11 October 2016

Endstation Karlsruhe? Was von der CETA-Verhandlung vor dem Bundes­verfassungs­gericht zu erwarten ist

Die emotionsgeladene öffentliche Debatte um CETA und TTIP steuert auf einen vorläufigen Höhepunkt zu: Am morgigen 12. Oktober 2016 befasst sich das Bundesverfassungsgericht mit mehreren Anträgen, die es dem deutschen Vertreter im Rat verbieten sollen, dem Abschluss des umfassenden Handels- und Wirtschaftsabkommens mit Kanada (so die deutsche Langfassung für CETA – Comprehensive Economic and Trade Agreement) durch die EU zuzustimmen. Darüber hinaus soll es dem deutschen Vertreter im Rat verboten werden, durch sein Abstimmungsverhalten die vorläufige Anwendbarkeit des CETA zu ermöglichen. Dies alles soll, da die entscheidende Ratssitzung schon auf den 18. Oktober 2016 terminiert ist, auch noch im Eilverfahren geschehen.

Wo ist der verfassungsrechtliche Ansatzpunkt für die Entscheidung?

Die äußerst sperrige Umschreibung des Verfahrensgegenstands ist der Tatsache geschuldet, dass das Bundesverfassungsgericht nicht unmittelbar auf den Beschluss- und Ratifikationsprozess auf EU-Ebene einwirken kann, sondern sich einen Ansatzpunkt in seinem Zuständigkeitsbereich suchen muss. An dieser Stelle kommt die sog. „Integrationsverantwortung“ ins Spiel, die das Gericht in seinem Urteil zum Vertrag von Lissabon 2009 zum wichtigsten Scharnier zwischen supranationaler Kooperation und nationaler Rechtsbindung erkoren hat.

Das bedeutet, dass der deutsche Vertreter im Rat nicht lediglich als Teil eines EU-Organs und damit als ausschließlich dem Unionsrecht unterworfen betrachtet werden darf, sondern mit mindestens einem Fuß immer Teil der deutschen Exekutive und damit an das Grundgesetz gebunden bleibt. Sollte ein bestimmtes Abstimmungsverhalten nicht mit dem deutschen Verfassungsrecht zu vereinbaren sein, dann hat er dieses – auch um den Preis fehlender Kompromissfähigkeit auf europäischer Ebene – zu unterlassen.

Und auch wenn es nicht abschließend geklärt ist, was das Grundgesetz in einer bestimmten Angelegenheit für Vorgaben enthält, durch die Abstimmung im Rat aber bereits vollendete Tatsachen geschaffen würden, kann das Bundesverfassungsgericht unter Umständen Vorgaben für die Stimmabgabe im Rat der EU machen. Es muss hierfür zwei hypothetische Szenarien miteinander vergleichen und entscheiden, was schlimmer wäre: wenn der deutsche Vertreter im Rat so abstimmt, wie er möchte (also mit „ja“ zum Vertragsschluss und zur vorläufigen Anwendbarkeit), und sich hinterher herausstellt, dass sein Votum verfassungswidrig ist bzw. einen grundgesetzwidrigen Zustand herbeigeführt hat; oder wenn das Bundesverfassungsgericht ihm sein Abstimmungsverhalten vorschreibt (zwingend „nein“), es sich aber hinterher herausstellt, dass auch seine ursprüngliche Intention („ja“) mit der Verfassung vereinbar gewesen wäre.

Warum wurde ein Eilantrag gestellt?

Nun könnte man meinen, dass die Angelegenheit überhaupt nicht eilbedürftig ist, weil CETA als sog. gemischtes Abkommen abgeschlossen werden soll. Das bedeutet, nicht nur die EU selbst soll Vertragspartei werden, sondern neben ihr auch alle Mitgliedstaaten im eigenen Namen, um Kompetenzlücken auf EU-Ebene zu schließen.

Daraus folgt eigentlich, dass die Abstimmung im Rat lediglich ein Zwischenschritt wäre und neben dem Europäischen Parlament auch alle zuständigen Volksvertretungen auf nationaler Ebene noch zustimmen müssten. Dies hätte auch eigentlich zur Folge, dass das Bundesverfassungsgericht sich Zeit lassen könnte, bis das Zustimmungsgesetz parlamentarisch in Bundestag und Bundesrat behandelt wurde – so wie in den großen Verfahren zu den EU-Reformverträgen von Maastricht und Lissabon auch.

An dieser Stelle kommt jedoch eine Unwägbarkeit ins Spiel, die den Beschwerdeführern zufolge auf einer bewussten Taktik der Kommission beruht: Sollte der Europäische Gerichtshof nämlich in einem Pilotverfahren (Gutachten 2/15) im Frühjahr 2017 feststellen, dass das Freihandelsabkommen mit Singapur vollständig von der EU-Außenhandelskompetenz (Art. 207 Abs. 1 Satz 1 AEUV) gedeckt ist, würde diese Bewertung auch auf CETA durchschlagen. Da es dann sogar rechtswidrig wäre, wenn die Mitgliedstaaten selbst als Vertragsparteien aufträten, wäre eine Beschlussfassung über das Abkommen im nationalen Gesetzgebungsverfahren obsolet. Die Entscheidung wäre ausschließlich dem Unionsgesetzgeber in Gestalt von Rat und Parlament überlassen.

