Elektroautos, „Strafzölle“ und Klimaschutz
Internationale Wirtschaftsbeziehungen stehen selten im Zentrum öffentlicher Berichterstattung. Zwei Entscheidungen in den USA und der EU innerhalb von wenigen Wochen haben indes weitreichende Aufmerksamkeit gefunden. Es geht um die Erhebung von Zusatzzöllen auf Elektroautos aus China. Am 22. Mai 2024 wurden durch den United State Trade Representative (USTR) die Einzelheiten zur Erhöhung bereits vorhandener Zusatzzölle auf zahlreiche Produkte aus China bekannt gegeben. Nahezu zeitgleich hierzu hat die Europäische Kommission (KOM) am 12. Juni 2024 als Vorabinformation in einem laufenden Antisubventionsverfahren gegenüber chinesischen Exporten von Elektroautos eine Liste veröffentlicht, die im Einzelnen Angaben zu den geplanten vorläufigen Antisubvention- (Ausgleichs)zöllen enthält. Die Maßnahmen der USA verstoßen gegen das Recht der Welthandelsorganisation (WTO) und sind völkerrechtswidrig; bei den Maßnahmen der EU ist fraglich, ob Klimaschutz durch Verfügbarkeit günstiger Elektroautos hinreichend berücksichtigt wird.
Elektroautos aus China und Mobilitätswende
Antidumping- und Antisubventionsverfahren gehören gewissermaßen zum „Tagesgeschäft“ des internationalen Wirtschaftsrechts. Dass sie größeres Medieninteresse wecken, ist eher selten. Die jüngsten Schlagzeilen und damit verbundenen, weitreichenden gesellschaftlichen Diskussionen zu Zöllen auf Importe von Elektroautos aus China lassen sich indes vor dem Hintergrund einer zunehmenden Industriepolitik, der es um den Schutz heimischer Märkte geht, dem insgesamt spannungsgeladenen Verhältnis zu China sowie insbesondere der Mobilitätswende im Interesse des globalen Klimaschutzes erklären. Maßgeblich ist hier das Ziel, ab 2035 in der EU nur noch Neuwagen ohne oder zumindest mit CO2-freiem Verbrennungsmotor zuzulassen. Elektroautos spielen diesbezüglich eine zentrale Rolle. Insofern ist auf den ersten Blick schwer verständlich, warum handelspolitische Maßnahmen ergriffen werden sollen, die die Einfuhr von Elektroautos erschweren, indem deren Preise erhöht und damit ihre Attraktivität für Verbraucher gesenkt würden. Über Gesichtspunkte des Klimaschutzes hinaus geht es aber auch um das geostrategische Verhältnis zu China und damit insgesamt Gesichtspunkte der „offenen strategischen Autonomie“, die die Handelspolitik der EU seit einiger Zeit prägt. Hinzu kommt der laufende Präsidentschaftswahlkampf in den USA, der eine eigene Dynamik in die Entwicklungen bringt. Schon all dies deutet darauf hin, dass eine ausgesprochen komplexe Gemengelage unterschiedlicher politischer Motive und anwendbarer Rechtsinstrumente vorliegt. Um die aktuellen Entwicklungen fundiert einordnen und bewerten zu können, ist es daher notwendig, rechtliche Klarheit in die Diskussion zu bringen. Zugleich bieten die gegenwärtigen Entwicklungen Anlass kritisch zu fragen, ob Nachhaltigkeitsgesichtspunkte in der europäischen Handelspolitik bzw. dem maßgeblichen Rechtsinstrumentarium überhaupt Berücksichtigung finden.
Ausgleichszölle, nicht Strafzölle, in der EU
Auch wenn es in den USA und der EU jeweils auch um Elektroautos aus China geht, bestehen fundamentale Unterschiede zwischen den Maßnahmen, die diesseits und jenseits des Atlantiks ergriffen wurden.
