Asyl und Migration – Recht und Wirklichkeit
Vorbemerkung
Das, was von Rechts wegen zu gelten hat, stimmt selten mit dem in vollem Umfang überein, was man gemeinhin mit dem „realen Leben“ zu umschreiben pflegt. Wenn Recht auf Wirklichkeit trifft, übrigens ein durchaus gewollter und unvermeidbarer Vorgang, dann wird man immer gewisse Abstriche am rechtsstaatlichen Postulat der uneingeschränkten Herrschaft des Rechts machen müssen. Fiat iustitia et pereat mundus, frei übersetzt: Es gelte das Recht, und gehe die Welt darüber zugrunde, ist in unserem sozialen Rechtsstaat nie Maxime gewesen. Aber das, was wir derzeit in Deutschland im Bereich Asyl und Migration erleben, ist in dieser Hinsicht doch neuartig: Noch nie ist in der rechtsstaatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union das Zusammentreffen von Recht und Wirklichkeit in solch kritischem Umfange zulasten der Herrschaft und Durchsetzung des Rechts ausgegangen wie auf diesem Politikfeld. Dies möchte ich als ganz nüchterne Analyse verstehen, nicht als politische Bewertung derzeitiger Migrationen nach Deutschland.
I.
1. Die Gründe dafür sind vielfältiger Natur. Der naheliegenste Grund ist, dass das bislang geltende Recht sich schlicht als untauglich erweist, den Massenansturm an Flüchtlingen auch nur halbwegs zu bewältigen. Der immer wieder zu hörende Ruf nach der Rückkehr zum Recht dürfte daher wegen seiner intellekutellen Schlichtheit zur Problembewältigung nicht reichen. Zu der seit der Existenz der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union einmaligen Größenordnung der Migration kommen weitere Umstände hinzu, die teilweise für sich gesehen durchaus positiv zu bewerten sind: Da ist zum einen die besondere Anziehungskraft unserer rechtsstaatlichen und sozialstaatlichen Ordnung sowie ökonomischen Lage zu nennen, ebenso die in weiten Teilen der Bevölkerung anzutreffende Einstellung zu Humanität und Hilfsbereitschaft für Menschen in Not und in der Existenzkrise.
Es sind aber auch weniger erfreuliche Umstände beim Namen zu nennen. Politisches Handeln erfolgt in zunehmendem Maße immer nur als ad-hoc-Krisenbewältigung, vorsorgende, krisenvermeidende Gestaltung von Organisation und Verfahren, aber auch von Inhalt und Ausrichtung der Politik findet kaum noch statt. So geschehen auch auf dem hier in Rede stehenden Politikfeld. Seit Jahren zeichnen sich die massenhaft erfolgenden Migrationen aus den seit langem bestehenden Krisenregionen ab, sie sind wirklich nicht als unvorhersehbare und völlig unabwendbare „Naturereignisse“ über die deutsche und europäische Politik hereingebrochen. Das politische Agieren, das Regieren, wird zu einem „Fahren auf Sicht“, was insbesondere in Zeiten zunehmender Globalisierung sowie eines weltweit immer zahlreicher werdenden Verfalls staatlicher Ordnungen als Friedens- und Sicherheitsgaranten für die dort lebenden Menschen auch für uns auf Dauer zu einer verhängnisvollen Bedrohung der staatlichen Identität und Integrität führen kann.
