Die Zunft
Die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer wird 100 Jahre alt in diesem Jahr. Gestern gab es einen großen Festakt im Rahmen der diesjährigen Staatsrechtslehrertagung in der Bremer Ratshalle, und ich hatte das Privileg, dabei zu sein. Das war ein sehr erhebendes, aber auch ein sehr merkwürdiges Erlebnis. Die Staatsrechtslehrervereinigung, für die, die das nicht wissen, ist ja nicht irgendeine wissenschaftliche Fachgesellschaft. Sie ist etwas Besonderes. Aber was genau, und warum, ist eine nicht leicht zu beantwortende Frage, die auch sie selber endlos zu faszinieren scheint. Die Jubiläumsschrift “Streitsache Staat“, die aus diesem Anlass entstanden und gestern als Höhepunkt des Festakts sozusagen enthüllt worden ist, widmet der Suche nach einer Antwort insgesamt über 1000 Seiten Text. Ich bin kein Staatsrechtslehrer. Aber ich teile diese Faszination. Das ist echt interessant.
Die Vereinigung besteht aus Leuten und macht Dinge, und keins von beiden wirkt auf den ersten Blick irgendwie besonders: Sie ist die Fachgesellschaft der Wissenschaftler*innen, die das öffentliche Recht erforschen, und was sie macht, ist eine Tagung im Jahr, auf der Vorträge gehalten und kritisch diskutiert werden. Soweit, so unbemerkenswert. Zu etwas Besonderem wird die Vereinigung durch die Grenzen, die sie sich in beider Hinsicht auferlegt: Nicht jede*r kann da Mitglied werden, sondern nur ganz Bestimmte, und es ist gar nicht immer so leicht zu sagen, wer genau und warum genau diese. Da werden auch nicht einfach nur Vorträge gehalten und diskutiert, sondern das sind ganz bestimmte und auf ganz bestimmte Weise vorgetragene Vorträge, die da gehalten werden, und die kann auch nicht jeder hören, sondern nur Bestimmte, und die kann auch nicht jeder kritisieren, sondern nur Bestimmte, und wer genau und wie genau und wozu genau – das bleibt alles eigenartig mysteriös und unbestimmt.
Was mir jedenfalls einigermaßen klar erscheint: Es ist nicht das Interesse an möglichst hohem wissenschaftlichem Ertrag, das diese Grenzziehungen motiviert. Dass die Vereinigung nur Habilitierte und/oder Universitätsprofessor*innen aufnimmt und ihren kompletten Nachwuchs kategorisch ausschließt, scheint mir diesem Interesse geradezu diametral entgegen zu laufen. Ausgerechnet an Forscher*innen, die sich im Zweifel in der innovativsten und intensivsten und womöglich auch produktivsten Arbeitsphase ihres Lebens befinden, hat die Vereinigung kein Interesse und sperrt sie buchstäblich aus, so dass sie sich beleidigt abwenden und ihre eigene, oft selbstverzwergend “kleine Staatsrechtslehrertagung” genannte Veranstaltung machen, wo sie dann wiederum die Habilitierten aussperren. Wozu diese ganze Aussperrerei gut sein soll, kann ich mir schon denken. Dass das lauterste Interesse an guter Wissenschaft dahinter steckt, kann mir niemand erzählen.
Auch wie die Vorträge zustande kommen, gehalten und diskutiert werden, ist stramm reguliert. Das läuft nicht etwa so, dass die Mitglieder sich auf einen Call bewerben oder auch nur Vorschläge machen können. Der Auftrag, ein Referat zu halten, ereilt einen wie ein Schicksalsschlag, mitsamt dem Thema, über das man sprechen soll. Das kann man nicht einfach ablehnen. Man kann nicht sagen, tut mir leid, ich hab da grad mein Riesen-DFG-Projekt, und außerdem krieg ich grad das dritte Kind, und das Thema finde ich eigentlich nicht so spannend, gerne vielleicht nächstes Jahr wieder. Das ist ein absolutes No-No. Das muss man machen (und will es natürlich auch, wo es doch so eine Ehre ist).
