02 November 2021

Fischen im Trüben

Über die rechtlichen Hintergründe des Fischereistreits zwischen Frankreich und Großbritannien

Der Post-Brexit-Fischereistreit zwischen London und Paris will nicht enden: Erst im Mai dieses Jahres standen sich vor der Kanalinsel Jersey französische und britische Kriegsschiffe gegenüber. Nach der Festsetzung eines britischen Fischerbootes in der Hafenstadt Le Havre am vergangenen Donnerstag droht der Konflikt nun abermals zu eskalieren. Kern des Streits sind Unstimmigkeiten über die Ausstellungen von Fischfanglizenzen für britische Gewässer zwischen sechs und zwölf Seemeilen vor der Küste. Das beiderseitige Säbelrasseln über die Zugangslizenzen überdeckt die Tatsache, dass es sich letztlich um eine bürokratische Einzelfrage handelt. Diese gilt es nun zu klären.

Rückblick: Die Rechtslage vor dem Brexit

Dass der Zugang für Fischer aus EU-Staaten zu britischen Gewässern nach dem Brexit erschwert sein würde, war schon lange absehbar. Nicht umsonst drohte der Zankapfel der Fischereirechte die Verhandlungen um das Nachfolgeabkommen zwischen EU und UK fast zum Scheitern zu bringen. Die Fischerei bildet nur einen winzigen Teil des Bruttoinlandproduktes beider Staaten. Doch die Konzentration der wirtschaftlichen Tätigkeit auf einzelne Küstenstandorte macht sie politisch und sozial bedeutsam. Die Gemeinsame Fischereipolitik (GFP) der Europäischen Union war vielen britischen Fischern seit langem ein Dorn im Auge. Unter der GFP gilt für Fischereifahrzeuge der Grundsatz des gleichberechtigten Zugangs zu allen Europäischen Gewässern in einem Gebiet zwischen 12 und 200 Seemeilen. Zusätzlich etabliert die GFP Quoten, die in jährlichen Marathonsitzungen ausgehandelt werden. Angaben von Statista verdeutlichen, wieviel attraktiver es für Fahrzeuge aus der EU ist, in den britischen Gewässern zu fischen, als umgekehrt. Die ausschließliche Wirtschaftszone des Vereinigten Königreichs ist mit 756.000 km² größer als die von Irland, Frankreich, Dänemark und Deutschland zusammengenommen. Noch dazu ist sie ausgesprochen ertragreich: 760.000 Tonnen Fisch gewinnen EU-Staaten jährlich aus den kühlen und tiefen Gewässern des Vereinigten Königreichs, in die es die ausgewachsenen, fangreifen Fische aus den flachen Küstengebieten der EU zieht. Umgekehrt sind es lediglich 90.000 Tonnen. Den Zugang zu den ergiebigen britischen Gewässern wollte sich die EU auch nach dem Brexit unbedingt offen halten und setzte in den Verhandlungen um ein Nachfolgeabkommen auf die Verbindung der Fischereifragen mit dem wirkungsmächtigen Hebel der übrigen Handelsbeziehungen. Auch ohne Handelsabkommen hätte zwar das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ) den EU-Staaten ein Türchen zur Ausschließlichen Wirtschaftszone des Vereinigten Königreiches eröffnet. Art. 62 SRÜ verpflichtet Küstenstaaten dazu, anderen Staaten durch Vereinbarung Zugang zum Überschuss der zulässigen Fangmenge in ihrer AWZ zu gewähren. Für andere Staaten ergibt sich hieraus jedoch keinerlei wirtschaftliche Planungssicherheit und erst recht kein Rechtsanspruch auf Zugang zu einem bestimmten Überschuss (vgl. hier).

Was hat sich mit dem EU-UK-FTA geändert?

Zur Regelung des Post-Brexit-Verhältnisses haben sich die EU und das Vereinigte Königreich am 24.12.2020 auf das Abkommen über Handel und Zusammenarbeit (Trade and Cooperation Agreement – EUUKTCA) geeinigt. Der Teilbereich Fünf des EUUKTCAs ist der Fischerei gewidmet. Hinzu tritt das Protokoll über den Zugang zu den Gewässern (Anhang 38), das den britischen und europäischen Fischern bis zum 30. Juni 2026 eine Übergangs- und Anpassungsphase einräumt. In dieser Phase wird der Anteil der EU am Fischfang aus britischen Gewässern Jahr für Jahr geringfügig reduziert. Nach Ablauf der Übergangszeit sollen die Fragen des Zugangs und der Quotenverteilung jährlich neu verhandelt werden.

Ein wesentlicher Verhandlungserfolg für die EU war das Zugeständnis Großbritanniens, auch innerhalb der Küstengewässer zwischen sechs und zwölf Seemeilen fischen zu dürfen – eben der Zone, über die sich der schwelende Konflikt nun zu entzünden droht. Dabei hatte die britische Regierung noch versucht, genau dies zu verhindern.

