Rosneft am Ende?
Zum jüngsten Urteil des BVerwG betreffend die Treuhandverwaltung von Rosneft Deutschland
Als das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) im September des vergangenen Jahres zwei deutsche Tochtergesellschaften des russischen Staatskonzerns Rosneft unter Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur stellte (siehe BAnz AT 16.09.2022 B1, jüngst verlängert durch BAnz AT 15.03.2023 B2), ließ die Reaktion aus Moskau nicht lange auf sich warten: Man werde mit allen zur Verfügung stehenden rechtlichen Mitteln gegen diese „Zwangsenteignung“ vorgehen, verkündete Rosneft in einer Pressemitteilung und erhob über zwei an den betroffenen Tochtergesellschaften beteiligte Unternehmen Anfechtungsklagen vor dem BVerwG. Mit Urteil vom 14. März 2023 hat das BVerwG diese Klagen nun als unbegründet abgewiesen. Zwar steht die Veröffentlichung der Urteilsgründe noch aus. Gleichwohl offenbart eine entsprechende Pressemitteilung des BVerwG – bei aller juristischer Vorsicht, die solchen Mitteilungen entgegenzubringen ist – bereits entscheidende Erwägungen des Gerichts, die zugleich zentrale rechtliche Fragen sich voraussichtlich anschließender gerichtlicher Verfahren erkennen lassen.
Hintergründe des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens
Gegenstand der nunmehr abgewiesenen Klagen vom 13. Oktober 2022 war die Anordnung der Treuhandverwaltung über zwei deutsche Tochtergesellschaften des russischen Staatskonzerns Rosneft: die Rosneft Deutschland GmbH und die RN Refining & Marketing GmbH. Mithilfe der streitgegenständlichen Treuhandanordnung hatte das BMWK am 14. September 2022 die Kontrolle über die PCK-Raffinerie in Schwedt erlangt, die überwiegend im Eigentum der betroffenen Tochtergesellschaften steht und als kritische Energieinfrastruktur für große Teile der ostdeutschen Heizöl- und Kraftstoffversorgung verantwortlich ist. Rechtsgrundlage dieses Vorgehens und damit auch zentrale Norm für das verwaltungsgerichtliche Verfahren war dabei § 17 Abs. 1 Energiesicherungsgesetz (EnSiG). Danach kann ein Unternehmen, das kritische Energieinfrastruktur betreibt, durch das BMWK unter Treuhandverwaltung gestellt werden, wenn die Gefahr besteht, dass das Unternehmen anderenfalls seine gemeinwohlrelevanten Aufgaben im Bereich der Energieversorgung nicht erfüllt und damit eine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit droht.
Das BMWK stützte seine Einschätzung einer solchen Gefahr bezüglich der von der Treuhandanordnung betroffenen Tochtergesellschaften auf drei Erwägungen: Erstens sei der Geschäftsbetrieb der PCK-Raffinerie nahezu unmöglich geworden, da wesentliche Geschäftspartner und Dienstleister (insbesondere in den Bereichen IT, Versicherung und Zahlungsverkehr) infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine – trotz grundsätzlicher sanktionsrechtlicher Zulässigkeit und einer Patronatserklärung des BMWK – nicht mehr bereit gewesen seien, mit den betroffenen Tochtergesellschaften zu kooperieren (sogenannte Overcompliance). Zweitens hätten sich die Tochtergesellschaften geweigert, eine eigenständige Diversifizierung der Rohölbelieferung der PCK-Raffinerie vorzunehmen und stattdessen weiterhin ausschließlich Rohöl aus der russisch kontrollierten Druschba-Pipeline bezogen (und den Geschäftsbetrieb der Raffinerie damit sehenden Auges dem Risiko eines plötzlichen russischen Lieferstopps ausgesetzt). Und drittens habe die begründete Vermutung bestanden, dass der Mutterkonzern Rosneft systematisch Kapital seiner Tochtergesellschaften abziehen würde, um so deren Insolvenz auszulösen und damit die deutsche Energieversorgungssicherheit gezielt zu sabotieren. Angesichts dieser Umstände sei eine Treuhandverwaltung geeignet und erforderlich gewesen, um die bestehende Gefahr abzuwenden und eine Diversifizierung der Rohölbelieferung der PCK-Raffinerie – etwa durch die Ertüchtigung der Pipeline von Rostock nach Schwedt – sicherzustellen.
