Wenig Freiheit, wenig Schutz
Das GEAS-Anpassungsgesetz aus grund- und menschenrechtlicher Perspektive
Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) tritt im Sommer 2026 – also in weniger als einem Jahr – in Kraft. Bis dahin muss das nationale Recht noch an die neuen Vorschriften angepasst werden. Bereits im November 2024 hatte das Kabinett der Ampel-Regierung einen Entwurf beschlossen – doch am selben Tag zerfiel die Regierung und der Entwurf wurde nicht mehr im Bundestag verabschiedet. Nun hat sich das Kabinett unter CDU/CSU und SPD erneut auf einen Gesetzentwurf zur Anpassung des nationalen Rechts an die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS-Anpassungsgesetz) geeinigt.
Viele der europäischen Regelungen bergen relevante menschenrechtliche Risiken. So sollen zahlreiche Asylsuchende in Zukunft nicht mehr einreisen dürfen, sondern ihr Asylverfahren in einem beschleunigten Grenzverfahren unter Haft oder haftähnlichen Bedingungen direkt an den EU-Außengrenzen durchlaufen. Pauschale Ausnahmen für Minderjährige oder besonders vulnerable Schutzsuchende gibt es nicht. Umso wichtiger ist es, dass die Umsetzung in deutsches Recht die Menschenrechte von Schutzsuchenden möglichst breit zur Geltung bringt. Doch stattdessen enthält der Gesetzentwurf sogar Regelungen, die zwar die Menschenrechte beschränken, aber nicht Teil der GEAS-Reform sind.
Vorgezogene Grenzverfahren als Pilotprojekt bereits vor 2026
Nach § 18a AsylG-E sollen Grenzverfahren bereits vor Inkrafttreten der neuen Asylverfahrens-Verordnung (VO 2024/1348) im Rahmen eines Pilotprojekts anwendbar sein. Die Gesetzesbegründung beruft sich hierbei nicht auf die GEAS-Reform, sondern auf Artikel 43 und 31 der derzeit noch geltenden Asylverfahrensrichtlinie (RL 2013/32/EU). Demnach sind bereits nach aktuell geltendem Recht in bestimmten Fallkonstellationen Grenzverfahren zulässig. Ziel ist es, Erfahrungen für die ab 2026 unter der Asylverfahrens-Verordnung anzuwendenden Grenzverfahren zu sammeln. Doch nicht nur bleibt nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens nur wenig Zeit, um das Pilotverfahren umzusetzen – die Pilotierung wird diesem Ziel auch nicht gerecht.
Denn die Grenzverfahren im Pilotprojekt sind in ihrer Struktur nicht mit den Grenzverfahren nach der Asylverfahrens-Verordnung vergleichbar. So soll nach § 18a Absatz 6 Nummer 2a AsylG-E das Grenzverfahren im Pilotprojekt maximal sieben Tage dauern, im Grenzverfahren nach der Asylverfahrens-Verordnung dagegen zwölf Wochen (Artikel 51 Absatz 2 Asylverfahrens-Verordnung).
Auch Schutzgarantien für Antragsteller*innen nach der Asylverfahrens-Verordnung setzt das Pilotverfahren nicht um. Dazu gehört etwa die Verpflichtung, Antragsteller*innen mit besonderen Bedürfnissen bei der Aufnahme aus dem Grenzverfahren zu entlassen (Artikel 53 Absatz 2 Buchstabe b) Asylverfahrens-Verordnung). Besondere Bedürfnisse bei der Aufnahme können zum Beispiel Schwangere, Personen mit Behinderung, Personen, die Opfer von schwerer psychischer, physischer oder sexueller Gewalt geworden sind, oder auch Minderjährige haben (Artikel 24 Aufnahmerichtlinie, RL 2024/1346/EU). Auch die Ausnahme für unbegleitete Minderjährige aus Artikel 53 Absatz 1 Asylverfahrens-Verordnung wurde nicht in das Pilotverfahren übersetzt. Die Regelung zu Antragsteller*innen mit besonderen Bedürfnissen sowie gewisse Ausnahmen für unbegleitete Minderjährige wären auch im aktuell geltenden EU-Recht nach der Asylverfahrensrichtlinie zu berücksichtigen (Artikel 24 Absatz 3, 25 Absatz 6 Satz 2 Asylverfahrensrichtlinie). Angesichts des Richtliniencharakters bedürfte es insoweit einer ausdrücklichen Umsetzung im nationalen Recht, die im Gesetzentwurf jedoch fehlt. Ein Hinweis in der Begründung des Gesetzentwurfs (S. 91) reicht insoweit nicht aus.