2. Das geltende Flüchtlingsrecht ist überdies äußerst kompliziert; das gilt schon für die nationale Ebene, erst recht aber aufgrund des Zusammenwirkens von unionsrechtlichen, völkerrechtlichen und deutschen Rechtsnormen. Treten etwa auf der Ebene des Unionsrechts Defizite zu Tage, verfällt auch das nationale Recht insoweit der Dysfunktionalität. Dies gilt beispielhaft für den Regelungskomplex der sogenannten sicheren Drittstaaten. Mit der Grundgesetzänderung von 1993 und der Schaffung des Art. 16 a GG wollte der verfassungsändernde Gesetzgeber eine Grundlage für eine europäische Gesamtregelung der Schutzgewährung für Flüchtlinge schaffen, um eine Lastenverteilung zwischen den europäischen Staaten zu ermöglichen (BVerfGE 94, S. 49). Er hat im Art. 16 a Abs. 2 GG den persönlichen Geltungsbereich des Asylgrundrechts ganz erheblich eingeschränkt: Wer aus einem sicheren Drittstaat im Sinne des Art. 16 a Abs. 2 S. 1 GG anreist – dazu zählen alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union – genießt nicht den Schutz des Asylgrundrechts, weil er in dem Drittstaat Schutz vor politischer Verfolgung hätte finden können. Demgemäß ermöglicht es § 18 Abs. 2 Nr. 1 AsylG, dem Ausländer die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zu verweigern, sofern er aus einem sicheren Drittstaat einreisen will, in dem die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK sicher gestellt ist. Ist der Ausländer aus einem solchen sicheren Drittstaat eingereist und soll er dorthin abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Das Bundesverfassungsrecht hat in seinem grundlegenden Urteil zum Asylrecht vom 14. Mai 1996 diese Regelung für verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet. Es hat zunächst festgestellt, dass es dem verfassungsändernden Gesetzgeber freigestellt ist, das Asylgrundrecht in der genannten Weise im Hinblick auf den persönlichen Geltungsbereich einzuschränken. Das Asylgrundrecht gehöre nicht zum Gewährleistungsinhalt von Art. 1 Abs. 1 GG, sodass es nicht der sogenannten Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG unterfalle. Die Einreise aus einem sicheren Drittstaat – und das ist bei einer Einreise nach Deutschland auf dem Landwege ausnahmslos der Fall – kann der Ausländer sich gem. Art. 16 a Abs. 2 S. 1 GG nicht auf das Asylgrundrecht berufen, er habe deshalb auch keinen Anspruch auf Durchführung eines Verfahrens zur Feststellung, ob er Inhaber des Grundrechts aus Art. 16 a Abs. 1 GG ist, und demzufolge auch kein vorläufiges Bleiberecht als Vorwirkung des grundrechtlichen Schutzes. Der Gesetzgeber kann deshalb vorsehen, dass die Aufenthaltsbeendigung in den sicheren Drittstaat unmittelbar durchgeführt wird (BVerfGE 94, S. 49, 105).
Zwar hat sich der verfassungsändernde Gesetzgeber damals nicht durchringen können, das Asylgrundrecht als ein potentiell jedem Ausländer in der Welt zustehendes individuell-subjektives Grundrecht zugunsten einer bloß objektiv-rechtlichen, institutionellen Garantie des Asyls nach näherer Maßgabe gesetzlicher Ausgestaltung aufzugeben, seine mit Art. 16 a GG eingeführten Kriterien des personalen Schutzsbereichs des Grundrechts hatten aber ebenfalls das Ziel, das subjektive Recht auf Asyl in Deutschland weitestgehend aufzugeben. Der in letzter Zeit immer wieder aufgeführte Streit darüber, ob das Asylgrundrecht die Festlegung von Obergrenzen zulasse, ist jedenfalls im Hinblick auf die Migration auf dem Landwege wegen der offenkundigen Nicht-Einschlägigkeit des Asylgrundrechts ein Scheingefecht, dessen Austragung möglicherweise auf schlichter Rechtsunkenntnis beruht.
3. Allerdings kommen hier zwei unionsrechtlich begründete, ganz wesentliche Ergänzungen ins Spiel. Zu nennen ist zum einen die sogenannte Dublin-III-Verordnung der Europäischen Union. Innerhalb der Europäischen Union ist in der Regel der Mitgliedstaat für das Asylverfahren zuständig, den der Flüchtling zuerst betreten hat. Seit der sogenannten Ost-Erweiterung der Europäischen Union im Jahre 2004 hat Deutschland keine EU-Außengrenzen mehr. Niemand kann auf dem Landwege nach Deutschland gelangen, ohne dass er zuvor durch einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union gekommen ist, der für das Asylverfahren nach EU-Recht an sich zuständig ist.
