Feindbild Klimaaktivismus
Über den Ruf nach (härteren) Strafe(n) für Klimaaktivist*innen
Die jüngsten Klimaproteste der Bewegung „Letzte Generation“ haben eine Diskussion über Strafverschärfungen für Klima-Aktivist*innen entfacht. Der reflexartige Ruf nach (härteren) Strafe(n) ist symptomatisch für einen Politikbetrieb, in dem gesellschaftliche Konflikte an den eigentlichen, inhaltlichen Problemen vorbei verhandelt werden. Die Kriminalisierung des zivilen Ungehorsams stellt dabei den Versuch dar, die Definitionsmacht über die Legitimationsgrenzen des Protestes dem Staat zu übertragen und auf die Kategorien strafbar/straflos zu reduzieren. Was das für ein Strafrechtsverständnis offenbart und welche Gefahren mit dem Einsatz von Strafrecht als vermeintliches Konfliktschlichtungsinstrument einhergehen, ist Gegenstand dieses Beitrags.
„ … der Staat muss hier auch eine klare Kante zeigen“
Auslöser der Strafbarkeitsdiskussion ist ein tödlicher Unfall einer Radfahrerin in Berlin vergangene Woche. Ein Hilfsfahrzeug der Feuerwehr steckte in einem Stau, der von einer Sitzblockade von Aktivist*innen der „Letzten Generation“ ausgelöst wurde. Für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) gibt es grundsätzlich diskutable Anknüpfungspunkte – der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer hat sie auf „Legal Tribune Online“ diskutiert. Dass Klima-Aktivist*innen für den Tod der Frau strafrechtlich verantwortlich sind, kann auf Grundlage der bislang bekannten Tatsachen aber noch überhaupt nicht beantwortet werden. Aber selbst wenn die Protestaktion ursächlich für die Verzögerung des Einsatzfahrzeuges gewesen wäre und dies auch Auswirkungen auf die Rettungschancen der Frau gehabt hätte,1) ist alles andere als klar, ob hier tatsächlich ein strafrechtlicher Vorwurf gemacht werden kann.2) Die Diskussion über Strafverschärfungen läuft trotzdem weiter. Im Fokus stehen dabei auch Klima-Proteste, bei denen sich Aktivist*innen mit Sekundenkleber auf dem Asphalt festkleben, um Straßen oder Autobahnzufahrten zu blockieren. In weiteren Aktionen wurden teure Kunstwerke in Museen mit Kartoffelbrei oder Tomatensuppe beworfen. Die Aktionen werden teilweise als „Klima-Terrorismus“ bezeichnet und mit den Aktionen der RAF verglichen. Der Unionspolitiker Dobrindt möchte deshalb „deutlich härtere Strafen für Klimachaoten“ und der Vorsitzende der CSU, Markus Söder, denkt, „der Staat muss hier auch eine klare Kante zeigen“ und es müsse Strafen geben, „die wirksam sind: nicht leichte Geldstrafen, sondern auch mal tatsächlich (…) eine entsprechende Haftstrafe“. Die Union hat am heutigen Donnerstag einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der eine Erweiterung des § 240 StGB (Nötigung), § 323 Abs. 2 StGB (Behinderung von hilfeleistenden Personen), § 315b StGB (Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr) und des § 304 StGB (Gemeinschädliche Sachbeschädigung) vorsieht (BT-Drs. 20/4310). In besonders schweren Fällen sollen künftig auch Mindestfreiheitsstrafen verhängt werden. Die Regierungskoalition lehnt das ab – zu Recht.