Dann wiederum ließe sich argumentieren, der Rat habe dem Abschluss des Abkommens ja bereits zugestimmt und die Einschränkung auf lediglich eine Vertragspartei diesseits des Atlantiks sei nur eine redaktionelle Änderung. In einer solchen Lage könnte das Bundesverfassungsgericht auf keinen deutschen Hoheitsträger mehr zugreifen, der es verhindern könnte, dass die Bundesrepublik – vermittelt über Art. 216 Abs. 2 AEUV – an CETA gebunden wird.

Wie würde sich der Maßstab für die Hauptsache verschieben?

Sollte das Bundesverfassungsgericht nichts unternehmen und das beschriebene Szenario eintreffen, müsste sich das Bundesverfassungsgericht in der Hauptsache mit einem sehr engen Prüfungsmaßstab begnügen: Der eine mögliche Stolperstein für CETA wäre dann noch die sog. Ultra-vires-Kontrolle, d.h. die Prüfung, ob die EU auch nur die Hoheitsrechte ausübt, die ihr vom deutschen Gesetzgeber gem. Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG übertragen wurden. Zu diesen zählt zwar auch die grundsätzliche Befugnis, ebendiese Hoheitsrechte durch völkerrechtliche Verträge weiterzureichen oder zu beschränken, aber – wegen des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs.1 und 2 EUV) – nur soweit die Regelungsbefugnisse der EU selbst reichen.

Im Hinblick auf die genannte Außenhandelskompetenz der EU hat das Bundesverfassungsgericht aber bereits in seinem Lissabon-Urteil von 2009 angedeutet, dass es zumindest die von CETA mit umfassten Portfolio-Investitionen nicht unter den Begriff der „ausländischen Direktinvestitionen“ nach Art. 207 Abs. 1 Satz 1 AEUV fassen will, zumindest deshalb also das Abkommen nach Karlsruher Auffassung wohl der Ratifikation durch die Mitgliedstaaten bedarf (vgl. hier Rn. 379).

Der andere Stolperstein wäre die sog. Identitätskontrolle, d.h. die Prüfung, ob CETA als Teil des Unionsrechts gegen das Allerheiligste des Grundgesetzes, die in der Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG niedergelegten Grundsätze aus Art. 1 (Menschenwürde) und Art. 20 (Staatsstrukturprinzipien: Rechtsstaat, Sozialstaat, Demokratie und Föderalismus), verstößt. Denn obwohl das Grundgesetz es ausdrücklich vorsieht, dass der Bund der EU zur Verwirklichung eines vereinten Europas gem. Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG Hoheitsrechte überträgt, darf dies gem. Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG niemals dazu führen, dass der absolute Kernbestand des Grundgesetzes verletzt wird. Die maßgebliche Überlegung dahinter ist, dass das Grundgesetz nicht nur gegenüber innerstaatlichen Umtrieben, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen, wehrhaft sein soll, sondern auch gegenüber Versuchen, dies – um ein beliebtes Bild zu verwenden – „über die Bande“ durch einen Souveränitätstransfer zu erreichen.

Exakt dies ist aber die große Erzählung der Beschwerdeführer: dass der Rechtsstaat untergraben wird, weil Großkonzerne eine Paralleljustiz in Form privater Schiedsgerichte in Anspruch nehmen können; dass die Demokratie ausgehöhlt wird, weil in vielen wichtigen Lebensbereichen keine demokratisch legitimierten Verfassungsorgane auf EU- und mitgliedstaatlicher Ebene, sondern ein anonymes, intransparentes Steuerungsgremium (der Gemischte CETA-Ausschuss) entscheiden und der Gesetzgeber wegen der Angst vor Schadensersatzansprüchen ohnehin keine ambitionierten Verbraucher- und Umweltschutzstandards mehr riskieren wird („chilling effect“); dass der Sozialstaat und die kommunale Selbstverwaltung leiden, wenn von CETA der Druck ausgeht, die örtliche Daseinsvorsorge – meistens verdeutlicht anhand der Trinkwasserversorgung – zu privatisieren.

Das Bundesverfassungsgericht hätte also theoretisch immer noch die Möglichkeit, die großen Rechtsfragen in der Hauptsache zu prüfen. Der große Unterschied liegt auf der Rechtsfolgenseite: Ist CETA erst einmal in Kraft getreten, würde eine erfolgreiche Ultra-vires- oder Identitätskontrolle die derzeit ohnehin fragilen Grundfesten der Union endgültig erschüttern. Zum einen müsste Karlsruhe die ehernen Prinzipien, dass dem EU-Recht unmittelbare Wirkung und Anwendungsvorrang in allen Mitgliedstaaten zukommt, im Hinblick auf CETA in Deutschland aussetzen und damit allen Populisten Tür und Tor für Nachahmungstaten in anderen Rechtsgebieten öffnen. Zum anderen wäre die EU diplomatisch und als Handelspartner in der Welt blamiert und würde massiv an Reputation und Vertrauen verlieren.

