Fünf Gemeinplätze zu rechtswissenschaftlichen Blogs, und was von ihnen zu halten ist
In einigen Wochen wird dieser Blog fünf Jahre alt. Der Geburtstag ist zwar erst am 30. Juli, und sich selbst zu gratulieren, bevor der Tag überhaupt da ist, bringt bekanntlich doppelt Unglück. Deshalb will ich mich damit gar nicht aufhalten, sondern lieber aufschreiben, was mir anlässlich einer kleinen Tagung in Paris durch den Kopf geht, an der ich am Montag teilnehmen durfte. Sie fand an der Ecole Normale Supérieure statt und versammelte ein gutes Dutzend französischer Juristinnen und Juristen teils mit aktivem, teils mit beobachtendem Interesse am Tagungsthema, nämlich: “Les blogs juridiques“.
Gibt es die überhaupt? Die gibt es in der Tat, wenngleich nach meinem Eindruck von ihnen hierzulande kaum oder gar nicht Notiz genommen wird (woran wir im Zuge unseres Projekts, ein europäisches Verfassungsblog-Netzwerk zu knüpfen, etwas ändern möchten – dazu mehr in einem Interview mit dem französischen Menschenrechts-Blogger Serge Slama, das wir in den nächsten Tagen hier veröffentlichen werden). Für mich lag der Nutzen der Tagung aber nicht nur in der Möglichkeit, Ansprech- und potenzielle Kooperationspartner für unser Projekt zu finden, sondern darin, die Gemeinplätze, denen ich in fünf Jahren Verfassungsblog wieder und wieder begegnet bin, in der französischen Debatte über rechtswissenschaftliche Blogs gespiegelt zu sehen.
1. Blogs sind ephemer, nur Gedrucktes bleibt
Ich war überrascht, wie viel Raum dieser Punkt in der Debatte in Paris eingenommen hat: Blogs, so scheint es, gelten für viele immer noch als flüchtiges, kurzlebiges Medium, dessen Inhalte nach spätestens ein paar Tagen sterben und sich auf dem Meeresgrund des Internet in totes Datensediment verwandeln.
Da ist insofern etwas dran, als die Veröffentlichungslogik des Blogformats dieses Bild zu unterstützen scheint: Obenauf schwimmt, was neu ist. Älteres sinkt schnell nach unten und ist irgendwann nur noch für die zu finden, die sich unermüdlich durch die “älteren Beiträge” klicken oder die Suchfunktion bemühen.
Trotzdem scheint mir das Bild in die Irre zu führen. Erstens steht es in eklatantem Gegensatz zu einem anderen Gemeinplatz, nämlich dem, dass das Internet nichts vergisst. Was nach unten sinkt, wird nicht zu Sand zermahlen, sondern auf das Prächtigste konserviert und bleibt für paläontologisch interessierte künftige Juristengenerationen über Suchmaschinen und Links problemlos auffind- und studierbar. Außerdem kommt es durchaus vor, dass bereits auf den Grund gesunkene Blogposts durch die Strömungen der politischen Aktualität wieder an die Oberfläche gespült werden: Einer meiner meistgeklickten Blogposts ever ist ein Bericht über eine Veranstaltung vom Februar 2011, wo Christoph Möllers der damaligen bayerischen Justizministerin Beate Merk erklären musste, warum sie mit ihrer These, es gebe ein Grundrecht auf Schutz vor Straftätern, falsch liegt. Jedesmal, wenn wieder jemand dieses Grundrecht auf Sicherheit postuliert, verlinkt irgendwo jemand auf diesen Blogpost und treibt ihm neue Aufmerksamkeit zu.
Vor allem aber scheint mir die Frage zu sein: ephemer im Gegensatz wozu? Wenn ich meinem Text ein langes Leben wünsche, ist er dann wirklich zwischen zwei Buchdeckeln am besten aufgehoben? Wer jemals mitansehen musste, wie ein selbst geschriebenes Buch erst aus dem Handel genommen, dann verramscht und schließlich als Makulatur in den Pulper geschmissen wird, der wird für den Glauben an die Ewigkeit bedruckten Papiers nur ein bitteres Lächeln übrig haben. Und selbst wenn die Stabi noch ein gilbes Exemplar aufbewahrt: dessen friedhofstille Existenz im ewigen Dunkel des Magazins, alle paar Jahrzehnte vom Lichtstrahl einer flüchtigen Schlagwortsuche gestreift, scheint sich mir von der der meisten meiner Blogposts des Jahres 2010 nicht allzu sehr zu unterscheiden.
Vor allem wenn es um die Dokumentation von Debatten geht, finde ich das Bestehen auf gedrucktem Papier oft regelrecht sonderbar. Nach einer Konferenz oder einer Tagung irgendeinem Verlag Tausende von Euro Druckkostenzuschuss in den Rachen zu schmeißen und dafür den Großteil der verlegerischen Arbeit auch noch selber machen zu müssen, nur damit eineinhalb Jahre post factum ein Tagungsband erscheint, der keinen Menschen mehr interessiert – wozu das gut sein soll, fällt mir nicht leicht zu verstehen. Zumal man das gleiche Ergebnis, nämlich die Debatte auch für Nichtanwesende zugänglich, dokumentiert und referenzierbar zu machen, auch digital haben könnte, für einen Bruchteil der Kosten, dafür mehr oder weniger in Echtzeit.