Strafrecht als Antwort auf öffentliche Empörung
Was hier gefordert wird, ist kein Einzelfall und auch nicht allein das Bedürfnis von Parteien (rechts) der Mitte. Strafverschärfungen durch Anhebung von Mindestfreiheitsstrafen oder die Einführung neuer Straftatbestände sind – legislaturübergreifend – regelmäßig die (politische) Antwort auf neue gesellschaftliche Phänomene, Skandale, Unfälle oder Unglücksereignisse, die das Potenzial öffentlicher Empörung mit sich bringen. Diese legislative Punitivität lässt sich bereits seit dem Ende der 1970er-Jahre beobachten und ist auch empirisch belegt. Untersuchungen weisen nach, dass etwa in der Zeit von 1990 bis 2005 mehr als drei Viertel aller Strafrechtsänderungsgesetze Neukriminalisierungen und Tatbestandserweiterungen eingeführt haben und die Zahl der Gesetze, die zu Strafverschärfungen führten, auf über vierzig Prozent stieg.3) Die Anliegen, die hinter solchen Strafverschärfungen liegen – in der Regel Prävention von bestimmten Verhaltensweisen durch Abschreckung – sind nicht grundsätzlich illegitim. Auch im Fall der Klima-Proteste ist es nachvollziehbar, Verhaltensweisen unterbinden zu wollen, die Rechtsgüter gefährden. Nur ist neben der ohnehin zweifelhaften, empirisch nie belegten Abschreckungswirkung zu fragen, ob gerade das Kriminalstrafrecht das überhaupt leisten kann – und sollte – und welche Gefahren mit dem Ruf nach (härteren) Strafe(n) für eine freiheitlich-liberale Gesellschaft einhergehen.
Strafrecht spaltet
Am Beispiel der Klima-Proteste und der aktuellen Strafrechtsdiskussion zeigt sich deutlich, was hier eigentlich passiert. Indem die Strafbarkeit von Klima-Aktivist*innen und die Einführung neuer Strafvorschriften für diese Personengruppe gefordert wird, wird ein Feindbild konstruiert – dasjenige der bösen Straftäter*innen. Die mit dem Protest adressierten inhaltlichen Fragen zum Klimaschutz, die zwischen Staat, Öffentlichkeit und anderen gesellschaftlichen Institutionen ausgehandelt werden müssten, treten nun erst einmal in den Hintergrund: Wer Straftäter*in ist, hat seine Teilnahme am Diskurs verwirkt. Aus der Perspektive des Strafrechts sind derartige Formen zivilen Ungehorsams, die naturgemäß mit Regelbrüchen einhergehen, dann „kein Spaß mehr“, wie Söder es ausdrückt. Anstatt einer konstruktiven, gemeinsamen Lösung den Weg zu ebnen, bewirkt das Strafrecht damit eine Spaltung zwischen den Klima-Delinquenten und den anderen, uns, die auf der richtigen Seite der Geschichte stehen. Die Definitionsmacht über die Legitimationsgrenzen solcher Protestformen wird damit der stark vereinfachenden, binären Logik „strafbar/straflos“ unterworfen. Der inhaltlichen Auseinandersetzung wird eine Kategorie vorgeschaltet, die eine Tabuisierung weiterer Auseinandersetzung mit den Fernzielen der delinquenten Klima-Aktivist*innen bewirkt.
Strafverschärfung als Reaktion auf zivilen Ungehorsam – eine nicht nur sinnlose, sondern auch gefährliche Eskalationsspirale
Ziviler Ungehorsam ist Habermas zufolge „ein moralisch begründeter Protest (…); er schließt die vorsätzliche Verletzung einzelner Rechtsnormen ein, ohne den Gehorsam gegenüber der Rechtsordnung im Ganzen zu affizieren; er verlangt die Bereitschaft, für die rechtlichen Folgen der Normverletzung einzustehen; die Regelverletzung, in der sich ziviler Ungehorsam äußert, hat ausschließlich symbolischen Charakter“.4) Auch das Bundesverfassungsgericht charakterisiert zivilen Ungehorsam als „demonstrativen, zeichenhaften Protest bis zu aufsehenerregenden Regelverletzungen“5). Tatsächlich geht es den Klima-Aktivist*innen nicht um den Regelbruch als solchem, der in einer Sitzblockade – Nötigung gem. § 240 StGB – oder in dem Bewerfen von Kunstwerken mit Kartoffelbrei – gemeinschädliche Sachbeschädigung gem. § 304 StGB – liegt. Der Regelbruch ist nur Mittel zum Zweck, er hat eine symbolische Bedeutung und verweist auf Anliegen des Klimaschutzes oder, worauf Samira Akbarian im Verfassungsblog scharfsinnig hingewiesen hat, spielt mit der in einer Demokratie „ebenso machtvolle[n] wie auch knappe[n] Ressource“ der Aufmerksamkeit. Wenn man sich diese Zielsetzung vergegenwärtigt, dann sind Strafverschärfungen aber nicht nur sinnlos, sondern stellen sich auch als gefährliches Kräftemessen zwischen Staat und Aktivist*innen dar. Denn Strafverschärfungen würden die Symbolkraft des Regelbruchs nur noch weiter stärken. Darauf wiederum mit größerer Abschreckung durch noch weitreichendere Strafverschärfung zu reagieren, ist ein gewaltsames und destruktives staatliches Konfliktverhalten, das in eine Eskalationsspirale mündet. Wenn man hierfür ein Bild bemühen wollte: Staat und Aktivist*innen rasen beide auf einen Abgrund zu. Wer zuerst zurückzieht, verliert.