In der EU wurde Anfang Oktober 2023 ein Antisubventionsverfahren betreffend die Einfuhr batteriebetriebener Elektrofahrzeuge aus der Volksrepublik China eingeleitet. Rechtsgrundlage hierfür ist die Antisubventions-Grundverordnung 2016/1037 vom 8. Juni 2016. Diese Verordnung setzt im Wesentlichen das Übereinkommen der Welthandelsorganisation (WTO) zu Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen (Subsidies and Countervailing Measures – SCM) um. Das SCM-Übereinkommen der WTO eröffnet die Möglichkeit sogenannte Ausgleichsmaßnahmen gegenüber der Einfuhr subventionierter Produkte zu ergreifen. Voraussetzung ist, dass nachgewiesen werden kann, dass eingeführte Produkte subventioniert wurden und dies kausal zu einem Schaden der heimischen Industrie führt. Ausgleichsmaßnahmen sind typischerweise Zölle, die über den normalen Zollsatz, der WTO-rechtlich verpflichtend vereinbart wurde, hinausgehen. Durch diese Zusatzbelastung bei der Wareneinfuhr soll der Wettbewerbsvorteil, den das fragliche Produkt aufgrund der Subventionierung hat, ausgeglichen werden. Antisubventionszölle – Ausgleichszölle – sind also nie „Strafzölle“, wie es oftmals in den Medien zu lesen ist, sondern dienen ausschließlich dazu, eine bestehende Wettbewerbsverzerrung aufgrund staatlicher Subventionen zu beseitigen. Das gilt ebenso für Antidumpingzölle. Auch hier geht es nur darum, eine unfaire Wettbewerbssituation aufgrund der privatautonomen Entscheidung eines Unternehmens, Waren zu einem Preis im Export zu verkaufen, der unterhalb des Normalwertes dieser Waren liegt, auszugleichen. Im Übrigen sieht das Subventionsrecht der WTO bzw. der EU vor, dass anstatt von Ausgleichszahlen auch andere Maßnahmen ergriffen werden können, um die Wettbewerbsgerechtigkeit sicherzustellen. Dazu gehören insbesondere Verpflichtungen der Regierung des Ausfuhrlandes, die Subvention zu beseitigen oder zu begrenzen oder andere Maßnahmen zu treffen, die ihre Auswirkungen eindämmen. Ebenso sind Preisverpflichtungen der ausführenden Unternehmen der betreffenden Produkte möglich. Insbesondere auf diese Maßnahmen bezogen sieht das Antisubventionsrecht vor, dass ab Einleitung einer Antisubventionsuntersuchung durchgehend Gelegenheit zu Konsultationen mit dem entsprechenden Drittstaat gegeben sein muss. Im Falle von Elektroautos wurde dementsprechend auch seit Oktober des letzten Jahres versucht, mit der chinesischen Regierung eine einvernehmliche Lösung der Problematik herbeizuführen. Das ist bislang nicht gelungen. Die politischen Bemühungen von Bundesminister Habeck vor wenigen Wochen in China waren insofern nur Teil eines ohnehin laufenden Konsultationsprozesses.
Ein Verfahren von Amts wegen
Unabhängig von der wirtschaftspolitischen Bewertung der Sinnhaftigkeit der Antisubventionsuntersuchung gegenüber der Einfuhr chinesischer Elektroautos stellt das Verfahren also zunächst weltwirtschaftsrechtliche Normalität dar. Eine Besonderheit im Bereich der Verfahrenseinleitung besteht aber doch: Antidumping- und Antisubventionsuntersuchungen dürfen grundsätzlich nur eingeleitet werden, wenn eine entsprechende Beschwerde der sogenannten Unionshersteller vorliegt. Dabei setzt das einschlägige EU-Antisubventionsrecht voraus, dass ein „Wirtschaftszweig der Union“ den Antrag auf Verfahrenseinleitung gestellt hat bzw. dieser in seinem Namen gestellt wurde. Als „Wirtschaftszweig der Union“ gilt, wenn mindestens 25 % der Gesamtproduktion der Waren, um die es in dem Verfahren geht, von den antragstellenden Unternehmen repräsentiert werden; zugleich dürfen nicht mehr als 50 % der Unternehmen des entsprechenden Wirtschaftszweiges der Union gegen den Antrag sein. Mit diesem Antragserfordernis soll sichergestellt werden, dass nicht protektionistische Partikularinteressen einzelner Unternehmen die Einleitung einer Untersuchung bestimmen. Die Erreichung eines entsprechenden Quorums bzw. allgemeiner gesprochen die Unterstützung der europäischen Automobilindustrie im Hinblick auf Antisubventionsverfahren gegenüber Importen chinesischer Elektroautos