Geschleudert wird der Blitz vom dreiköpfigen Vorstand der Vereinigung, der im Wesentlichen nichts anderes macht als dies, da die Last der eigentlichen Tagungs-Orga einem vierten sog. kooptierten Vorstandsmitglied von der lokalen Uni des Tagungsorts um den Hals gehängt wird. Worüber referiert werden soll, wird nicht in einem Diskussionsprozess erarbeitet, sondern zwischen den Vorstandsmitgliedern formlos festgelegt. In diesem Jubiläumsjahr schien dem Vorstand das Generalthema “Verfasste Freiheit” passend. Als ich am Donnerstag Nachmittag in Bremen ankam, hatten die Mitglieder den ganzen Tag über “Selbstbestimmung und Fremdbestimmung in der liberalen Demokratie” referiert bzw. diskutiert. Es ist ja nicht so, als ob da draußen nicht allerhand Dringliches los wäre gerade. Aber über solche Dinge reden, das kann man natürlich auch immer machen.
Die Vorträge werden tatsächlich gar nicht vorgetragen, sondern vorgelesen. Man muss sie genau so halten, wie sie später dann gedruckt werden. Die Diskussionsbeiträge im Plenum hinterher, heißt es, werden bisweilen ebenfalls schon im Voraus formuliert. Auf den Ertrag des Referats kann sich die Kritik gar nicht mehr auswirken, weil die Druckfassung ja fertig sein muss, bevor der Vortrag gehalten wird (ein Punkt, den Christoph Möllers in seinem Beitrag zum Jubiläumsband hervorhebt). Die Öffentlichkeit ist ausgeschlossen, daher hätte ich gar nicht zuhören dürfen, selbst wenn ich gewollt hätte. Ich bin gar nicht sicher, ob ich gewollt hätte. Ich stelle mir das ehrlich gesagt meistenteils entsetzlich langweilig vor. Mehrere Mitgliedern haben mir diese Vermutung gestern in teils drastischen Worten bestätigt.
Warum machen die das so? Das kann denen doch keinen Spaß machen. Es zwingt sie doch niemand. Warum öffnen die das nicht mehr?
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Plausibler wird dieses dauernde Grenzziehen und Ausschließen vielleicht, wenn man die Vereinigung nicht so sehr als Wissenschaftsinstitution, sondern als Club betrachtet: Ausschließen is the whole point. Members only. Sie schließt so viel aus, weil sie so viel einschließen muss.
Gegründet wurde die Vereinigung 1922, wie Christoph Schönberger im Eingangskapitel des Jubiläumsbands schildert, als Versuch nationalkonservativer, republik-skeptischer Staatsrechtsprofessoren, ihrer eigenen Marginalisierung zuvorzukommen: Die Berliner Ordinarien Heinrich Triepel und Rudolf Smend befürchteten die Gründung einer republikanischen Staatsrechtslehrervereinigung, in der ihresgleichen keinen Platz mehr hätte und seine politische und gesellschaftliche Autorität einbüßen würde. Um dem vorzubeugen, sollte dieser politische Gegensatz in einer “Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer” aufgehoben und in einen wissenschaftlichen Gegensatz überführt werden: Das war dann der berühmte Weimarer Methodenstreit, “Geisteswissenschaftler” versus “Positivisten”, der (mit Ausnahmen, siehe Hermann Heller) weitgehend entlang der politischen Konfliktlinie verlief.
Eine ähnliche Dialektik, geschildert von Anna-Bettina Kaiser, ereignete sich nach dem Ende des NS-Regimes und der Gründung der Bundesrepublik. Ãœber die Möglichkeit eines Weiter-So trotz NS-Verstrickung (für Emigranten wie Hans Kelsen interessierte sich fast niemand) stritten sich vorgeblich auf unpolitische Wissenschaftlichkeit bedachte “Arbeitsgemeinschaftler” und auf Abgrenzung zum Naziregime pochende “Grundgesetzler”, bis dieser Konflikt in den viel beschriebenen wissenschaftlichen Streit zwischen Schmitt- und Smend-Schule überging. Es dauerte bis zur Jahrtausendwende, bis sich die Vereinigung traute, ihren eigenen Umgang mit der NS-Vergangenheit zum Tagungsgegenstand zu machen.
