Die Ehe für Alle und die Stunde der Politik
Wir werden die Ehe für alle beschließen. Diese Woche.
— Martin Schulz (@MartinSchulz) 27. Juni 2017
Man reibt sich die Augen. Buchstäblich über Jahre hatte die SPD ihrem Koalitionspartner die Peinlichkeit ersparen geholfen, sich Argumente gegen die Öffnung der Ehe für alle einfallen lassen zu müssen. Über Jahre hatte die Mehrheit im Rechtsausschuss mit den Stimmen der Sozialdemokraten die Gesetzentwürfe der Grünen und des Bundesrats vertagt, Sitzungswoche für Sitzungswoche. Die Grünen waren nach Karlsruhe gezogen deswegen. Vergebens. Die Hoffnung, die Öffnung der Ehe in dieser Legislaturperiode noch irgendwie erzwingen, war eigentlich schon aufgegeben. Doch dann lässt die Kanzlerin in einer Talkshow ein paar wohl gewählte Worte fallen…
Diese Woche ist die letzte reguläre Sitzungswoche des Bundestags vor den Wahlen im September. Im Sommer ist Wahlkampf, da passiert nichts mehr in Berlin. Das heißt: was in dieser Legislaturperiode noch in Kraft treten soll, muss bis spätestens Freitag beschlossen sein. Drei Lesungen sind vorgeschrieben, und nach der ersten eine Beschlussempfehlung der Ausschüsse. Die Überweisung in die Ausschüsse kann man zwar überspringen, aber nur mit einer 2/3-Mehrheit, für die es für SPD, Grüne, Linke und einzelne CDU-Abgeordnete gemeinsam kaum reichen wird. Was schon mal bedeutet, dass es für einen Entwurf, auf dem in irgendeiner Weise “SPD” draufsteht, zu spät ist. Der heute morgen aus der SPD-Fraktion herumgeschickte Gruppenantrag müsste erst im Plenum durch die erste Lesung; dann aber hat der Rechtsausschuss, in den er dann überwiesen werden muss, bereits zum letzten Mal getagt.
Stattdessen müsste die Tagesordnung für die morgige Rechtsausschusssitzung geändert und zumindest einer der bereits in erster Lesung beratenen Gesetzentwürfe auf die Agenda mit einer Beschlussempfehlung versehen werden. Mit dem Entwurf des Bundesrats könnte die SPD das ohne offenen Koalitionsbruch tun; sie müsste nicht dem Entwurf der Grünen oder der Linken zur Geltung verhelfen. Inhaltlich sind sie eh alle drei gleich. Dann könnte spätestens am Freitag in der allerletzten Plenarsitzung des Bundestags vor den Wahlen abgestimmt werden – und, zack: steht die Ehe für alle im BGB.
Das ist nicht nur eine tolle Nachricht für die Gleichberechtigung in Deutschland, sondern auch für die Demokratie. Am Freitag wird, wenn die Gerüchte stimmen, in namentlicher Abstimmung ermittelt, wer im Bundestag dafür ist und wer dagegen. Niemand kann sich mehr wegducken. Dass dies passiert, geschieht nicht auf Grund eines Befehls des Bundesverfassungsgerichts, sondern durch einen genuin politischen Prozess.
Hätte Karlsruhe dem Eilantrag der Grünen-Fraktion stattgegeben, dann wäre vermutlich auch nichts anderes passiert als das, was jetzt passiert. Aber es wäre ein weiteres einklagbares parlamentarisches Minderheitenrecht entstanden, eins auf Befassung mit Oppositionsanträgen innerhalb gebührender Zeit. Karlsruhe hätte in der einen oder anderen Form mit der Stoppuhr neben den Parlamentsausschüssen stehen und überwachen müssen, ob sich die Mehrheit auch angemessen beeilt bei der Befassung mit Minderheitsanträgen. Den Schuh wollte der Zweite Senat sich nicht anziehen.
Daraufhin sagten die Grünen trotzig: gut, dann ziehen wir in den Wahlkampf damit und machen das zur Koalitionsbedingung. FDP und SPD fanden das auch eine gute Idee und zogen nach. Woraufhin die Kanzlerin sich entschied, dieses Wahlkampfthema keines werden zu lassen, und die nicht wenigen CDU-Abgeordneten, die gegen die Ehe für alle nichts einzuwenden haben, von der Fraktionsdisziplin zu entbinden.