bereitete scheinbar Probleme, namentlich mit Blick auf den Widerspruch der großen deutschen Automobilproduzenten. Die Europäische Kommission hat daher auf eine Sonderregelung im Antisubventionsrecht zurückgegriffen, wonach „unter besonderen Umständen“ die Kommission eine Untersuchung auch ex officio einleiten kann. Zu einer solchen Verfahrenseinleitung von Amts wegen gibt es kaum aussagefähige Praxis. Insofern ist auch nicht klar, was „unter besonderen Umständen“ als Tatbestandsvoraussetzung für ein ex officio Verfahren anzusehen ist. Man wird indes der Kommission an dieser Stelle einen weiten und kaum gerichtlich nachprüfbaren Beurteilungsspielraum einräumen müssen. All das ändert freilich nichts daran, dass eine Verfahrenseinleitung von Amts wegen die ohnehin in einem Antisubventionsverfahren bestehende politische Sensibilität noch mehr als in anderen Verfahren strapaziert. Die intensive wirtschaftspolitische Debatte in China einerseits, wie auch in Deutschland und insgesamt in der EU andererseits zu der Antisubventionsuntersuchung gegenüber Einfuhren chinesischer Elektroautos zeigt dies überdeutlich. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Möglichkeit einer ex officio Verfahrenseinleitung im Antisubventionsrecht in erster Linie geschaffen wurde, um die heimische Industrie in Ausnahmefällen vor wirtschaftspolitischen Repressalien des betroffenen Drittstaates, dem Subventionen vorgeworfen werden, zu schützen. Insofern ist die Idee der Verfahrenseinleitung von Amts wegen, dass sich die EU sozusagen schützend vor die heimische Industrie stellt, sodass diese nicht gezwungen ist, öffentlichkeitswirksam selbst einen Antrag auf Verfahrenseinleitung zu stellen. Im Hinblick auf die Subventionsmaßnahmen gegenüber Importen chinesischer Elektroautos geht es aber gar nicht darum. Jedenfalls die deutsche Automobilindustrie lehnt das entsprechende Verfahren aus rein ökonomischen Gründen ab. Insbesondere werden negative Auswirkungen auf die Einfuhr von Autos, die deutsche Hersteller selbst in China produzieren, befürchtet. Auch allgemeine ordnungspolitische Überlegungen der deutschen Automobilindustrie zur Bedeutung von internationalem Wettbewerb als Innovationsmotor spielen eine Rolle. Ob in einer solchen Situation die Ratio der Möglichkeit der Einleitung eines Antisubventionsverfahren ex officio greift, ist zumindest fraglich.
Strafzölle, nicht Ausgleichszölle in den USA
Die Situation in den USA stellt sich nicht nur politisch, sondern insbesondere rechtlich völlig anders dar:
Die Mitte Mai vom USTR angekündigten Erhöhungen von Zöllen auf chinesische Einfuhren, unter anderem von Elektroautos, von gegenwärtig 25 % auf 100 % ab diesem Jahr haben rechtlich betrachtet nichts mit dem soeben beschriebenen WTO-Antisubventionsrecht zu tun. Rechtsgrundlage ist stattdessen Section 301 des US Trade Act of 1974. Hiernach müssen entsprechende Maßnahmen durch die US-Regierung u.a. ergriffen werden, wenn eine Handelspraktik eines Drittstaates als „unjustifiable“ und handelsbeschränkend erachtet wird; sie können ergriffen werden, wenn „an act, policy, or practice of a foreign country“ – also die Handelspraktik eines Drittstaates – „is unreasonable or discriminatory and burdens or restricts United States commerce“. Die gegenwärtig geplanten Zollerhöhungen haben ihre Grundlage in im Jahr 2018 ergriffenen Maßnahmen nach Section 301 auf entsprechende Produkte. Bereits damals wurde eine Untersuchung zu vermeintlich unverhältnismäßigen Handelspraktiken Chinas, inbesondere eingeleitet, die zu entsprechenden Zollerhöhungen führte. Es wurden auf über 1000 spezifische Produkte bzw. Produktkategorien Zusatzzölle in Höhe von 25 % erhoben. Gemäß der einschlägigen gesetzlichen Vorgaben war diese Zusatzzollerhebung ab Mai 2022 zu überprüfen. Dementsprechend wurde ein Untersuchungsverfahren eingeleitet, das jetzt zum Abschluss kommt. Nach dem vorliegenden Untersuchungsbericht haben sich die bisherigen Zusatzzölle als nicht hinreichend effektiv erwiesen und sind insofern nach Ansicht des USTR zu erhöhen.
