09 September 2019

Ein Volkskanzler

I

Jetzt mal angenommen, es käme einer. Mal angenommen, da wäre plötzlich einer, der die Menschen begeistert und mit Hoffnung erfüllt. Einer, der sie mobilisiert, der sie organisiert und ihnen Schwung verleiht. Der eine große Bewegung hinter sich schart, ohne ideologischen Ballast, offen für alle, die an der Zukunft mitarbeiten wollen. Einer, der sie alle völlig unmöglich aussehen ließe, Olaf Scholz und Annegret Kramp-Karrenbauer und tutti quanti. Ein Neuer, ein Erneuerer, ein von der alten Bundesrepublik und  ihrer Politik und ihrem zerfallenden Parteiensystem gänzlich Unkontaminierter. 

Angenommen, der Mann (angenommen, es ist einer) hat Erfolg. Gewinnt Landtagswahlen. Wird Ministerpräsident. Angenommen, der Schwung dieses Sieges trägt ihn durch den Bundestagswahlkampf bis an die Spitze aller Umfragen. Angenommen, sein Hinzukommen verändert das Spektrum der politischen Möglichkeiten radikal. So sehr, dass es, angenommen, für eine eigene Mehrheit reicht am Wahlabend. Dass er keine Koalitionspartner braucht, keine endlose Verhandlungsrunden, keine Kompromisse schließen, Anhänger enttäuschen und Bündnisse mit Leuten eingehen müssen, die er eben noch mit Hohn und Verachtung überschüttet hat. So wie die Zigmillionen seiner Wählerinnen und Wähler es sich ersehnt und erhofft haben. Angenommen, das Land bekommt in Rekordzeit eine handlungsfähige Regierung mit einem klaren, kompakten Profil und Programm. Ein Tag der Erlösung.

Angenommen, er schlägt bei seinem ersten Auftritt nach der Wahl einen staatsmännischen und nachdenklichen, manche finden: geradezu versöhnlichen Ton an. Der Wahlkampf, sagt er, habe viele Wunden geschlagen. Aber jetzt sei die Zeit des Streitens und des Redens vorbei. Durch konkrete Taten werde er diejenigen ins Unrecht setzen, die ihn als Gefahr für die Verfassung verunglimpft haben. Es sei der Souverän, sagt er, der die Macht in seine Hände gelegt habe: das deutsche Volk. Vor dieser Entscheidung empfinde er tiefen Respekt, genauso wie vor dem Grundgesetz. Er sei der verfassungsmäßig gewählte Bundeskanzler. Und von nichts und niemand werde er sich daran hindern lassen, die in ihn gesetzten Hoffnungen zu erfüllen. Er werde ein Kanzler aller Deutschen sein. Nicht nur derer, die ihn gewählt hätten. Er werde dieses tief zerstrittene Land einen. 

II

Angenommen, seine Regierung bringt Tage nach der Übernahme der Amtsgeschäfte eine Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht in Gang. Die Medien und die juristischen Berufsverbände schlagen Alarm: Er wolle das Verfassungsgericht mit Gefolgsleuten vollpacken! Das verfängt aber nicht recht. Die Gesetzesänderung beschränkt sich darauf, einen dritten Senat in Karlsruhe einzurichten, neben den beiden, die es bereits gibt. Ein Angriff auf den Rechtsstaat? Na, übertreiben wir mal nicht. Die Bundestagsmehrheit kann vier der acht Posten in dem neuen Senat besetzen, aber für eine Stimmenmehrheit braucht man immer noch fünf, oder nicht? In seiner eigener Partei wird Enttäuschung laut, dass der Kanzler das Verfassungsgericht, diese Bastion undemokratischer Bedenkenträgerei, nicht härter anpackt. Die Macht der „roten Roben“ in Karlsruhe bleibt völlig unangetastet. 

Ein dritter Senat also, der künftig für alle Verfahren des Staatsorganisationsrechts zuständig sein soll: Organklagen, abstrakte Normenkontrollverfahren, Bund-Länder-Streitigkeiten, Wahlprüfungssachen und solche staubtrockene Dinge. Die beiden bestehenden Senate, so die offizielle Begründung, sollen sich mit ihrer ganzen Kraft dem Schutz der Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger widmen. Lässt sich das nicht hören? Klagt nicht das Verfassungsgericht selbst seit Jahren über seine Überlastung? 

Die neue Regierung profitiert davon, dass die Regel, dass die Richterinnen und Richter am Bundesverfassungsgericht mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden müssen, bereits seit einigen Jahren abgeschafft ist. Das hatte die vorherige Mehrheit getan. Im letzten Bundestag besaß die jetzige Regierungspartei schon eine Sperrminorität. Die „Altparteien“, wie sie jetzt allgemein genannt werden, wollten damals um jeden Preis verhindern, dass die neue Partei bei der Besetzung frei werdender Posten am Bundesverfassungsgericht ein Mitspracherecht für sich erzwingt. 

Theoretisch könnte die neue Bundestagsmehrheit jetzt diese Zweidrittelmehrheit natürlich auch selber abschaffen. Dafür bräuchte sie nicht einmal die Zustimmung des Bundesrates. Aber sie muss das gar nicht, das ist bereits erledigt.  So oder so kann niemand die Regierungsmehrheit daran hindern, die vier vom Parlament zu wählenden Richter für den Dritten Senat ganz alleine auszuwählen. Die Opposition geht ja nicht leer aus. Die Altparteien haben ja noch den Bundesrat. In der Länderkammer besitzen sie ja noch eine komfortable Mehrheit. Er sei bereit, sagt der Bundeskanzler, die vier vom Bundesrat zu besetzenden Richterinnen und Richter ganz ihrer Auswahl zu überlassen. Dafür erwarte er aber auch Respekt für die vier Personalentscheidungen, die der Bundestag zu fällen habe. 

