Bitte keine Störung?
Warum die repressiven Polizeieinsätze an US-Unis so gefährlich für die Demokratie sind
Innerhalb von weniger als zwei Wochen hat Minouche Shafik, Präsidentin der Columbia University, am 30. April zum zweiten Mal die Polizei auf den New Yorker Campus gerufen. Bewaffnete Einsatzkräfte lösten das gegen den Krieg in Gaza errichtete Protestcamp und die nicht einmal 24 Stunden währende Besetzung eines Institutsgebäudes auf und verhafteten im Auftrag der Uni-Leitung Dutzende der eigenen Studierenden. Nach dem ersten Polizeieinsatz war es zu Protestcamps an inzwischen über 100 US-amerikanischen Universitäten gekommen. Es ist zu erwarten, dass auch die neue Welle der Repression die vermutlich größte Studierendenbewegung seit den 1960er Jahren nur weiter anfeuern wird. An der Columbia soll die Polizei nun bis Mitte Mai zum Ende der Vorlesungszeit auf dem Campus bleiben, um ein Wiederaufflammen der Proteste zu verhindern und einen reibungslosen Ablauf der Graduierungsfeier zu garantieren. Aber zu welchem Preis?
Wie schon bei den brutal niedergeknüppelten Protesten gegen den Vietnamkrieg, in deren Zuge 1968 dasselbe Gebäude an der Columbia besetzt worden war, kommt es auch heute zu beispiellosen Szenen der Polizeigewalt: Landesweit sind bisher mehr als 2300 weitgehend friedlich protestierende Studierende verhaftet, viele weitere suspendiert und exmatrikuliert, und interne Regeln ad hoc geändert worden, um Proteste zu unterbinden. Auch Professor:innen, die sich schützend vor am Boden liegende Studierende gestellt hatten oder deeskalierend wirken wollten, wurden verhaftet und für ihre Teilnahme an den Protesten suspendiert.
Für diese Eskalation, den Einsatz schwer bewaffneter Polizei gegen Studierende im Namen von Ordnung und Sicherheit auf dem Campus, und die damit einhergehende zunehmende Polarisierung werden sich – wie auch in der Folge von 1968 – die Universitätsleitungen verantworten müssen. Von New York und Boston bis Los Angeles und Austin, Texas, haben sie dem politischen Druck vor allem von MAGA-Republikaner:innen (sowie mächtiger Kuratorien und in einigen Fällen einflussreicher Spender und Alumni) nachgegeben und die Krise eskalieren lassen. Dabei verliefen die Proteste bis zu den unverhältnismäßigen Polizeieinsätzen einer neuen Studie zufolge zu 99% friedlich. Dass eine „klare und unmittelbare Gefahr“ als zu Recht hohe Hürde für Polizeieinsätze an der Columbia University zunächst gar nicht bestand, betonen nicht nur der akademische Senat sowie zahlreiche Jura-Professor:innen der Universität, sondern sogar die Polizei (NYPD). Darüber, ob das auch für die Räumung des besetzten Gebäudes gilt, gehen die Meinungen auseinander.
Insbesondere mit Bezug auf die frühe Phase der Proteste drängt sich jedenfalls der Eindruck auf, dass nicht das Wie, sondern das Was der Proteste ausschlaggebend war für den politischen Druck von oben und das harte Durchgreifen – manche sprechen von einer „Palestine exception“, da Rede- und Versammlungsfreiheit nur so lange gelte, wie es nicht um Palästina-Solidarität gehe. Dass auch ein konstruktiverer Umgang mit den Protesten möglich ist, zeigen Universitäten wie Harvard, Northwestern oder MIT. Am MIT, wo es die letzten Jahre immer wieder zu Protesten gegen die Zusammenarbeit mit dem US-Verteidigungsministerium und der Rüstungsindustrie sowie den finanziellen Einfluss von Saudi Arabien und Großspendern wie dem Investmentbanker und verurteilten Sexualstraftäter Jeffrey Epstein gekommen war, stellen die Protestierenden von einem Großteil der Studierendenschaft mitgetragene konkrete Forderungen nach einer Einstellung der Zusammenarbeit mit dem israelischen Verteidigungsministerium. Um das Protestlager herum wurden im Zuge von Gegenprotesten USA- und Israel-Flaggen sowie Bilder der von der Hamas verschleppten Geiseln aufgestellt, ohne dass es zu Zwischenfällen gekommen wäre. An der Brown University löste sich das Protestlager auf, nachdem die Uni-Leitung sich zu einer Diskussion und Abstimmung über die Forderungen der Studierenden bekannt hat. Ähnliches wird von der Rutgers University, der University of Minnesota und der UC Riverside berichtet. An keiner dieser Universitäten kam es zu übermäßigen Polizeieinsätzen.