Der Preis für diese Art der Integration scheint mir die eigentümliche Introvertiertheit zu sein, die die Vereinigung kennzeichnet. Die Öffentlichkeit muss draußen vor der Tür bleiben, sie kann ja dann im Tagungsband alles nachlesen, wenn es sie interessiert (was sie nach meinem Eindruck eher selten tut). Dass sie rechtspolitisch öffentlich Stellung bezieht, was ihre Satzung ihr seit 1922 ausdrücklich zum Zweck setzt, findet praktisch, wie Franz Reimer in seinem Kapitel rekonstruiert (und kritisiert), so gut wie überhaupt nicht statt. Mitten in der schwersten globalen Krise liberaler demokratischer Verfassungsstaatlichkeit seit 1945 ist von der wissenschaftlichen Fachgesellschaft derer, die in Deutschland von Berufs wegen über liberale demokratische Verfassungsstaatlichkeit nachdenken, öffentlich so gut wie nichts zu hören. Die “Einheit” des Fachs darf nicht aufs Spiel gesetzt werden.
Ein weiterer Preis ist, dass man gar nicht mehr in den Blick bekommt, was man mit den vermeintlich formalen und wertfreien und unpolitischen Ausschlusskriterien alles ausschließt. Die Vereinigung vereinigt, beim Wort genommen, die Staatsrechtslehrer; Staatsrechtslehrerinnen sind mitgemeint und waren bis 1970, dem Eintritt von Ilse Staff, nicht einmal das (und danach auch nur mit Mühe, Staatsrechtslehrerin Nr. 2 und Nr. 3 kamen erst 1985 dazu). “Selbstverständlich geht es nicht nur um männliche Kollegen”, schreibt Christian Waldhoff in aller Unschuld (S. 174), “die Vereinigung stand theoretisch schon immer Frauen offen, auch wenn erst 1970 das erste weibliche Mitglied aufgenommen wurde.” Theoretisch. Im Jahr 2022 liegt der Frauenanteil bei 14 Prozent. Die “Frauenfrage”, so Pascale Cancik, ist unterdessen in der Vereinigung ein “Non-Thema” (S. 800). Von Persons of Color ganz und in jeder Hinsicht zu schweigen.
Die Vereinigung als Klub: Man gehört dazu, man geht da gerne hin, trifft Leute, die man lange kennt, und solche, die man gar nicht kennt, ist doch nett, als Steuerrechtler mal mit einer Völkerrechtlerin quatschen zu können, hat man ja sonst nie Gelegenheit dazu. Man ist unter sich. Members only. Aber man täusche sich da nicht: Member ist nicht gleich Member. Dass die Ausschließerei und Grenzzieherei ein Ende hat, wenn man erst mal drin ist, braucht man nicht zu hoffen. Es geht zwar nicht mehr so autoritär zu wie früher, wo offenbar Privatdozenten, neu Aufgenommenen und C3-Professoren generell zu verstehen gegeben wurde, dass es als unpassend empfunden würde, wenn sie sich in der Diskussion zu Wort melden. Das gibt es nicht mehr. Aber was es zumindest bei manchen gibt, wie ich gestern erfuhr, ist eine Unterscheidung zwischen A-Kollegen, B-Kollegen und C-Kollegen: Die A-Kategorie darf sich zu allem äußern, ob sie etwas davon versteht oder nicht. Die B-Kategorie erhebt das Wort, wenn ihre spezielle Forschungsexpertise gefragt ist. Die C-Kategorie hat generell den Mund zu halten.