III

Angenommen, der neue Kanzler macht sein Wahlversprechen wahr. Sagen wir: eine große Steuerreform, verbunden mit einer massiven Erhöhung des Kindergelds und einem Investitionspaket für Bildung und Infrastruktur. Das Paket durch den Bundesrat zu bringen, war unendlich mühsam, riskant und teuer, aber: Es ist vollbracht, die Reform steht im Bundesgesetzblatt, ein großer Sieg. Von Staatskunst schreibt die FAZ, vom Volkskanzler die BILD. 

Die unterlegenen Landesregierungen geben sich aber noch nicht geschlagen. Sie halten die Reform für verfassungswidrig: Viel zu tief greife sie in die Kompetenzen und in die eigenständige Haushaltswirtschaft der Länder ein, so ihr Argument. In der Tat zeichnet sich in Karlsruhe in der mündlichen Verhandlung deutlich ab, dass ein Teil der Richterbank diese Bedenken teilt.

Bei der Urteilsverkündung trägt der Senatsvorsitzende eine ernste Miene zur Schau. Noch nie, sagt er in einer Vorbemerkung, sei eine Spruchkammer des Gerichts bei einer so fundamentalen Sache so tief gespalten gewesen. Vier der acht Mitglieder des Dritten Senats hielten die Steuerreform für eklatant verfassungswidrig. Aber bei Stimmengleichheit, da sei § 15 Abs. 4 S. 3 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht eindeutig, könne ein Verstoß gegen das Grundgesetz nicht festgestellt werden. Die vier anderen Richter – in der Presse werden sie „Kanzler-Richter“ genannt – halten das Gesetz für korrekt. Damit sei die Klage abzuweisen.

Der Kanzler verzichtet in seiner Reaktion auf jede triumphale Geste. Im Gegenteil, sagt er, mache ihm die Gespaltenheit des Bundesverfassungsgerichts große Sorgen. Auch wenn sein Reformpaket das Verfahren in Karlsruhe unbeschadet passiert habe, hätte nur ein Richter anders entscheiden müssen, und das ganze Paket wäre gekippt. Schon der Respekt vor der demokratischen Legitimation des Gesetzgebers verbiete es, die Geltung seiner Gesetze von dem schwankenden Willen eines einzigen Verfassungsrichters abhängig zu machen. 

Das Justizministerium werde daher eine erneute Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht anstoßen. Wenn das Gericht eine Entscheidung des Gesetzgebers für verfassungswidrig erklären wolle, dann künftig nur noch mit qualifizierter Mehrheit. Sechs der acht Richter müssen dafür sein, das Gesetz für nichtig zu erklären. Wenn mehr als zwei ein so genanntes „normverwerfendes Urteil“ nicht mittragen, bleibt das Gesetz in Kraft. Diese Idee, fügt der Kanzler schmunzelnd hinzu, sei übrigens gar nicht seine. Die habe er von der CDU. Es sei ja nicht alles immer schlecht, was von den Altparteien kommt.

Die Opposition ist entsetzt. Der Kanzler wolle sich die verfassungsgerichtliche Kontrolle vom Hals schaffen! Damit immunisiere sich die Regierungsmehrheit im Parlament gegen jedes Risiko, mit ihren Gesetzen in Karlsruhe aufgehoben zu werden! Damit könne die Regierung machen, was sie wolle! Das sei das Ende des Rechts- und Verfassungsstaats! Es gibt eine Sondersendung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, eine Mahnwache im Karlsruher Schlossgarten, und in Berlin, Frankfurt und einigen anderen Städten demonstrieren Zehntausende friedlich für Demokratie und Grundgesetz.

Die Idee, gegen das Gesetz vor das Bundesverfassungsgericht selbst zu ziehen, wird erwogen und wieder fallen gelassen. Zu begründen, dass eine solche Änderung nicht in der Macht der Legislative liegen sollte, erweist sich als staatsrechtlich keineswegs trivial. Außerdem würde man Karlsruhe in die peinliche Lage bringen, in eigener Sache urteilen zu müssen. Vor allem aber, stellt man ernüchtert fest, würde der Normenkontrollantrag beim Dritten Senat landen. Dem Senat mit den vier „Kanzler-Richtern“. Das kann man sich schenken. 

IV

Lange hatte die Bundespräsidentin versucht, dem Konflikt mit der Regierung aus dem Weg zu gehen. Sie ist das Staatsoberhaupt, aber sie hat keine Macht, und das weiß sie. Sie ist nicht vom Volk gewählt, sondern von einer parlamentarischen Minderheit plus ein paar Hundert Landtagsdelegierten, die niemand kennt. Sie hält Reden, mahnt zur Besonnenheit, erinnert an die Werteordnung des Grundgesetzes und ist um jeden Tag froh, der vorübergeht, ohne dass sie mit dem Kanzler Streit bekommt. 

Das, so spürt sie zu ihrer Beunruhigung, wird aber zunehmend schwierig. Fast scheint es, als suchte der Kanzler die Auseinandersetzung mit ihr. In seinen Tweets häufen sich sarkastische Spitzen gegen sie, die auf gute Worte und guten Glauben Angewiesene. Was dahinter steckt, wird ihr klar, als der Innenminister seine Reform der Bundespolizei der Öffentlichkeit vorstellt. 

Das Gesetz kann sie nicht unterschreiben. Nicht ohne den Rest an Respekt, der ihr noch entgegengebracht wurde, zu verlieren. Am gleichen Tag, als sie bekannt gibt, dass sie wegen verfassungsrechtlicher Bedenken das Gesetz nicht ausfertigen werde, hält auch der Innenminister eine Pressekonferenz ab. Er stellt ein Rechtsgutachten vor, das er sich von einem ehemaligen Verfassungsrichter hat schreiben lassen.