Bemerkenswert ist die von oben verordnete Eskalation nicht nur, weil die Black Lives Matter Bewegung gerade erst ein stärkeres Bewusstsein für die massiven Risiken polizeilicher Repression für demokratische soziale Bewegungen im Allgemeinen und rassifizierte Minderheiten im Besonderen geschaffen hatte. Vor allem wird immer deutlicher, dass die unverhältnismäßigen Einschränkungen politischer Rechte von Studierenden und Lehrenden , die Normalisierung von Polizeieinsätzen auf dem Campus und die Angriffe auf die Autonomie der Hochschulen autoritäre Tendenzen verstärken, die insbesondere von ultrarechten politischen Kräften vorangetrieben werden, die die Zensur von Lehrplänen an Schulen und Unis forcieren und Diversitätspolitiken ebenso wie unliebsamen Disziplinen wie Gender Studies und Critical Race Theorie den Garaus machen wollen. Alles im Namen von Make America Great Again.
So erstaunt es nicht, dass der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu die Situation mit den 1930er Jahren an deutschen Universitäten vergleicht, der israelische UN-Botschafter behauptet, die Hamas verstecke sich eben nicht nur in Schulen in Gaza, sondern auch in Harvard und an der Columbia, und Mike Johnson, republikanischer Sprecher des US-Repräsentantenhauses, den Ball aufgreifend nach der Nationalgarde ruft, um wieder für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Derselbe Johnson verbreitet übrigens wie andere Republikaner auch die antisemitische Verschwörungsphantasie, der jüdische Multimilliardär George Soros stecke hinter den Protesten. Präsident Biden weist immerhin die Forderung nach dem Einsatz des Militärs zurück und unterstreicht die Bedeutung des Rechts auf friedlichen Protest – legt aber zugleich restriktive Bedingungen fest, indem er Hausfriedensbruch (etwa durch Studierende auf dem Campus, die durch ihre Suspendierung zu Straftätern gemacht werden) und die traditionelle Protesttaktik von Besetzungen auf Uni-Gelände als nicht-friedlich definiert und kein Wort zur Polizeigewalt verliert, ohne die es zum jetzigen Chaos kaum gekommen wäre. Dissens ja, aber bitte ohne Störung der Ordnung?
Auch in Deutschland wird ein zum Teil haarsträubend einseitiges Bild der Proteste vermittelt – von der Springer-Presse („Übernimmt die Hamas die Macht an den US-Unis?“) bis zur taz („Judenhass in der Universität: Auf dem Weg in die Unfreiheit“) –, das dem Ruf nach Repression Plausibilität und Legitimität verleiht. Aus der Ferne wird in einer Arroganz über die vermeintliche Intoleranz, Verbohrtheit und Unbedarftheit der Proteste – und gleich auch noch über die Qualität der betroffenen Universitäten – geurteilt, die erschreckend ignorant und provinziell ist und Fragen nach journalistischen Mindeststandards aufwirft.
Die so verbreiteten Narrative gehen nicht nur an der deutlich komplexeren Realität der Protestbewegung vorbei und lenken von deren eigentlichem Anliegen ab – dem Einspruch gegen einen von den USA unterstützten und von vielen als genozidal betrachteten Krieg mit inzwischen über 34000 Toten, in dem auch das palästinensische Bildungssystem dermaßen zerstört worden ist, dass UN-Experten von einem „Scholastizid“ sprechen. Sie lenken auch ab von der gravierenden Gefahr, die von der Repression für Universitäten als Orte des kritischen Diskurses und dialogischen Lernens sowie für eine von vielfältigen Demokratiedefiziten gekennzeichnete Gesellschaft ausgeht, die auf auch disruptive Proteste angewiesenen bleibt.
In den USA lässt sich momentan in Echtzeit beobachten, wie Universitäten zu Brennpunkten einer politischen Auseinandersetzung werden, in der es um grundlegende Fragen des demokratischen Zusammenlebens, des Umgangs mit politischen Konflikten und der Notwendigkeit unabhängiger Bildungsinstitutionen und kritischer Wissenschaft geht. Daher ist es ein Gebot intellektueller Aufrichtigkeit und politischer Verantwortung genauer hinzusehen – ein Gebot, dem sich deutsche Medien scheinbar immer weniger verpflichtet fühlen, wenn sie die ideologisch extreme Position reproduzieren, dass propalästinensische Proteste an sich bereits als Bedrohung anzusehen sind und die Repression daher gerechtfertigt sei.