Von dieser Regelung gibt es freilich Ausnahmen: Deutschland ist beispielsweise zuständig, wenn bereits ein enger Familienangehöriger in Deutschland lebt oder wenn Deutschland dem Flüchtling ein Visum oder eine Aufenthaltserlaubnis zuvor erteilt hat. Außerdem gewährt das EU-Recht dem Mitgliedstaat ein Recht zum Selbsteintritt, Deutschland beispielsweise darf freiwillig das Asylverfahren auch in solchen Fällen durchführen. Dies erfolgt beispielsweise im Falle der syrischen Flüchtlinge: Deutschland hat sich bereit erklärt, die Asylverfahren durchzuführen und verzichtet demgemäß darauf, syrische Flüchtlinge in ein früheres Durchgangsland der Europäischen Union zurück zu schicken. Das ist unionsrechtlich möglich, keinesfalls aber rechtlich geboten.
4. Das gesamte Regelungssystem der Drittstaatenlösung hat aber aus einem weiteren Grund eine fast zur Obsoleszens führende Störung erfahren: Die als Erstzutrittsländer in Betracht kommenden Mitgliedstaaten sind aufgrund des Ausmaßes der Zuwanderung in die Europäische Union seit geraumer Zeit ersichtlich total überfordert. Notwendige sachliche und finanzielle Hilfe der anderen Mitgliedstaaten, einschließlich Deutschlands, aber auch der Europäischen Union selbst, erfolgten jedenfalls nicht in hinreichendem Maße. Von europäischer Solidarität, gerade auch von deutscher Seite, konnte also schon immer keine Rede sein.
Insbesondere Italien und Griechenland gingen daher dazu über, die Flüchtlingsströme einfach unkontrolliert weiterziehen zu lassen, was die Mitgliedstaaten Mittel- und Nordeuropas, also die endgültigen Aufnahmestaaten, lange Zeit klag- und reaktionslos hingenommen haben. Wenn jetzt eine Wende erfolgen sollte, ist das unter dem Aspekt der Europarechtstreue nur zu begrüßen.
Die nunmehr vorgesehenen Hotspots in den Erstzutrittsländern können aber nur dann zu einer wirklichen Wiederbelebung von Dublin-III führen, wenn damit erreicht werden kann, dass die Flüchtlinge dort nur sehr kurz verweilen, die Einhaltung der EMRK gesichert ist, eine Integration nicht allein dem betreffenden Staat überlassen wird und andere Mitgliedstaaten letztlich einen Großteil der Flüchtlinge übernehmen. Andernfalls werden diese Hotspots zu sozialen Brennpunkten werden, die man weder dem betreffenden Land noch den Flüchtlingen zumuten kann und die von den Flüchtlingen auch im großen Stil umgangen werden.
4. Als Zwischenresümee kann festgehalten werden: Das damals gut ausgefeilte und wohl auch gut gemeinte Regelungssystem der sicheren Drittstaaten, mit seiner unionsinternen Zuständigkeitsverteilung und der grundgesetzlichen Reduktion des Asylgrundrechts im Art. 16 a Abs. 2 GG, für Deutschland übrigens eine sehr bequeme und komfortable Lösung, ist sehenden Auges und leichtfertig über Jahre aufs Spiel gesetzt und einer schleichenden Dysfunktionalität und Obsoleszens überlassen worden. Man hat es hingenommen, dass der Mechanismus aus Drittstaatregelung und Dublin-III faktisch zusammen gebrochen und wirkungslos geworden ist, ohne ein neues, sachgerechtes und zwischen der nationalen und europäischen Regelungsebene abgestimmtes Rechtsregime rechtzeitig an der Hand zu haben.