Kündigung des Londoner Fischereiabkommens parallel zum Brexit

Parallel zum Austrittsverfahren aus der EU hatte Großbritannien nämlich das Londoner Fischereiabkommen aus dem Jahr 1964 aufgekündigt, das die Gemeinsame Fischereipolitik bis dahin ergänzte. Das Abkommen, dem sich Großbritannien schon vor seinem Eintritt in die EG im Jahr 1973 verpflichtet hatte, erlaubt den Fischfang in einem Küstenstreifen der beteiligten Vertragsstaaten – darunter auch Frankreich, Deutschland, Belgien und die Niederlande – zwischen der sechsten und zwölften Seemeile. Für die britische Regierung war die Kündigung des Abkommens Kernbestandteil ihrer „Take back control“-Kampagne. Die 12 Seemeilen vor der Küste sollten fortan britischen Fischern vorbehalten bleiben, so der Standpunkt der britischen Regierung noch im Oktober 2020:

“The Government have been clear throughout that access to the UK’s territorial seas is out of scope for any fisheries framework agreement with the EU. Any access negotiated with the EU will cover only the UK’s exclusive economic zone, and not the 0 to 12-mile zone. That remains the case.”

Die EU hat dennoch wieder Zugangsrechte für die europäischen Fischereifahrzeuge durchgesetzt – unter der Bedingung, dass diese über die entsprechende Lizenz verfügen. Ohne gültige Genehmigung dringen die Fischerboote unbefugt in fremde Hoheitsgewässer ein und setzen sich dem Vorwurf der illegalen Fischerei aus.

Unklare innerstaatliche Prüfungskriterien für die Erteilung von Genehmigungen

Die Frage der Lizenzerteilung ist in Art. 497 in Verbindung mit den Artikeln 500, 502 und Anhang 38 geregelt. Es handelt sich hierbei um eine gebundene Entscheidung: Werden die verlangten Nachweise erbracht, ist die Lizenz auszustellen. Gemäß Art. 497 werden die Listen mit den Schiffen, für die Fanglizenzen beantragt werden, über die EU-Kommission an die EU-Mitgliedsstaaten oder an Großbritannien weitergeleitet. Für den Zugang zu den Gewässern zwischen sechs und zwölf Seemeilen ist indes der qualifizierte Nachweis erforderlich, dass das fragliche Schiff mindestens vier Jahre zwischen 2012 und 2016 in dem Gebiet gefischt hat (Art. 2 Abs. 1 lit. c) des Anhang 38). Konkret gilt diese Regelung für die südliche Nordsee, Ärmelkanal, Kanal von Bristol und Keltische See (sog. ICES-Divisionen 4c und 7d-g). Für die fischreichen Gewässer um die Inseln Guernsey und Jersey im Ärmelkanal gilt abweichend eine Nachweispflicht für den Zeitraum vom 1. Februar 2017 bis zum 31. Januar 2020 (Art. 502 Abs. 1). Die Ausstellung der Genehmigungen richtet sich nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht. In Großbritannien ist hierfür nach dem Ausscheiden aus der GFP der Fisheries Act 2020 als Rechtsgrundlage heranzuziehen. Im Einzelnen scheint aber offenbar nicht klar zu sein, auf welcher Entscheidungsbasis die Lizenzen verteilt werden. Dabei verpflichtet Art. 507 des EUUKTCAs die Vertragsparteien explizit zum Austausch der Informationen, die zur Durchführung des Fischerei-Teilbereiches erforderlich sind.

Die Faktenlage über die beantragten und tatsächlich erteilten Lizenzen ist unübersichtlich, die Zahlenangaben variieren (vgl. zB hier und hier). Die Vogtei Jersey soll erst Ende April Post-Brexit-Lizenzen für ihre Gewässer an französische Fischerboote vergeben haben, nachdem Interimsvereinbarungen ausgelaufen waren. Die Vogtei Guernsey hat Ende September eingeräumt, noch keinerlei Lizenzen ausgestellt zu haben und einen Abschluss der Prüfung bis zum 1. Dezember 2021 angekündigt. Offenbar wurden jedenfalls dutzende Lizenzen nicht ausgegeben, ohne dass die Gründe dafür bekannt wären. Andere decken wider Erwarten nur einen Teil der beantragten Arten ab. Hinter den trockenen Daten und Zahlen verbergen sich die Schicksale hunderter Fischer*innen, die hüben und drüben tatenlos auf dem Trockenen sitzen. Die französische Regierung beklagt auch noch, es sei auffällig, dass besonders viele Genehmigungen für französische Fischereifahrzeuge fehlen würden. Spätestens an dieser Stelle dringen alte Ressentiments wieder an die Oberfläche. Man nimmt es persönlich, vermutet Kalkül und bösen Willen. So wird im Post-Brexit-Chaos aus einer Formsache wie einer Lizenzerteilung ein Politikum.