Genauer hinzusehen, würde auch bedeuten, den Stimmen aus Zivilgesellschaft und Universitäten vor Ort mehr Gewicht zu geben statt nachweislich einseitige politische Talking Points zu wiederholen: Sowohl die American Civil Liberties Union (ACLU) als auch die American Association of University Professors (AAUP) haben eindringlich zur Verteidigung des Rechts auf politische Meinungsäußerung und friedlichen Protest aufgerufen und vor den Folgen politisch motivierter Repression gewarnt. Hunderte renommierter Professor:innen an den Universitäten Yale, Princeton, Vanderbilt, UT Austin und zahlreichen anderen Hochschulen erheben Einspruch gegen die ihres Erachtens mit dem Selbstverständnis der Universität in einer demokratischen Gesellschaft unvereinbare polizeiliche und strafrechtliche Verfolgung von Studierenden und fordern ihre Uni-Leitungen zu Dialog und Verhandlungen auf oder entziehen ihnen gleich ganz das Vertrauen – all das unabhängig von den sicherlich gravierenden politischen Differenzen untereinander und mit den Protestierenden.
Prominente jüdische Akademiker:innen wie der Literaturwissenschaftler Bruce Robbins, die Gedächtnisforscherin Marianne Hirsch, der Holocaust-Experte Omer Bartov und der Faschismustheoretiker Jason Stanley wenden sich gegen die Diffamierung der Proteste als antisemitisch. Sie verweisen auf die prominente Rolle jüdischer Studierender und die Pluralität jüdischer (zionistischer ebenso wie nicht-, post- und antizionistischer) Positionen und Erfahrungen auf dem Campus, zu denen auch gemeinsame Seder-Mahlzeiten und Torah-Lesungen in den Protestcamps gehören. Und sie insistieren, dass gerade im Interesse des Kampfes gegen Antisemitismus klar unterschieden werden muss zwischen Antisemitismus und Kritik an Israels Vorgehen in Gaza, selbst wenn letztere auf sehr weitgehende und polemische Weise formuliert wird. Zu beobachten sei eine besorgniserregende terminologische Ausweitung und politische Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfs mit dem Ziel, israelkritische und propalästinensische Stimmen auf dem Campus, die sich gegen die Politik der US-Regierung richten, zu marginalisieren und einzuschüchtern.
Die Frage, wo genau die Grenze zwischen Antizionismus und Antisemitismus sowie zwischen rechtlich geschützter Redefreiheit und Aufrufen zur Gewalt verläuft, wird sicherlich umstritten bleiben. Das zeigt sich etwa am auch für die deutsche Diskussion zentralen Beispiel des Slogans „From the river to the sea“. Und dass Vorwürfe instrumentalisiert werden, heißt nicht, dass sie in konkreten Fällen nicht auch zutreffen. So kam es im Zuge der Proteste fraglos auch zu einer ganzen Reihe inakzeptabler gewaltverherrlichender und antisemitischer Zwischenfälle, denen entschlossen entgegengetreten werden sollte. Keine der oben zitierten Stimmen kann man guten Gewissens bezichtigen, das anders zu sehen. Und tatsächlich reagiert die Protestbewegung selbst Berichten zufolge inzwischen entschiedener auf antisemitische Hetze. Auch wenn man hier mehr Nachdruck fordern kann, spricht doch viel dafür, dass die in solidarisch organisierten sozialen Bewegungen selbst geleistete Aufklärung weitaus transformativer und effektiver wirkt als blanke Repression.
