Einmal amtlich, immer amtlich?
Einige Gedanken zur „Umnutzung“ des Twitter-Accounts durch die Bundesinnenministerin
Im Verfassungsblog erschien kürzlich ein Beitrag zur „Umnutzung“ des Twitter-Accounts durch die Bundesinnenministerin. Das Urteil: Verfassungswidrig, sogar ein Widerspruch zu demokratischen und rechtsstaatlichen Standards wurde attestiert, wobei nicht erläutert wird, worin etwa Letztere liegen sollen. Auch andernorts war man sich schnell sicher: Klar verfassungswidrig, weil der Account amtlich ist.
Die Kritik ist aber jedenfalls in der bisher geäußerten Pauschalität selbst bei Zugrundelegung der strengen und unflexiblen Linie des BVerfG nicht haltbar. Im Ergebnis dürfte die Sache wesentlich komplizierter sein. Werfen wir einen zweiten Blick auf die Sache.
Zum Sachverhalt: Nancy Faeser betrieb vor ihrer Ernennung zur Innenministerin einen Twitter-Account, den seit ihrem Amtsantritt ihr Ministerium führt. Nun war dort zuletzt zu lesen, dass sie auch Spitzenkandidatin in Hessen sei und hierzu nun auf diesem Profil informieren wolle und dass der Kanal nicht mehr vom Ministerium betreut werde. Augenscheinlich werden hier nun vornehmlich Parteiinhalte geteilt, aber auch ein Fernseh-Interview mit der Ministerin zu Projekten des Ministeriums ist enthalten.
Maßstabsbildung: Öffentlichkeitsarbeit der Regierung
Das Thema der Öffentlichkeitsarbeit der Regierung ist ein Dauerbrenner in Karlsruhe, weshalb das Gericht seit seiner Grundentscheidung in BVerfGE 44, 125 vergleichsweise klare Vorgaben ausbuchstabieren konnte. Insbesondere neue Medien bringen aber – wie der vorliegende Fall zeigt – immer wieder neue, bisher nicht bedachte Probleme mit sich.
Kern der Rechtsprechung ist die Trennung zwischen „amtlicher“ und „privater/parteilicher“ Sphäre, die in der Literatur von vornherein mit durchaus erheblicher Begründung kritisiert wird. Das Gericht gibt selbst in den späteren Entscheidungen zu bedenken, dass eine strikte Trennung nicht möglich ist, dies aber nicht zur Unanwendbarkeit des Neutralitätsgebots führt (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 15. Juni 2022 – 2 BvE 4/20, 5/20 -, Rn. 77 mwN). Auch die „Merkel-Entscheidung“ im Juni 2022 erging nur (noch) mit 5 zu 3 Stimmen, unumstritten ist die Rechtsprechung also im zweiten Senat nicht mehr (dazu u.a. Michl und Hong).
Der genannten – freilich eher praxisfernen – Abgrenzung kommt besonders gewichtige Bedeutung zu, weil das Gericht danach praktisch keinen „Filter“ mehr hat, um Einzelfälle handhabbar zu machen: Handelt der Amtsträger im amtlicher Eigenschaft, ist die Messe regelmäßig gelesen, denn die Folge ist die strenge Bindung an die Neutralitätspflicht. Das Korrektiv einer Einzelfallabwägung im Sinne einer Verhältnismäßigkeitsprüfung ist hier nicht vorgesehen.
Das Gericht bietet für die Sphärenabgrenzung zwei maßgebliche Argumentationsmöglichkeiten an: Eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit liegt nach dem Gericht vor, wenn auf „Mittel und Möglichkeiten“ des Amtes zurückgegriffen wird, über welches die Mitbewerber nicht verfügen: Dies sei bei einer Äußerung gegeben, wenn sie „unter Einsatz der mit dem Ministeramt verbundenen Ressourcen oder unter erkennbarer Bezugnahme auf das Regierungsamt erfolgt, um ihr damit eine aus der Autorität des Amtes fließende besondere Glaubwürdigkeit oder Gewichtung zu verleihen“ (BVerfG aaO Rn. 78). Die Abgrenzung erfolgt dann einzelfallbezogen aus der Perspektive eines mündigen, verständigen Bürgers (BVerfG aaO Rn. 80).