Fragwürdige Ankündigung von Gegenmaßnahmen

In den vergangenen Tagen hatte Paris ein wachsendes Arsenal an Gegenmaßnahmen angekündigt, darunter ein Anlegeverbot für britische Fischerboote in bestimmten französischen Häfen und schärfere LKW-Kontrollen. Auch ein Stromentzug für die Insel Jersey steht laut Medienberichten im Raum. Frankreich würde hier mit einem weiteren, für das Vereinigte Königreich sensiblen Thema spielen. Die Insel hängt von der Elektrizitätsversorgung durch Kontinentaleuropa ab. Doch kann und darf Frankreich überhaupt mit Sanktionen drohen? Mit Blick auf die jüngsten Drohungen konstatierte Brexit-Minister David Frost am 30. Oktober 2021 via Twitter: [T]hese threats, if implemented on 2 November, would put the EU in breach of its obligations under our trade agreement.“ Mit dieser Einschätzung dürfte Frost Recht haben. Denn auch wenn die Rechtslage rund um die Genehmigungs- und Lizenzerteilung einigermaßen unklar ist – die Vorgaben für die Ergreifung einseitiger Vergeltungsmaßnahmen sind es nicht.

Aus dem EUUKTCA lassen sich klare Handlungsschritte ableiten, wie und welche Abhilfemaßnahmen ergriffen werden dürfen, wenn eine Seite ihre Verpflichtungen aus dem Fischereiteilbereich mutmaßlich verletzt. Die Vertragspartei, der die Nichteinhaltung ihrer Vertragspflichten vorgeworfen wird, muss zunächst mindestens sieben Tage, bevor sie Maßnahmen ergreift, über Grund als auch Beginn und Umfang der Maßnahmen in Kenntnis gesetzt werden (Art. 506 Abs. 4). Die Maßnahmen, die dabei zur Verfügung stehen, legt das EUUKTCA ebenfalls genau fest (Art. 506 Abs. 1 und 2). Sie folgen einem Stufenschema, das von den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen der mutmaßlichen Nichteinhaltung abhängt und Maßnahmen mit wachsendem Intensitätsgrad ermöglicht. Mildeste Mittel sind die vollständige oder teilweise Aussetzung des Zugangs zu den eigenen Gewässern sowie der Zollpräferenzbehandlung für Fischereiprodukte. Sollte dies nicht für ausreichend befunden werden, können auch auf andere Waren bei der Einfuhr wieder Zölle erhoben werden. Diese Kopplung zwischen Handel und Fischerei hat die EU in zähen Verhandlungen gegen die britische Regierung durchgesetzt, die sich dafür eingesetzt hatte, beide Bereiche zu trennen (vgl. hier, S. 7). Im äußersten Falle ist es so auch möglich, Verpflichtungen aus dem Teil 2, Teilbereich Eins auszusetzen, der unter anderem den Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr umfasst. Allerdings finden diese äußersten Maßnahmen gerade keine Anwendung, wenn Großbritannien die Sonderzugangsregeln für die Gewässer um Jersey und Guernsey nicht befolgt (Art. 506 Abs. 2). Bei alledem ist stets der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (Art. 506 Abs. 3). Ob dieser bei Maßnahmen wie einer Unterbrechung der Stromversorgung zur Insel Jersey gewahrt wäre, darf bezweifelt werden.

Keine Vergeltungsschläge im französischen Alleingang

Entscheidend dürfte gegenwärtig aber sein, dass Vergeltungsschläge im französischen Alleingang unter keinen Umständen mit dem EUUKTCA vereinbar sind. Vertragspartei des EUUKTCA ist die Europäische Union und nicht Frankreich. Gegenmaßnahmen in Reaktion auf vertragswidriges Verhalten der britischen Seite dürfen folglich nur von der EU-Kommission veranlasst werden. Bedeutsam – und bisher erstaunlicherweise in den öffentlichen Stellungnahmen vernachlässigt – ist dabei auch, dass das Ergreifen von Abhilfemaßnahmen gemäß Art. 506 Abs. 5 automatisch ein verpflichtendes Streitbeilegungsverfahren nach sich ziehen würde. Die Partei, die zu Abhilfemaßnahmen greifen will, muss demnach innerhalb von 14 Tagen nach der Notifikation der beabsichtigten Maßnahmen die Einsetzung eines Schiedsgerichts beantragen. Die üblicherweise vorgeschalteten Konsultationen, die das Streitbeilegungssystem des EUUKTCA in Art. 738 als ersten Schritt zur Konfliktlösung vorsieht, entfallen. Die Schiedssache wird im Übrigen im Eilverfahren durchgeführt (Art. 506 Abs. 5 iVm Art. 744).

Mehr Sachlichkeit

Bevor das Schwert des Art. 506 gezogen wird, gibt es natürlich noch einen anderen Weg – informelle Konsultationen, um gemeinsam zu einer für beide Seiten verträglichen Lös