Ebenfalls wichtig wäre es, die realen Ängste und die Verunsicherung von den Protesten skeptisch gegenüberstehenden jüdischen Studierenden ernst zu nehmen, ohne das in bestimmten Kontexten nachvollziehbare Gefühl der Bedrohung angesichts einer Palästina-Flagge, der Kufiya oder israelkritischer Slogans kontextunabhängig mit einer tatsächlich vorliegenden antisemitischen Bedrohung gleichzusetzen – oder die entsprechenden Ängste anzustacheln und auszuschlachten für rechte Agenden, die mit der Bekämpfung von Antisemitismus in Wahrheit nur wenig zu tun haben. Dass es neben der beeindruckenden und hoffnungsstiftenden Solidarität zwischen jüdischen und palästinensischen Studierenden und Lehrenden auch Missverständnisse, Konflikte, Provokationen und sich zuspitzende Aggressionen gibt und dass diese auf beiden Seiten auftreten, ist vermutlich nicht überraschend. Auch im Zuge der Gegenproteste kam es zu Hetze, Drohungen und zutiefst rassistischen Szenen, die von republikanischen Politikern auch noch gutgeheißen werden – von monatelangen Doxxing-Kampagnen und dem Anschlag auf palästinensische Studierende in Vermont ganz zu schweigen. Eine neue Dimension erreichte die Gewalt diese Woche an der UCLA, wo es zu einem von der New York Times detailliert rekonstruierten brutalen und scheinbar gut organisierten Angriff auf das Protestcamp kam, dem Universität und Polizei tatenlos zusahen, bevor das Camp zwei Tage später von einem Großaufgebot der Polizei geräumt wurde. Inzwischen müsste klar sein, dass diese Spannungen und das mit ihnen einhergehende Gewaltpotential durch die Delegitimierung und Kriminalisierung von Protest, unverhältnismäßige Polizeigewalt, massenweise Verhaftungen von Studierenden auf dem Campus und das Anstacheln von Gegenprotesten durch rechte Scharfmacher nur weiter eskalieren werden.
Auch in Deutschland häufen sich derweil die Anzeichen für eine Verschärfung repressiver Tendenzen, die den Raum für offene Diskurse und umstrittene Proteste weiter einschränken, ohne dass sie im Kampf gegen real existierenden Antisemitismus erkennbar weiterhelfen würden – vom Polizeieinsatz gegen die Hörsaal-Besetzung von Studierenden an der Freien Universität in Berlin im Dezember über das Verhängen von Einreise- und Betätigungsverboten im Zuge des vor Ort dann komplett verbotenen Palästina-Kongresses und das gewaltsame Vorgehen der Polizei bei der Räumung des Protestcamps vor dem Reichstag bis hin zur Wiedereinführung des Ordnungsrechts an den Berliner Universitäten. Rechtlich fragwürdigen sowie politisch autoritären und repressiven Maßnahmen im Umgang mit inopportunem Protest, über dessen Ziele und Methoden man ja trefflich streiten kann, sollten sich Universitäten, kritische Medien und die demokratische Zivilgesellschaft in den USA und Europa nicht anschließen, sondern entgegenstellen. Denn die normalisierte Repression – wie sie sich bereits im Umgang mit anderen politischen Bewegungen wie der Klimabewegung abzeichnete und momentan in den USA zuspitzt – ist viel gefährlicher für die Demokratie als es der imperfekte, disruptive und zuweilen in die falsche Richtung zielende Protest je sein könnte. Genau deshalb muss man den Studierenden dankbar sein, dass sie trotz aller Anfeindungen und gegen sie gerichteten Gewalt keine Ruhe geben.
Danke für die tolle Einordnung, Robin!
Schöne Einordnung. Allerdings und ich weiß nicht ob das ein Versehen aus Unkenntnis ist aber es ist etwas widersprüchlich sowas zu schreiben:
“ohne das in bestimmten Kontexten nachvollziehbare Gefühl der Bedrohung angesichts einer Palästina-Flagge, der Kufiya oder israelkritischer Slogans kontextunabhängig mit einer tatsächlich vorliegenden antisemitischen Bedrohung gleichzusetzen – oder die entsprechenden Ängste anzustacheln und auszuschlachten”
Während man gleichzeitig mit Erica Zingher bei der taz (eine jüdische Autorin die viel über jüdisches Leben schreibt) mit der Bild gleichzusetzt. “Schlachtet” hier Zingher jüdische Ängste aus oder schreibt sie aus jüdischer Perspektive in Deutschland über die Proteste ?
Vielleicht sollte man den taz Artikel vor dem selben Diskurs einordnen wie jene jüdischen Stimmen auf die sich positiv im Text bezogen wird anstatt diesen kontextlos zu delegitimieren. Schließlich bemüht man umgekehrt diesen Kontext auch zur Stützung der eigenen Position. Wenn man Komplexität in der Betrachtung der Proteste einfordert sollte sich diese auch in der Betrachtung der Gegenstimmen wieder finden.
Vielen Dank für den bedenkenswerten Artikel. Ganz ohne Wiederworte kann ich daran aber leider nicht vorbei gehen.
Die Titelfrage des Beitrags würde ich gerne an den Autor zurückgeben und fragen, warum das Verhalten der so viel besprochenen (sozialen) Bewegungen sich eher als Regression (z. B. entsolidarisierung einer historisch und gegenwärtig stark bedrohten religiösen Gruppe), als emanzipative Aufhebung darstellen und warum sich so viele Theoretiker:innen davon nicht irritieren lassen. Also: “Bitte keine Störung” bei der Theoriebildung? Dabei war es gerade Theodor Adorno, der das Denken in Brüchen zur Aufgabe der Philosophie erklärt hat, um die widerspruchsvolle Realität intellektuell zu durchdringen.