Strafe ist nicht alternativlos
Im zivilen Ungehorsam wird ein fragiles Verhältnis sichtbar. Es ist das zwischen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, die hier durch die Protest-Aktionen in Anspruch genommen werden und dem öffentlichen Interesse an der Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung. Die verfassungsrechtlichen Grenzen für regelverletzende Protestaktionen sind in der Rechtsprechung des BVerfG noch nicht vollständig ausgelotet. Zwar ist konsentiert, dass ziviler Ungehorsam in den Schutzbereich der Art. 5, 8 GG fällt; regelmäßig führt die gebotene Abwägung jedoch nicht zu einer Rechtfertigung des strafbaren Verhaltens.6) Der Strafrechtswissenschaftler Roxin nennt hierfür auch einen guten Grund: Eine Rechtfertigung zivilen Ungehorsams (nach § 34 StGB) würde das demokratische Mehrheitsprinzip verletzten. Wenn der Gesetzgeber bestimmte Maßnahmen im Rahmen des demokratischen Gesetzgebungsverfahrens beschließt, kann er die Nicht-Anerkennung dieser Maßnahmen nicht zugleich für straflos, den zivilen Ungehorsam also für gerechtfertigt erklären.7) Doch muss rechtswidrig und die Anerkennung und Aufrechterhaltung der verletzten Verbotsnorm im strafrechtlichen Sinne nicht zwingend bedeuten, dass auch bestraft werden muss. Wenn an der Sinnhaftigkeit der Strafe schon deshalb zu zweifeln ist, weil eine integrationspräventive, soziale Konflikterledigung besser durch einen Strafverzicht erreicht werden kann, dann entfällt das Strafbedürfnis. Das „Problem“ der Klima-Proteste lässt sich sicherlich nicht durch eine weitere Eskalation durch Strafverschärfung und Strafandrohungsrhetorik lösen. Letztlich ist der symbolische Regelbruch nämlich genau dann nicht mehr notwendig, wenn eine Lösung in einer idealen Kommunikationsgemeinschaft gefunden wird, in der alle Teilnehmer*innen zur Äußerung ihrer Position berechtigt sind und nicht durch das Strafrecht als Türhüter vor dem Verhandlungsraum an der Teilnahme behindert werden. Dann lässt sich einer Lösung zustimmen, auch wenn die eigene Position mitunter nicht vollkommen zur Geltung kommt. Der erste Schritt in diese Richtung wäre ein Strafverzicht, der sich nach den Regeln des Strafprozessrechts auch durch eine Anwendung der §§ 153, 153a StPO realisieren lässt, indem die Staatsanwaltschaft (mit Zustimmung des Gerichts) von einer weiteren Strafverfolgung absieht. Darüber hinaus existiert eine Vorschrift, nach der von Strafe abzusehen ist, „wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, daß die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre“ – § 60 StGB. Wer sich zugunsten eines gemeinschaftlichen Anliegens mit Sekundenkleber auf dem Asphalt festklebt, der schädigt sich durch die Tat möglicherweise so schwer, dass es einer weiteren strafrechtlichen Einwirkung nicht mehr bedarf. Rechtsbruch und Strafschmerz fallen hier zusammen und lösen sich auf. Eine Strafe wäre im Sinne des § 60 StGB dann möglicherweise „offensichtlich verfehlt“.
Das (Straf-)Recht ist nicht per se destruktiv. Es gibt Spielräume für konstruktive Konfliktschlichtung. Man muss sie nur nutzen.