Dieser Rechtsauffassung des BMWK traten Rosneft und seine Klägerinnen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erwartungsgemäß entgegen. Die Treuhandanordnung sei formell wie materiell rechtswidrig und verletze die Klägerinnen (zumindest auch) in ihren Gesellschafterrechten. Das BMWK habe es unterlassen, die Klägerinnen anzuhören und die Treuhandanordnung hinreichend zu begründen. Zudem sei die Treuhandanordnung ermessensfehlerhaft, da sie die Klägerinnen unverhältnismäßig belaste. Schließlich habe das BMWK – so die Wiedergabe in der Pressemitteilung – „sein Ermessen missbraucht, um ein Importembargo für russisches Rohöl ohne gesetzliche Grundlage durchzusetzen“.
Kernaussagen des Urteils vom 14. März 2023
Das BVerwG war damit vor eine Reihe komplexer, nicht nur verwaltungsrechtlicher, sondern auch verfassungs- und völkerrechtlicher Rechtsfragen gestellt. Eine abschließende Einordnung des Urteils ist in Ermangelung der Urteilsgründe zum gegenwärtigen Zeitpunkt schwerlich möglich. Gleichwohl lässt die Pressemitteilung bereits bestimmte Kernaussagen des Urteils sowie die Grundzüge der dahinterstehenden rechtlichen Argumentationsstruktur des Gerichts erkennen.
Dabei beginnt das Gericht, indem es die von Rosneft vorgebrachte formelle Rechtswidrigkeit der Treuhandanordnung – namentlich die unterlassene Anhörung und die vermeintlich unzureichende Begründung – mit wenigen Worten zurückweist. Eine Anhörung sei angesichts eines drohenden strategischen Kapitalabzugs wegen Gefahr im Verzug entbehrlich gewesen, die Begründung der Treuhandanordnung hinreichend vorgenommen worden.
Das Gericht wendet sich dann der materiellen Rechtmäßigkeit der Treuhandanordnung zu. Dabei befasst es sich zunächst mit der Verfassungsmäßigkeit des § 17 EnSiG als Rechtsgrundlage der Treuhandanordnung und stellt fest, dass § 17 Abs. 1 bis 4 EnSiG die unternehmerische Betätigungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG sowie die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG in verhältnismäßiger Weise einschränke. Bemerkenswert ist dabei, dass sich das Gericht in seiner Feststellung der Verfassungsmäßigkeit auf die Absätze 1 bis 4 der Vorschrift beschränkt. Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des § 17 EnSiG, die sich etwa aus einer Gesamtschau mit dem pauschalen Ausschluss ausländischer juristischer Personen von der Entschädigung nach § 17 Abs. 7 S. 3 EnSiG hätten ergeben können (siehe dazu bereits hier), scheinen hingegen keine Berücksichtigung gefunden zu haben – zu einer Vorlage an das BVerfG im Wege einer konkreten Normenkontrolle ist es offensichtlich nicht gekommen.
Auf dieser Grundlage widmet sich das Gericht den Tatbestandsvoraussetzungen des § 17 Abs. 1 EnSiG. Dazu stellt es unter Bezugnahme auf die Erkenntnisse aus einer vor dem BVerwG unüblichen, hier aber aufgrund der Sonderzuweisung des § 17 Abs. 6 S. 2 EnSiG ausnahmsweise statthaften Beweisaufnahme fest, dass die nach § 17 Abs. 1 EnSiG erforderliche Gefahr für die Energieversorgungssicherheit angesichts der Overcompliance, der fortdauernden Abhängigkeit der PCK-Raffinerie von Rohöl aus der Druschba-Pipeline und der realen Möglichkeit eines strategischen Kapitalabzugs tatsächlich vorlag, und folgt damit im Wesentlichen der Argumentation des BMWK.