Als ein ehemaliger Repräsentant der Dritten Gewalt soll man sich mit Politikschelten tunlichst zurückhalten. Man hat es dort in der Politik sicherlich schwer genug. Aber in dieser Angelegenheit kann man sich bei einer resümierenden Bewertung des Vorwurfs des großen, historisch negativ bedeutsamen Politikversagens nicht völlig enthalten.
II.
1. Die Frage, ob dem Ausländer das Asylgrundrecht des Art. 16 a Abs. 1 GG zur Seite steht oder nicht, ist auch aus einem anderen Grund in rechtlicher Hinsicht nicht von entscheidender Bedeutung, weshalb sich die Frage einer Grundgesetzänderung nicht wirklich stellt: Einem Ausländer ist unabhängig von Asylgrundrecht des Art. 16 a GG der Aufenthalt zu gestatten, wenn er als Flüchtling Anspruch auf internationalen Schutz nach der Richtlinie 2011/95/EU genießt. Es handelt sich hier um die sogenannte EU-Qualifikationsrichtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 13. Dezember 2011 über „Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für eine einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes“. Diese Richtlinie übernimmt den Flüchtlingsbegriff des völkerrechtlichen Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge aus dem Jahre 1951, nach der Flüchtlinge als Personen definiert werden, die ihr Heimatland „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung“ verlassen und in anderem Staat Zuflucht gesucht haben. Diesen Personen gewährleistet die EU-Qualifikationsrichtlinie „internationalen Schutz“, also das Recht, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union bleiben zu dürfen.
Der Begriff der politischen Verfolgung im Sinne des deutschen Asylverfassungsrechts entspricht im Wesentlichen dem des Flüchtlings im Sinne des Völker- und Europarechts, sodass der internationale Schutz letztlich ein Asylrecht darstellt. Folgerichtig sind im einfach-gesetzlichen Asyl- und Asylverfahrensrecht das eigentliche Asylrecht im Sinne des Grundgesetzes und der Schutz der Flüchtlinge im Sinne des Europa- und Völkerrechts zusammengefasst. Der internationale Schutz für Flüchtlinge kann also in der Sache auch als Anspruch auf Asyl bezeichnet werden.
Auch inhaltlich ist der Schutz im Wesentlichen identisch; über ihn wird im gleichen (Asyl-)Verfahren entschieden. Nur das Bundesverfassungsgericht kann zur Durchsetzung des internationalen Schutzes nicht mittels einer Verfassungsbeschwerde angerufen werden.
2. Der internationale Schutz nach der EU-Qualifikationsrichtlinie bezieht sich allerdings nicht nur auf Flüchtlinge im Sinne des völkerrechtlichen Konventionsrechts. Er umfasst auch den sogenannten subsidiären Schutz, der vorrangig den sogenannten Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen zugute kommt, die stichhaltige Gründe für die Annahme vorbringen, dass ihnen eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht. Allgemeine Gefahren, Risiken und Nachteile, die mit bewaffneten Konflikten verbunden sind, reichen für diesen subsidiären Schutz nicht aus.
3. Ein Recht auf Asyl oder auf internationalen Schutz besteht nicht, wenn eine inländische Fluchtalternative besteht, wenn also die verfolgte und individuell gefährdete Person anderweitig im Heimatland Schutz finden kann. Dasselbe gilt, wenn der Flüchtling auf dem Weg zu seinem endgültigen Zufluchtsland durch Staaten gekommen ist, in denen er vor Verfolgung sicher war. Dazu gehören alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ferner die Schweiz und Norwegen. Es kommt aber auch jedes andere Land in Betracht, das dem Flüchtling dauerhaft den Aufenthalt erlaubt und hinreichenden Schutz bietet.