Ob und in welchem Umfang das Grundgesetz den Bundespräsidenten ermächtige, Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen, sei in der Fachwelt seit Jahrzehnten umstritten, so der Befund des Gutachters. Die besseren Argumente sprächen dafür, die Prüfungskompetenz des Staatsoberhaupt strikt auf die Formalien des Gesetzgebungsverfahrens zu beschränken. Ob ein Gesetz in Grundrechte oder in die Zuständigkeiten der Bundesländer eingreife, könne nur das Bundesverfassungsgericht überprüfen. Er empfehle daher eine Organklage in Karlsruhe, um ein für allemal für Klarheit zu sorgen.

Seine Regierung gedenke der Empfehlung des Professors zu folgen, verkündet der Kanzler. Es könne doch nicht sein, dass die Bundespräsidentin sich grundgesetzwidrig zum Hüter der Verfassung aufschwinge. In der Weimarer Zeit habe man ja gesehen, wohin das führe. Er habe vollstes Vertrauen in den Dritten Senat in Karlsruhe, dass er mit dieser undemokratischen Praxis aufräumen werde. 

V

Es sei nicht seine Idee gewesen, das Wahlrecht auf die Agenda zu setzen, sagt der Kanzler. Das Thema sei eins der vielen Probleme, die er von der Allparteienregierung geerbt habe. Seit mehr als einem Jahrzehnt hätten sich die Altparteien als unfähig erwiesen, für ein verfassungsmäßiges Wahlrecht zu sorgen. Der Bundestag werde mit jeder Wahl größer, womöglich werde er auf über 1000 Abgeordnete anwachsen, prophezeiten Experten. Das sei doch völlig irre. Die verantwortlichen Politiker aus den Altparteien hätten sich auf diese Weise lang genug ihre Taschen mit Diäten vollgestopft. Damit sei jetzt Schluss.

Künftig, erklärt der Kanzler, werde der Bundestag ganz korrekt und sauber nach einem so genannten Grabensystem gewählt: Die Hälfte der Mandate geht nach dem Mehrheitswahlrecht an siegreiche Wahlkreiskandidaten, die andere Hälfte wird nach dem Verhältniswahlrecht an die Parteienlisten verteilt. Das sei gar nicht so sehr viel anders als bisher, nur könnten die Wählerinnen und Wähler künftig mit ihrer Erststimme tatsächlich wählen, wem sie die Vertretung ihrer lokalen Interessen im Bundestag anvertrauen wollen. Außerdem müsse der aufgeblähte Bundestag deutlich verkleinert werden. 500 Parlamentarier seien vollauf genug, schon aus Kostengründen. Der neue Präsident des Statistischen Bundesamts, ein tüchtiger Mann, den er seit seiner Jugendzeit gut kenne, sei in seiner Eigenschaft als Bundeswahlleiter mit der Aufgabe betraut, einen Vorschlag für die Neueinteilung der nunmehr 250 Wahlkreise zu erarbeiten. Entscheiden werde darüber keine undemokratische Kommission, sondern das Parlament selbst. Die bisherige, von Bundespräsidenten ernannte Wahlkreiskommission werde abgeschafft.

Eine Zustimmung des Bundesrates, so der Kanzler, halte er nicht für nötig. Davon stehe nichts in Artikel 38 Grundgesetz. Und wenn die Länderkammer das anders sehe, dann solle sie halt klagen. Er sehe einer Entscheidung des Dritten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit größter Gelassenheit entgegen.

Es fällt der Opposition nicht schwer, auszurechnen, was diese Wahlrechtsreform für ihre Erfolgschancen bedeutet. Sogar eine Zweidrittelmehrheit liegt für die Regierungspartei in realistischer Reichweite. Nur ein breites Wahlbündnis kann ihm den Sieg bei den nächsten Bundestagswahlen noch streitig machen, wenn überhaupt. 

Die Verhandlungen verlaufen zäh. Überraschend geben zwei Präsidiumsmitglieder der CDU bekannt, aus dem Bündnis ausscheren und mit jeweils neuen Parteien auf eigene Faust zu den Wahlen antreten zu wollen. Er begrüße das, sagt der Kanzler. Vielfalt und Pluralismus seien ja immer schön. Dafür habe seine Regierung ja kürzlich eigens das Parteienrecht liberalisiert, um es leichter zu machen, mit neuen Köpfen und Ideen und mit schlanken und schlagkräftigen Organisationen im demokratischen Wettbewerb an den Start zu gehen. Das neue Recht der Parteienfinanzierung mache die Gründung neuer Parteien auch finanziell ausgesprochen attraktiv, sofern man sich an die Regeln halte. 

Wer das nicht tue, müsse mit Sanktionen rechnen. Das sei nur normal. Gerüchte, den Grünen drohten Probleme wegen ihres Rechenschaftsberichts, wolle er nicht kommentieren, sagt der Kanzler. Die Kontrolle der Parteienfinanzen sei Sache des Bundestagspräsidenten, ebenfalls ein langjähriger und guter Freund, der sich gewissenhaft um diese Dinge kümmere. Wenn auf die Grünen jetzt mitten im Wahlkampf eine Millionenstrafe zukomme, dann sei das sicher keine leichte Situation. Aber man dürfe halt nicht immer anderen Vorschriften machen wollen und sich dann selbst nicht daran halten, nicht wahr?