Wir haben also zum einen den Aspekt der finanziellen Möglichkeiten des Amtes, welche nur neutral und nicht parteipolitisch eingesetzt werden sollen und eindeutiger zu bestimmen sind. Bei der zweiten Argumentationslinie handelt es sich um die sog. Amtsautorität, also eine Art „Anschein von Amtlichkeit“: Bereits der Rechtsschein des Staatlichen macht eine Äußerung staatlich. Das soll nach den vielen Beispielen in den Urteilen des BVerfG etwa bei der ausdrücklichen Bezugnahme auf das Amt bei Äußerungen vorliegen, bei offiziellen Publikationen, Nutzung von Staatssymbolen und Hoheitszeichen, Nutzung von offiziellen Regierungskonten usw. (BVerfG aaO Rn. 59 mwN).
Die Sprecherrolle kann nach der Rechtsprechung des BVerfG auch gewechselt werden, etwa bei Interviews soll es möglich sein, manche Aussagen amtlich, manche parteilich zu tätigen. Zur Abgrenzung könne hier angeführt werden, ob die konkrete Aussage mit der spezifischen Amtsautorität unterlegt wird oder ob klarstellend darauf hingewiesen wird, dass es sich um einen Beitrag jenseits der ministeriellen Tätigkeit handelt (vgl. BVerfG aaO Rn. 83; BVerfGE 148, 11, 35 Rn. 66).
Amtsautorität nach der Umnutzung des Twitter-Accounts?
Nun stellen sich für den Twitter-Account mehrere, zum Teil durchaus spannende Fragen: Unumstritten dürfte zunächst sein, dass der – ursprünglich private – Account natürlich zeitweise amtlich war, denn er wurde durch das Ministerium gepflegt und mit amtlichen Ressourcen betrieben. Die viel spannendere Frage ist daher, ob der Account jetzt noch amtlich ist und zulässigerweise in den Landtagswahlkampf in Hessen eingreifen kann und generell ob und wie ein Account „entstaatlicht“ werden kann.
Der im Verfassungsblog erschienene Beitrag – mag man ihm auch im Ergebnis zustimmen können –wirkt in der Begründung der Zuordnung zur amtlichen Sphäre nebulös. Zwei wesentliche Begründungsansätze tragen nicht:
Zum einen wird in dem Beitrag die Amtlichkeit bereits allein mit dem Verweis auf die Amtsträgerschaft im Rahmen der Beschreibung begründet. Das dürfte so nicht ausreichen, denn nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG darf die Amtsbezeichnung auch außerdienstlich geführt werden und soll allein kein Indiz für die Inanspruchnahme von Amtsautorität sein (BVerfGE 154, 230, 342 Rn. 61; BVerfGE 138, 102, 119 f. Rn. 59).
Zum anderen wird vom Ergebnis her argumentiert, und zwar im Sinne einer „es kann doch nicht angehen, dass“-Argumentation: „Ein anderes Verständnis würde es ihr erlauben, tausende Abonnentinnen und Abonnenten, die das Profil (…) aufgrund ihrer Funktion als Innenministerin (…) abonniert haben, (…) parteipolitischer Wahlwerbung zu unterwerfen und damit gegen ihren (…) Willen zu instrumentalisieren.“ Das klingt nicht nur nach starkem Tobak, es ist auch schlicht kein Argument, sondern die versuchte Ableitung einer Argumentation aus einem Ergebnis.
Neben der Führung der Amtsbezeichnung sind vielmehr weitere Anhaltspunkte einzubeziehen, um die Abgrenzung vornehmen zu können. Neben der Amtsbezeichnung könnte man hier auf das Titelfoto kommen. Dort posiert die Ministerin vor Bundespolizisten und einem Bundespolizei-Hubschrauber. Dies dürfte durchaus den Eindruck nahelegen, dass es sich hier um Inhalte in Relation zum Innenministerium handelt. Bei einem SPD-Kandidatenprofil ist eine derartige Inszenierung jedenfalls unüblich. Daneben müsste man in die Betrachtung auch noch die „aktive Distanzierung“ einstellen, die auf dem Account zu lesen war und welche zunächst für einen Wechsel der Sprecherrolle spricht. Indes: Die Distanzierung rutscht als einfacher Beitrag mit der Zeit nach unten und ist auch nicht in der oben verankerten Beschreibung niedergelegt und damit für neue Profilbesucher nicht direkt wahrnehmbar. Daneben ist die Distanzierung insoweit unklar, als nicht klar ausgesprochen wird, ob hinter dem Profil nun die Ministerin oder die Spitzenkandidatin der SPD Hessen stehen soll: Es klingt ein wenig, als solle beides abgedeckt werden („Künftig werde ich hier auch über meine Arbeit als SPD-Spitzenkandidatin (…) informieren“). Amtsautorität könnte sich auch aus den geposteten Inhalten ergeben. Das muss an dieser Stelle mangels ausreichender Empirie ausgeklammert werden: Problematisch wird es aber dann, wenn weiterhin neben „Parteiinhalten“ auch „Ministeriumsinhalte“ geteilt werden und bei den Ministeriumsinhalten eben eine konkrete Bezugnahme auf das Amt stattfindet. Dann liegt es in der Gesamtschau in der Tat nahe, auf eine Teil-„Amtlichkeit“ zu schließen.