Die Frage, ob eine Person besondere Bedürfnisse bei der Aufnahme hat oder ob sie minderjährig ist, wird in der Praxis oftmals nicht auf den ersten Blick zu erkennen sein. Gerade hier wären Erfahrungswerte von besonderer Bedeutung.
Zugleich werden die Grenzverfahren nach der Asylverfahrens-Verordnung von einem unabhängigen Monitoring-Mechanismus flankiert, der die Einhaltung von Unions- und Völkerrecht im Grenzverfahren überwacht (Artikel 10 Screening-Verordnung, VO 2024/1356; Artikel 43 Absatz 4 Asylverfahrens-Verordnung, siehe ausführlich hierzu Fischer-Uebler/Rollett). Auch die Bundesregierung bekennt sich ausdrücklich zu diesem Mechanismus (Gesetzentwurf, S. 109, 156), was positiv zu bewerten ist. Doch dieser Mechanismus wird nicht bereits mit einer gesetzlichen Regelung in das Pilotverfahren integriert, sodass auch hier wertvolle Erfahrungswerte fehlen.
Besondere Aufnahmeeinrichtungen für Dublin-Verfahren
Ein weiterer zentraler Aspekt des Gesetzentwurfs ist, dass die Länder sogenannte „Aufnahmeeinrichtungen zur Durchführung von Verfahren bei Sekundärmigration“ (§ 44 Absatz 1a AsylG-E) einrichten können. Auch diese Maßnahme erfolgt nicht in Umsetzung oder auf Grundlage der GEAS-Reform.
Die Aufnahmeeinrichtungen dienen unter anderem der Unterbringung von Asylsuchenden, bei denen hinreichende Beweismittel oder Indizien dafür vorliegen, dass sie „aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines anderen Mitgliedstaats illegal überschritten haben oder ein anderer Mitgliedstaat bereits als zuständiger Mitgliedstaat bestimmt worden ist“ (§ 44 Absatz 1a Nummer 1 Buchstabe b) AsylG-E). Die Einrichtungen sollen das Verfahren erleichtern, das den zuständigen Mitgliedstaat bestimmt (sog. Dublin-Verfahren) (Gesetzentwurf, S. 94). Entscheidet sich ein Bundesland dazu, entsprechende Einrichtungen zu schaffen, müssen die betroffenen Asylsuchenden während des Dublin-Verfahrens in einer solchen Einrichtung wohnen (§ 47a Absatz 1 AsylG-E). Die Höchstdauer der Wohnverpflichtung beträgt 24 Monate, bei minderjährigen Kindern und ihren Familien bis zu 12 Monate.
Da ein Großteil der Asylsuchenden in Deutschland über einen anderen Mitgliedstaat in die Bundesrepublik eingereist ist, sind potenziell viele Asylsuchende von der Regelung betroffen.
Die Wohnverpflichtung ist mit erheblichen Einschränkungen verbunden. Asylsuchenden ist es häufig nicht möglich, Bekannte, Freund*innen oder Familienangehörige zu treffen, spezialisierte medizinische Versorgung oder rechtliche Unterstützung zu finden. Dies ist vor allem für besonders vulnerable Schutzsuchende folgenreich, die auf den Zugang zu Schutz- und Unterstützungsangeboten angewiesen sind. Dazu gehört etwa für Betroffene von Menschenhandel oder von geschlechtsspezifischer oder häuslicher Gewalt die Möglichkeit, Schutz in einer Schutzwohnung oder in einem Frauenhaus zu suchen.
Erfahrungen mit sogenannten Ankerzentren, die in einigen Bundesländern in vergleichbarer Weise der zentralen Bearbeitung von Asylverfahren und Unterbringung von Schutzsuchenden dienen, zeigen, dass die Lebensverhältnisse in den Einrichtungen aus humanitärer Sicht als gravierend wahrgenommen werden.
