27 August 2018

Hund sans scho

„Hund sans scho“ ist in Bayern das höchste Lob für ein Verhalten, das auf mindestens unkonventionelle Weise zum gewünschten Erfolg geführt hat. Besonders wahlkämpfende bayerische Politiker lassen sich gern nachsagen, dass‘ fei echt Hund san, weil sie sich mit einer Mischung aus Nachdruck und Bauernschläue für Förderbescheide, Umgehungsstraßen oder ähnlich beliebte Maßnahmen eingesetzt haben. Das ist weder verwerflich noch problematisch, solange alles im Rahmen der Gesetze abläuft. Es stärkt sogar das Vertrauen in die Demokratie, wenn direkt gewählte Abgeordnete dem Wahlvolk vermitteln können, es habe mit seiner Stimme etwas bewirkt. Dazu braucht es mitunter eben auch Mut zu populären Entscheidungen. Unschön wird es, wenn Wahlkämpfer, die sich als Macher präsentieren und es vielleicht auch sind, Befehle von Gerichten ausführen müssen, die unpopuläre Konsequenzen haben und zu allem Überdruss auf EU-Recht beruhen, so dass sie nur äußerst schwer zu verändern sind. Etwa wenn man im alles entscheidenden Wahljahr einen Luftreinhalteplan ausarbeiten müsste, der zwingend Fahrverbote für alte (oder auch nicht so alte) Diesel in einigen Bereichen der Landeshauptstadt München beinhalten würde. Wenn man das zudem für an ausgmachten Schmarrn hält, weil es im Ergebnis die Falschen treffen und der Ausweichverkehr nur noch mehr Abgase verursachen würde. Und wenn zuletzt auch noch einige Ungustln die Szenerie aufmischen, die sich als die viel größeren Hunde aufführen und laut bellen, dass nur das Kartell des alten „deep state“ überhaupt die wahnwitzige und offenkundig absurde Idee von Fahrverboten hervorbringen konnte und nur Weicheier den Kotau vor den „Kaulquappennummerierern“ machen würden. Nicht nur wenn die Hundstage wie in diesem Sommer besonders heiß ausfallen, steigt dementsprechend das Bedürfnis, nicht mehr das brave Zamperl zu sein, sondern selber eine Duftmarke zu setzen. Man schaut also, was einem schlimmstenfalls blühen kann, wenn man den Schmarrn einfach aussitzt, findet § 172 VwGO und denkt sich: Der Freistaat Bayern muss ein Zwangsgeld an die Staatskasse des Freistaats Bayern zahlen? Da kriagt ma direkt Angst.

Damit ließe sich dieses Sittengemälde des Rechtsstaats im Jahre des Herrn 2018 schließen, wenn nicht der Bayerische Verwaltungsgerichtshof gezeigt hätte, dass man auch dort das Prinzip „Hund sans scho“ verstanden hat. Mit einigem PR-Geschick lancierte er im ausklingenden Sommerloch richterliche Hinweise, dass man es zur Durchsetzung der bisher schmählich ignorierten Entscheidungen unter Umständen für möglich und sogar geboten halte, den Bayerischen Ministerpräsidenten, der nicht nur im Fasching oder auf dem Nockherberg als „pater patriae“ in Erscheinung tritt, in Zwangshaft zu nehmen (der Volksmund in Bayern sagt dazu „einkasteln“). Eventuell gebe man sich aber auch mit einem kleineren Fisch zufrieden, nämlich gegebenenfalls (hier nach absteigender Prominenz geordnet): dem Staatsminister für Umwelt und Verbraucherschutz, dem Amtschef des Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz, der Regierungspräsidentin der Regierung von Oberbayern, dem Regierungsvizepräsidenten der Regierung von Oberbayern, der Leiterin der Abteilung 7 des Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz, dem Leiter des Bereichs 5 der Regierung von Oberbayern, zuletzt ggf. den zuständigen Sachgebietsleitern des Staatsministeriums und der Regierung von Oberbayern. Allein die Länge dieser Liste zeigt, dass die Idee mit dem Einkasteln bisher recht unausgegoren ist, und so lässt der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei Florian Herrmann auch sinngemäß verlauten, dass das ein noch viel größerer Schmarrn sei als die Fahrverbote und er da ganz gelassen bleibe.

