BVerfG: Das Ende der “objektiven” Auslegungsmethode?
Von MATTHIAS KÖTTER (Gastautor)
Ende letzter Woche hat das Bundesverfassungsgericht den BGH in punkto nachehelicher Unterhalt in die Schranken gewiesen. Die Entscheidung dürfte aber nicht nur Familienrechtlerinnen und Familienrechtlern Spaß machen. Denn im Grunde handelt es sich um eine Methoden-Entscheidung, die an uralte Fragen rührt und die teilweise zu überraschenden Einsichten führt. Denn:
Erstens betätigt sich das BVerfG hier ziemlich unverblümt als Superrevisionsinstanz. Es weist diese Aufgabe − anders als in vielen ähnlich gelagerten Fällen − nicht weit von sich, sondern erfüllt sie vielmehr sorgfältig und nachvollziehbar. Den Ansatzpunkt für die Überprüfung der fachgerichtlichen Entscheidung ist Art. 2 I GG, der verletzt sei, soweit die „Grenzen vertretbarer Auslegung“ und der „Zulässigkeit richterlicher Rechtsfortbildung“ überschritten sind. Die Zuständigkeit der Fachgerichte für die Auslegung des einfachen Rechts, der Wahl der Auslegungsmethode sowie die Anwendung auf den Einzelfall, wird zum Lippenbekenntnis. Denn um einen „krassen Widerspruch“ der fachgerichtlichen Auslegung zu den zur Anwendung gebrachten Normen festzustellen, der „ohne entsprechende Grundlage im geltenden Recht Ansprüche begründet oder Rechtspositionen verkürzt, die der Gesetzgeber unter Konkretisierung allgemeiner verfassungsrechtlicher Prinzipien gewährt hat“, setzt der Senat seine − geradezu schulmäßige − Auslegung von § 1578 I BGB der des Fachgerichts in revisionsgerichtlicher Manier entgegen. Und am Ende rechnet er sogar noch den Eurobetrag aus, auf den die verfassungsgemäße Ermittlung des Unterhalts im Fall zu kommen hätte, und verweist den Fall zurück ans OLG. Wie, wenn nicht genau so, würde eine Superrevisionsinstanz sonst entscheiden?
Zweitens schränkt das BVerfG den Spielraum zulässiger Rechtsfortbildung durch die Fachgerichte erheblich ein. Zwar betont der Senat die Aufgabe der Gerichte, angesichts „des beschleunigten Wandels der gesellschaftlichen Verhältnisse und der begrenzten Reaktionsmöglichkeiten des Gesetzgebers sowie der offenen Formulierung zahlreicher Normen“ das geltende Recht an veränderte Verhältnisse anzupassen, und beschränkt die verfassungsgerichtliche Kontrolle darauf, ob die rechtsfortbildende Auslegung durch die Fachgerichte die gesetzgeberische Grundentscheidung und dessen Ziele respektiert und ob sie den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung folgt. Gleichzeitig betont der Senat, dass eine „Interpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder – bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke – stillschweigend gebilligt wird, … unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers“ eingreift. Dass dem BVerfG das BGH-Konzept zum nachehelichen Unterhalt zu weit geht, leuchtet ein. In der Rigorosität der Aussage wäre dagegen jede nicht vom Wortlaut umfasste Fortbildung ausgeschlossen, was nicht selten auch Fälle der verfassungskonformen Auslegung betrifft.
Und drittens folgt das BVerfG der sog. subjektiven Auslegungslehre. Um den Gesetzeszweck zu ermitteln, bezieht sich der Senat an mehreren Stellen ganz ausdrücklich auf den Willen des Gesetzgebers („Der Richter darf sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen.“) und bezieht dabei auch die Gesetzesbegründungen mit ein. Dieser zur Ermittlung des Gesetzeszwecks methodisch einleuchtende Rekurs auf den Willen des historischen Gesetzgebers macht ein weiteres Mal deutlich, dass das BVerfG heute keineswegs mehr der lange von ihm favorisierten objektiven Lehre folgt, die nach einem objektiven Regelungsgehalt des Gesetzes fragt und die Entstehungsgeschichte und die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe nur zur Bestätigung eines Auslegungsergebnisses heranzieht (BVerfGE 11, 126, 129f.). Das sollten auch die Lehrbücher zum Verfassungsrecht und zur Methodenlehre endlich anerkennen.
