27 Juni 2017

Die Ehe für Alle und die Stunde der Politik

Man reibt sich die Augen. Buchstäblich über Jahre hatte die SPD ihrem Koalitionspartner die Peinlichkeit ersparen geholfen, sich Argumente gegen die Öffnung der Ehe für alle einfallen lassen zu müssen. Über Jahre hatte die Mehrheit im Rechtsausschuss mit den Stimmen der Sozialdemokraten die Gesetzentwürfe der Grünen und des Bundesrats vertagt, Sitzungswoche für Sitzungswoche. Die Grünen waren nach Karlsruhe gezogen deswegen. Vergebens. Die Hoffnung, die Öffnung der Ehe in dieser Legislaturperiode noch irgendwie erzwingen, war eigentlich schon aufgegeben. Doch dann lässt die Kanzlerin in einer Talkshow ein paar wohl gewählte Worte fallen…

Diese Woche ist die letzte reguläre Sitzungswoche des Bundestags vor den Wahlen im September. Im Sommer ist Wahlkampf, da passiert nichts mehr in Berlin. Das heißt: was in dieser Legislaturperiode noch in Kraft treten soll, muss bis spätestens Freitag beschlossen sein. Drei Lesungen sind vorgeschrieben, und nach der ersten eine Beschlussempfehlung der Ausschüsse. Die Überweisung in die Ausschüsse kann man zwar überspringen, aber nur mit einer 2/3-Mehrheit, für die es für SPD, Grüne, Linke und einzelne CDU-Abgeordnete gemeinsam kaum reichen wird. Was schon mal bedeutet, dass es für einen Entwurf, auf dem in irgendeiner Weise „SPD“ draufsteht, zu spät ist. Der heute morgen aus der SPD-Fraktion herumgeschickte Gruppenantrag müsste erst im Plenum durch die erste Lesung; dann aber hat der Rechtsausschuss, in den er dann überwiesen werden muss, bereits zum letzten Mal getagt.

Stattdessen müsste die Tagesordnung für die morgige Rechtsausschusssitzung geändert und zumindest einer der bereits in erster Lesung beratenen Gesetzentwürfe auf die Agenda mit einer Beschlussempfehlung versehen werden. Mit dem Entwurf des Bundesrats könnte die SPD das ohne offenen Koalitionsbruch tun; sie müsste nicht dem Entwurf der Grünen oder der Linken zur Geltung verhelfen. Inhaltlich sind sie eh alle drei gleich. Dann könnte spätestens am Freitag in der allerletzten Plenarsitzung des Bundestags vor den Wahlen abgestimmt werden – und, zack: steht die Ehe für alle im BGB.

Das ist nicht nur eine tolle Nachricht für die Gleichberechtigung in Deutschland, sondern auch für die Demokratie. Am Freitag wird, wenn die Gerüchte stimmen, in namentlicher Abstimmung ermittelt, wer im Bundestag dafür ist und wer dagegen. Niemand kann sich mehr wegducken. Dass dies passiert, geschieht nicht auf Grund eines Befehls des Bundesverfassungsgerichts, sondern durch einen genuin politischen Prozess.

Hätte Karlsruhe dem Eilantrag der Grünen-Fraktion stattgegeben, dann wäre vermutlich auch nichts anderes passiert als das, was jetzt passiert. Aber es wäre ein weiteres einklagbares parlamentarisches Minderheitenrecht entstanden, eins auf Befassung mit Oppositionsanträgen innerhalb gebührender Zeit. Karlsruhe hätte in der einen oder anderen Form mit der Stoppuhr neben den Parlamentsausschüssen stehen und überwachen müssen, ob sich die Mehrheit auch angemessen beeilt bei der Befassung mit Minderheitsanträgen. Den Schuh wollte der Zweite Senat sich nicht anziehen.

Daraufhin sagten die Grünen trotzig: gut, dann ziehen wir in den Wahlkampf damit und machen das zur Koalitionsbedingung. FDP und SPD fanden das auch eine gute Idee und zogen nach. Woraufhin die Kanzlerin sich entschied, dieses Wahlkampfthema keines werden zu lassen, und die nicht wenigen CDU-Abgeordneten, die gegen die Ehe für alle nichts einzuwenden haben, von der Fraktionsdisziplin zu entbinden.

Die CDU als Partei entgeht damit zwar der Festlegung, wie sie es hält mit der Ehe für alle – ihre Abgeordneten aber nicht. Sie müssen jetzt in namentlicher Abstimmung Farbe bekennen und Verantwortung übernehmen für ihre Entscheidung. Die CDU präsentiert sich als eine Partei, die beide Lager überspannt – als Union eben – und in der Auswahl ihrer Koalitionspartner nicht eingeschränkter ist als nötig. Das scheint mir alles sehr vernünftig.