Warum der Vorwurf einer Parteispende fernliegend ist
Der zweite Ansatz der Rechtsprechung, die Amtlichkeit über die „Mittel und Möglichkeiten“ des Ministeriums zu begründen, die den Account seit anderthalb Jahren gepflegt haben, ist ebenfalls denkbar, aber auch nicht derart offensichtlich, wie teilweise suggeriert wird. Man kann davon ausgehen, dass die Pflege durch staatliche Mittel durchaus ein Vorteil ist. Diesen zu bemessen ist aber schwierig: Muss hier die Follower-Differenz zwischen „privater“ und nun „amtlicher“ Nutzung ermittelt werden? Denn auch diesen Aspekt darf man nicht vergessen: Nancy Faeser hatte den Account bereits vor ihrer Zeit als Innenministerin. Insoweit ist der Fall nicht vergleichbar mit einer eigens durch staatliche Öffentlichkeitsarbeit aufgebauten Präsenz, die dann ins Private „mitgenommen“ wird. Die Betreuung selbst in der Zeit als Ministerin ist kein unzulässiger Vorteil, sondern Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Regierung.
Daneben muss man aufpassen, aus Vorsicht vor einer Bevorteilung der Amtsträger nicht zu einer undifferenzierten Abschöpfung aller Vorteile zu gelangen: Die gesteigerte Bekanntheit ist ohnehin ein Vorteil, der einem Regierungsmitglied auch ganz ohne Twitter-Follower verbleibt und der in einer parlamentarischen Demokratie hinzunehmen ist. Die Pflicht zur Stilllegung eines erst privaten, dann einmal „staatlichen“ Accounts beim Ausscheiden aus dem Amt würde eher auf eine Benachteiligung hinauslaufen, denn dann stünde der Amtsträger schlechter als vor Antritt des Amtes.
Können oder müssen Twitter-Accounts wieder „entstaatlicht“ werden?
Kern der ganzen Problematik ist die Frage, wie ein einmal als staatlich eingestuftes Mittel wie der Twitter-Account wieder „entstaatlicht“ werden kann. Hinsichtlich der Amtsautorität kann man wohl auf die bestehende Rechtsprechung des BVerfG zurückgreifen und hier neben den sonstigen Umständen wie der Wirkung auf den mündigen Bürger auch auf etwaige ausdrückliche Distanzierungen und Klarstellungen zur konkreten Rollenzuordnung abstellen.
Soweit man auf die Mittel und Möglichkeiten des Ministeriums und einen etwaigen Wertzuwachs abstellt, dürfte wohl die Frage entscheidend sein, ob sich in der Weiternutzung noch die Mittel und Möglichkeiten des Ministeriums fortsetzen oder ob sie abschöpfbar sind. Da ein Twitter-Abonnement schnell kündbar ist, wenn man den erneuten „Wandel“ der Seite erkennt, sind hier jedenfalls Zweifel angebracht, ob ein unzulässiger Rückgriff vorliegt.
Ganz so einfach ist also nicht einzuordnen, ob die Mitnahme von Nancy Faesers Twitter-Account in den hessischen Wahlkampf rechtmäßig ist oder nicht. In der Gesamtschau spricht hier einiges dafür, dass der beabsichtigte „Wechsel“ der Sprecherrolle misslungen ist und der Twitter-Account aufgrund fortbestehender Amtsautorität noch immer staatlich ist. Ein unzulässiger Rückgriff auf Mittel des Ministeriums ist eher fernliegend, denn hierbei ist einzustellen, dass der Twitter-Account bereits vorher parteipolitisch mit nicht unerheblicher Follower-Anzahl genutzt wurde und ein konkreter Vorteil somit kaum bezifferbar ist.