VI

Er habe die Absicht, sagt der Kanzler, sich bei der bevorstehenden Bundestagswahl um ein robustes demokratisches Mandat für ein Vorhaben von allergrößter Wichtigkeit zu bewerben. Wieder und wieder habe in den letzten vier Jahren die Opposition über den Bundesrat die Macht an sich zu reißen versucht. Er sei nicht willens, dem noch länger tatenlos zuzusehen. Demokratie sei nicht dazu da, dass die Wahlverlierer alles blockieren, verhindern und durchlöchern können, wofür der Wahlsieger vom deutschen Volk gewählt worden ist. Das Grundgesetz sei ihm so lieb und teuer wie jedem guten Bundesbürger. Aber der Souverän seien in Deutschland nicht irgendwelche Provinzfürsten in Wiesbaden, Potsdam oder Kiel, sondern einzig und allein das deutsche Volk. 

Es sei an der Zeit, der Wahrheit ins Auge zu sehen: Deutschland brauche eine neue Verfassung. Das Grundgesetz „verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist“. Das stehe so ausdrücklich drin in Artikel 146. Er nehme diesen Auftrag des Grundgesetzes ernst. Bei der Wiedervereinigung 1990 habe man sich nicht dazu entschließen können, die alten Strukturen und die alten Eliten entschlossen beiseite zu räumen und den Weg zu einer echten, gesamtdeutschen Verfassung zu gehen. Was man damals nicht zu Ende gebracht habe, müsse man eben jetzt zu Ende bringen. 

Wenn das Volk ihm in diesem Herbst erneut sein Vertrauen schenke, dann werde er dafür sorgen, dass das Volk selbst über seine Verfassung entscheiden könne. Eine Volksabstimmung werde er in die Wege leiten. Dafür müssten die gesetzlichen Grundlagen noch geschaffen werden. Das werde zu den ersten Dingen gehören, die er nach seiner Wiederwahl in Angriff nehmen werde. 

Der Bundestag als Vertretung des deutschen Volkes sei der richtige Ort, um zu debattieren, wie die neue Verfassung aussehen solle. Er könne auf umfangreiche Vorarbeiten aus der letzten Legislaturperiode zurückgreifen, in der seine Partei ja schon einmal, leider erfolglos, eine umfangreiche Verfassungsreform initiiert habe. Er sei sicher, dass es dem Parlament in bewährter zügiger und tatkräftiger Manier gelingen werde, binnen weniger Wochen einen Entwurf zu beschließen. 

Die Opposition sei herzlich eingeladen, sich an dieser Arbeit konstruktiv zu beteiligen und zu versuchen, das Parlament von ihren Ideen und Vorschlägen zu überzeugen. Wenn sie von dieser Einladung keinen Gebrauch machen und sich stattdessen in die Schmollecke zurückziehen wolle, sei das ihre Sache. 

Er für seinen Teil sei entschlossen, die freie Entscheidung des deutschen Volkes über seine Verfassung zu respektieren. Er empfehle allen anderen in diesem Land mit Nachdruck, es ebenfalls zu tun. Verfassungsfeinde hätten von ihm keine Schonung zu erwarten.

Dieser Artikel ist zuvor in der Süddeutschen Zeitung erschienen.


SUGGESTED CITATION  Steinbeis, Maximilian: Ein Volkskanzler, VerfBlog, 2019/9/09, https://verfassungsblog.de/ein-volkskanzler/, DOI: 10.17176/20190909-201315-0.

38 Comments

  1. Joshua Schäfer Mo 9 Sep 2019 at 11:53 - Reply

    Wird dieses (extrem gruselige, aber auch faszinierende) Szenario noch weitergeführt?

  2. Eva V. Mo 9 Sep 2019 at 14:51 - Reply

    Beängstigendes Szenario! Ob es sinnvoll ist, Feinden unserer Rechtsordnung auch noch die Rezeptur zu liefern, wie sich diese in wenigen Jahren ‚völlig legal‘ aushebeln lässt?

    • Maximilian Steinbeis Mo 9 Sep 2019 at 14:56 - Reply

      Wenn ich von solchen Plänen erfahren würde, was würde ich dann machen? Dann würde ich sie schnellstmöglich veröffentlichen.

      Es ist ja nicht so, dass man auf all diese Sachen mit ein bisschen Ahnung von Staatsorganisationsrecht nicht auch von alleine draufkäme. Mir kommt es darauf an, die deutsche Öffentlichkeit aus ihrer Complacency zu reißen nach dem Motto, uns kann nichts passieren, wir haben unser schönes Grundgesetz und sind überhaupt die Musterdemokraten. Ich glaube, dass das Grundgesetz ein paar Lücken und Schwachpunkte hat, die noch fatal werden können, wenn das so weitergeht. Und die Reparaturmaßnahmen erfordern, solange die dafür notwendigen Mehrheiten noch vorhanden sind. Nicht, weil das absolute Sicherheit verschafft gegenüber solchen Szenarien, sondern weil es ihre Wahrscheinlichkeit verringert. Mehr kann man eh nicht machen.

  3. H1 Mo 9 Sep 2019 at 17:49 - Reply

    Vielen Dank für diesen in Inhalt und Form sehr gelungenen Beitrag. Alles bekannt und trotzdem erschütternd in dieser konkreten Ausgestaltung.
    Mich würde noch interessieren, wie die Verfassungsbeschwerden zu den beiden anderen Senaten ausgingen? An dieses Korrektiv käme die neue Partei doch nur schwer heran, oder?

    • Maximilian Steinbeis Mo 9 Sep 2019 at 18:00 - Reply

      hm, kommt stark auf die Fallkonstellationen an, aber klar könnte das für eine gewisse Zeit noch ein Hindernis sein. Das relativiert sich aber immer mehr, je mehr Richterposten frei werden und neu besetzt werden, zumal die Zweidrittelmehrheit bei normverwerfenden Urteilen ja für alle Senate griffe. Und jedenfalls beim Wahlrecht ist mit Verfassungsbeschwerden ohnehin schwer dranzukommen, würde ich denken.