SUGGESTED CITATION  Steinbeis, Maximilian: Die Ehe für Alle und die Stunde der Politik, VerfBlog, 2017/6/27, https://verfassungsblog.de/die-ehe-fuer-alle-und-die-stunde-der-politik/, DOI: 10.17176/20170627-145216.

25 Comments

  1. Anna Katharina Mangold Di 27 Jun 2017 at 16:11 - Reply
  2. WeForTheEU Di 27 Jun 2017 at 17:12 - Reply

    Vgl. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Art 38:

    „(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“

  3. Maximilian Steinbeis Di 27 Jun 2017 at 17:17 - Reply

    Okay. Und?

  4. A. Berger Di 27 Jun 2017 at 20:17 - Reply

    „Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs‘ noch Esel auf!“

  5. Ronald Fein Di 27 Jun 2017 at 20:39 - Reply

    Bitte auf die Entscheidung des BVerfG zur eingetragenen Lebenspartnerschaft eingehen, woraus hervorgeht, dass unsere Verfassung mit Ehe eine Partnerschaft von einer Frau und einem Mann meint. Ohne Verfassungsänderung oder poltisch motivierter Rechtsbeugung wird auch ein Bundestag daran nichts ändern können (dürfen).

  6. Maximilian Steinbeis Di 27 Jun 2017 at 21:52 - Reply

    @Ronald Fein: Das BVerfG hat damals den Tatbestand definiert, an den Art. 6 GG den Schutzauftrag an den Staat knüpft: Mann und Frau. Ob das ein Verbot impliziert, diesen Schutz über diesen Tatbestand hinaus im BGB zu erweitern, ist mE damit noch nicht entschieden. Zumal angesichts der gut begründeten Weigerung, ein Abstandsgebot aus Art. 6 herauszulesen. Und so oder so wäre es dem BVerfG unbenommen, sich von dieser Rechtsprechung zu lösen und die Definition dieses Tatbestands heute neu und anderes zu formulieren, und damit dem Gesetzgeber, eine Gelegenheit dazu zu schaffen. Also bitte mal langsam mit dem Herumschmeißen von Strafrechtstatbeständen, ja?

  7. Ronald Fein Di 27 Jun 2017 at 22:48 - Reply

    @Steinbeis
    Die Verneinung eines jeglichen Abstandsgebots wäre eine explizite Privilegierung ohne irgendein Privileg. Was inhaltlicher Schwachsinn wäre.

    Die Erweiterung des Begriffs „Ehe“ auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften wäre im Sinne des Artikels 6 möglich, wenn auch diese Partnerschaften gemeinsame Nachkommen zeugen könnten und somit eigenständig eine Familie gründen und somit zum Erhalt der Gesellschaft eigentständig betragen könnten.

    Davon abgesehen wird bei „Ehe für alle“ Etikettenschwindel betrieben, da sie auch weiterhin nicht „alle“ meint. Geschwister, Elternteil mit leiblichen Sohn oder Tochter, polyamore Partnerschaften werden wohl damit auch weiterhin ohne sachlichen Grund von der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft – dann Ehe – verwehrt bleiben. Hier geht es also mitnichten um Gerechtigkeit sondern nur um Partikularinteressen.

    Weiterhin ist die rechtliche Gleichstellung von heterosexueller Ehe und gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaft praktisch vollzogen. Die bestehende Ausnahme im Adoptionsrecht ist problemlos mit dem sachlichen Grund „Kindeswohl“ begründbar. Wobei m.E. eine rechtliche Gleichstellung auch im Adoptionsrecht möglich wäre, da es in der Rechtspraxis aufgrund des Kindeswohls nur in begründbare Ausnahmen überhaupt einen Unterschied machen würde.

  8. KrudeMehrheit Mi 28 Jun 2017 at 06:23 - Reply

    „Wenn Wörter ihren Sinn verlieren, verlieren Menschen ihre Freiheit.“

  9. bec Mi 28 Jun 2017 at 09:45 - Reply

    Ob man es politisch will oder nicht, Art. 6 Abs. 1 GG steht der geplanten Gleichstellung nicht entgegen. Durch eine Ausweitung der Ehe auf andere Lebensgemeinschaften wird niemandem der grundrechtliche Schutz der Ehe genommen und ein „Abstandsgebot“ wird von niemandem mehr überzeugend vertreten.
    Wer diese Frage verfassungsrechtlich vertiefen will, findet eine gutachtliche Ausarbeitung zum Beispiel hier:
    https://www.bundestag.de/blob/389170/0f4dca827f7a9226ec0419093c33dd8c/brosius_gersdorf-data.pdf
    In der damaligen Anhörung im Rechtsausschuss konnten dieser Analyse andere Sachverständige nichts Überzeugendes entgegensetzen. Das Verfassungsrecht, insbesondere die Grundrechte, sollte man hinsichtlich dieser Frage daher besser gar nicht mobilisieren. Es ist eine politische Entscheidung.