4. Was bedeutet das in rechlicher Hinsicht für die syrischen Flüchtlinge? Hielten sie sich bereits innerhalb oder außerhalb der Flüchtlingscamps in der Türkei, des Libanons oder Jordaniens auf, dann lebten sie vielfach zwar unter äußerst schwierigen sozialen und ökonomischem Bedingungen, sie waren und sind aber im Allgemeinen sicher vor Verfolgung und Bürgerkrieg. Eine Berufung auf den internationalen Schutz als Flüchtling gemäß der EU-Qualifikationsrichtlinie steht ihnen regelhaft rechtlich nicht zu. Etwas anderes gilt etwa für diejenigen Flüchtlinge, die in Lybien auf eine Überfahrt nach Europa warteten oder warten, denn dieser Staat kann ihnen keinen Schutz und keine Hilfe bieten.
Unter anderem für die Syrer hatte man in Deutschland ein sogenanntes beschleunigtes Verfahren eingeführt. Hier findet in der Regel keine förmliche Anhörung statt. Man ging im Falle Syriens bislang von auf dem gesamten Territorium bestehenden Verfolgungsdruck aus. Das heißt mit anderen Worten: Die syrischen Flüchtlinge sind mehr oder weniger pauschal als politische Verfolgte eingestuft worden, nicht als Kriegs- oder Bürgerkriegsflüchtlinge mit einem nur subsidiären Schutz. Offenbar wurde bzw. wird auch nicht berücksichtigt, dass diese Flüchtlinge vielfach aus Drittstaaten kommen, in denen sie bereits vor Verfolgung sicher waren. Somit erhalten auch alle diejenigen Flüchtlinge politisches Asyl, die aus den sicheren Flüchtlingscamps in den Nachbarländern aufgebrochen sind. Das ist und war in dieser pauschalen Handhabung rechtlich hoch problematisch, wenngleich man auch feststellen muss, dass das Verhalten der Flüchtlinge, jene Flüchtlingscamps zu verlassen, naheliegend und verständlich ist. Auch insoweit ist übrigens der Mangel einer klugen vorsorgenden Politik der europäischen Staaten zu beklagen, die jahrelang sehenden Auges die Nachbarstaaten der Krisenregionen mit ihren Problemen bei der Aufnahme der Flüchtlinge und der angemessenen Unterhaltung jener Flüchtlingscamps weitgehend im Stich gelassen haben. Für Deutschland trifft dieser Vorwurf allerdings nicht unbedingt zu.
5. Menschen, die weder politisch verfolgt sind noch als Kriegs- oder Bürgerkriegsflüchtlinge anzuerkennen sind, genießen kein Recht auf internationalen Schutz. Man bezeichnet sie im Allgemeinen als sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge. Die mit dieser Bezeichnung zum Ausdruck gebrachte Pauschalierung mag vielfach als unfair und inhuman erscheinen. Geht es doch bei diesen Menschen nicht immer nur um das Streben nach einem besseren Leben, sondern nicht selten um die Abwehr existenzieller Not. Das gilt beispielsweise für viele sogenannten afrikanischen Wirtschaftsflüchtlinge. Das ändert aber nichts daran, dass diese Personengruppen nicht unter das Asylrecht und unter die Regeln über den internationalen Flüchtlingsschutz fallen. Für eine – begrenzte – Aufnahme können hier humanitäre, aber auch Eigeninteressen des Aufnahmestaates im Hinblick auf eine nachgerade benötigte und gesteuerte Zuwanderung sprechen. Ihre Durchleitung durch den aufwändigen Asylverfahrensprozess ist hingegen äußerst dysfunktional und objektiv missbräuchlich.
