Mater überhaupt nicht semper certa est
Vom Bundesverfassungsgericht kam heute ein Nichtannahmebeschluss, der weniger wegen der Entscheidungsgründe als wegen des vollkommen wahnwitzigen Sachverhalts Beachtung verdient.
Es geht um die Verfassungsbeschwerde eines deutschen Paares, das offenbar keine Kinder bekommen konnte und deshalb in den USA die Dienste einer Leihmutter in Anspruch nahm. In Kalifornien fand sich eine Frau, die die vom Samen des Mannes befruchtete Eizelle der Frau in ihrem Körper austrug und im April 2010 Zwillinge zur Welt brachte. Diese Art von Leihmutterschaft ist nach kalifornischem Recht legal. Nicht aber nach deutschem. Und die Folgen dieser rechtlichen Diskrepanz bekamen das Paar und ihre vermeintlichen Kinder mit aller Härte zu spüren.
Als die Eltern mit den Zwillingen nach Deutschland zurückgekehrt waren, wollten sie die Geburt der Kinder beim Standesamt beurkunden lassen. Aber daraus wurde nichts.
Das Amtsgericht, das die Sache prüfen sollte, kam zu dem Schluss, dass deutsches Recht anwendbar sei, weil die Kinder in Deutschland leben und ihre vermeintlichen Eltern auch (§ 19 EGBGB). Nach deutschem Recht sei aber die Mutter diejenige, die das Kind geboren hat (§ 1591 BGB) – also die kalifornische Leihmutter. Damit ist die Frau, von der die Kinder genetisch abstammen, rechtlich nicht mit den beiden Kindern verwandt. Und der Vater schon sowieso nicht. Beide sind aus rechtlicher Sicht einfach irgendjemand. Sie könnten die Kinder allenfalls adoptieren.
Die Kinder sind damit auch keine deutschen Staatsbürger. Sie haben hier überhaupt nichts verloren. Womöglich gehören sie abgeschoben.
Das Oberlandesgericht sah den Fall genauso wie das Amtsgericht und wies die Beschwerde der Eltern bzw. Nicht-Eltern ab.
Um den Wahnwitz auf die Spitze zu treiben: Die wohl einzige Lücke in dieser unbarmherzig sauberen juristischen Subsumptionskette ist in § 19 EGBGB. Der sagt, dass sich die Abstammung im Verhältnis zu jedem Elternteil auch nach dem Recht des Staates richten könne, dem das Elternteil angehört. Das heißt, wenn die Leihmutter tatsächlich als Mutter gilt, dann wäre kalifornisches Recht anzuwenden, und das erlaubt, die genetische Mutter als Mutter anzuerkennen.
(c) Bobby Magee, Flickr CC BY-ND 2.0
Wenn die Mutter die Mutter ist, dann ist sie nicht die Mutter, und das ist nötig, damit die Mutter die Mutter sein kann. Ein Möbiusband von einem Fall. Kurt Gödel hätte seine helle Freude gehabt.
In mir lehnt sich alles auf gegen dieses Ergebnis. Diesen beiden Kindern jegliche Verwandtschaft mit den beiden Menschen, die sie schließlich in die Welt gesetzt haben, von der genetischen Verwandtschaft mal ganz abgesehen, zu verweigern, sie in die Staatenlosigkeit zu verstoßen und an irgendeine Kalifornierin, die gewerbsmäßig ihren Uterus vermietet, zu verweisen – das kann nicht rechtens sein.
Die Zweite Kammer des Ersten Senats wollte den Fall nicht anfassen, weil die Verfassungsbeschwerde nicht hinreichend begründet war. War die Leihmutter verheiratet? War sie überhaupt US-Staatsbürgerin? Das wussten die Kläger vermutlich selber nicht oder konnten es zumindest nicht beweisen. Ihr Pech.
Update: Dazu irgendwie passende, aufs Wärmste zu empfehlende Lektüre: Michael Stolleis‘ wunderbarer Essay über kaltes Recht und freundliche Ausländer in der FAZ.
Der österreichische Verfassungsgerichtshof sah das anders:
„Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass der Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Abstammung auch bei Geburt durch eine ausländische Leihmutter gegeben ist. Eine anderslautende Entscheidung der Behörden wurde als verfassungswidrig aufgehoben.“ Link zur Entscheidung: http://www.vfgh.gv.at/cms/vfgh-site/attachments/1/3/5/CH0006/CMS1330075079553/staatsbuergerschaft_leihmutter_b13-10.11.pdf
Ein trauriger Fall der mal wieder beweist, daß man gegenüber Behörden so wenig wie irgend möglich sagen sollte.