Unverhältnismäßige Eingriffe in die Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden
Eine der größten menschenrechtlichen Kritikpunkte ist, dass der Gesetzentwurf Ermächtigungsgrundlagen enorm ausweitet, die Eingriffe in die Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden ermöglichen (kritisch zu Freiheitsbeschränkungen und Haft im GEAS etwa Nestler). Die Regelungen in §§ 68 ff. AsylG-E gehen dabei stellenweise deutlich über die Bestimmungen der zugrundeliegenden Aufnahmerichtlinie hinaus.
Gemäß § 68a Absatz 1 AsylG-E kann die zuständige Behörde etwa anordnen, dass sich eine Person ausschließlich in ihrer Aufnahmeeinrichtung aufhalten und diese nicht mehr verlassen darf. § 68 Absatz 1 AsylG-E enthält eine entsprechende Bestimmung für Asylsuchende in den Sekundärmigrationseinrichtungen. Die Behörde kann der Person lediglich gestatten, die Einrichtung vorübergehend zu verlassen (§§ 68a Absatz 2 AsylG-E, 68 Absatz 5 AsylG-E). Diese Verlassenserlaubnis soll erteilt werden, wenn der asylsuchenden Person die Beschäftigung erlaubt ist und es für ein konkretes Vorstellungsgespräch oder zur Ausübung einer bestehenden Beschäftigung erforderlich ist (§§ 68a Absatz 2 Satz 3, 68 Absatz 5 Satz 3 AsylG-E). Keiner Erlaubnis bedarf es nur für Termine bei Behörden und Gerichten oder bei Minderjährigen zum Besuch einer Regelschule (§§ 68a Absatz 2 Satz 4, 68 Absatz 5 Satz 4 AsylG-E). Hält sich eine Person nicht an diese Anordnung und besteht weiter Fluchtgefahr, kann sie gar inhaftiert werden (§ 69 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AsylG-E).
Bereits bei der „einfachen“ Beschränkung der Bewegungsfreiheit (und nicht erst bei der Inhaftierung nach § 69 AsylG-E) handelt es sich – entgegen der in dem Gesetzentwurf zugrunde gelegten Auffassung (S. 135, 137) – um eine Freiheitsentziehung nach Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 GG i.V.m. Artikel 104 GG. Eine solche Beeinträchtigung der körperlichen Fortbewegungsfreiheit kann auch durch psychisch vermittelten Zwang bewirkt werden, wenn die Zwangswirkung in Ausmaß und Wirkungsweise mit einem unmittelbaren physischen Zwang vergleichbar ist (siehe BVerfG 2021, Rn. 242). Vom Grundrecht der Freiheit der Person sind daher auch Verbote erfasst, einen bestimmten Ort oder Bereich nicht ohne Erlaubnis zu verlassen (BVerfG 2021, Rn. 246) – also auch die Anordnung, die Aufnahmeeinrichtung nicht zu verlassen. Denn das „verbotene Verhalten weist selbst einen klaren Bezug zur Fortbewegungsfreiheit auf“ (zu diesem Kriterium BVerfG 2021, Rn. 249).
Die Anordnung, sich in einer konkreten Unterkunft aufzuhalten, hebt die Bewegungsfreiheit in alle Richtungen auf (hierzu BVerfG 2021, Rn. 250). Dabei ist die Schwelle der besondere Eingriffsintensität für eine Freiheitsentziehung erreicht (zu den Kriterien BVerfG 2021, Rn. 250). Die Anordnung ist für manche Betroffene nicht auf bestimmte Tageszeiten oder die Nachtzeit beschränkt. Zu begrüßen ist insoweit, dass für minderjährige Kinder und ihre Familien und für nicht Ausreisepflichtige eine Beschränkung auf die Nachtzeit (22 bis 6 Uhr) gilt (§§ 68a Absatz 4 Satz 5, 68 Absatz 4). Unabhängig von der zeitlichen Geltung ist in jedem Fall mit der Aufnahmeeinrichtung ein konkreter Ort der Unterkunft vorgegeben. Die Maßnahme kann außerdem für einen Zeitraum von bis zu 6 bzw. 12 Monaten angeordnet werden (§§ 68a Absatz 4 Sätze 3, 4, 68 Absatz 4 Sätze 1, 2 AsylG-E). Zuletzt sind auch die Ausnahmevorschriften sehr eng bemessen und beziehen sich nur auf Termine mit Behörden und Gerichten oder den Schulbesuch. Wird mit freiheitsentziehenden Maßnahmen in das Grundrecht auf Freiheit der Person eingegriffen, ist stets der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dem werden die §§ 68, 68a, 69 AsylG-E nicht gerecht.