      • mq86mq Mo 9 Sep 2019 at 20:37 - Reply

        Beim Wahlrecht wär in dem Fall eine Verfassungsbeschwerde normal (neben Normenkontrolle und eventuell Organstreit, wie auch praktisch 2011/2012), aber ohnehin sachlich aussichtslos. Die Wahlprüfungsbeschwerde ist ja bloß ein Hilfsmittel, um die Verfristung aushebeln zu können (in Sachsen ist das übrigens ausgeschlossen).

  4. Sepp Mo 9 Sep 2019 at 19:20 - Reply

    Eine Demokratie steht und fällt mit der Unterstützung in der Bevölkerung. Ein Verfassungsschutz kann das System nur temporär verteidigen. Es ist schlussendlich Symptom- und nicht Ursachen-Bekämpfung.

  5. Uwe Kranenpohl Mo 9 Sep 2019 at 20:17 - Reply

    Das Szenario zeigt: die Verfassung kann sich nicht selbst schützen – und der Verfassungsschutz kann es auch nicht.
    Es ist eine Aufgabe der ‚offenen Gesellschaft der Verfassungsfreunde‘!

  6. Frank Müller Mo 9 Sep 2019 at 23:32 - Reply

    Wahrscheinlich kann wirklich keine Verfassung auf Dauer solchen Angriffen widerstehen. Trotzdem macht es einen sehr großen Unterschied, wie lange ein Angreifer braucht, um das System auszuhöhlen, denn Populisten haben ja keine besseren Lösungen. Sie desillusionieren sich selbst wenn sie es nicht rechtzeitig schaffen, die Spielregeln zu ändern.
    Daher wäre es wichtig, die Resistenz des Grundgesetzes zu erhöhen, z.B. indem einige Regelungen zum BVerfG ins GG übernommen werden, oder auch Regeln zur Pensionierung von Richtern.
    Ich hatte mir schon vor Jahren überlegt, eine Petition zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit des GG einzubringen, was aber letztlich daran gescheitert ist, dass ich als einzelner nur wenig Unterstützung erwartet habe und mir als Laie auch der juristische Sachverstand fehlt.
    Vielleicht findet sich ja ein besserer Initiator. Herr Steinbeis, wenn z.B. Sie eine solche Petition starten würden, hätten Sie meine volleste Unterstützung.

    • Hans Mi 11 Sep 2019 at 14:11 - Reply

      Da müssten schon ziemlich viele Regelungen noch ins Grundgesetz. Z.B. auch wahlrechtliche. Aber auch das würde nicht helfen. In dem vorliegenden Szenario wi3d ja eine neue Verfassung eingeführt. Letztlich kommt es immer darauf an, dass in der Bevölkerung und in den Institutionen ein möglichst breiter demokratisch-rechtsstaatlicher Konsens herrscht. Da Problem: die hier dargelegten Veränderungen sind zwar autoritär, sie verschaffen dem „Volkskanzler“ uns seiner Clique einen klaren Vorteil, sind also nicht liberal-demokratisch, aber sie sind auch nicht klar diktatorisch. Es ist halt eben eine Beschreibung der Vorgänge Ungarns. Rechtsradikale wie Orban vergiften die Demokratie nach und nach als dass sie mit einmal totschlagen wie Hitler das getan hat.

      • Holger Do 12 Sep 2019 at 09:42 - Reply

        Auch Hitler hat sich 1933 formal zunächst im Rahmen der geltenden Weimarer Verfassung bewegt (die er nie explizit abgeschafft hat) und Methoden der Vorgängerregierungen kopiert: Ermächtigungsgesetze gab es schon unter Ebert in den 1920er Jahren (nur nich so weitgehende wie Hitlers). Die Gleichschaltung der Länder wurde 1932 von Papen/Hindenburg mit dem m.E. verfassungswidrigen „Preußenschlag“ zur Entmachtung einer unliebsamen SPD-Landesregierung eingeleitet.
        Unter Parteienverboten hatte die NSDAP zuvor selbst zu leiden.

  7. Thorsten Haupts Di 10 Sep 2019 at 08:15 - Reply

    Schönes Szenario. Und wenig verwunderlich – keine Verfassung kommt auf Dauer gegen (Wahl-)Mehrheiten an, egal, wie klug sie konstruiert wurde.

    Was mich an dem Szenario allerdings ebenso fasziniert, ist, was der Autor (implizit) für sakrosankt hält. Neben anderen Dingen ausgerechnet die Blockadefunktion des Bundesrates in nahezu allen Gesetzgebungsfeldern – 16 regierende Landräte können eine Bundesregierung vor sich hertreiben, das Ergebnis wird politisch dann der Bundesregierung zugerechnet. Organisierte Verantwortungslosigkeit par excellence.

    • Matthias Di 10 Sep 2019 at 11:20 - Reply

      Der Bundesrat hat doch keine Blockade_funktion_. Und ob der Autor den Bundesrat für sakrosankt hält oder nicht vielleicht Artikel 79 Absatz 3 GG („die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung“), das ist hier die Frage…

    • Hans Mi 11 Sep 2019 at 14:34 - Reply

      I.