Wie könnte die Entscheidung im Eilverfahren aussehen?

Wenn es die verfassungsrechtlichen Argumente gegen das Abkommen also nicht für völlig abwegig hält und aus der hohlen Hand vom Tisch wischen will – das wäre angesichts der Vielzahl an fundierten Gutachten in der Sache sehr überraschend – wird es die Anträge nicht sang- und klanglos abweisen. Andererseits ist zu bedenken, dass ein Urteil gegen CETA im Eilverfahren dem Protest gegen Freihandelsverträge europaweit so viel Auftrieb verschaffen würde, dass es mit der Hauptsache aller Voraussicht nach auch nicht mehr weit her wäre. Zudem wäre dies ein herber Eingriff in den Politikbetrieb, vor dem auch der machtbewusste Zweite Senat wahrscheinlich zurückschrecken wird.

Meine Prognose lautet daher, dass das Bundesverfassungsgericht die Priorität darauf legen wird, Zeit zu gewinnen. Es wird ihm hauptsächlich darum gehen, seine Auffassung, dass es sich bei CETA um ein gemischtes Abkommen handeln muss, abzusichern. Möglicherweise weist es den deutschen Vertreter im Rat an, seine Zustimmung nur unter der Bedingung zu geben, dass die EU bei Vertragsschluss ihre Bindung ausschließlich als Teilpartei im Rahmen eines gemischten Abkommens anerkennt und dies in einem Vorbehalt kenntlich macht.

Zusätzlich dürfte es eine Absicherung verlangen, dass sich die vorläufige Anwendung nach Art. 218 Abs. 5 AEUV nur auf die CETA-Bestimmungen erstreckt, die unstreitig in die ausschließliche Kompetenz der EU fallen, und hieraus keine langfristigen, irreversiblen Folgen für Deutschland entstehen. Insoweit wird auch die Dauer und die Reichweite der vorläufigen Anwendung bzw. deren Beendigung zum Thema werden.

Dann könnte Karlsruhe in Ruhe abwarten, ob sich die Angelegenheit nicht in einem der Mitgliedstaaten auf politischem Wege erledigt, ohne sich die Hände selbst schmutzig machen zu müssen (so das Muster bei den Klagen gegen den letztlich gescheiterten EU-Verfassungsvertrag). Gleichzeitig dürfte es sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, dem EuGH in einigen obiter dicta seine Rechtsauffassung für das dort laufende Gutachtenverfahren 2/15 zum Freihandelsabkommen mit Singapur anzuempfehlen. Wie in europaverfassungsrechtlichen Fragen üblich, dürften sich dann alle Beteiligten als Gewinner fühlen.


SUGGESTED CITATION  Michl, Walther: Endstation Karlsruhe? Was von der CETA-Verhandlung vor dem Bundes­verfassungs­gericht zu erwarten ist, VerfBlog, 2016/10/11, https://verfassungsblog.de/endstation-karlsruhe-was-von-der-ceta-verhandlung-vor-dem-bundesverfassungsgericht-zu-erwarten-ist/, DOI: 10.17176/20161013-145206.

8 Comments

  1. Jörg Hensel Wed 12 Oct 2016 at 01:20 - Reply

    Sicherlich wird das BVerfG nicht feststellen, dass TTIP/CETA gegen das Selbstbestimmungsrecht gem. Artikel 1 ICCPR verstößt, da es, wie alle anderen “Gerichte” politisch abhängig ist (wenn`s drauf an kommt).

    Und eine Verfassung gibt es aufgrund Art. 146 GG auch nicht.

    https://menschenrechtsverfahren.wordpress.com/2011/10/08/bundesverfassungsrichter-voskuhle-lugt-grundgesetz-ist-keine-verfassung/

  2. Jessica Lourdes Pearson Wed 12 Oct 2016 at 10:34 - Reply

    Es ist alles noch viel schlimmer! Die “Verfassungsrichter” sind in Wirklichkeit Cyborgs, die direkt durch den Geschäftsführer der BRD GmbH & Co KG kontrolliert werden (dabei handelt es sich meinen Vermutungen nach um Franz Beckenbauer, aber Beweise habe ich nicht, denn es ist ja eine geheime Verschwörung). Deshalb haben sie ja auch so komische Hüte auf, wenn sie den Verhandlungssaal betreten. Das sind Docking-Stationen, mit denen die “Richter” programmiert werden!

    Nur eines habe ich noch nicht ganz verstanden: Wie kann sich denn aus Art. 146 GG ergeben, dass das GG keine Gültigkeit besitzt? Ist Art. 146 kein Teil des GG? Und wäre er nicht folglich, wenn die These stimmte, auch ungültig?

  3. Henrik Wittenberg Wed 12 Oct 2016 at 11:23 - Reply

    Deshalb braucht es ja unbedingt eine Verfassung vom Volk:
    http://verfassung-vom-volk.org/

  4. Jessica Lourdes Pearson Wed 12 Oct 2016 at 12:26