Einen auch hier zu kritisierenden Aspekt thematisiert Thomas Thiel in seinem Beitrag zur Causa Fraser in Köln am 11.04.24 in der FAZ: “Die Idee, dass Urteilsvermögen mit Sachkenntnis zu tun haben könnte, liegt den Erben der Kritischen Theorie offenbar ferner denn je.”
Zumindest in Teilen liese sich das auf den hier kommentierten Beitrag übertragen. Nur ein fast schon triviales Beispiel. Der Autor schreibt: “von vielen als genozidal betrachteten Krieg”. Sind es die vielen, die auf welcher Basis über so ein Urteil entscheiden? Ein Genozid von israelischer Seite wurde noch von keinem Gericht festgestellt und es ist auch hoch fraglich, ob das überhaupt passiert. Im Gegenteil könnte im Sinne der rechtlichen Bestimmungen von einer genozidalen Absicht der Hamas gesprochen werden. Davon allerdings kein Wort.
Auf der anderen Seite würde es einer Beschäftigung mit dem Gegenstand guttun, wenn sich den Protestierenden mit dem gleichen Elan gewidmet würde, wie es berechtigterweise mit den Reaktionen darauf geschieht – und über die Unverhältnismäßigkeit und den politischen Zielen dahinter muss genauso gesprochen werden. Nur das allein ist eben nur ein Teil des Bildes und nicht schon das Ganze selbst. Von Sprechchören, in denen davon phantasiert wird, Juden nach Polen zu schicken, über das Gutheißen von Intifadas bis hin zu mehr oder weniger direkten Kontakten in islamistische Kreise wird sich kaum bis gar nicht distanziert. Und wenn, dann höchstens verbal. Entsprechende Boykott-Aufrufe gegen israelische Universitäten oder der Glorifizierung palästinensischer “Widerstandsgruppen” sind nachwievor an Protestcamps zu finden. Beispielsweise wäre eine der Organisationen zu nennen, die die Proteste mitorganisiert: “Students for Justice in Palestine”, die mindestens über Ecken Kontakte in Hamas-nahe Kreise hat. Es wirkt in dem Beitrag jedenfalls fast friedlich und als gelebte Utopie, was da im Windschatten eines Massakers einer global finanzierten Terrororganisation passiert. Ein Widerspruch, den es zumindest zu thematisieren gelten, der aber als solcher offenbar nicht mal erkannt wird.
Es reicht eben nicht allein auf ein GerechtigkeitsEMPFINDEN hin, sich auf eine Seite zu schlagen – ein Gedanke für jemanden, der in der Tradition einer Kritischen Theorie stehen möchte, sowieso einigermaßen verblüffend.
Weil ein Krieg eine grausame, tragische Angelegenheit ist, der in der besten aller Welten nicht stattfinden würde, ist er trotzdem unter dem Gesichtspunkt der historisch korrekten Faktenlage zu betrachten. Aber das scheint sowohl dem Protestierenden als auch deren Verteidiger:innen zu mühselig. Bemühungen über die schlecht oder unbelegten Erzählungen aktivistischer Kreise hinaus zu kommen, sind mir zumindest nicht bekannt. Lieber wird in naivem Realismus eine unmittelbare Situation als Aufhänger der eigenen Position betrachtet, als deren historische Vermitteltheit anzuerkennen. Dazu bedürfte es nämlich Sachkenntnis und der Bereitschaft Irrtum zuzulassen, sich von Ereignissen wie dem 07.10. irritieren zu lassen und nicht nur ein heiliger Zorn der selbsterklärten Gerechten.
Und nicht zu letzt sei noch ein Wort dazu gesagt, dass die Proteste offenbar schon deshalb zu verteidigen seien, weil (rechte) Republikaner:innen den Vorwurf des Antisemitismus instrumentalisieren (was stimmt) und damit gegen angeblich “woke” Unis vorgehen möchten. Das Stichwort wäre hier Ambiguitätstoleranz, das in der Lage sein schwer oder garnicht miteinander vereinbare Situationen, Positionen, Fakten auszuhalten. Es können sowohl die Republikaner mit ihrem durschaubaren Vorgehen kritisiert werden – in dem Sinne auch die Unileitungen, die diesem Druck nachgeben – als auch die Protestierenden. Und selbst wenn es sich bei diesen um eine Minderheit handeln würde, ist es für eine politisch-emanzipative Perspektive wohl nur schwer vermittelbar, warum sich eben solche Protestbewegungen nicht mit aller Kraft von antiaufklärerischen Positionen distanzieren. Wenn Neonazis in meiner Demo mitlaufen, gehe ich oder vertreibe sie, akzeptiere sie aber nicht als Teil eines randständigen Spektrums.
