Liberaler Silberstreif im US-Strafrechtssystem
Ein Minderjähriger, der niemanden getötet hat, darf nicht bis an sein Lebensende hinter Gitter geschickt werden.
Das klingt für unsere europäischen Ohren erst mal ziemlich selbstverständlich, für die USA ist das gestrige Urteil des US Supreme Court aber ein riesiger Schritt: Denn anders als erwartet hat der SC damit zum ersten Mal überhaupt eine bestimmte Strafe unterhalb der Schwelle der Todesstrafe für eine bestimmte Klasse von Tätern für verfassungswidrig erklärt.
Terrance Graham wuchs in einem Crack-Haus auf, begann mit neun zu rauchen und zu trinken und mit 13 zu kiffen. Er war 16, als er mit ein paar Kumpels einen Barbecue-Grill zu überfallen versuchte. Einer seiner Mittäter hatte dem Grillbesitzer eine Metallstange über den Kopf gezogen, der hatte sich trotzdem gewehrt, und so waren die jugendlichen Räuber ohne Beute abgezogen. Graham wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, aber kurz darauf erneut verhaftet, weil er gemeinsam mit anderen einen Mann in seiner Wohnung überfallen hatte.
Daraufhin bekam er lebenslänglich. Ein Schicksal, das er mit 129 anderen in den USA teilt, die ebenfalls für eine als Minderjährige begangene Tat unterhalb der Schwelle zum Mord eine lebenslange Haftstrafe ohne Aussicht auf Bewährung absitzen. 77 davon in Florida.
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Nach Meinung von fünf der neun Richter (den vier Liberalen Stevens, Breyer, Ginsburg und Sotomayor sowie dem moderaten Konservativen Kennedy, der das Urteil verfasste) ist Lebenslang für Jugendliche, die keinen Mord begangen haben, eine “grausame und ungewöhnliche Strafe” und damit nach dem 8. Amendment verboten. Chief Justice Roberts stimmte im Ergebnis mit der Mehrheit, nicht aber in der Begründung.
Hinter der Lebenslang-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bleibt der SC zurück, aber geht immerhin einen deutlichen Schritt in diese Richtung:
A State is not required to guarantee eventual freedom to such an offender, but must impose a sentence that provides some meaningful opportunity for release based on demonstrated maturity and rehabilitation.
Dabei hat sich – und das ist ungewöhnlich und wird von rechten Juristen geradezu als Staatsstreich empfunden – die Richtermehrheit auch am internationalen Rechtsvergleich orientiert:
The United States is the only Nation that imposes this type of sentence. While the judgments of other nations and the international community are not dispositive as to the meaning of the Eighth Amendment, the Court has looked abroad to support its independent conclusion that a particular punishment is cruel and unusual.
Also, alle liberalen Hoffnungen erfüllt, oder wenn schon nicht alle, so doch viele.