Section 301 Marktuntersuchungen und Maßnahmen bewegen sich außerhalb des WTO-Rechts, da sie mit Antidumping- oder Antisubventionsmaßnahmen nicht zu tun haben; sie sind völkerrechtswidrig. Es gibt im WTO-Recht keine rechtliche Anknüpfung für unilaterale Maßnahmen, wie sie Section 301 der USA vorsieht. Vielmehr stellt Art. 23 des Dispute Settlement Understanding (DSU) der WTO ausdrücklich klar, dass Streitigkeiten zu Handelspraktiken einzelner Staaten, die vom WTO-Recht sachlich erfasst werden, ausschließlich innerhalb des multilateralen WTO-Streitbeilegungssystem zu behandeln sind. Abgesehen von allgemeinen Schutzmaßnahmen – um die es vorliegend nicht geht –, sowie Antidumpingzöllen und Antisubventionsmaßnahmen, sofern diese auf der Grundlage der entsprechenden WTO-Übereinkommen ergriffen wurden, folgt aus dem WTO-Recht ein weitreichendes Verbot unilateraler Maßnahmen. Genau dafür steht aber Section 301. Die Vorschrift war lange Zeit Sinnbild für einen sogenannten „aggressiven Unilateralismus“ der USA. Im Jahre 1999 stellte ein WTO-Panel dann auch klar, dass Section 301 als solche mit dem WTO-Recht unvereinbar ist. Die USA haben damals eine völkerrechtlich verbindliche einseitige Erklärung abgegeben, nach der es nicht zur Anwendung von Section 301 im Widerspruch zum WTO-Recht kommen werde. Daran gehalten haben sie sich jedoch nicht. Das erwähnte Ausgangsverfahren zu Zöllen auf chinesischen Einfuhren, das zur jetzt angekündigten nochmaligen Zollerhöhung führte, war bereits Gegenstand eines WTO-Streitbeilegungsverfahren, das unmittelbar nach Erlass der US-amerikanischen Maßnahmen im Jahre 2018 von China eingeleitet wurde. Das WTO-Panel, welches mit der Angelegenheit betraut war, stellte dementsprechend auch eine Verletzung von WTO-Recht durch die Zollerhebung fest. Konkret ging es um eine Verletzung der völkerrechtlich verbindlichen Zollfestlegung nach WTO-Recht (Art. II:1 GATT) sowie, da die Maßnahmen nur selektiv gegenüber China ergriffen wurden, eine Verletzung der Meistbegünstigungsverpflichtung (Art. I:1 GATT). Die USA haben im damaligen Panelverfahren versucht, dies unter Verweis auf Gesichtspunkte der öffentlichen Sittlichkeit (public morals) zu rechtfertigen (Art. XX lit. a) GATT). Dem konnte das Panel aus ordnungspolitischen Gesichtspunkten bzw. ökonomischen Gründen allerdings nicht folgen. Der Panelbericht zu den Section 301-Maßnahmen, die Ausgangspunkt auch für die jetzt angekündigten weiteren Zollerhebung waren, liegt zwar mit überzeugender Begründung vor. Allerdings konnte er keine Rechtsverbindlichkeit erlangen, da die USA Revision zum Appellate Body eingelegt haben und dieser bereits seit Dezember 2019 nicht mehr entscheidungsfähig war bzw. seit Ende November 2020 de facto nicht mehr existiert, da es seither keine gewählten Mitglieder des Appellate Body mehr gibt. Die Revision der USA damals ging insofern „ins Leere“ (into the void). An der materiellrechtlichen Rechtswidrigkeit schon damals und ebenso mit Blick auf die jetzt angekündigten nochmaligen Erhöhungen von Zöllen ändert dies aber nichts.
Insgesamt zeigt sich damit eine im Verhältnis zur EU-Rechtslage völlig andere Situation im Hinblick auf die angekündigten Zollerhebung in den USA. Das zugrunde liegende Section 301-Verfahren, das sich außerhalb der WTO-Rechtsordnung bewegt, weil es gerade kein Antidumping- oder Antisubventionsverfahren ist, sondern sich allgemein gegen zahlreiche Aspekte der chinesischen Handelspolitik richtet, sowie die Rechtswidrigkeit der selektiven Zollerhöhungen gegenüber China rechtfertigen es, hier tatsächlich von Strafzöllen zu sprechen.
Wo bleibt die Nachhaltigkeit, wo bleibt der Klimaschutz?