Gerade im Sinne einer notwendigen kritischen Betrachtung – und Kritik hat hier nicht nur die Bedeutung des nicht-affirmativem, sondern der griechischen Bedeutung der Unterscheidung, Trennung – wäre es wichtig, eine Distanz zu wahren zu dem Gegenstand der Betrachtung (wie es Horkheimer als ein Merkmal Kritischer Theorie ausmacht). Anders wird es wohl auch nichts mit der Sachkenntnis, wenn ich mich mit meinen theoretischen Bemühungen bereits als Teil des Gegenstandes betrachte. Demokratie stirbt nämlich nicht nur durch die Hand der rechten, sonder auch einer linken Unvernunft, der es vor allem um die unanfechtbare Richtigkeit des subjektiven Standpunktes geht, nicht den Versuch einer Aushandlung aufgrund einer durch das selbstdenkende Subjekt reflektierten Verhältnisse.
Danke für den guten Artikel zum völlig überzogenen eingreifen der Polizei. Das muss nun wirklich nicht sein und wird den Unmut gegenüber der Polizei nur noch verstärken.
Aber was denn bitte für Pro-Palästinensische Demonstrationen welche sich im Grunde immer als Anti-israelischen Protest in welcher Form auch immer darstellen? Ich habe bisher und auch schon lange vorher nichts davon mitbekommen, das jemand zu Gunsten der sogenannten Palästinenser gegen eine Unterdrückische Hamas, welche jede Form von Opposition mit Gewalt und Totschlag begegnet und sich selbst sehr an den Hilfsgeldern bereichert (siehe Villen am Strand, oder das die Hamasführung im katarischen Luxushotel chillt während vor Ort die Leute sterben) bzw. wie es sich für ein Sozialistisches Regime gehört reine Staats- u. Militärkapitalismus betreibt. Ohne die Hamas welche ihren Ideologisch verblendeten Antisemitismus zu den lasten der Palästinenser auf deren Rücken austrägt, würde die heutige Situation garnicht erst existieren. Zum Thema eines Genozid oder expliziter Unterdrückung: Die Population in Gaza ist von 250tsd. in 1950 stätig gestiegen auf über 2mio. in 2022.
Bezüglich der Frage wo sich nun der Antizionismus vom Antisemitismus abtrennt bzw. unterscheidet…. nun ja garnicht. Im Wikipediaeintrag Antizionismus habe ich dazu etwas gefunden, das es ziemlich gut auf den Punkt bringt: Der Antisemitismusforscher Robert S. Wistrich sieht Antizionismus als historisches Erbe früherer Formen des Antisemitismus und kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen:
„Antizionismus ist nicht nur der historische Erbe früherer Formen des Antisemitismus. Heute ist er auch der kleinste gemeinsame Nenner und die Brücke zwischen der Linken, der Rechten und den militanten Muslimen; zwischen den Eliten (einschließlich der Medien) und den Massen; zwischen den Kirchen und den Moscheen; zwischen einem zunehmend antiamerikanischen Europa und einem endemisch anti-westlichen arabisch-muslimischen Nahen Osten; ein Konvergenzpunkt zwischen Konservativen und Radikalen und ein Bindeglied zwischen Vätern und Söhnen.“
Genau so ist es auch, weil ein Antizionismus auch den z.b. Kulturzionismus mit einschließt bzw. nicht explizit ausschließt, dessen Anhänger es mit aufkommen des politischen Zionismus, für richtiger hielten sich als Juden in bestehenden Gesellschaften noch besser zu integrieren um mehr Akzeptanz zu erfahren. Antizionismus ist nichts anderes als ein anderes Codeword, womit sich Linke vor allem vom “rechten Antisemitismus” rein semantisch abgrenzen wollen. Hier mal ein Auszug aus dem dem Dossier “Die ideologischen Grundlagen des Antizionismus in der Linken” aus dem Jahr 2005:
Antizionismus gehörte in den 70er und 80er Jahren zum Grundbestandteil des linken Weltbildes, auch wenn man nicht in einer Palästinagruppe war. Kritik am Antizionismus aus der Neuen Linken selbst gab es seinerzeit überhaupt keine. Also muss dieser Antizionismus ein genuines Produkt des seinerzeit dominanten linken Weltbildes gewesen sein – sonst wäre er nicht so lange unbemerkt geblieben.