Die juristische Kernfrage ist: Wie kommt man überhaupt auf eine solche Idee? Nun, auch im fernen Preußen zeigen sich die Behörden mitunter recht bockig gegenüber Gerichtsentscheidungen – dort allerdings eher, wenn es um die unappetitliche Seite des politischen Spektrums geht. So begab es sich nicht nur im Frühjahr dieses Jahres in Wetzlar, sondern auch bereits im Jahr 1999 in Berlin-Mitte, dass eine allseits beliebte Veranstaltungshalle partout nicht an eine Partei rechts der Union vergeben werden sollte, auch wenn dafür ein Zwangsgeld zulasten (und eo ipso auch zugunsten) der Staatskasse die Konsequenz war. Die damals noch kampfesmutigen Kameraden der mittlerweile siechen Republikaner zogen vor das Bundesverfassungsgericht, beriefen sich auf das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) und bekamen zwar im Einzelfall nicht Recht, veranlassten Karlsruhe aber zu folgender Aussage: Wenn die Exekutive sich beharrlich weigert, eine gerichtliche Entscheidung zu befolgen und sich auch von den mickrigen Sanktionen nach § 172 VwGO nicht beeindrucken lässt, dann muss der Staat nach § 167 VwGO i.V.m. § 885 ff. ZPO eben mit den gleichen Mitteln an die Kandare gelegt werden wie jede störrische Privatperson auch. Für die Halle nannte das Bundesverfassungsgericht exemplarisch die „Ersetzung der behördlichen Zustimmung zur Saalvermietung“ und die „Besitzeinweisung durch den Gerichtsvollzieher“. Das Problem jetzt ist: Die Aufstellung eines Luftreinehalteplans erfordert eine aufwendige Tätigkeit der zuständigen Behörden, bei der weder eine gerichtliche Zustimmungsfiktion noch die Einschaltung eines Gerichtsvollziehers weiterhülfe. Die Planungsleistungen der Behörde sind nämlich, wie es im Juristendeutsch so schön heißt, „nicht vertretbar“. Und um nicht vertretbare Handlungen zu erzwingen, sieht § 888 Abs. 1 Satz 1 ZPO neben dem unnützen Zwangsgeld nur die Zwangshaft vor. Im Zivilrecht ergibt sich freilich aus dem Tenor der Entscheidung, die vollstreckt werden soll, einwandfrei, wer „eikastelt“ werden müsste. Entweder ist der Schuldner eh eine natürliche Person, vulgo ein Mensch aus Fleisch und Blut, dem man Handschellen anlegen kann, oder eine juristische Person, für die es Vertretungsregeln im Gesellschaftsrecht gibt. So müsste z.B. bei einer GmbH der Geschäftsführer einrücken.

Das ist im Öffentlichen Recht logischerweise alles nicht so klar. Zwar ist nach dem Rechtsträgerprinzip (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) immer der Freistaat Bayern zu verklagen, wenn eine seiner Behörden rechtswidrigerweise untätig geblieben ist. Und Art. 47 der Bayerischen Verfassung regelt zum einen (Abs. 2), dass der Ministerpräsident die Richtlinien der Politik bestimmt, und zum anderen (Abs. 3), dass er Bayern nach außen vertritt. Andererseits gilt auch in Bayern gem. Art. 51 Abs. 1 der Verfassung das Ressortprinzip, d.h. jeder Staatsminister – auch der Umweltminister Huber – führt seinen Geschäftsbereich selbstständig und unter eigener Verantwortung gegenüber dem Landtag. Dementsprechend kann der Ministerpräsident keine Weisungen an Fachbehörden geben, die nicht direkt der Staatskanzlei unterstellt sind (schon gar keine rechtswidrigen). Das wiederum heißt nicht, dass man jetzt ohne Weiteres den Minister Huber einkasteln kann. Er genießt nämlich – wie der Ministerpräsident auch – aus seiner Stellung als Abgeordneter nach Art. 28 Abs. 2 der Bayerischen Verfassung nicht nur gegen Strafverfolgungsmaßnahmen Immunität, sondern gegen jede Einschränkung der persönlichen Freiheit, die ihn in der Ausübung seines Abgeordnetenberufes beeinträchtigt. Außerdem gibt es eine gesetzliche Regelung darüber, wer für den Freistaat einen Luftreinhalteplan aufstellen muss, nämlich nach Art. 8 des Bayerischen Immissionsschutzgesetzes die Regierungen (diese Formulierung meint in Abgrenzung zur Staatsregierung immer die Regierungen der Bezirke), im Falle Münchens also die Regierung von Oberbayern, was für die Inhaftierung von deren Präsidentin spräche. Verkompliziert wird die Angelegenheit dadurch, dass das Umweltministerium in dieser Konstellation das Weisungs- und Aufsichtsrecht gegenüber den Regierungen hat, und dass es innerhalb der Ministerien und Regierungen natürlich Geschäftsverteilungspläne gibt. So erklärt sich die Liste des VGH.