Auch wenn die Antisubventionsuntersuchung der EU gegenüber Einfuhren chinesischer Elektroautos jedenfalls prima facie im Einklang mit dem WTO-Recht ist, bleiben substantielle EU-rechtliche Probleme bestehen. Konkret geht es darum, dass seit dem Vertrag von Lissabon (2009) die unionsrechtliche Pflicht besteht, die Gemeinsame Handelspolitik „im Rahmen der Grundsätze und Ziele des auswärtigen Handels der Union“ zu gestalten (Art. 207 Abs. 1 S. 2 AEUV). Hierdurch wird, wie sich unmittelbar aus Art. 205 AEUV ergibt, umfassend auf die Ziele und Grundsätze des Handelns der Union auf internationaler Ebene nach Art. 21 EUV Bezug genommen. Dazu gehören zentral auch Nachhaltigkeitsziele, insbesondere mit Blick auf den globalen Umweltschutz und die nachhaltige Ressourcenbewirtschaftung (Art. 21 Abs. 2 lit. f) EUV). Aus dieser Normenkette ergibt sich im Ergebnis, dass Maßnahmen der Gemeinsamen Handelspolitik der EU, wie Antidumping- und Antisubventionsmaßnahmen, immer auch im Einklang mit globalen Nachhaltigkeitszielen wie insbesondere dem globalen Klimaschutz stehen müssen. Welche weitreichenden hoheitlichen Verpflichtungen hiermit im Einzelnen verbunden sind, haben zahlreiche nationale und internationale Gerichte in jüngerer Zeit im Rahmen der sogenannten climate change litigation sehr deutlich gemacht. In den Antidumping- und Antisubventionsverfahren der EU findet dies bislang keinen bzw. nur sehr geringen Widerhall. Bei der maßgeblichen Preiskalkulation kann und wird zwar auf gegebenenfalls bestehende Umweltkosten eingegangen. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt zur Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsaspekte der Gemeinsamen Handelspolitik wäre allerdings das sogenannte Unionsinteresse im Bereich handelspolitischer Schutzinstrumente. Konkret geht es darum, dass nach der Antidumping-Grundverordnung (Art. 21) und der Antisubventions-Grundverordnung (Art. 31) neben den Tatbestandsmerkmalen Dumping bzw. Subvention, Schaden und Kausalität auch jeweils zu prüfen ist, ob dem Ergreifen einer entsprechenden Maßnahme ein überwiegendes Unioninteresse entgegensteht. Über viele Jahre hinweg wurde von der Kommission vertreten, dass bei der Berücksichtigung des Unionsinteresses allgemeinpolitische Erwägungen, zu denen auch Umweltschutzaspekte gehören, keine Beachtung finden können. Vielmehr solle es sich hier nur um gegebenenfalls widerstreitende ökonomische Interessen im engeren Sinne handeln, die berücksichtigt werden können. Diese strikte Perspektive wird heute so nicht mehr vertreten. Die Kommission geht auf Fragen von Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Klimaschutz bei der Erörterung des Unionsinteresses durchaus ein. Allerdings werden in allen bekannten Untersuchungen aus dem Antidumping- und Antisubventionsbereich von der Kommission durchgehend die ökonomischen Interessen im Hinblick auf den Schutz der heimischen Industrie als überwiegend angesehen. Hinter diesen Interessen treten in den vorliegenden Fällen der Abwägung der Kommission Umweltschutzgesichtspunkte durchgehend zurück (siehe z.B. Grafitelektrodensysteme 2021, Rn. 290 f.; Solarglas 2020, Rn. 242 ff.; Windkrafttürme 2021, Rn. 451 ff.; Fotovoltaikmodule 2017, Rn. 314 ff.; Glasfaserprodukte 2020, Rn. 1096 f.). Ob diese Praxis mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Unionsrechts zur Achtung von Nachhaltigkeit und Umweltschutz vereinbar ist, lässt sich deutlich bezweifeln. Eine tatsächliche Durchdringung des Rechts der handelspolitische Schutzinstrumente im Sinne von Nachhaltigkeitsgesichtspunkten lässt sich bislang nicht feststellen. Die Antidumping- und Antisubventionsverfahren unter anderem gegen Einfuhren von Solarmodulen, Elektrofahrrädern und Elektroautos aus China bieten einen guten Anlass, dazu jetzt eine intensivere Diskussion zu führen.
Rechtmäßigkeit und Nachhaltigkeit
Trotz aller rechtlichen Strukturierung und Detailtiefe des Rechts der handelspolitischen Schutzinstrumente, namentlich des Antidumping- und des Antisubventionsrecht, bleiben Untersuchungsverfahren und gegebenenfalls die Ergreifung von entsprechenden Maßnahmen politisch sensibel und damit auch in einem gewissen Umfang politisiert. Es zeichnet die Handelspolitik der EU aus, dass dabei versucht wird, sich im Rahmen der völkerrechtlichen Vorgaben des WTO-Rechts zu bewegen. In den USA ist dies jedenfalls im Rahmen der Praxis nach Section 301 US Trade Act of 1974 leider zwischenzeitlich nicht mehr der Fall. Die dargestellten Entwicklungen – insbesondere auch mit Blick auf die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten im Recht handelspolitische Schutzinstrumente – sollten deutlich machen, dass an einer strikten Rechtsgebundenheit in diesem wirtschaftspolitisch sensiblen Bereich kein Weg vorbei geht.