Die britische Regierung macht Ernst mit ihrer Ankündigung, ihren gegenwärtigen Vorsitz im Ministerkomittee des Europarats dazu zu nutzen, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte massiv in seinen Kompetenzen zurechtzustutzen.
Der Guardian hat den Entwurf einer "Brighton Declaration" veröffentlicht, der im April verabschiedet werden soll – und der hat es in sich.
Die Highlights:
- Das Subsidiaritätsprinzip und der nationale Ermessensspielraum (margin of appreciation) soll ausdrücklich in der Konvention verankert werden (19b), und zwar in einer Weise, die klarstellt, dass die nationalen Behörden am besten geeignet sind, die Konvention in ihrem Land umzusetzen, und dass es die Verantwortung der nationalen Parlamente und Gerichte ist, die Konvention legislativ und judikativ umzusetzen. Der EGMR soll darauf beschränkt bleiben, zu prüfen, ob der Margin of Appreciation überschritten ist.
- Der EGMR soll künftig "advisory opinions" zu bestimmten Fällen abliefern, wenn das jeweilige oberste nationale Gericht ihn darum bittet – also eine Art Gutachten über die Auslegung der EMRK, wobei es dem nationalen Gericht obliegt, den Sachverhalt zu bestimmen und ihre eigene Rechtsansicht reinzuschreiben. Dieses Gutachten soll ausdrücklich nicht bindend sein – aber wenn der EGMR eins abgegeben hat, sollen die Parteien keine Individualbeschwerde mehr einlegen können (19d).
- Die Frist, zum EGMR zu ziehen, soll von sechs Monaten auf zwei/drei/vier Monate verkürzt werden (23a)
- Alternativ dazu: In Art. 35 der Konvention wird klargestellt, dass der EGMR nicht angerufen werden kann, wenn die Sache schon von einem nationalen Gericht geprüft worden ist, außer der EGMR findet, dass das nationale Gericht die Konvention klar falsch ausgelegt hat ("clearly erred in its interpretation or application of convention rights") oder es sich um einen Grundsatzfall handelt.
Wenn das kommt, dann ist das ein Riesenhammer. Dann wird es den EGMR, den wir kennen, nicht mehr geben.
Foto: Kirsten Skiles, Flickr Creative Commons

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All the best, Max Steinbeis
SUGGESTED CITATION Steinbeis, Maximilian: EGMR: Großbritannien zieht die Handschuhe aus, VerfBlog, 2012/3/02, https://verfassungsblog.de/egmr-grobritannien-zieht-die-handschuhe-aus/.
"Wenn das kommt, dann ist das ein Riesenhammer. Dann wird es den EGMR, den wir kennen, nicht mehr geben."
In der Tat… Gott sei dank, es gibt noch Hoffnung in Europa… Ich mache drei Kreuze, wenn dieses undemokratische Monstrum, dass von niemandem gewählt wurde, aber allen Staaten hineinregiert, endlich eingefangen ist!
Den margin of appreciation gibt es ja schon, die Fristverkürzung schadet nicht, der neue Art. 35 klingt etwas nach Heck’scher Formel – das ist doch erstmal nicht schlecht.
Und der Idee mit den advisory opinions kann ich auch etwas abgewinnen: Das wäre doch ein Weg, die Problematik von EGMR-Entscheidungen in Zivilrechtsstreitigkeiten zu mindern. Jedenfalls würde der Einwand, dass die Gegenpartei vor dem EGMR nicht beteiligt wird, auf diese Weise entkräftet. Vor dem nationalen Gericht ist sie ja Partei.
@ DHH:
Ach, und andere Gerichte sind demokratisch legitimiert? Z.B. das Bundesverfassungsgericht? Richter werden bei uns (zum Glück! Man sieht ja in den USA wozu das führen kann) nicht gewählt, warum sollte das beim EGMR anders sein?
Ja, andere Gerichte sind demokratisch legitimiert, ein demokratisches System besteht nämlich nicht nur aus direkter Wahl.
Wenn ich Einfluss auf die Zusammensetzung des BVerfG nehmen möchte, kann ich das über Land- und Bundestagswahlen tun. Beim EGMR habe ich diese Möglichkeit nicht.
PS: Zu was führt denn die direkte Wahl von Richtern? Zu einem unerwünschten Einfluss des Souveräns?
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