In einem nächsten Schritt behandelt das Gericht die von Rosneft vorgebrachte Ermessensfehlerhaftigkeit der Treuhandanordnung. Dabei weist es zunächst darauf hin, dass die Treuhandanordnung in sachdienlicher Weise auf eine Reduzierung der Overcompliance und eine Diversifizierung der Rohölbelieferung hinwirke, und verwirft – erneut unter Bezugnahme auf Erkenntnisse aus der Beweisaufnahme – den recht pauschalen Vorwurf Rosnefts, dass das BMWK mittels der Treuhandanordnung ein gesetzlich nicht vorgesehenes Importembargo für russisches Rohöl habe etablieren wollen. Sodann nimmt sich das Gericht der Frage an, ob das BMWK durch eine mangelnde Berücksichtigung der Grundrechte der Klägerinnen die Grenzen seines Ermessens überschritten habe. Interessanterweise umschifft das Gericht dabei die zentrale Frage nach der Grundrechtsberechtigung fremdstaatlich kontrollierter juristischer Personen. Eine Ermessensüberschreitung des BMWK könne jedenfalls dann nicht vorliegen – so die Pressemitteilung –, wenn sich auch die Treuhandverwaltung eines zweifelsfrei grundrechtsberechtigten inländischen Unternehmens als gerechtfertigter Eingriff in die Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG darstelle, was angesichts der enormen gesellschaftlichen Folgen eines Ausfalls der PCK-Raffinerie jedenfalls der Fall sei. Insbesondere eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG scheide aus, da es sich bei der Treuhandanordnung um eine verhältnismäßige, von der Sozialbindung des Eigentums gedeckte, nicht entschädigungspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung handele.
In einem letzten Schritt widmet sich das Gericht schließlich der Vereinbarkeit der Treuhandanordnung mit solchen unions- und völkerrechtlichen Rechtsvorschriften, die über verschiedene verfassungsrechtliche Hebel (insbesondere Art. 23 Abs. 1 und Art. 59 Abs. 2 GG) in die deutsche Rechtsordnung einwirken und dementsprechend auch die deutsche Staatsgewalt einschließlich des BMWK und des BVerwG binden (Art. 20 Abs. 3 GG). Dabei geht das Gericht ausdrücklich davon aus, dass die Treuhandverwaltung nicht nur verfassungsdogmatisch, sondern auch nach investitionsschutzrechtlichen Maßstäben keine (indirekte) Enteignung darstelle. Infolgedessen stehe die Treuhandanordnung auch nicht im Widerspruch zum deutsch-russischen Investitionsschutzvertrag von 1989 (DE-RUS-Investitionsschutzvertrag). Die Treuhandanordnung sei außerdem – so der letzte Satz der Pressemitteilung – auch mit Unionsrecht und der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar.
Überlegungen zum Fortgang des Verfahrens
Nimmt man Rosneft beim Wort, so dürfte der Streit um die Treuhandverwaltung mit dem Urteil des BVerwG allerdings noch nicht an sein Ende gelangt sein. Zu erwarten ist, dass Rosneft nun im Wege der Verfassungsbeschwerde (gegebenenfalls mit einer sich anschließenden Individualbeschwerde vor dem EGMR) und eines völkerrechtlichen Schiedsverfahrens auf der Grundlage des DE-RUS-Investitionsschutzvertrags weitere rechtliche Schritte gegen die Treuhandanordnung ergreifen wird.