Von MATTHIAS KÖTTER (Gastautor)
Ende letzter Woche hat das Bundesverfassungsgericht den BGH in punkto nachehelicher Unterhalt in die Schranken gewiesen. Die Entscheidung dürfte aber nicht nur Familienrechtlerinnen und Familienrechtlern Spaß machen. Denn im Grunde handelt es sich um eine Methoden-Entscheidung, die an uralte Fragen rührt und die teilweise zu überraschenden Einsichten führt. Denn:
Erstens betätigt sich das BVerfG hier ziemlich unverblümt als Superrevisionsinstanz. Es weist diese Aufgabe − anders als in vielen ähnlich gelagerten Fällen − nicht weit von sich, sondern erfüllt sie vielmehr sorgfältig und nachvollziehbar. Den Ansatzpunkt für die Überprüfung der fachgerichtlichen Entscheidung ist Art. 2 I GG, der verletzt sei, soweit die „Grenzen vertretbarer Auslegung“ und der „Zulässigkeit richterlicher Rechtsfortbildung“ überschritten sind. Die Zuständigkeit der Fachgerichte für die Auslegung des einfachen Rechts, der Wahl der Auslegungsmethode sowie die Anwendung auf den Einzelfall, wird zum Lippenbekenntnis. Denn um einen „krassen Widerspruch“ der fachgerichtlichen Auslegung zu den zur Anwendung gebrachten Normen festzustellen, der „ohne entsprechende Grundlage im geltenden Recht Ansprüche begründet oder Rechtspositionen verkürzt, die der Gesetzgeber unter Konkretisierung allgemeiner verfassungsrechtlicher Prinzipien gewährt hat“, setzt der Senat seine − geradezu schulmäßige − Auslegung von § 1578 I BGB der des Fachgerichts in revisionsgerichtlicher Manier entgegen. Und am Ende rechnet er sogar noch den Eurobetrag aus, auf den die verfassungsgemäße Ermittlung des Unterhalts im Fall zu kommen hätte, und verweist den Fall zurück ans OLG. Wie, wenn nicht genau so, würde eine Superrevisionsinstanz sonst entscheiden?
Zweitens schränkt das BVerfG den Spielraum zulässiger Rechtsfortbildung durch die Fachgerichte erheblich ein. Zwar betont der Senat die Aufgabe der Gerichte, angesichts „des beschleunigten Wandels der gesellschaftlichen Verhältnisse und der begrenzten Reaktionsmöglichkeiten des Gesetzgebers sowie der offenen Formulierung zahlreicher Normen“ das geltende Recht an veränderte Verhältnisse anzupassen, und beschränkt die verfassungsgerichtliche Kontrolle darauf, ob die rechtsfortbildende Auslegung durch die Fachgerichte die gesetzgeberische Grundentscheidung und dessen Ziele respektiert und ob sie den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung folgt. Gleichzeitig betont der Senat, dass eine „Interpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder – bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke – stillschweigend gebilligt wird, … unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers“ eingreift. Dass dem BVerfG das BGH-Konzept zum nachehelichen Unterhalt zu weit geht, leuchtet ein. In der Rigorosität der Aussage wäre dagegen jede nicht vom Wortlaut umfasste Fortbildung ausgeschlossen, was nicht selten auch Fälle der verfassungskonformen Auslegung betrifft.
Und drittens folgt das BVerfG der sog. subjektiven Auslegungslehre. Um den Gesetzeszweck zu ermitteln, bezieht sich der Senat an mehreren Stellen ganz ausdrücklich auf den Willen des Gesetzgebers („Der Richter darf sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen.“) und bezieht dabei auch die Gesetzesbegründungen mit ein. Dieser zur Ermittlung des Gesetzeszwecks methodisch einleuchtende Rekurs auf den Willen des historischen Gesetzgebers macht ein weiteres Mal deutlich, dass das BVerfG heute keineswegs mehr der lange von ihm favorisierten objektiven Lehre folgt, die nach einem objektiven Regelungsgehalt des Gesetzes fragt und die Entstehungsgeschichte und die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe nur zur Bestätigung eines Auslegungsergebnisses heranzieht (BVerfGE 11, 126, 129f.). Das sollten auch die Lehrbücher zum Verfassungsrecht und zur Methodenlehre endlich anerkennen.