References
↑1 | Das ist nach dem gegenwärtigen Stand der Informationen nicht sicher, vgl. https://www.sueddeutsche.de/politik/letzte-generation-unfallopfer-verantwortung-1.5686895?reduced=true; https://www.tagesspiegel.de/berlin/feuerwehr-legt-rettungsbericht-vor-wegen-klimaklebern-musste-lkw-erneut-uber-unfallopfer-in-berlin-fahren-8852302.html. |
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↑2 | Vgl. hierzu etwa die Aussagen der Strafrechtswissenschaftler Jahn und Safferling in https://www.sueddeutsche.de/politik/letzte-generation-unfallopfer-verantwortung-1.5686895?reduced=true. |
↑3 | Schlepper, Strafgesetzgebung in der Spätmoderne. Eine empirische Analyse legislativer Punitivität, Wiesbaden (2004), S. 79 ff. |
↑4 | Jürgen Habermas, Ziviler Ungehorsam – Testfall für den demokratischen Rechtsstaat, in: Peter Glotz (Hrsg.), Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, Frankfurt/M. (1983), S. 35. |
↑5 | BVerfGE 73, 206, 250. |
↑6 | Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2020), § 22 Rn. 130. |
↑7 | Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2020), § 16 Rn. 55. |
Es ist schon bemerkenswert, wie hier – leider nicht zum ersten Mal (vgl den Beitrag von Akbarian) – die mutmaßlich strafbaren Taten aggressiver „Aktivisten“ verharmlost werden.
Alleine zur These des Autors hinsichtlich § 60 StGB einige Anmerkungen:
Nach der Rspr des BGH gilt Folgendes (BGH, 3 StR 40/20, Rn 9): „Die Vorschrift des § 60 StGB hat Ausnahmecharakter […]. § 60 Satz 1 StGB setzt voraus, dass die Funktion der Strafe allein durch den Schuldspruch erfüllt wird, weil der Täter sich selbst derart schwer geschädigt hat, dass es zum einen einer weitergehenden Einwirkung auf ihn nicht bedarf und zum anderen der Allgemeinheit das Absehen von Strafe als Ausdruck humaner Strafrechtspflege so verständlich erscheint, dass sie diese Rechtsfolge nicht als Infragestellung notwendigen und sinnvollen Rechtsgüterschutzes empfindet. […] Die Annahme, dass diese Voraussetzungen gegeben sind, muss sich, wie das Merkmal ,offensichtlich‘ zeigt, unmittelbar aufdrängen.”
Nach diesem Maßstab ist die Anwendung des § 60 StGB hier mehr als fernliegend. Es ist schon nicht ansatzweise erkennbar, inwiefern die Täter sich durch die Folgen der Tat überhaupt selbst schwer geschädigt haben sollen. Nicht nachvollziehbar ist auch die Annahme, dass für die Allgemeinheit das Absehen von Strafe verständlich erscheint – die empörten Reaktionen der Öffentlichkeit, die auch durch Umfragen empirisch belegt sind, sprechen klar dagegen. Geradezu grotesk ist die Behauptung, es bedürfe keiner weiteren strafrechtlichen Einwirkung mehr; hier genügt der Hinweis auf die völlig fehlende Einsicht der Täter, die ohne Unterlass weitere Straftaten begehen und hiervon offenbar nur noch durch freiheitsentziehende Maßnahmen abgehalten werden können. Schließlich kann auch keine Rede davon sein, dass die Voraussetzungen der Norm sich unmittelbar aufdrängen würden. Die Anwendung der Norm wurde bislang für die hiesige Fallkonstellation – soweit ersichtlich – noch irgendwo ernsthaft diskutiert. Ihre Voraussetzungen sind nach dem oben gesagten offenkundig nicht gegeben; die Anwendung der Norm ist schlicht abwegig.
Überdies suggeriert der Autors es stünden sich einzig Meinungs-/Versammlungsfreiheit und die “Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung” gegenüber. Eine solche Betrachtung lässt die (Grund-)Rechte der durch die Aktionen Betroffenen (e.g. Autofahrer) völlig außer Acht und verfehlt damit den eigentlichen Konflikt. Auch ist das hier herangezogene Verständnis (“integrationspräventiv”) von Strafe mindestens begründungsbedürftig, entsprechende Ausführungen vermisst man leider.
Auch wenn ich die Einschätzung zu § 60 StGB teile, worin genau – in welcher Formulierung – erkennst du hier eine Verharmlosung?