Was bleibt als Fazit des deutschen Antizionismus festzuhalten? Das antiimperialistische Weltbild der Neuen Linken war geprägt von Manichäismus, Personifizierung, Verschwörungstheorie und der Entgegensetzung von guten »Völkern« versus dem bösem Finanzkapital und damit strukturell antisemitisch und offen nationalistisch. Wird mit diesem der Palästina-Israel-Konflikt gedeutet, so muss sich diese strukturelle Ähnlichkeit zur einer inhaltlichen Ähnlichkeit konkretisieren. Dann sind die Palästinenser das gute, bodenständige Volk und Israel nur noch ein imperialistischer Brückenkopf. Die Juden müssen zum Nicht-Volk erklärt werden, das mit Kapitalismus und Imperialismus im Bunde steht. Zwangsläufig ist daher den antizionistischen Pamphleten immer wieder vom jüdischen Finanzkapitalisten die Rede oder von der zionistischen Propagandamaschine und so weiter.” Aus diesen Gründen treffen sich auch Linke und Rechte auf keinem Gebiet so deutlich, wie in ihrer Israelfeindschaft. Das ist zum einen durchaus auch wörtlich zu verstehen: Als sich die RAF 1970 in palästinensischen Ausbildungslagern aufhielt, wurden an dessen anderem Ende auch Mitglieder der Wehrsportgruppe Hoffmann trainiert. Heute treffen sich Neonazis, islamistische Fundamentalisten und antiimperialistische Linke auf Palästina-Solidaritätsdemos. Abschließend seien noch fünf Charakterisierungen von Juden, Israel bzw. Zionismus zitiert: »Feind der Welt«, »Feind der Menschen«, »blutrünstige und machtgierige Bastion gegen die Völker«, »Sinnbild alles Bösen«, »Garten des Bösen«. Drei Zitate sind von »links«, zwei von rechts (von Hitler und Goebbels). Die Zuordnung fällt schwer. Dies zeigt, wie kurz dieser Weg vom »Antiimperialismus der dummen Kerls« (Isaak Deutscher) zum Antisemitismus ist.
Quelle: http://www.d-a-s-h.org/dossier/07/08_grundlagenantizionismus.html
Oder Auszug aus “Antisemitismus der Linken” aus dem Jahr 2003:
Die Frage nach Antisemitismus in der Linken hat noch in den 90er Jahren große Emotionen und auch Aggression hervorgerufen: Es sei doch unmöglich, dass Linke antisemitisch sein könnten. Wie solle das denn zusammen passen? Linke seien doch antifaschistisch, links und revolutionär und könnten somit nicht rassistisch und antisemitisch sein. Zum Einstieg seien daher fünf Statements zitiert:
1. »Kauft nicht bei Juden!«
2. Die »jüdische Weltbewegung« wird angeführt von »jüdischen Multimillionären, die in allen Teilen der Welt leben« und »sich immer wieder in privaten Konferenzen treffen«.
3. Tatsache ist »die Beherrschung der Weltöffentlichkeit durch die jüdische Propaganda«.
4. »Ziel der jüdischen Politik: Weltherrschaft?!«
5. Das Judentum ist »der Feind aller Menschen«.
Das sind antisemitische Aussagen. Aber alle fünf Aussagen stammen aus der linken Propaganda gegen Israel: das zweite aus der Palästina-Solidaritätszeitschrift Al Karamah aus den 80er Jahren, das dritte aus dem Antiimperialistischen Informationsbulletin von 1971, das vierte von der Wiener Antiimperialistischen Koordination aus dem Jahr 2002, das fünfte von der Autonomen Nahostgruppe Hamburg von 1989. Allerdings habe ich die Zitate in einem entscheidenden Punkt gefälscht: Wo von »zionistisch« oder »Zionismus« die Rede war, habe ich dies ersetzt durch »jüdisch« und »Judentum«. »Kauft nicht bei Juden« allerdings fand sich 1982 original so im »Grünen Kalender«, erschienen in der »Edition Sonnenschein«.
Quelle: http://www.d-a-s-h.org/dossier/07/04_deutschelinke.html
Darüber hinaus ist auch der Ideologische Antikapitalismus, dessen Grundlage aus dem Gründerkrach 1873 hervorgeht, wo radikale Antisemiten erstmals dem bösem “Raffgierigen Judenkapital” den guten Deutschen Arbeiter gegenüberstellten. Heutzutage spricht man lieber vom “internationalen Finanzkapital” aber im Grunde geht’s um die selbe Verschwörungsideologie der “jüdischen Weltverschwörung”.