Wie realistisch ist es nun, dass jemand von dieser Liste tatsächlich in Zwangshaft genommen wird? Hier kommt die EU-rechtliche Komponente wieder ins Spiel, die gleichzeitig dafür und dagegen spricht. Dafür deshalb, weil der Verwaltungsgerichtshof die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts aufgreift und europarechtlich vertieft: Es sei nicht nur wegen des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz (auf EU-Ebene Art. 47 Abs. 1 der Grundrechtecharta), sondern auch im Hinblick auf die Aarhus-Konvention und den berühmt-berüchtigten „effet utile“ des Unionsrechts geboten, alle Vollstreckungsmöglichkeiten zu nutzen, die sich dem deutschen Recht gerade noch entnehmen lassen, bevor es methodisch unsauber wird. Damit wurden schon sportlichere Konstruktionen gerechtfertigt als die Zwangshaft in dieser Konstellation. Der EuGH hat außerdem schon einmal deutlich gemacht, dass er bei der Luftreinhaltung keinen Spaß versteht. Dagegen spricht die unionsrechtliche Komponente deshalb, weil so ein gewagter Schritt nicht ohne Absicherung durch eine Vorabentscheidung aus Luxemburg zu haben ist, und deshalb der Faktor Zeit ins Spiel kommt. Zwar gibt die Verfahrensordnung des EuGH in Art. 105 die Möglichkeit eines beschleunigten Verfahrens auf Antrag des vorlegenden Gerichts her; damit ist man auf dem Kirchberg jedoch (auch wenn in Umweltangelegenheiten die Gesundheit vieler Menschen betroffen ist) sehr zurückhaltend, schon weil sonst – alter Grundsatz im öffentlichen Dienst – jeder kommen könnte und die Arbeitslast zu stark ansteigen würde. Dementsprechend steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man eine Lösung finden wird, bevor unter einer prominenten Adresse in der Münchner Innenstadt eine Ladung zum Haftantritt in Stadelheim eingeht. Dafür spricht nicht zuletzt auch das Bestimmtheitsgebot, weil zumindest so lange nicht hinreichend vorhersehbar ist, wer einrücken müsste, bis dies gerichtlich erstmals geklärt wird. Trotzdem ist es aber gut möglich, dass die Verwaltungsgerichte das Instrument der Zwangshaft für künftige Verfahren in ihren Werkzeugkasten gelegt bekommen, um in besonders verfahrenen Konflikten mit der Exekutive damit drohen zu können. Den Rechtsstaat ein wenig wehrhafter zu machen, kann in Zeiten wie diesen nicht schaden.


SUGGESTED CITATION  Michl, Walther: Hund sans scho, VerfBlog, 2018/8/27, https://verfassungsblog.de/hund-sans-scho/, DOI: 10.17176/20180828-134714-0.

4 Comments

  1. Verfassungsrechtler_Jr. Wed 29 Aug 2018 at 09:39 - Reply

    M.E. spricht nicht nur die deutsche Rechtsordnung (Art. 19 IV, 20 i.V.m. Art. 2 I GG), sondern auch das europäische Recht (Auslegung effet utile, Art. 47 GrCH; Art.13 EMRIK) für die Möglichkeit eines (subsidiären) Rückgriff auf die § 167 VwGO i.V.m. §§ 885ff. ZPO. Ergänz