Das Gerede von einem nur “symbolischen” Regelbruch ist verharmlosend. Tatsächlich geht es den Tätern darum, den Staat durch eine (wie sie selbst sagen) “maximale Störung der öffentlichen Ordnung” zu einem bestimmten Handeln zu zwingen. Damit versuchen die Täter letztlich, ihre poltischen Ziele mit Gewalt (insbesondere iRv § 240 und § 304 StGB) durchzusetzen. Nach dem gleichen Prinzip – wenn auch mit noch weitaus brutaleren Mitteln – agieren Terroristen.
Nicht nur ist der Vergleich mit Terroristen hier völlig unangebracht, er ist überdies unzutreffend.
Gängige Legaldefinitionen von Terrorismus im Rechtssinne, wie beispielsweise Art. 421-1 des französischen Strafgesetzbuchs, zeigen dies sehr deutlich: Es geht darum, mittels schwerer Angriffe auf hochrangige Inddividualrechtsgüter Einzelner in den Reihen Unbetroffener Angst und Schrecken davor zu erzeugen, selbst betroffen zu werden. Charakteristikum der Akte sind durchweg, dass es sich um Taten hoher physischer Gewaltintensität (Tötungen, Körperverletzungen etc.) oder -potentialität (Sprengstoffattentate, Flugzeugentführungen) oder um eine irreversible Zerstörung von Kulturgut mit identitätsstiftender Bedeutung (Buddha-Statuen von Bamyian) handelt (sowie um Finanzierungskriminalität und Propagandadelikte). Dazu sind die Aktionen der Aktivisten kein Minus, sondern ein Aliud: Erzeugt werden sollen lediglich zeitlich begrenzte Unannehmlichkeiten nicht-körperlicher Art (Staus, Kartoffelsuppe auf Glas). Auch geht es den Aktivisten wohl kaum darum, ihre Forderungen durch die erzeugte disproportionale Angst vor der eigenen Betroffenheit durchzusetzen: Christian Lindner wird seinen Widerstand gegen das Tempolimit wohl kaum aufgeben, weil er Angst hat, in nächster Zeit hinter “Klima-Klebern” im Stau zu stehen, und dies ist auch nicht beabsichtigt.
Folglich sollte man die Kirche im Dorf lassen: Es handelt sich um Nötigungen (u.a.), nicht um Terrorismus. Auch nicht dem Prinzip nach.
Terrorismus ist erst einmal ein tatsächliches Phänomen, der Verweis auf eine vermeintlich gängige Legaldefinition verfängt somit nicht. Als Wesensmerkmal des Terrorismus lässt sich m.E. die Missachtung demokratischer Diskursregeln ausmachen (i.e. Gewalt statt Worte). Indem die Klima”aktivisten” sich zur Erreichung ihrer Ziele der Nötigung und Sachbeschädigung bedienen, missachten sie ebenso diese Diskursregeln. Der Unterschied zwischen Terrorismus und dem hier gegenständlichen Verhalten der Klima”aktivisten” ist demnach nur ein gradueller und kein kategorischer.
Es erscheint mir in diesen Konstellationen immer überflüssig, auf zivilen Ungehorsam zu verweisen. Natürlich eignet es sich gut, um irgendwo mal Habermas zitiert zu haben, allerdings handelt es sich bei diesen Protestaktionen, soweit sie, wie hier behauptet wird, unter den Schutzbereich von Grundrechten fallen, ganz dezidiert NICHT um zivilen Ungehorsam, weil der Protest durch seine Zugehörigkeit zu einem geschützten Grundrechtstatbestand ja gerade von der Rechtsordnung gebilligt wird.
Ich verstehe den Drang, sich den historisch vergüldeten Mantel “zivilen Ungehorsams” überstreifen zu wollen, allerdings sollte man dann nicht die Grundrechte als Rechtfertigung, weil man sich in einen wenig auflösbaren Widerspruch zu seinen eigenen Prämissen befindet.
Dass auf Seiten der Demonstierenden und der Ausgebremsten Grundrecht stehen, dürfte außer Frage stehen. But what’s your point? Im Übrigen finde ich den Gedanken von Roxin/Greco zur Strafbarkeit zivilen Ungehorsams interessant, doch betrifft er erst die Rechtfertigungsebene – insofern trifft der Gedanke in der Konsequenz zu –, er verkennt jedoch, dass dies sowohl auf der Tatbestands- als auch der Schuldebene nicht gilt; beim TB, weil Strafrecht über das – etwa zivil- oder verwaltungsrechtliche – Verbotensein und den bußgeldbewährten Ahnungsgrad hinaus ein besonderes sozialethisches Unwerturteil aussspricht; bei der Schuld iÜ sowieso, weil dieser Unrecht voraussetzt.