Natürlich kann man so etwas nicht zum Thema ungebildeten Nachplapperern vorwerfen, von denen es anscheinend an diversen Universitäten en masse gibt. Das macht die Sache aber nicht unbedingt besser.
lg Andreas
Wem an der Vermeidung eines “provinziellen” Blicks und auch an der Vermeidung von Einseitigkeit gelegen ist, der sollte nicht nur dem deutschen Gastwissenschaftler, sondern zum Beispiel auch den jüdischen Studierenden der Columbia University und anderer Universitäten – nicht zuletzt in Deutschland – seine Aufmerksamkeit schenken. Eine große Gruppe von ihnen hat ihre Erfahrung der Vorgänge hier dargelegt: https://docs.google.com/document/u/1/d/e/2PACX-1vRQgyDhIjZupO2H-2rIDXLy_zkf76RoM-_ZIYsOfn9FkI7TETgRtOfXK9VobMvGh6iEZfDPgALXJTCR/pub.
Im _Forward_ beschreiben ebenfalls jüdische Studenten der Columbia University ihre Erfahrungen (https://forward.com/opinion/609871/israeli-columbia-graduation-pro-palestinian-protests/; https://forward.com/opinion/609709/zionist-student-jewish-columbia-hamilton-hall-protests/; https://forward.com/opinion/608743/columbia-ucla-student-pro-palestine-activists-hamas-extremism/; https://forward.com/opinion/607894/columbia-protests-jewish-student-campus/).
Leider fällt es mir zunehmend schwer für Beiträge wie diesen Verständnis aufbringen zu können. Der Autor beklagte, dass es auch in Deutschland Anzeichen für eine Verschärfung repressiver Tendenzen gäbe, die den Raum für offene Diskurse und umstrittene Proteste weiter einschränken würden. Kehren wir doch einmal kurz zu den Fakten zurück. Da gibt es eine Gruppe von Studenten, der es keinesfalls ausreicht, sich mittels der in einer Demokratie anerkannten Formen des Protests auszudrücken. Man entschließt sich also massiv in die Rechte anderer einzugreifen und Universiätsgebäude zu besetzen. Redner der Hochschule oder Gegendemonstranten, die anderer Meinung sind, werden niedergebrüllt. Der Lehrbetrieb muss ausgesetzt werden. Jetzt nimmt der Diskurs eine seltsame Wendung. Nicht das eigene Handeln ist “Gewalt”, sondern selbstverständlich das Einschreiten der Polizei. Mit großem Lamento wird das oppressive staatliche Handeln bedauert. Ich empfinde diese Art der Diskussion mittlerweile als beinahe klischeehaft. Vielleicht würde eine Rückbesinnung darauf helfen, was die Meinungsfreiheit ausmacht: Selbstverständlich kann man seine Meinung frei äußern, aber eben nicht auf jede vorstellbare Weise. Die Rechte anderer sind auch dann zu respektieren, wenn ich der Meinung bin, dass meine Wahrheit die höhere ist.
Eine letzte Anmerkung: Nach meinem Eindruck haben die Medien sehr ausgewogen und differenziert berichtet. Der bloße Umstand, dass die Proteste eher einen negativen Widerhall gefunden haben, dürften sich die Protestierenden selbst zuzuschreiben haben. Vielleicht sollte das eher zum Nachdenken als zu einer Klage über die Arroganz der Medien anregen.
stimme zu, mir fehlt allerdings die Berücksichtigung der tatsächlich enorm übertriebenen und gewalttätigen Handlungen der US.Polizei.
Die Praesidentin der Columbia Universitz, an der die Frankfurter Begruender der Kritischen Theorie Sozialforscher im Exil in den 1940-ern forschte, laesst heute einen Versammlungsraum raeumen, in dem Gegner der US-Unterstuetzung fuer Israel kampieren. Prof. Celikates hat den Stanford Encyclopedia Eintrag zur Kritischen Theorie geschrieben. Hier wuenscht er sich, die Columbia University moege die Gegner der US-Unterstuetzung fuer Israel kampieren lassen. Gegner der deutschen Unterstuetzung Israels haben an der FU versucht zu kampieren, der Praesident hat den Ort raeumen lassen. Prof. Celikates hat dazu einen Brief formuliert mit dem Wunsch, die FU moege Gegner der deutschen Unterstuetzung Israels kampieren lassen. Ist etwas an frueheren Konstellationen der US-Kriege gegen Nazi-Deutschland und gegen Vietcong