Ihren Klub bezeichnen seine Mitglieder gerne und im ganz natürlichen Sprachgebrauch als “Zunft”. Das passt frappant gut, wie Hermann Pünder im Schlusskapitel des Jubiläumsbands zeigt: Die promovierenden Lehrlinge zu Füßen des Lehrstuhls, die habilitierenden Gesellen auf Postdoc-Wanderschaft, und schließlich das Meisterstück, die Habilitation, und mit ihr der Zugang zur jährlichen Zunftversammlung und zur Chance, zum gefürchtet-ersehnten Meistergesang vor der Staatsrechtslehrertagung auserwählt zu werden, voller Angst, dass Sixtus Beckmesser einen durchfallen lässt. Das ist alles sehr hübsch und fügt sich gut in die biedermeierlich-bildungsbürgerliche Atmosphäre dieser ganzen Veranstaltung. Aber ob zu einer modernen Wissenschaft nicht doch besser Gewerbefreiheit passt?
Die Woche auf dem Verfassungsblog
… zusammengefasst von PAULINE SPATZ:
Der UN-Menschenrechtsausschuss hat entschieden, dass Australien es versäumt hat, Inselbewohner vor dem Klimawandel zu beschützen. Verena Kahl kommentiert die Kernaussagen der Grundsatzentscheidung.
Daria Bayer geht der Frage nach, ob Klimaschutz ein strafrechtlicher Rechtfertigungsgrund sein kann.
Tristan Rohner schaut sich für uns den Entwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz zum Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz an.
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Die polnische Regierung fordert Kriegsreparationen von Deutschland. Andreas Buser zeigt, wie kompliziert die völkerrechtliche Lage ist.
TÃmea Drinóczi ist der Meinung, dass die Antworten und Abhilfemaßnahmen der ungarischen Regierung auf den Konditionalitätsmechanismus für Rechtsstaatlichkeit nichts als eine Farce sind. Gábor Mészáros & Kim Lane Scheppele analysieren die “Integritätsbehörde”, das Herzstück des Programms der ungarischen Regierung.
Am Wahltag in Bosnien und Herzegowina nutzte der Hohe Repräsentant Christian Schmidt einmal mehr seine “Bonner Befugnisse”, um Änderungen am Wahlgesetz des Landes durchzusetzen. Jens Woelk & Maja Sahadžić analysieren die Auswirkungen dieses Intervention.
Marco Greggi klärt über die Irrtümer, Fehlannahmen und Missverständnisse im Zusammenhang mit der italienischen Übergewinnsteuer auf.
Angesichts der Verabschiedung des Gesetzes über digitale Dienste durch den Europäischen Rat erklären Jannis Lennartz & Viktoria Kraetzig, warum Grundrechte – zumindest noch – nicht gefiltert werden können.
Ayşegül Kars Kaynar zeigt, wie die türkischen Gerichte durch die Prozesse zum Putschversuch vom 15. Juli eine entscheidende Rolle bei der Aussöhnung zwischen dem türkischen Volk und der Armee spielten.
Gertrude Lübbe-Wolff schlägt ein innovatives institutionelles Konzept vor, um Blockaden bei der Ernennung von Richter*innen verhindern.
Silvia Steininger schließt ab unsere Blog-Debatte zu Bewältigungsstrategien nationaler und internationaler Gerichte in Zeiten des Backlash ab.
So viel für diesmal. Ihnen alles Gute und bis nächste Woche!
Ihr
Max Steinbeis
Lieber Max,
danke für Deinen schönen Beitrag, der natürlich wie immer vieles richtig und in passender Sprache beschreibt. Nur eine Sache: Du warst als Gast der Vereinigung eingeladen und hättest Dir selbstverständlich auch die Referate am Donnerstag und Freitag anhören können. Ob es gewinnbringend gewesen wäre, hängt vom Standpunkt ab: Ãœber die Inhalte kann man streiten, aber aus einer ethnologischen Perspektive ist es dann eben doch interessant. Die Vereinigung ist ein wunderbarer ethnologischer Gegenstand, wozu ich nach meiner Emeritierung etwas schreiben werde. Wir – das ist ja auch ein Grund der Vereinigung, eben ein solches wir zu schaffen – ändern uns langsam, aber wir ändern uns. Anders ist nicht zu erklären, warum ausgerechnet Bremen für die Jubiläumstagung als ein Ort ausgesucht wurde, der lange Zeit als unwürdig ausgeschlossen war. Ich könnte noch viel erzählen, belasse es aber mit diesen Anmerkungen. Habe mich gefreut, dass Du da warst (übrigens der erste Journalist nach 100 Jahren, der dabei sein konnte bzw. durfte) und bis bald
Claudio
Danke, Claudio. Ãœber die Einladung, an dem “Literatenpanel” des Festakts teilzunehmen, hatte ich mich sehr gefreut und sofort zugesagt, aber nur dafür hatte ich eine Einladung erhalten.