  10. Franco Schettolo Mi 28 Jun 2017 at 09:46 - Reply

    Lieber Herr Steinbeis, in der Sache gehe ich mit und würde mich ebenfalls über eine vollständige Gleichstellung freuen. Nur ob darin eine tolle Nachricht für die Demokratie liegt, da habe ich doch erhebliche Zweifel.

    Sofern die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtlicher Partner im Parlament eine breite Mehrheit hat (das scheint ja offenbar der Fall zusein), sollte man den sauberen Weg gehen und Art. 6 GG ändern.

    Art. 3 GG ist kein „Supergrundrecht“ und steht in seinem Rang nicht über Art. 6 GG. Solange Art. 6 GG einen besonderen Schutz der Ehe vorsieht, kann man diesen nicht über Art. 3 GG nivellieren, auch nicht „nach oben“, weil dann das „Besondere“ wegfällt.

    Der einfache Gesetzgeber ist schlicht nicht zuständig für Verfassungsänderungen.

    • Maximilian Steinbeis Mi 28 Jun 2017 at 13:42 - Reply

      @Schettolo: Das mit dem „Supergrundrecht“ Art.3, das den Art.6 toppt, behauptet doch keiner. Die Frage ist doch, ob überhaupt ein Eingriff in Art. 6 vorliegt. Das TB-Merkmal „besonderer“ Schutz wird dafür nichts hergeben, wenn man dem Urteil des BVerfG zum Lebenspartnerschaftsgesetz von 2011 folgt und es als Schlechterstellungsverbot statt als Besserstellungsgebot versteht. Tricky könnte allenfalls die Institutsgarantie werden. Aber selbst wenn: zu skandalisieren, dass der Gesetzgeber das Risiko einer Aufhebung in Karlsruhe auf sich nimmt, erscheint mir arg verfassungsgerichts-positivistisch gedacht. Der Gesetzgeber ist für die Interpretation der Verfassung genauso „zuständig“ wie jeder andere auch und hat selbstverständlich das Recht, seine Lesart der Verfassung einfachgesetzlich erst mal in Geltung zu setzen. Wenn sich ein Kläger findet und Karlsruhe das später anders sieht, dann hat er halt Pech gehabt. Ich bin sehr gespannt, ob es dazu kommen wird.

  11. Peter Camenzind Mi 28 Jun 2017 at 13:24 - Reply

    Die juristischen Auslegungsmethoden scheinen hier eher unstr. weithin uneindeutig. Nach den meisten juristischen Auslegungsmethoden soll eine Eheöffnung für Homosexuelle grds. möglich bleiben. Es scheint nur zudem eher weithin unstr, dass aus den meisten Auslegungsmethoden nicht sicher eine zwingende Pflicht zur Öffnung der Ehe für Homposexuelle folgerbar sein kann. Es scheint nur eine eher eindeutige gängige juristische Auslegungsmethode zu geben, nach welcher eine Ehe iSv. Art. 6 GG ursprünglich nur allein zwischen Verschiedengeschlechtlichen möglich gemeint war, nämlich nach der historischen Auslegung. Historisch war eine Ehe zwischen Verschiedengeschlechtlichen zunächst nämlich sogar verfassungsrechtlich lange unbeanstandet strafbar.
    Unter Berücksichtigung aller gängigen Auslegungsmethoden kann man danach eventuell allein nach historischer Auslegung zu einem sicher klaren Ergebnis gelangen, nämlich einer grundsätzlichen anfänglichen Beschränkung des ehebegriffes auf Verbindungen zwischen Verschiedengeschlechtlichen. Das kann dafür sprechen, dass nach den gängigen juristischen Auslegungsmethoden Art. 6 GG zunächst grundsätzlich nur als zwischen Verschiedengeschlechtlichen möglich gemeint ist. Eine Änderung davon kann daher grundsätzlich zumindest eine Verfassungsänderung erfordern, sofern dies aufgrund geändertem Verfasungsverständnis überhaupt möglich und nicht etwa unter eine Ewigkeitsgarantie fallen sollte o.ä.
    Eine gute Stunde für die Demokratie scheint, angesichts des leicht erkennbaren vorwiegend maßgeblichen machtpolitischen Kalküls quer durch alle Parteien hinweg, unabhängig von der („rechtliche“) Richtigkeit der Beantwortung Sachfrage eher zweifelhaft zu bleiben.

  12. WeForTheEU Mi 28 Jun 2017 at 13:35