      In dem beschrieben Szenario ist nicht von Wahlmehrheiten die Rede, sondern nur von Sitzmehrheiten. Auch in den realen Fällen der Gegenwart, in welchen rechtsradikale Antidemokraten die Regierungsmacht übernommen haben und erfolgreich die Demokratie zersetzen (Ungarn, Polen), tun sie das nie mit einer Mehrheit der Wähler oder gar der Bevölkerung hinter sich und sie halten sich auch ohne diese Mehrheiten an der Macht, nämlich indem sie wie beschrieben Kontrollmechanismen ausschalten und das Wahlrecht zu ihrem Vorteil umgestalten. Orban hatte 2014 drastisch verloren und nur noch weniger als 45 Prozent der Stimmen und trotzdem eine Zweidrittelmehrheit der Sitze. Die PiS ist sogar mit nur einem Drittel der Stimmen zu einer absoluten Sitzmehrheit gekommen. Solche starken Verzerrungen zwischen Stimm- und Sitzverteilung sind demokratietheoretisch sehr bedenklich und überhaupt nur tolerierbar, wenn sie nicht allzu lang dauern und nicht missbraucht werden, d.h. wenn die jeweils so hervorgegangene Regierungsmehrheit auch in einem normativ proemokratischem Geist handelt. Ansonsten zerfällt die Legitimität einer solche Regierung.

      II.

      Der Bundesrat ist ein wichtiges Organ der Gewaltenteilung und nicht ohne Grund verfassungsrecntlich „ewig“. Was dem einen als Blockade erscheint, ist dem anderen Kontrolle und Schutz vor Machtexzess. Zudem kommen da keine „Landräte“ zusammen. Die meisten souveränen Staaten der EU haben weniger Einwohner und/oder Wirtschaftskraft als etwa NRW oder Bayern.

      • Thorsten Haupts Mi 11 Sep 2019 at 21:55 - Reply

        @Hans:

        Zu I: Das Szenario geht initial von einer klaren Wählermehrheit aus, da die Partei des „Volkskanzlers“ in einer Wahl eine Mehrheit erhält, in der es noch keine, zumindest noch keine „rechten“, Verzerrungen gibt.

        Zu II: Kann man durchaus so sehen. Sehe ich schlicht anders -das inzwischen sehr weit interpretierte Recht der Länder zur Mitwirkung an der Gesetzgebung KANN zur Totalblockade missbraucht werden. Und ein Herr namens Lafontaine und seine Partei SPD haben das in den neunzigern in Deutschland bewusst, offen kommuniziert, genau so genutzt. Meine Bemerkung über die „regierenden Landräte“ wird für denkende Menschen übrigens nicht dadurch widerlegt, dass man auf Einwohnerzahl oder Wirtschaftskraft rekurriert :-).

        • mq86mq Do 12 Sep 2019 at 03:24 - Reply

          Beim aktuellen Wahlrecht können locker 40% der gültigen Stimmen für eine absolute Sitzmehrheit reichen.

          Im Übrigen ist das Szenario zum Wahlrecht ohnehin unrealistisch, weil in dem Fall kein besonders großer Bundestag zu erwarten wär, sondern eher weniger als 630 Sitze. Die Mehrheitspartei könnte zwar eine Aufblähung erzwingen, indem sie keine Direktkandidaten aufstellt, aber das wär eine blöde Taktik, wenn man danach ein Grabenwahlsystem einführen will. Erhöht auch das Risiko zusätzlicher Konkurrenz durch die Grundmandatsklausel, mit der dann insbesondere die CSU die Sperrklausel überwinden könnte.

          Nebenbei bemerkt ist auch die Wahlkreiskommission völlig belanglos, weil deren Vorschläge sowieso immer ignoriert werden und sie absolut machtlos ist. Und dass der Bundesrat beim Wahlrecht nichts zu sagen hat, sollte heute nicht mehr strittig sein.

        • Hans Sa 14 Sep 2019 at 11:29 - Reply

          „Das Szenario geht initial von einer klaren Wählermehrheit aus,“

          Wo steht das? Es ist nur zu lesen, dass der „Volkskanzler“ nicht koalieren muss. Da der Text das Ziel hat, die Anfälligkeit der gegenwärtigen Ordnung für eine autoritäre rechte Umgestaltung zu zeigen, ist also bei dieser ersten Wahl vom aktuellen Wahlrecht auszugehen. 2013 schrammten CDU/CSU nur sehr knapp an der absoluten Mehrheit der Sitze vorbei – und das mit gerade einmal 41,5 Prozent der Stimmen. Grund ist die Fünfprozenthürde, an der sehr viele Parteien gescheitert waren. Im dem Szenario, in dem dieser „Volkskanzler“ auftritt, ist es ja durchaus denkbar, dass es einen ähnlichen Fall gibt und aufgrund der höheren Polarisierung auch noch eine oder zwei Parteien mehr an der Sperrklausel scheitern. Dann wäre mit 40 Prozent oder sogar weniger die absolute Sitzmehrheit da. Ich hatte schon Polen und Ungarn erwähnt, wo rechte Antidemokraten so zu ihren absoluten Mehrheiten gekommen sind. Ein noch krasseres Beispiel ist die Türkei, wo Erdogans AKP beim erstmaligen Wahlantritt mit 34 Prozent der Stimmen 66 Prozent der Sitze erreichte, weil bis auf eine weitere Partei alle sonstigen Parteien an der Zehnprozenthürde scheiterten.

  8. Martin Di 10 Sep 2019 at 10:39 - Reply

    Und traurigerweise zeigt Ungarn genau wie es geht.

  9. Volker Weise Do 12 Sep 2019 at 07:23 - Reply

    Die Dehnungsfähigkeit des GG wird auch anderen Orts getestet. Das könnte die Vorbildfunktion haben, die man vielleicht nicht gewollt hat. https://taz.de/Gutachten-Enteignungs-Volksbegehren/!5622348/

    • Hans Sa 14 Sep 2019 at 11:52 - Reply

      Im Falle des Volksbegehrens DW enteignen wird das Grundgesetz nicht gedehnt. Das ist Diffamierung. Das GG ist wirtschaftspolitisch neutral. Enteignung und Vergesellschaftung stehen da seit Anbeginn drinnen. Und so lange für Autobahnen und den Profit von Kohlekonzernen enteignet wurde und wird, hat es keinen „Bürgerlichen“ gestört und da wurde auch nicht das Hohelied aufs Eigentumsrecht gesungen, bei dem natürlich immer die verfassungsrechtliche Vorgabe der Gemeinwohlpflichtigkeit desselben ignoriert wird.