Der einzige Punkt, an dem mir der Einwand der Ephemerität eine gewisse Berechtigung zu haben scheint, ist dieser: Was passiert, wenn ein Blog eingestellt wird? Das scheint in Frankreich mit einem sehr erfolgreichen Blog zum Öffentlichen Recht passiert zu sein, den Frédéric Rolin von Paris X-Nanterre betrieben hatte. Die meisten erfolgreichen Blogs sind Projekte von Einzelkämpfern, bei denen das nötige Temperament sich auf glückliche Weise mit sprachlichem Geschick und fachlicher Expertise vereint. Und wenn sie die Lust zu dieser notorisch zeitintensiven Tätigkeit verlässt, dann hören sie halt einfach auf.
2. Bloggen ist was für Narzissten
Apropos Einzelkämpfer: Unter den Tagungsgästen in Paris war auch Philippe Bilger, ein ehemaliger Staatsanwalt, der einen viel beachteten Blog namens “Justice au Singulier” betreibt. Bilger spricht jenes unvergleichliche nasal-gedehnte Französisch voller Subjonctifs und Passés simples, das den gebildeten Magistrat alter Schule auszeichnet, und was er schreibt, kann man getrost mit dem schönen altfranzösischen Wort super-réac bezeichnen (er selbst würde nicht widersprechen). Bilger jedenfalls gab fröhlich zu Protokoll, sein Motiv zum Bloggen sei nichts anderes als sein Narzissmus.
Auch das lässt sich auf den ersten Blick bis zu einem gewissen Punkt durchaus generalisieren: Wie selbstverliebt muss jemand sein, der sich alle paar Tage hinstellt und ein unbestimmtes Publikum mit in der ersten Person formulierten Betrachtungen zu Welt und Gesellschaft beglückt? Es gibt ohne Zweifel eine Menge Blogs, auf die die Narzissmus-Diagnose zutrifft, und auch ich bekenne, nach einem Tag mit 100 Facebook-Likes, Retweets und Kommentaren zufriedener zu Bett zu gehen als nach einem ohne.
Trotzdem glaube ich, dass die Welt der Blogs, der juristischen zumal, erst jenseits dieser Narzissmus-Sphäre anfängt wirklich spannend zu werden.
An narzisstischen Bescheidwissern und Weltendeutern, die sich im Spiegel der öffentlichen Aufmerksamkeit bewundern, herrscht auch unter Zeitungs- und Fernsehjournalistinnen wahrhaftig kein Mangel, genauso wenig wie unter Juraprofessoren. Blogger, die guten jedenfalls, zeichnen sich dagegen durch etwas aus, was diesen in aller Regel abgeht – durch eine wirkliche Neugier, was andere dazu meinen, was man zu sagen hat. Ein Blogpost ist erst komplett, wenn man die Kommentare dazu nimmt. Wenn ich in einem Blogpost schreibe “Ich sehe das so”, dann tue ich das (anders als bei einem Leitartikel) in dem Bewusstsein, dass jede Leserin da draußen, die ich zum Widerspruch reize, mir brühwarm und ohne falsche Schonung unter meinen Text schreiben kann und wird, warum man das auch ganz anders sehen kann. Und wenn ich, Gott bewahre, einen richtigen Blödsinn schreiben sollte, wird sich (wiederum anders als beim Leitartikel) der Schaden für den Leser dadurch in Grenzen halten, dass er in den Kommentaren sofort erfährt, woran er ist.
(Was natürlich nur funktioniert, wenn nicht unter den Kommentatoren seinerseits zu viele narzisstisch gestörte Persönlichkeiten a.k.a. Trolle unterwegs sind.)
Mit anderen Worten: bloggen heißt Debatten anstoßen. Mattias Kumm sagt, es gibt eine Rechtspflicht für den Rat, Jean-Claude Juncker zu nominieren. Kenneth Armstrong sagt, die gibt es keineswegs. Kumm sagt, Armstrong irrt sich. Armstrong sagt, Kumm irrt sich. Sind wir hinterher klüger? Ich jedenfalls schon.
So viel für heute. Die anderen drei Gemeinplätze zu rechtswissenschaftlichen Blogs, die ich in Paris wahrgenommen habe, werde ich in einem weiteren Blogpost abarbeiten.
Zum zweiten Teil dieses Blogposts hier.
Das Medium ist die Massage.
Wie Malcom McLaren sagte.
Im Ernst: Zustimmung. Auch was die Debatte Kumm/Armstrong angeht. Obwohl ich gestehen muss, dass ich persönlich da den Anlass juristisch für außerordentlich wenig klärungsbedürftig hielt; spätestens die Duplik von Armstrong dürfte dann ja letzte Zweifel ausgeräumt haben. Zur Ausgangsfrage knapp und treffend jetzt übrigens Joachim Wieland .
@AL, Sauer: allmählich wird das noch ein richtig guter Witz. Oder ist der von irgendeinem Standupcomedian geklaut?
Auch im Ernst: Die Wünschbarkeit dieses Vorgangs mal beiseite – als Randy Barnett, Ilya Somin und andere auf Volokh Conspiracy anfingen, Obamacare verfassungsrechtlich in Frage zu stellen, fanden das auch erst mal alle off the wall, und am Ende wäre das um Haaresbreite fast zur Supreme-Court-Doktrin geworden.
[…] Zum ersten Teil dieses Blogposts hier… […]
@Max: https://www.klett-cotta.de/buch/Tropen-Sachbuch/Das_Medium_ist_die_Massage/15902
@Sauer: wenn jemand Massage sagt, sollten Sie nicht Message lesen. Das ist wie Spinat und Spinett.
The author is said to be a misprint.
Hier noch die Aufnahme der Sex Pistols: http://www.marshallmcluhan.com/downloads/the-medium-is-the-massage-reissue.mp3
@Sauer: Hehe. Genau. Für die Beobachter erster Ordnung. Aber “the author” ist dadurch noch immer nicht McLaren.