6. In dieser Hinsicht hat sich das deutsche Asylrecht – wie es Kay Hailbronner ausgedrückt hat – zu einem „Asylbewerberrecht“ entwickelt. Nach geltendem Asylverfahrensrecht ist mit jeder Antragsstellung eine sogenannte Gestattung des Aufenthaltes verbunden. Diese soll die ordnungsgemäße und rechtsstaatlich einwandfreie Durchführung des Asylverfahrens ermöglichen. Aber die beklagenswerte Dauer dieser Verfahren, die mit der vorläufigen Gestattung verbundenen Gewährungen und Leistungen, aber auch der Umstand, dass bislang auch nach zeitaufwändig durchgeführter Prüfung und Antragsablehnung selten eine wirklich Ausreise oder gar eine Abschiebung erfolgte, haben faktisch dazu geführt, dass die Unterscheidung von Asylantragsstellung und Flüchtlingsstatus mit materiell gesichertem Aufenthaltsrecht immer mehr verblasste. Berücksichtigt man ferner den bereits erwähnten Umstand, dass faktisch die sicheren Drittstaaten nach dem Zusammenbruch des Dublin-III-Mechanismus zu Transitstaaten geworden sind, ist eine Wahlfreiheit für das jeweilige Wunschland des Asyls hinzugetreten.
III.
1. Die Asyl- und Flüchtlingspolitik in Deutschland krankt seit Langem daran, dass sie es versäumte, zwischen dem individuellen Recht auf Schutz vor Verfolgung einerseits und der Aufnahme von Migranten aus humanitären Gründen und/oder aus Gründen einer auch im wohl verstandenen Eigeninteresse Deutschlands erfolgenden Zuwanderungsstrategie andererseits zu unterscheiden. Letztere erfolgte nicht aufgrund verfassungsrechtlicher und unionsrechtlicher oder völkerrechtlicher Verpflichtungen, sondern aufgrund politischer Ermessensentscheidungen, sei es allein aus humanitären Gründen, sei es aufgrund einer klugen und vorsorgenden Zuwanderungspolitik. Das mag lange Zeit noch einigermaßen gut gegangen sein – Stichwort: Schönwetterzeiten –, spätestens mit den schon vor Jahren und nicht erst seit September 2015 einsetzenden Flüchtlingsbewegungen hätte eine vorsorgende und zur verantwortungsvollen Staatsleitung berufene und befähigte Politik umsteuern müssen.
2. Neuerdings taucht dann wieder der Begriff der Flüchtlingskontingente auf, wobei man im Augenblick darüber streitet, ob das die bei vielen verpönte sogenannte Obergrenze oder aber ein mögliches „tertium“ darstellt. Diese Diskussion scheint mir wieder ein Zeichen dafür zu sein, wie teilweise ungeniert ideologisch und unberührt von juristischer Sachkenntnis argumentiert und diskutiert wird. Eine Obergrenze für die individuellen Rechtsansprüche auf Schutz vor Verfolgung gibt es in der Tat nicht. Aber die Frage einer solchen Obergrenze stellt sich gar nicht, wenn man – was in der Vergangenheit nicht wirklich geschehen ist – die sachlichen und persönlichen Grenzen des individuellen Schutzanspruchs strikt beachtet. Die Debatte um die Obergrenzen ist meines Erachtens eine Scheindebatte, verursacht nicht zuletzt dadurch, dass man die sachlichen Grenzen des Individualrechts auf internationalen Schutz in der politischen und rechtsanwendenden Praxis sprengte und das unverzichtbare Rechtsinstitut der Asylgewährung mit der Möglichkeit und dem Recht der Staaten zur humanitären und/oder zuwanderungspolitischen Aufnahmeentscheidung vermengte.
3. Letzere Entscheidungen müssen wegen ihrer politischen Tragweite vom Parlament getroffen werden, denn wie viel Zuwanderung dieses Land verträgt, benötigt oder hinzunehmen bereit ist, ist eine politische Grundsatzentscheidung, die nach der bekannten Wesentlichkeitsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von dem demoktratisch legitimierten Parlament zu treffen ist. Sie darf auf Dauer nicht von den exekutivischen Organen der Rechtsanwendung mehr oder weniger paralegal getroffen werden.
Die Einführung solcher Kontingente bezöge sich mit anderen Worten nicht auf die individuellen Schutzanprüche, diese Kontingente träten neben das normale Asylverfahren und das Asylrecht. „Kontingentflüchtlin