      Aber selbstverständlich stören sich „Bürgerliche“ mehr an eventuellen Enteignungen von Konzernen (die sogar entschödigt werden) als an der Zerstörung der freiheitlichen Demokratie durch rechtsradikale Kräfte.

  10. Sven Sa 14 Sep 2019 at 14:27 - Reply

    Es ist gut dargestellt, wie durch vorausschauendes Framing und verlogen konsturierte und verharmlosende Argumente die öffentliche Meinung gezielt manipuliert werden kann, Schritt für Schritt. Das Ergebnis ist eine Staatskrise, die vorab die Mehrheit der Bevölkerung so nun gerade nicht wollte.
    — Und genau das erleben wir bereits heute – und zwar aus der entgegengesetzten Richtung: durch die Politik des Merkel-Umfeldes. So wurde der verharrmlosend „unverbindlich“ genannte Migrationspakt maßgeblich mitformuliert und unterzeichnet. Unverbindlich? Jetzt kam im nachhinein die Forderung aus der Parteispitze der Grünen, der Migrationspakt solle „in deutsches Recht gegossen werden“. Also massive Erweiterung der Zuwanderung aus islamischen Ländern. Auch hier: Schritt für Schritt in eine Staatskrise (siehe exemplarisch die fast unkontrollierbare Kriminalitätsentwicklung in Malmö). Auch diese Staatskrise dürfte ebenfalls – wie bein „Volkskanzler“ – in eine Unterdrückung der einheimischen Bevölkerung münden (Dominanz des Islam).
    Wir haben heute die unschöne Wahl zwischen den beiden Krisenszenarien. Nur eines ist klar: In beiden Fällen ist unser vorbildliches, ausgezeichnetes Grundgesetz der Verlierer. In beiden (!) Fällen. Dies versteht sich als Beitrag eines kritischen Querdenkers.

    • Hans Sa 14 Sep 2019 at 15:59 - Reply

      Hallo Sven, wann immer sich jemand selbst als kritischer Querdenker preist, ist er genau das Gegenteil. Ich lese nur stinknormalen rechten Quatsch. Falls Sie mal in das Grundgesetz schauen möchten, werden Sie feststellen, dass dort nirgendsbsteht, dass keine Zuwanderung stattfinden darf oder Muslime nichts in Deutschland zu suchen hätten. Dafür stehen da viele Grundrechte, die Diakriminierung wegen Abstammung oder Religioj verbieten. Wenn sie andere Menschen wegen deren Abstammung oder Religion pauschal ablehnen oder gar verachten, können sie das ja machen. Das ist erst mal Ihr Problem. Aber der typische rechte Wahn, dass eine Rechten nicht passsende Migrationspolitik „undemokratisch“ und „diktatorisch“ sei, den würden Sie mal hinterfragen, wenn sie wirklich kritischer Querdenker wären. Allerdings wissen Sie wie alle Rechten natürlich, dass das Quatsch ist. Sie müssen sich halt die Demokratie zur Diktatur fantasieren, um diese bekämpfen zu können. Sich offen zur Demokratiefeindschaft zu bekennen, würde halt nicht gut ankommen, da Demokratie bei fast allen Menschen ein positiv besetzter Begriff ist. Deshalb hat sogar das Hitler-Regime geleugnet, dass es eine Diktatur sei. „Bei uns herrscht wahre Demokratie“, behauptete etwa Goebbels im Vorfeld der „Wahl“ 1938. Den Demokratiefeind, der sich als wahrer Demokrat ausgibt, erkennt man aber immer ganz leicht daran, dass er behauptet, dass es einen einzigen, einheitlichen Volkswillen gäbe, der natürlich ganz zufällig immer der eigenen Meinung entspricht. Echte Demokraten anerkennen hingegen, dass die Ansichten im Volk so vielfältig und unterschiedlich sind wie die vielen Menschen, aus denen sich das Volk zusammensetzt. Daher gibt es auch nicht den einen Volkswillen.

      • Sven Sa 14 Sep 2019 at 20:23 - Reply

        Hallo Hans,
        ich halte definitiv und vollumfänglich an meinen Aussagen fest. Naturgemäß wird darin nur ein knappes Schlaglicht auf die Situation geworfen.
        Durch Sie selbst wurde hier ein sehr emotionales Statement abgegeben. Das lasse ich im Detail unkommentiert – einfach, weil es hier am Platz fehlt, die in Ihrem Kommentar geradezu ideologisierten, widersprüchlichen und falschen Darstellungen adäquat zu diskutieren, denen vielfach auch noch der Bezug zu meinem eigenen Kommentar fehlt. Wie dadurch erkennbar ist, kann ich sehr wohl die Freiheit Ihres „weltanschaulichen Bekenntnisses“ (Art. 4 Abs. 1 GG) und Ihre Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) respektieren. Leider kann man das von Ihnen nicht sagen, da Sie sich im Hinblick auf meine Person in wüsten Diffamierungen ergehen und sich damit selbst in klaren Widerspruch zu den letzten drei bis vier Zeilen Ihres eigenen Kommentars setzen: „Echte Demokraten anerkennen hingegen, dass die Ansichten im Volk so vielfältig und unterschiedlich sind wie die vielen Menschen … “ Sehr schön formuliert. Für Ihre Äußerungen trifft genau das aber leider nicht zu. Schade eigentlich.