Wäre die langfristige Lösung dieses Problems nicht, einfach offizielle staatliche Accounts für das jeweilige Amt einzurichten und die Umwandlung eines privaten Accounts in einen staatlichen zu verbieten?
Letztlich wie in den USA, wo der offizielle @potus Account dem Amt und nicht der Person zugeordnet ist?
“Das Korrektiv einer Einzelfallabwägung im Sinne einer Verhältnismäßigkeitsprüfung ist hier nicht vorgesehen.“
In dieser Pauschalität schwerlich richtig, das BVerfG erkennt seit der Entscheidung in der Sache Merkel zumindest für den Kanzler ausdrücklich die Möglichkeit einer Rechtfertigung an (siehe BVerfG, NVwZ 2022, 1113 (1117 Rn. 93 ff.)).
„Zum einen wird in dem Beitrag die Amtlichkeit bereits allein mit dem Verweis auf die Amtsträgerschaft im Rahmen der Beschreibung begründet. Das dürfte so nicht ausreichen, denn nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG darf die Amtsbezeichnung auch außerdienstlich geführt werden und soll allein kein Indiz für die Inanspruchnahme von Amtsautorität sein (BVerfGE 154, 230, 342 Rn. 61; BVerfGE 138, 102, 119 f. Rn. 59).“
M.E. wird der Einwand dem Wesen eines Twitteraccounts nicht gerecht. Die Kommunikation über Twitter führt zu einer erheblichen Reduktion des für den Bürger bestehenden Rezeptionskontextes. Dementsprechend gesteigerte Bedeutung kommt der Profilbeschreibung zu. Es ist somit mehr als fraglich, ob sich die Ausführungen des BVerfG ohne Weiteres auf soziale Medien wie Twitter übertragen lassen.
„Zum anderen wird vom Ergebnis her argumentiert, und zwar im Sinne einer „es kann doch nicht angehen, dass“-Argumentation: „Ein anderes Verständnis würde es ihr erlauben, tausende Abonnentinnen und Abonnenten, die das Profil (…) aufgrund ihrer Funktion als Innenministerin (…) abonniert haben, (…) parteipolitischer Wahlwerbung zu unterwerfen und damit gegen ihren (…) Willen zu instrumentalisieren.“ Das klingt nicht nur nach starkem Tobak, es ist auch schlicht kein Argument, sondern die versuchte Ableitung einer Argumentation aus einem Ergebnis.“
Der unterstellte logische Fehlschluss liegt nicht vor. Es handelt sich schlicht um ein argumentum ad absurdum.
„Soweit man auf die Mittel und Möglichkeiten des Ministeriums und einen etwaigen Wertzuwachs abstellt, dürfte wohl die Frage entscheidend sein, ob sich in der Weiternutzung noch die Mittel und Möglichkeiten des Ministeriums fortsetzen oder ob sie abschöpfbar sind. Da ein Twitter-Abonnement schnell kündbar ist, wenn man den erneuten „Wandel“ der Seite erkennt, sind hier jedenfalls Zweifel angebracht, ob ein unzulässiger Rückgriff vorliegt.“
Für den durchschnittlichen Nutzer ist es schlicht irrational dem Account zu entfolgen. Der Nutzen steht für ihn in keinem Verhältnis zum Aufwand. Eine Fortwirkung der kumulierten Reichweite liegt somit zumindest nicht fern.
„Die Pflicht zur Stilllegung eines erst privaten, dann einmal „staatlichen“ Accounts beim Ausscheiden aus dem Amt würde eher auf eine Benachteiligung hinauslaufen, denn dann stünde der Amtsträger schlechter als vor Antritt des Amtes.“
Dem Amtsträger steht es frei nicht seinen privaten Account umzuwidmen, sondern für die Regierungskommunikation einen gesonderten zu verwenden. Zu einer Schlechterstellung führt somit nicht die Aufnahme des Amtes als solchem, sondern die Entscheidung zur Verwendung des vormals privaten Accounts als nunmehr regierungsamtlichen. Hier droht vielmehr das Gegenteil in Form einer “überlegalen Prämie auf den Machtbesitz”.