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27 June 2012

Das Beschneidungs-Urteil aus Köln und die Frage Wozu?

Eigentlich staunt man fast, dass in der ganzen aufgeheizten und -gehetzten Atmosphäre um den Islam das Thema Beschneidung erst jetzt so richtig knallt. Wir hatten Schleier und Burka, wir hatten Schächtung, wir hatten das Bilderverbot. Aber die Vorhaut in den Mittelpunkt des christlich-abendländischen Kulturkampfes zu stellen, hat sich bisher noch niemand so recht getraut.

Ausgerechnet in Köln, der Stadt der rotnasigen Leeve-un-leeve-losse-Mentalität, ist es jetzt passiert, schon wieder dort, müsste man nach Moscheenstreit und “Pro Köln” eigentlich sagen: Das Landgericht Köln findet, kleinen Jungen aus muslimischen oder jüdischen Familien ihre Vorhaut wegzuoperieren, sei Körperverletzung und strafbar.

Was juristisch von diesem Urteil zu halten ist, wird Georg Neureither für den Verfassungsblog analysieren, der versteht mehr von Religionsverfassungsrecht als ich.

Mir geht es hier um Rechtspolitik: Ich halte dieses Urteil für eine schier unglaubliche Gemeinheit, wenngleich eine ziemlich raffiniert gemachte.

Wozu?

Wenn dieses Urteil richtig wäre, dann müssten ausgerechnet deutsche Staatsanwälte – als einzige auf der ganzen Welt, wenn ich nicht irre – Juden verfolgen, weil sie tun, was Juden tun.  Das ist für sich genommen schon mal ziemlich unglaublich.

Die Frage, die ich mir stelle, ist aber vor allem: Wozu? Wo ist der Missstand, dem mit Hilfe des Strafrechts abgeholfen werden muss? Wo sind die Opfer, die der Staat mit Hilfe des Strafrechts vor Misshandlung schützt? Wieviel unter den Milliarden beschnittenen muslimischen und jüdischen (und christlichen) Männern vermissen ihre Vorhaut als einen integralen Teil ihres Körpers? Wozu also muss diese Tat unbedingt kriminalisiert werden?

Aber wir kriminalisieren doch gar nichts, wird vermutlich die Kölner Strafjustiz erwidern. Wenn es tatbestandsmäßig Körperverletzung ist, wenn ein Arzt eine Spritze setzt, dann ist es doch wohl dreimal Körperverletzung, wenn er eine Vorhaut abschneidet. Und Körperverletzung war schon immer strafbar.

Wogegen auf begriffsjuriprudenzieller Ebene wenig zu sagen ist. Aber da wird doch bitte niemand drauf reinfallen. Natürlich kriminalisiert das Kölner Urteil ein Verhalten, das bislang sozial vollkommen akzeptiert war. Ich frage mich: Wozu? Was bezwecken sie damit?

Das ist nur zum Schutz des Kindes, wird vermutlich die Kölner Strafjustiz erwidern. Zum Schutz seiner körperlichen Integrität vor nicht medizinisch indizierten Eingriffen.

Wogegen wiederum auf begriffsjurisprudenzieller Ebene wenig zu sagen ist. Aber das beantwortet nicht die Frage, warum dieser ganz spezielle Eingriff einer ist, für den unbedingt jemand bestraft werden muss. Wenn ich meiner kleinen Tochter die Ohrläppchen stechen lasse, schreit doch auch keiner nach dem Staatsanwalt. Also: Wozu?

Meiner Meinung nach liegt die Antwort auf der Hand: Hier geht es darum, zu verhindern, dass Leute als Muslime oder Juden geboren werden. Hier geht es darum, Religionen, oder jedenfalls: diese beiden Religionen zu Vereinen downzugraden, denen man, sobald man die dazu nötige Mündigkeit besitzt, beitreten kann, wenn man unbedingt will.

Mit anderen Worten: Das LG Köln macht das Strafrecht zu einem Mittel eines antireligiösen Kulturkampfs. Wer das für liberal und aufgeklärt hält, sollte noch mal nachdenken.

Wie kriegt man das wieder aus der Welt?

Raffiniert an dem Urteil ist, dass der Angeklagte freigesprochen wurde: wegen “unvermeidbarem Verbotsirrtums”, d.h. man konnte von dem Arzt nicht erwarten, das Kriminelle seines Handelns zu erkennen.