Laut Schulze-Fielitz (Wissenschaftskultur S. 106) war Friedrich Karl Fromme (FAZ) 1970 auch eingeladen (und hat in der DÖV einen Tagungsbericht veröffentlicht)…
Lieber Herr Franzius,
es gab weitere externe Gäste, die gerne die Vorträge und Diskussionen gehört hätten, denen explizit die Teilnahme nicht gestattet war.
Was Sie hier schreiben, entspricht also zumindest für weitere externe Gäste nicht der Praxis, wie sie dieses Mal in Bremen gehandhabt wurde.
Auch verschiedene Journalist*innen hatten sich um Zugang bemüht, was jeweils verweigert wurde.
Vor diesem Hintergrund hätte ich wie Max die Einladung als begrenzte verstanden.
Mit besten Grüßen,
Katharina Mangold
Man könnte auch auf das durchaus interessante Verständnis von “Deutsch” der “Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer” hinweisen: Aufgenommen werden auch Professoren aus Österreich und der Schweiz, sofern diese deutschsprachig sind. Im Namen der Vereinigung wird der Hinweis auf die Sprache jedoch weggelassen und es ist nur von “Deutschen Staatsrechtslehrer[n]” die Rede. Eine Feinheit, die m.E. aber relevant ist und durchaus auf ein problematisches Verständnis von Deutschsprachigen ausserhalb Deutschlands hinweist: Als letztlich nur geographisch verirrte Deutsche.
Lieber Herr Steinbeis,
vielen Dank für die kurzweiligen Einblicke in eine Institution mit longue durée.
Bemerkenswert, die späte – unabschließbare – Aufarbeitung, wobei offenbar noch viel zu erforschen bleibt an NS-Biografien, wie mir ein Blick in Ipsens Akten zeigte. Ich bin gespannt, in welcher Weise sich der Jubiläumsband dem Thema einer personellen Kontinuität nähert. Konsequenzen? Ehrungen, und deren Aberkennung?
Vielleicht könnte der Salzburger Umgang mit Wolfgang Hefermehl zu denken geben. Der SS-Mann Wolfgang Hefermehl, ein Schüler Nipperdeys und bekanntlich führender Wirtschaftsjurist der Bundesrepublik, belastete sich schwer, vor allem durch seine antijüdische Tätigkeit als Sachbearbeiter im Reichsjustizministerium auf dem Gebiet Feindvermögen und antisemitische Publikationen. Hefermehl wurde von der Universität Salzburg im Dezember 2015 posthum die Ehrendoktorwürde aberkannt …
Lieber Herr Borowsky,
haben Sie zu Herrn Ipsen etwas veröffentlicht? Das würde mich sehr interessieren!
Mit besten Grüßen,
Katharina Mangold
Hefermehl war zuallererst Schüler von Wolfgang Siebert. Zu Nipperdey kam er erst viel später, nach Zusammenbruch des NS-Staates.
“Für Emigranten wie Hans Kelsen interessierte sich fast niemand”: Ganz so ist das nicht. Der Emigrant Hans Nawiasky, übrigens ein Kelsen-Schüler, wurde schon 1946 nach München zurückgeholt und war einer der wichtigsten Teilnehmer am Herrenchiemseer Konvent. Auch Walter Jellinek, der seinen Lehrstuhl verloren und in größter Gefahr als “Volljude” weiter in Deutschland gelebt hatte, wurde sofort nach 1945 wieder eingesetzt und schrieb bei der hessischen Verfassung mit.