1. Keineswegs Superrevision
Um festzustellen, dass es keine vertretbaren Argumente für die vom Fachgericht befürwortete Auslegung gibt, muss die Norm zunächst schulmäßig ausgelegt werden. Das allein hat meiner einem unzulässigen Übergriff des Verfassungsgerichts noch nichts zu tun. Problematisch sind solche Erwägungen nur dann, wenn das Verfassungsgericht sich unter verschiedenen verfassungsrechtlich vertretbaren Auslegungen für eine entscheidet und damit die der Fachegrichtsbarkeit vorbehaltene Auslegungsaufgabe übernimmt. Das ist auch hier nicht der Fall gewesen. Vielmehr hat das Verfassungsgericht die vom BGH vertretene Auffassung als unvertretbar qualifiziert und daraus die einfach-rechtlich zwingenden Konsequenz gezogen.
2. Zur Rechtsfortbildung
Auch insofern den Maßstäben nach nichts Neues. Entscheidend ist für jede Rechtsfortbildung, dass ein Anhalt im Gesetz besteht. Dieser kann im Wortlaut, aber auch in anderen Auslegungskriterien liegen.
3. Zur subj. Auslegungsmethode
Keineswegs hat sich das BVerfG für die subj. Auslegung, indem es an die Materialien angeknüpft hat. Dann hätte es sich bereits in einer Vielzahl zurückliegender Entscheidungen entsprechend entschieden. Man mag eine solche Entscheidung zwar für mehr oder weniger wünschenswert halten, jedoch wendet sich das Verfassungsgericht lediglich gegen solche Argumente, die keinerlei Anhalt im Gesetz für sich haben und die deshalb den Willen des Gesetzgebers in sein Gegenteil verkehren.
Fazit: Die Bedeutung der Entscheidung liegt nicht in den besprochenen Gesichtspunkten, sondern nur darin, dass die bisherige BGH-Rspr. nicht mehr fortgeführt werden darf.
Der Wille des Gesetzgebers soll Bedeutung haben für die Rechtsprechung? Ja wo leben wir denn, etwa in einer Demokratie? NEIN, NEIN und nochmals NEIN! Wir leben in einer Richterdiktatur und so soll das bitte bleiben!
“Die Grenze der Auslegung bildet der Wortlaut der Norm.” lautete seit jeher eine der prägnantesten Formulierungen zur Gesetzauslegung. Auch mehrfach vom BVerfG dergestalt vertreten. Da ist keine Änderung erfolgt. Auch bei der Superrevisionsinstanz wage ich zumindest so weit zu widersprechen, dass hier keine Änderung der Rechtssprechung vorliegt und schließe mich meinem Vorposter an.
Das BverfG hat doch in seinen Entscheidungen bei Auslegungsfragen immer mal wieder nach dem Willen des Gesetzgebers gefragt, ohne sich von der objektiven Theorie zu lösen. Diese Entscheidung also soll das Gericht dauerhaft auf den Pfad der Tugend gelenkt haben? Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.
Nicht nur, dass die objektive Auslegung die Grenzen des Gewaltenteilungsgrundsatzes sprengt, nein selbst bestehendes Gesetzesrecht war (und ist) vor den BverfG-Richtern nicht sicher (siehe Soraya). Mir geht das Vertrauen in unsere dritte Gewalt zu weit. Wir haben weder den Richtern an Bundesgerichten, noch denen am BVerfG unsere Stimme gegeben und sie damit beauftragt, ein (nach subjektiven Vorlieben der Richter) “objektives” System von Werten zu suchen. Entsprechend sollten die Richter sich bei der Rechtsfortbildung zurückhalten.