Das klingt entlarvend, fast entwaffnend, ist aber in Wahrheit ein höchst geschickter Schachzug: Denn damit kann der Arzt kein Rechtsmittel einlegen. Das Urteil wird rechtskräftig und steht künftig allen, die das gut finden, als Referenz zur Verfügung. Es gibt insbesondere keine Verfassungsbeschwerde nach Karlsruhe, wo – da würde ich meine Vorhaut darauf verwetten – das Urteil mit Donnerhall aufgehoben werden würde. All das wird es mangels Beschwer des Angeklagten nicht geben. Raffiniert gemacht, wie gesagt.

Andererseits kann diese Entscheidung nicht einfach so stehen bleiben. Der Islam gehört schließlich zu Deutschland, wie wir von unserem vormaligen Bundespräsidenten wissen. Und wer diese Ansicht nicht teilt, wird doch jedenfalls hoffentlich nicht widersprechen, wenn ich das Judentum als Teil Deutschlands bezeichne. Und Juden und Muslime müssen in Deutschland die für ihre Religionszugehörigkeit konstitutiven und für niemanden schädlichen Riten vollziehen können, ohne mit dem Strafrecht in Konflikt zu geraten.

Notfalls muss der Gesetzgeber das Problem lösen. Dass man da leicht in die fürchterlichsten Abgrenzungsprobleme gerät, ist mir klar. Wir wollen nicht, dass künftig irgendeine Sekte ihre Babys tätowiert.

Aber das Problem hätte man dadurch vermieden, dass man einfach gesetzlich klarstellt, dass eben die jüdische und muslimische Beschneidung nicht unter § 223 StGB fällt. Die damit implizierte Bevorzugung dieser beiden Religionen ließe sich dadurch rechtfertigen, dass die Unschädlichkeit ihrer Riten nach jahrtausendelanger Praxis keinem rechten Zweifel mehr unterliegt. Das müsste doch funktionieren, oder nicht?


SUGGESTED CITATION  Steinbeis, Maximilian: Das Beschneidungs-Urteil aus Köln und die Frage Wozu?, VerfBlog, 2012/6/27, https://verfassungsblog.de/das-beschneidungsurteil-aus-kln-und-die-frage-wozu/, DOI: 10.17176/20171121-185112.

78 Comments

  1. earli Wed 27 Jun 2012 at 16:11 - Reply

    Wozu?

    Wozu schreiben Sie eigentlich ein Verfassungsblog, wenn da nur politisches Geschwafel zu finden ist?

  2. Todd Wed 27 Jun 2012 at 16:19 - Reply

    Die These, das LG Köln führte einen wie auch immer motivierten Kulturkampf, halte ich für ziemlich gewagt, denn dafür bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Tatsächlich ist die Beschneidung ein durchaus erheblicher, weil irreversibler Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Kindes. Nur: zum Schutze des Kindes erging die Entscheidung des LG Kölns sicherlich nicht. Gerade weil die Beschneidung im Islam sowie im Judentum ein konstitutives Element der Religionsausübung darstellt, das sich auf eine teilweise mehrere tausend Jahre alte Tradition berufen kann, wird eine Kriminalisierung dieses Aktes sicherlich nicht dazu beitragen, dass die Zahl der Beschneidungen von in Deutschland geborenen Kindern in Zukunft in nennenswerter Größe zurückgeht. Entweder man geht dafür ins Ausland, oder man überlässt die Beschneidung medizinisch kaum oder schlechter ausgebildeten Personen. Um zu erfahren, welche drastischen Konsequenzen es haben kann, bestimmte Gruppen der Gesellschaft in die Illegalität zu treiben, muss man nur zurück in die frühen 70er Jahre gehen, als Frauen in Deutschland noch unter keinen Umständen straffrei abtreiben konnten. Nicht wenige haben das mit dem Leben oder mit erheblichen körperlichen Schäden bezahlt. In dieser Hinsicht schafft das Urteil des LG Köln eine Rechtsunsicherheit, die unerträglich ist.

  3. Robroy Wed 27 Jun 2012 at 16:20 - Reply

    Ihre Unterstellungen finde ich ungeheuerlich. Ist Ihnen bewusst, dass die ganze Sache überhaupt nur vor Gericht gekommen ist, weil der betroffene Junge Nachblutungen hatte? Dass jede Operation Risiken mit sich trägt? Haben Sie sich schon mal überlegt, dass die Entfernung der Vorhaut Folgenreich für die Erfahrung von Sexualität ist, und daher vielleicht doch besser vom Betroffenen selber entschieden wird, sobald er die Tragweite und Risiken der Entscheidung selber überblicken kann?