Denn die Beschränkung der Bewegungsfreiheit nach §§ 68, 68a AsylG-E darf aus Gründen der „öffentlichen Ordnung“ angeordnet werden. Der Begriff bezeichnet im nationalen Recht
„die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln […], deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird“ (BVerfG 1985, Rn. 78).
Verhaltensweisen, die geschriebene Rechtsnorm verletzen, fallen demgegenüber unter den Begriff der öffentlichen Sicherheit. Als Grundlage für eine Freiheitsentziehung ist der Begriff der öffentlichen Ordnung damit zu unscharf.
Zwar beruht der Wortlaut in §§ 68, 68a AsylG-E auf den ersten Blick auf Artikel 9 Aufnahmerichtlinie, der auch von der öffentlichen Ordnung spricht. Doch ist der Begriff der öffentlichen Ordnung im Unionsrecht deutlich enger zu verstehen. Ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung im Unionsrecht erfordert,
„dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“ (etwa EuGH 2015, Rn. 79).
Insoweit ist also nicht nur ein Verstoß gegen ein Gesetz erforderlich; dieser muss auch eine besondere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft bewirken.
Indem §§ 68, 68a AsylG-E auf den nationalen Begriff der öffentlichen Ordnung abstellt (für § 68a AsylG-E ausdrücklich Gesetzentwurf, S. 138), schafft er nicht nur eine unverhältnismäßig weite Grundlage für Freiheitsentziehungen, sondern verstößt auch gegen Unionsrecht.
Weitere Voraussetzung für eine Freiheitsbeschränkung nach §§ 68 Absatz 1, 68a Absatz 1 AsylG-E ist, dass Fluchtgefahr besteht. § 68 Absatz 2 AsylG-E bestimmt für Asylsuchende in den Sekundärmigrationseinrichtungen, dass Fluchtgefahr widerleglich vermutet wird. Konkrete Anhaltspunkte, dass sich die Person tatsächlich dem Verfahren entziehen will, sind nicht erforderlich. Die betroffene Person kann die Vermutung nur widerlegen, wenn sie aufgrund ihrer persönlichen Verhältnisse und ihrer sozialen Bindungen in der Bundesrepublik glaubhaft macht, dass sie sich dem Dublin-Verfahren bzw. ihrer Überstellung keinesfalls entziehen wird. Diese Hürde ist unverhältnismäßig hoch. Sie trifft besonders Personen, die verpflichtet sind, in einer Sekundärmigrationseinrichtung zu wohnen: Ihnen wird es ungleich schwerer fallen, soziale Bindungen in Deutschland aufzubauen. Das gilt umso mehr, wenn sie ihre Aufnahmeeinrichtung aufgrund der pauschalen Annahme von Fluchtgefahr nach § 68 Absatz 1 AsylG-E nicht verlassen dürfen. Zwar nennt auch die zugrundeliegende Aufnahmerichtlinie Personen, die sich in einem anderen Mitgliedstaat aufzuhalten haben, als Regelbeispiel für die Maßnahme – doch die Mitgliedstaaten sind nicht dazu verpflichtet, dieses Regelbeispiel in nationales Recht umsetzen.
Inhaftierung von Kindern
§ 70a AsylG-E ermöglicht in bestimmten Fällen auch die Inhaftierung von Minderjährigen. Damit orientiert sich der Gesetzentwurf zwar an Artikel 13 Absatz 2 Aufnahmerichtlinie. Indes handelt es sich bei den Bestimmungen zur Inhaftnahme Minderjähriger lediglich um optionale Maßnahmen („dürfen“), zu deren Umsetzung die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind. Der Gesetzentwurf sieht diesbezüglich vor, dass Kinder nur inhaftiert werden können, wenn die Inhaftierung ihrem Wohl dient und sich entweder ihre Eltern oder ihre Betreuungsperson in Haft befinden oder wenn die Haft – bei unbegleiteten Minderjährigen – sie schützt (§ 70a Absatz 3 AsylG-E).