Im Falle einer Verfassungsbeschwerde wird sich das BVerfG dabei zunächst dahingehend positionieren müssen, ob die Klägerinnen als fremdstaatlich kontrollierte juristische Personen überhaupt grundrechtsberechtigt sind. Diese Frage hat das BVerfG – wie auch das BVerwG im hier besprochenen Urteil – bislang offen gelassen. Nach der Vattenfall-Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2016 sollen fremdstaatlich kontrollierte juristische Personen aufgrund des Anwendungsvorrangs der Grundfreiheiten (insbesondere Art. 49, 54 AEUV) zwar „ausnahmsweise“ grundrechtsberechtigt sein, wenn sie von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union kontrolliert werden. Ob sich dieser spezifisch unionsrechtlich geprägte Gedanke auf sonstige fremdstaatlich kontrollierte juristische Personen übertragen lässt, ist jedoch zweifelhaft. Sollte sich das BVerfG gleichwohl zugunsten der Grundrechtsberechtigung fremdstaatlich kontrollierter juristischer Personen positionieren, so wird es auch zu klären haben, ob es sich bei einer Treuhandverwaltung im Sinne von § 17 EnSiG – entsprechend der Rechtsauffassung des BVerwG – tatsächlich um eine nicht entschädigungspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung handelt. Eine generelle Entschädigungslosigkeit von Inhalts- und Schrankenbestimmung nimmt das BVerfG nämlich seit seinen Entscheidungen in den Rechtssachen Pflichtexemplar und Denkmalschutz nicht mehr an.
Nach (erfolglosem) Abschluss einer etwaigen Verfassungsbeschwerde wäre darüber hinaus auch mit einer auf die Verletzung von Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention (ZP 1 EMRK) gestützten Individualbeschwerde vor dem EGMR zu rechnen. Anders als im deutschen Recht bestehen angesichts der Weite des Wortlauts des Art. 1 ZP 1 EMRK und der einschlägigen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 34 EMRK kaum Zweifel an der Eröffnung des Schutzbereichs für fremdstaatlich kontrollierte juristische Personen, soweit diese – wie in der hiesigen Konstellation – nicht unmittelbar Hoheitsgewalt ausüben. Dass die Russische Föderation seit dem 16. September 2022 kein Vertragsstaat der EMRK und ihrer Zusatzprotokolle mehr ist, befreit die Bundesrepublik Deutschland dabei selbstverständlich nicht von der Bindung an die Konventionsgewährleistungen innerhalb ihrer Jurisdiktion. Für die Anwendbarkeit der EMRK ist es insoweit gänzlich unerheblich, ob die auf deutschem Staatgebiet betroffene juristische Person von einem Staat kontrolliert wird, der kein Mitgliedstaat der EMRK ist.
Mit einiger Sicherheit dürfte Rosneft außerdem ein auf die Zahlung von Entschädigung gerichtetes schiedsgerichtliches Verfahren auf Grundlage des Art. 10 DE-RUS-Investitionsschutzvertrag anstrengen. Insoweit ist der Pressemitteilung des BVerwG zwar zu entnehmen, dass das Gericht zu der eigenen Beurteilung gelangt ist, dass die Treuhandverwaltung keine Enteignung i.S.v. Art. 4 DE-RUS-Investitionsschutzvertrag darstelle. Angesichts der umfangreichen schiedsgerichtlichen Spruchpraxis zu indirekten Enteignungen, die den Enteignungsbegriff regelmäßig deutlich weiter versteht als die deutsche Verfassungsdogmatik, dürfte diese Frage jedoch keineswegs als geklärt betrachtet werden.
Fazit
Aus verwaltungsgerichtlicher Perspektive mag durch das Urteil des BVerwG vom 14. März 2023 alles gesagt sein. Im Bereich des Verfassungs-, Unions- und Völkerrechts sind indes viele Fragen offen. Der Streit um die Treuhandverwaltung (sowie einer sich demnächst wohl anschließenden Enteignung) wird Literatur und Rechtsprechung in den nächsten Monaten und Jahren weiter beschäftigen.
Im Ergebnis dürften die Erfolgsaussichten etwaiger weiterer Verfahren – insbesondere wegen eines auf sämtlichen Stufen des eigentumsrechtlichen Mehrebenensystems berücksichtigungsfähigen Mitverschuldens Rosnefts bzw. des russischen Staates – gleichwohl als gering einzuschätzen sein. Doch das ist ein anderes Thema (siehe bereits hier sowie demnächst ausführlich in der JuristenZeitung).