Attacke im Ärzteblatt: Privilegienritter in Roter Robe?
Ein kleines Fantasieszenario: Stellen wir uns vor, eine Richterin des Bundesverfassungsgerichts kommt in die Notaufnahme des Klinikums Karlsruhe. Ihr Finger tut ihr weh, und sie fordert ärztliche Behandlung.
Nun ist die Notaufnahme aber rettungslos überfüllt. Überall hocken Kranke und warten, bis sie drankommen. Manchen geht es wirklich elend schlecht. Wer neu kommt, muss sich auf stundenlanges Warten einstellen.
Was macht unsere fiktive Richterin? Sie schickt erst einmal ihre Sekretärin vor, begleitet durch ihren Chauffeur. Die sollen den Ärzten klar machen, dass sie es hier mit keiner gewöhnlichen Patientin zu tun haben. Wer, das sagen sie nicht, der Hinweis auf ihre herausgehobene Stellung soll reichen. Als das nicht zieht, rauscht die Dame entrüstet selbst ins Zimmer: Was glauben Sie, wen Sie vor sich haben! Sie habe keine Zeit, hier herumzusitzen! Als die diensthabenden Ärzte immer noch hart bleiben, weiß sie Rat: Sie kennt da wen, irgendeinen Chefarzt wahrscheinlich, den ruft sie an. So setzt sie schließlich ihren Willen durch und schwebt erhobenen Hauptes ins Behandlungszimmer.
Ich habe keine Ahnung, ob sich das so zugetragen hat. Aber im Ärzteblatt, einer Fachzeitschrift für Mediziner, ist im Heft 29/30 (22. Juli) ein Artikel abgedruckt, der den Eindruck erweckt, dass es wohl tatsächlich so war. Der Autor des Artikels, Harald Proske, ist Leiter der zentralen Notaufnahme des Klinikums Karlsruhe.
(Der Server von www.aerzteblatt.de scheint zurzeit down zu sein. Zufall natürlich.)
Der Artikel ist ein bisschen verschwurbelt geschrieben. Aber wer Zugriff auf das Ärzteblatt hat, sollte ihn lesen.
Ich habe die Pressestelle des BVerfG um eine Stellungnahme gebeten. Dort heißt es, die vermutlich betroffene Richterin sei noch im Urlaub.
Ich will diese Stellungnahme abwarten, bevor ich den Vorgang bewerte. To be continued.
Der Server des Ärzteblattes ist mindestens schon seit Sonntag offline. Da habe ich da was recherchieren wollen …
Der Beitrag findet sich auf S. 1428. “Ein bisschen verschwurbelt” ist übrigens eine Untertreibung.
@Max: Hast Du auch das Klinikum Karlsruhe um eine Stellungnahme gebeten, inwieweit diese Einrichtung noch die Einhaltung der ärztlichen Schweigepflicht garantieren kann? Einige Mitarbeiter brauchen wohl dringende Nachschulung.
Nachtrag: Beim Ärzteblatt würde ich an Deiner Stelle auch nachfragen. Ob man mit “Redaktionellen Troll-Beiträgen” wirklich ein Fachblatt betreiben möchte?!
In der Tat, mit gr0ßem Pathos vorgetragen. Hat es sich so zugetragen, wäre das mehr als unschön.
Wer keinen Zugriff über Datenbanken hat:
“Und dann wurde plötzlich klar, dass hier jemand aufgetreten war, der über das politische Fundament unseres Landes wacht, Verfassung und Grundgesetz schützt, einer derjenigen, die als höchste judikative Instanz unser demokratisches Grundgefüge, unsere politische Identität sichern, und der diese Regeln gleichzeitig außer Kraft gesetzt hat. Und dann wurde mir angst und bange um dieses Land.”
sollte doch kein problem sein: die dame wird doch sicher privat versichert…
Hier im Cache:
http://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:ZtPgmzt4a-4J:www.aerzteblatt.de/archiv/143427/Notaufnahme-Gleicher-als-die-anderen+&cd=1&hl=de&ct=clnk&gl=at&client=ubuntu
(gelöscht – hier stand der komplette Artikel aus dem Cache. Tut mir leid, aber das geht nicht, ich hab keine Lust, mir eine Abmahnung des Ärzteblatts wegen unautorisierter Wiedergabe eines urheberrechtlich geschützten Artikels einzufangen, Grüße, Max Steinbeis)
Da sieht man wieder mal, wie sich Maßstäbe für Normalität verschieben. Der Skandal ist doch nicht, dass die Dame versucht hat, die Warterei zu verkürzen. Der Skandal ist, dass wir alle langes Warten in der Notaufnahme (!) für vollkommen normal halten. Dabei dienen, wie jeder unschwer erkennen kann, Wartezimmer nur dem Zweck, dass der gemeine Bürger Respekt für die Wichtigkeit der Halbgötter in Weiß entwickelt.
Die Ärzte sollen gefälligst ihre Arbeit besser organisieren, dann würde auch so ein “Skandälchen” nicht passieren.
Sorry, wusste ich nicht.
Ich finde den Beitrag im Ärzteblatt nüchtern und abgewogen. In den ersten beiden Absätzen schildert der Verfasser detailreich und widerspruchsfrei die Folgen der britischen Luftangriffe auf Karlsruhe.
Mir ist nicht ganz klar, worüber sich der Kommentator im DÄ aufregt. Spätestens seit Orwells Farm der Tiere wissen wir doch, dass wir zwar alle gleich sind, einige aber gleicher sind. Das trifft auf fast alle Lebenssituationen zu. Besonders in einer entsolidarisierten Gesellschaft, die die “Gleichstellung” nutzt, um definierte Gruppen von Merkmalsträgern unter dem Deckmäntelchen der Egalität zu privilegieren. Insofern ist dieser Kommentar unsinnig und überflüssig.
@fry: Ihre Einlassung zu qualifizieren, erspare ich mir.. Keine Ambulanz der Welt kann Hellsehen; insofern ist die Wartezeit meistens keine Folge schlechter Organisation, sondern eine Frage des Aufwandes, den das jeweilige Haus für die Notfallversorgung bereit stellen kann und der ist nunmal begrenzt. Wird dessen Belastbarkeit überschritten, kommt es zu Wartezeiten. Das Leben ist kein Ponyhof und ein Paradiesgrundrecht gibt es auch nicht. Mit der Frage der Behandlungspriorität will ich Sie erst gar nicht behelligen.
Die “Halbgötte” sind schon lange tot. Viel Spaß, wenn die Generation, für die work-life-balance das absolute Credo ist, in Amt und Würden gelangt und diese Versorgung leisten soll. Dann werden Wartezeiten eines der kleinsten Probleme sein.
@Cpt.Chilli
Dem DÄ-Autor nach ist diese “Mixtur aus apokalyptischen Darstellungen à la Hieronymus Bosch und wahnsinnsgetränkten Weltkriegsszenarien von George Grosz … ein ganz normaler Tag in der Notaufnahme”. Das mag man auf schlechte Organisation oder begrenzten Aufwand schieben, Kritik daran ist sicher legitim.
Jedenfalls ist nun das Deutsche Ärzteblatt wieder online und mit ihm der Artikel: http://www.aerzteblatt.de/archiv/143427/Notaufnahme-Gleicher-als-die-anderen?s=proske
@Erkan
Meine Bemerkung bezog sich auf fry, nicht auf die Schilderung im DÄ. Die halte ich, auch wenn man sie allegorisch versteht, für übertrieben