Der EGMR betonte im Zusammenhang der Inhaftierung asylsuchender Kinder, dass die extreme Vulnerabilität von Kindern Vorrang vor aufenthaltsrechtlichen Erwägungen habe (EGMR 2021, Rn. 91). Staaten müssen sicherstellen, dass asylsuchende Kinder Schutz und humanitäre Hilfe erhalten. Kinder, deren Freiheit entzogen wird, sind besonders gefährdet, von Menschenrechtsverletzungen betroffen zu werden – insbesondere wenn keine ausreichenden Überwachungs- und Beschwerdemechanismen bestehen. So können Kinder auch eine vermeintlich kurze Inhaftierung aufgrund ihres kindlichen Empfindens als sehr lang wahrnehmen. Zudem empfinden sie Polizeipräsenz und Zwangsmaßnahmen als deutlich intensiver als Erwachsene (siehe hier, S. 20).
Eine Inhaftierung oder haftähnliche Unterbringung von Kindern widerspricht außerdem den Kinderrechten aus der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK): die vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls (Artikel 3 UN-KRK), eine kindgerechte Unterbringung und die umfassende Umsetzung des Diskriminierungsschutzes (Artikel 2 UN-KRK) können so nicht gewährleistet werden (siehe zum Schutz von Kinderrechten im Rahmen der GEAS-Reform Endres de Oliveira/González Méndez de Vigo).
Vor diesem Hintergrund können der Schutz von Kindern oder die Wahrung der Familieneinheit keine Argumente dafür sein, Minderjährige zu inhaftieren. Vielmehr sind Kinder zu schützen, indem sie außerhalb einer Hafteinrichtung entsprechend ihrer besonderen Bedürfnisse untergebracht werden. Auch die Eltern bzw. Betreuungspersonen dürfen mit Blick auf die Wahrung der Familieneinheit nur im größten Ausnahmefall inhaftiert werden, wenn keine milderen Mittel ersichtlich sind. Andernfalls wird der Kindeswohlgedanke in sein Gegenteil verkehrt und fälschlicherweise zur Begründung von Zwangsmaßnahmen herangezogen.
Inhaftierung von besonders vulnerablen Schutzsuchenden
Der Gesetzentwurf erlaubt es darüber hinaus, besonders vulnerable Asylsuchende zu inhaftieren. Gemäß § 70a Absatz 1 Sätze 1, 2 AsylG-E darf die Inhaftnahme erfolgen, bevor umfassend geprüft wurde, welche besonderen Vulnerabilitäten bestehen und ob die Hafteinrichtung diesen besonderen Bedürfnissen gerecht wird.
Dies verletzt Artikel 13 Aufnahmerichtlinie. Die Vorschrift sieht vor, dass die Gesundheit und psychische Gesundheit von Antragsteller*innen mit besonderen Bedürfnissen ein vorrangiges Anliegen der nationalen Behörden sein müssen und dass die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass Antragsteller*innen nicht in Haft genommen werden, wenn dies ihre körperliche oder psychische Gesundheit ernsthaft gefährdet. Zwar bestimmt auch der Gesetzentwurf in § 70a Absatz 2 AsylG-E, dass Asylsuchende mit besonderen Bedürfnissen nicht in Haft genommen werden, wenn das ihre körperliche oder psychische Gesundheit ernsthaft gefährdet. Eine solche Beurteilung setzt aber voraus, dass die besonderen Bedürfnisse der Antragsteller*innen bereits vor der Entscheidung über eine Inhaftnahme ausführlich geprüft und beurteilt wurden und in die Entscheidung vollumfänglich einfließen.
Fazit
Der Entwurf für ein GEAS-Anpassungsgesetz beschränkt die Menschenrechte Schutzsuchender stärker, als es unionsrechtlich erforderlich wäre und verstößt stellenweise gar gegen die unionsrechtlichen Bestimmungen. Für das nun anstehende parlamentarische Verfahren ist der Bundestag aufgerufen, für eine möglichst menschenrechtssensible Umsetzung der GEAS-Reform in nationales Recht zu sorgen.