbots in der Staatenpraxis nicht durchsetzen (wie sich insbesondere anhand von Resolution 794 zeigt).
Die zweite mögliche Alternative besteht in der Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht, durchaus in Verbindung mit dem Einverständnis der Regiering in Tobruk. Es dient bereits als Grundlage für die Militärschläge gegen die in Syrien gelegenen Stellungen des „Islamischen Staats.“ Obwohl seine Anwendung bei Angriffen von nicht-staatlichen Akteuren nach wie vor höchst umstritten ist, scheint es jedenfalls gegen solche Gruppen auf breite Akzeptanz zu stoßen, die in ihren Gebieten quasi-staatlich (wenn auch unter eklatanter Missachtung der Menschenrechten) auftreten, was beim „Islamischen Staat“ ja der Fall ist. Frankreich hat Sicherheitsrats-Resolution 2249, die den Aufruf enthält, den in Syrien und dem Irak gelegenen „sicheren Zufluchtsort“ des „Islamischen Staats“ unter Einhaltung des Völkerrechts zu beseitigen, auch so verstanden (siehe dazu das Statement des französischen Vertreters in diesem Zusammenhang).
Im Idealfall verabschiedet der Sicherheitsrat freilich eine Resolution, die einerseits klarstellt, wer als Regierung anzusehen ist und andererseits ein Mandat für die Gewaltanwendung beinhaltet. Ob es zu einer solchen kommt, darf freilich bezweifelt werden. Wie die USA betont haben, genießt die Etablierung einer neuen Regierung mit Sitz in Tripolis – die dann auch entsprechend beim Kampf gegen den „Islamischen Staat“ unterstützt werden soll – oberste Priorität. Davon abgesehen steht völkerrechtliche Klarheit beim gegenwärtigen Kampf gegen den „Islamischen Staat“ und der Destabilisierung der Region im Allgemeinen nicht unbedingt an oberster Stelle.
Bennen wir es doch als das, was es ist: Regierungskriminalität zur vorgeblichen Behebung der chaotischen Verhältnisse, die man selbst durch vorangegangene, illegale Interventionen herbeigeführt hat.
Hier noch ein syrischer Journalist zu diesem Thema:
https://www.youtube.com/watch?v=60ddnAVkmBM