Die CDU als Partei entgeht damit zwar der Festlegung, wie sie es hält mit der Ehe für alle – ihre Abgeordneten aber nicht. Sie müssen jetzt in namentlicher Abstimmung Farbe bekennen und Verantwortung übernehmen für ihre Entscheidung. Die CDU präsentiert sich als eine Partei, die beide Lager überspannt – als Union eben – und in der Auswahl ihrer Koalitionspartner nicht eingeschränkter ist als nötig. Das scheint mir alles sehr vernünftig.
Kanzlerin Merkel hat die Abstimmung eben freigegeben: http://www.faz.net/aktuell/politik/bundestagswahl/merkel-gibt-abstimmung-ueber-ehe-fuer-alle-in-unionsfraktion-frei-15079244.html
Vgl. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Art 38:
“(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.”
Okay. Und?
“Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs’ noch Esel auf!”
Bitte auf die Entscheidung des BVerfG zur eingetragenen Lebenspartnerschaft eingehen, woraus hervorgeht, dass unsere Verfassung mit Ehe eine Partnerschaft von einer Frau und einem Mann meint. Ohne Verfassungsänderung oder poltisch motivierter Rechtsbeugung wird auch ein Bundestag daran nichts ändern können (dürfen).
@Ronald Fein: Das BVerfG hat damals den Tatbestand definiert, an den Art. 6 GG den Schutzauftrag an den Staat knüpft: Mann und Frau. Ob das ein Verbot impliziert, diesen Schutz über diesen Tatbestand hinaus im BGB zu erweitern, ist mE damit noch nicht entschieden. Zumal angesichts der gut begründeten Weigerung, ein Abstandsgebot aus Art. 6 herauszulesen. Und so oder so wäre es dem BVerfG unbenommen, sich von dieser Rechtsprechung zu lösen und die Definition dieses Tatbestands heute neu und anderes zu formulieren, und damit dem Gesetzgeber, eine Gelegenheit dazu zu schaffen. Also bitte mal langsam mit dem Herumschmeißen von Strafrechtstatbeständen, ja?
@Steinbeis
Die Verneinung eines jeglichen Abstandsgebots wäre eine explizite Privilegierung ohne irgendein Privileg. Was inhaltlicher Schwachsinn wäre.
Die Erweiterung des Begriffs “Ehe” auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften wäre im Sinne des Artikels 6 möglich, wenn auch diese Partnerschaften gemeinsame Nachkommen zeugen könnten und somit eigenständig eine Familie gründen und somit zum Erhalt der Gesellschaft eigentständig betragen könnten.
Davon abgesehen wird bei “Ehe für alle” Etikettenschwindel betrieben, da sie auch weiterhin nicht “alle” meint. Geschwister, Elternteil mit leiblichen Sohn oder Tochter, polyamore Partnerschaften werden wohl damit auch weiterhin ohne sachlichen Grund von der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft – dann Ehe – verwehrt bleiben. Hier geht es also mitnichten um Gerechtigkeit sondern nur um Partikularinteressen.
Weiterhin ist die rechtliche Gleichstellung von heterosexueller Ehe und gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaft praktisch vollzogen. Die bestehende Ausnahme im Adoptionsrecht ist problemlos mit dem sachlichen Grund “Kindeswohl” begründbar. Wobei m.E. eine rechtliche Gleichstellung auch im Adoptionsrecht möglich wäre, da es in der Rechtspraxis aufgrund des Kindeswohls nur in begründbare Ausnahmen überhaupt einen Unterschied machen würde.
“Wenn Wörter ihren Sinn verlieren, verlieren Menschen ihre Freiheit.”
Ob man es politisch will oder nicht, Art. 6 Abs. 1 GG steht der geplanten Gleichstellung nicht entgegen. Durch eine Ausweitung der Ehe auf andere Lebensgemeinschaften wird niemandem der grundrechtliche Schutz der Ehe genommen und ein “Abstandsgebot” wird von niemandem mehr überzeugend vertreten.
Wer diese Frage verfassungsrechtlich vertiefen will, findet eine gutachtliche Ausarbeitung zum Beispiel hier:
https://www.bundestag.de/blob/389170/0f4dca827f7a9226ec0419093c33dd8c/brosius_gersdorf-data.pdf
In der damaligen Anhörung im Rechtsausschuss konnten dieser Analyse andere Sachverständige nichts Überzeugendes entgegensetzen. Das Verfassungsrecht, insbesondere die Grundrechte, sollte man hinsichtlich dieser Frage daher besser gar nicht mobilisieren. Es ist eine politische Entscheidung.