  4. Muriel Wed 27 Jun 2012 at 16:26 - Reply

    Hm.
    Ich finde das Urteil ja sehr begrüßenswert, weil ich der Meinung bin, dass das Abschneiden von Körperteilen ohne Zustimmung des Betroffenen nun einmal strafwürdig sein sollte, auch wenn es bisher noch so lange überall von der Gesellschaft akzeptiert wurde.
    Wer anderen etwas abschneiden will, hat vorher deren Erlaubnis einzuholen.
    Aber der Vergleich mit dem Ohrstechen ist nicht ganz abwegig.
    Über den sollte ich vielleicht noch mal nachdenken.
    Ich halte die Ohrlöcher in der Tat auch nicht für ganz unproblematisch (Meine Freundin hat ihrer Mutter bis heute nicht verziehen.), hielt sie aber bisher für ein extremes Bagatelldelikt.
    Da sollte ich mich wohl noch eingehender informieren.

  5. earli Wed 27 Jun 2012 at 16:30 - Reply

    Mal eine andere Frage: Wenn Religionsfreiheit so wichtig ist, warum dann nicht die Religionsfreiheit des Kindes?

    Warum sollte man das Kind also beschneiden dürfen, bevor es mündig entscheiden kann, ob es Bock auf so ein religiöses Ritual hat?

  6. zirp Wed 27 Jun 2012 at 16:39 - Reply

    Wäre eine Verfassungsbeschwerde nicht immer noch möglich wegen Wiederholungsgefahr?

    Im Übrigen widerspreche ich der Auffassung, dass eine Beschneidung völlig unerheblich sei. Ich bin selbst beschnitten und glücklich damit – aber in meinem Fall habe *ich selbst* als *Erwachsener* so entschieden. Wenn jemand mir ohne Grund einen Teil meines Körpers weggeschnitten hätte, als ich noch ein Kleinkind war, fände ich das jetzt vielleicht weniger toll. Das Selbstbestimmungsrecht der zu beschneidenen Kinder kommt in diesem Blogpost irgendwie nicht recht vor.

    Und eine Beschneidung ist auch nicht nur eine rein kosmetische Sache (wie ein Tattoo). Sie bewirkt erhebliche Änderungen an der sexuellen Funktionsweise des Körpers – Sie verändert eine der wichtigsten (physischen und psychischen) Lebensfunktionen. Das *ist* keine Kleinigkeit. Und es ist irreversibel.

    Was wäre, wenn Eltern auf die Idee kämen, ihrem Kleinkind sämtliche Haarwurzeln wegzulasern, sodass es sein Leben lang eine Glatze (oder Perücke) tragen wird? Das wäre ein halbwegs vergleichbarer, wenn auch immer noch leichterer, Eingriff. Wenn jemand das tun würde, würden (zu Recht) Rufe nach Verboten laut werden, mit der Begründung, dass das Kind die Entscheidung selbst treffen müsse.

    Ich sehe mich selbst als sehr liberal an und möchte niemandem vorschreiben, was er zu glauben oder nicht zu glauben habe. Ich bin überzeugt, dass jeder das Recht (und die moralische Pflicht) hat, sich seine weltanschaulichen Überzeugungen selbst zu bilden.

    Insofern bin ich skeptisch, wenn Eltern ihren eigenen Glauben als den einzig wahren an ihre Kinder weiterreichen, und sie von Geburt an in ihre jeweilige Religionsgemeinschaft eingliedern. Einen “antireligiösen Kulturkampf” gegen solche Praktiken von Religionen, die darauf zielen, Kleinkinder auf Lebenszeit zwangszuvermitgliedschaften, unterstütze ich ausdrücklich.

    Ohrlöcher: Das ist tatsächlich ein halbwegs ähnliches Thema. Ich würde auch hier eine Strafbarkeit nicht von vornherein ausschließen. Allerdings ist das aus mehreren Gründen ein sehr viel leichterer Eingriff als eine Beschneidung.

  7. Todd Wed 27 Jun 2012 at 16:52 - Reply

    Erschreckend, was man hier alles so liest, vielleicht hat Max Steinbeis doch recht mit seiner These, hier geht es v.a. um Kulturkampf. Haben sich eigentlich schon die “islamkritischen”, immer gern auf die christlich-jüdischen Wurzeln unseres Abendlandes verweisenden Kräfte zu dem Thema geäußert?
    Vielleicht sollten wir mal die Kirche im Dorf lassen. Der Eingriff ist zwar irreversibel, verändert aber nicht die “sexuelle Funktionsweise” (was auch immer das sein mag) oder eine der “wichtigsten Lebensfunktionen”. Art. 4 und Art. 6 haben hier nun mal auch erhebliches – und wie i