Der Punkt ist, dass etwas aufhört “ziviler Ungehorsam” zu sein, wenn er in irgendeiner Weise innerhalb des Rechtssystems aufgelöst werden kann.
Entweder steht man zu seinem, nach eigener Perspektive, moralisch gerechtfertigten Rechtsbruch oder verneint ihn, indem man seinen Protest als rechtlich gerechtfertigt ansieht. Die Leute begeben sich damit in eine merkwürdige Superposition zwischen “Rechtsbruch” und “Nicht-Rechtsbruch”, die es in dieser Form nicht gibt.
Über Firlefanz wie ein “sozialethisches Unwerturteil” rede ich nicht, das kann man gerne Frankfurtern überlassen.
Der Kommentar von “Michael Schneider” trifft einige Punkte schon sehr gut.
Dass die aktuellen Forderungen nach Strafschärfung nicht zielführend sind, ist richtig.
Was aber nicht richtig ist, ist daraus eine Straffreiheit zu fordern – unabhängig davon, ob man sich mit den Fernzielen der Taten identifizieren kann oder nicht.
Der Beitrag leidet zum Teil an Auslassungen. So verschweigt das BVerfG-Zitat zum “zivilen Ungehorsam”, dass dort nur eine Mindermeinung innerhalb des Senats dargestellt ist und selbst innerhalb dieser Minorität nicht die Bereitschaft bestand, sich zum zivilen Ungehorsam als eigene Rechtskategorie zu bekennen.
In diese Kategeorie fällt auch die Aussage, es sei “konsentiert”, dass ziviler Ungehorsam in den Schutzbereich der Artt. 5 und 8 falle. Die Handlungen, die dahinter stehen, mögen tatsächlich in diese Schutzbereiche fallen (was schon ein ziemlich relevanter Unterschied ist). Die Bestrafung dessen, kann dann auch ein Eingriff sein. Dieser Eingriff ist dann aber – und allein das ist “konsentiert” – noch nie als nicht gerechtfertigt angesehen worden. Die mir bekannten (ausnahmslos untergerichtlichen) Entscheidungen, wo dies einmal anders gesehen wurde, endeten fast ausnahmslos in Ermittlungsverfahren wegen Rechtsbeugung.
Letztlich verlangt der Beitrag, das Gebot aufzugeben, dass der politische Diskurs gewaltfrei sein muss. Wer das nicht glaubt, ersetzte einmal den im Beitrag aufgegriffene Fall der Zerstörung eines van Gogh mit der Inbrandsetzung eines (noch unbewohnten) Flüchtlingsheims. Wer die Zerstörung eines van Gogh (Wert gut und gerne 100 Mio Euro) für einen “symbolischen Akt” hält, wird das Abbrennen des Flüchtlingsheim (Wert weit unterhalb der 100 Mio Euro) wohl kaum anders einordnen können. Auch ansonsten müsste man mit den im Beitrag dargestellten Kriterien zu dem Schluss kommen, dass auch das Inbrandsetzen nur ein Akt zivilen Ungehorsams sei, der nicht zu bestrafen wäre. Das ist intellektuell sehr überschaubar. Richtig kann nur sein: Jeder Versuch, mit Mittel der Gewalt Politik zu machen, ist zu bestrafen. Die Strafe muss schuldangemessen sein – nicht mehr und nicht weniger.
Sie wollen also allen ernstes die symbolische Beschmutzung und nicht einmal tatsächliche Zerstörung eines Gemäldes gleichsetzen mit dem Inbrandsetzen eines Gebäudes, welches Menschen behaust? Entschuldigung, aber wenn Sie schon den selbstgefälligen Advocatus Diaboli raushängen lassen wollen, dann geben Sie sich nächstes Mal bitte wenigstens etwas Mühe.
Lieber Fynn, mich würde interessieren wie Du die durch das AG Heilbronn ausgesprochenen Haftstrafen vom März 2023 zu den Protesten der letzten Generation siehst. Ich fände eine Urteilsbesprechung toll!
Vor allem verstehe ich nicht, wie das mit dem §47 StGB vereinbar ist.
Wohin soll das führen?