        • Christian Do 7 Nov 2019 at 20:00 - Reply

          Wenn Sie nichts zur konkreten Kritik sagen wollen, schreiben Sie nächstes Mal besser nichts.

  11. Rolf Schälike Mi 18 Sep 2019 at 19:21 - Reply

    Das läuft doch jetzt schon so, etwas verdeckter, noch „schlauer“.

  12. Bernd Hinz Sa 21 Sep 2019 at 14:16 - Reply

    Ich finde es hilfreich, wenn man von der hinlänglich bekannten und diskutierten Voraussetzung ausgeht, dass bei derart komplexen Demokratieproblemen und Szenarien die politischen und rechtlichen Entwicklungen im wesentlichen lediglich die Oberfläche der darunter ablaufenden ökonomischen Strukturveränderungen sind.
    Schon gibt es in Dtld. aber auch in den sonstigen Staaten nach WkII des „wilden Westens“ lediglich privatfianziell(usa) oder staatsfinanziell gelenkte Demokratien in denen die Bevölkerung die Politik fast ausschliesslich dem Berufsstand der Berufspolitiker überlassen hat.
    Das war in der Weimarer Zwischenkriegszeit übrigens ganz ähnlich verhängnisvoll.

    Nur wenn eine (sowieso) unvollkommene Demokratie von Berufspolitikern und ihrer Leitmedienblase ausgehöhlt und wehrlos gemacht wurde ( z.b.Dieselskandale, cum-ex-skandale, deutsche Bank-skandale, Lux- und Panama-skandale, Rüstungsskandale,Bahnskandale,Umweltskandale,etc..) dann wachsen in den entscheidenden Wirtschaftsstrukturen bzw. deren zugehörigen Marionetten die Pläne für die Abschaffung von „zu viel“ verräterischer Transparenz.
    Das GG und schon gar nicht ein VS, der sich in keiner Weise gegen die wichtigen demokratiefeinde von oben (Staat und Wirtschaft), sondern nur gegen die Claqueure von unten richtet, können bei der finalen Verteidigung der Demokratie einen entscheidenden Beitrag leisten, sondern nur Generalstreiks der breiten Bevölkerungsmehrheit.
    Dazu muss sie sich aber auch aus der Bevormundung und Vernebelung durch Berufspoltiker und ihre Leitmedienkonzerne befreien.
    Überlegungen, wie man das GG resilienter gegen antidemokratische Aushöhlung macht, sind sicher ehrenwert.
    Wichtiger erscheint mir aber, die schon jetzt durch ein Übermaß an lobbyistischen aber vor allem auch staatlicher Gelder ( über eine Mrd. Euro pro Jahr für die politisch Klasse) das verfassungsrechtliche Höchstmass überschreitende Einfluss (auch innerparteilicher ) finanzieller Abhängigkeiten ( „Filz“) in der politischen Klasse abzubauen.
    Ausserdem dürfen Demokraten keine Angst vor der Demokratie haben. Die durch Art.20 seit 70 Jahren gebotene Einfùhrung auch bundesweiter Bevölkerungsabst immungen muss endlich kommen, selbst wenn sich ein Böcke scheinbar dafür einsetzt. Man darf „demokratie wagen“ nicht den ganz rechten überlassen.

  13. Foelke Mo 23 Sep 2019 at 14:00 - Reply

    Vielen Dank fuer das Szenario! Gibt es zu diesem Thema weiterfuehrende Literatur?

  14. Ph_l_E Mo 7 Okt 2019 at 22:35 - Reply

    Vielen Dank für diese spannende Lektüre.

    Ich persönlich habe weniger Angst vor „Lücken“ oder „Schwachstellen“ in unserer Verfassung als vor der Nichtexistenz oder mangelhaften Ausführung von Gesetzen, privatwirtschaftlichen oder moralischen Regeln zur Nutzung von Social Media. Die mächtigen Möglichkeiten, die Social Media praktisch jedem bietet (und die ggf etwas versteckten und nur „Eliten“ zugänglichen  Daten, Algorithmen etc) führen leider dazu, dass Wahlmanipulation und Meinungsmache wesentlich vereinfacht wurden. Das Problem ist dabei nicht Social Media selbst, sondern die fehlenden Rahmenbedingungen und insbesondere das konsequente Erkennen, Verfolgen und Bestrafen von Aufstellen und/oder der Verbreitung von Unwahrheiten.

    Wenn Herr R im Magazin S Unwahrheiten aufstellt und diese durch Magazin S verbreitet wurden, hat dies zumindest Konsequenzen für R und S. Wenn Parteien, Einzelpersonen etc dies über Social Media tun ist dies weitestgehend von der Meinungsfreiheit geschützt oder wird unter diesem Deckmantel erstmal betrieben, bis ggf. eingeschritten wird. In strittigen Fällen würde man als Demokrat immer lieber zu Gunsten der Meinungsfreiheit votieren insbesondere bei Privatpersonen. Den „Schaden“, den eine einzelne Person, vor Social Media, in solch einer Grauzone anrichten konnte war begrenzt. In Zeiten von „viral“ und „Filterblase“ ist das leider anders…

    Warum poste ich das hier? Ohne signifikante Ergebnisse bei Wahlen zu erzielen kommt das beschriebene Szenario nicht zum Tragen? Mit allzu dreisten Lügen und Unwahrheiten einen signifikanten Anteil der Wahlbevölkerung zu erreichen und damit Wahlen manipulieren zu können muss doch demnach mit aller Kraft unterbunden werden? Wie könnten Konsequenzen aussehen, die auch spät umgesetzt, Nachahmung verhindern?

    Ja, selbstverständlich bekomme ich beim Schreiben auch Kopfweh, welche Instanz hierüber entscheiden sollte, in puncto Quantität und Komple