Hätte die Eltern Ihre Kinder einfach als die eigenen angemeldet wäre alles richtig gelaufen.
Was ist nicht verstehe ist, warum der Vater nicht Vater sein soll. Nach dem Fall wurde doch die Eizelle der deutschen Mutter mit dem Samen des deutschen Vaters befruchtet. Auch nach deutschem Recht wäre doch somit der deutsche Vater als Vater des Kindes anzusehen, wenn die Leihmutter nicht verheiratet ist.
Nun ist der Hintergrund von § 1591 BGB gerade die Zuordnung im Fall der Leihmutterschaft. Die Vorschrift stammt nämlich erst aus dem Jahr 1998. Hier geht es also nicht gewissermaßen um einen juristischen Kollateralschaden des reproduktionsmedizinischen Fortschritts, sondern die Gerichte haben die Intention des historischen Gesetzgebers treu umgesetzt.
Ich persönlich lese aus dem Beschluss auch eher eine – allgemein verständliche, aber im konkreten Fall nicht weiterführende – Antipathie gegen Personen, von denen man vermutet, dass sie eine Notlage einer Dritten (nämlich der Leihmutter) ausgenutzt haben.
Davon abgesehen hat der Beschluss den objektiven Erklärungswert: „Diesen Fall bitte nach Straßburg weiterreichen.“ Auch wenn man mit der Kammer – und anders als das Posting – vermutet, dass die Leiheltern die Hintergründe sehr wohl kannten, geht es nicht an, sich vor den aufgeworfenen Grundsatzfragen so zu drücken.
Sie wollen also sagen: Es ist zwar gut und richtig, dass der deutsche Gesetzgeber zu verhindern versucht, dass reiche deutsche Wunsch-Eltern sich den Uterus einer armen deutschen Frau mieten, um „ihr“ Kind auszutragen. Es ist auch nichts dagegen einzuwenden, wenn darunter zugleich das Kind leidet, das juristisch als Kind der Leihmutter angesehen wird.
Es ist aber, wenn wir Sie richtig verstehen, völlig „wahnwitzig“, wenn das deutsche Recht es in gleicher Weise zu verhindern sucht (bzw. von den Gerichten in dieser Weise interpretiert wird), dass reiche deutsche Wunsch-Eltern sich den Uterus einer armen ausländischen Frau mieten. Wie kommt das deutsche Recht dazu, ausländische Frauen zu schützen, wollen Sie offenbar fragen. Sollen die ausländischen Frauen doch zusehen, dass der Gesetzgeber in ihrem Heimatland sie schützt. Und wenn die Frauen in einem Dritte-Welt-Land wohnen, dem Frauenrechte eher nicht so ein Anliegen sind, haben sie eben Pech gehabt.
Richtig verstanden?
Is there no art. 8 ECHR angle here? Surely the right to family life is in play here.
@Wilfried: Ich meine auch, dass man sich hier über die Verfassungsmäßigkeit von § 1591 BGB unterhalten muss, unabhängig von dem IPR-Problem im konkreten Fall. Darum überzeugt mich der Beschluss auch so wenig.
@Martin Holterman: Agreed. Darum meine Formulierung, der Beschluss habe den Erklärungswert: „Biitte nach Straßburg weiterreichen.“
@Dante
Der Familienstand der Leihmutter ist nicht geklärt. Wäre sie verheiratet und der Mann würde die Vaterschaft nicht anfechten, wäre er rechtlicher Vater.
Das deutsche Recht schlägt sich hier im krassen Gegensatz zum kalifornischen auf die Seite der biologischen und nicht der genetischen Mutter. Das mag man kritisieren, ich halte es für gerechtfertigt.
Ich sehe auch keine unzumutbaren Hürden für die genetischen Eltern. Klärung der Vaterschaft, Adoption. Das erscheint mir weniger Aufwand als sich durch vier Instanzen zu klagen. Oder ist es doch so unzumutbar sich mit der gewerbsmäßigen Uterusvermieterin (auf deutsch: Mutter) auseinanderzusetzen?
Zur Rechtslage in Indien und den aktuellen Regulierungsbemühungen des dortigen Gesetzgebers hat Jwala Thapa auf dem JILS Blog einen lesenswerten Beitrag veröffentlicht: http://jilsblognujs.wordpress.com/2012/10/17/who-speaks-for-the-child-in-a-surrogacy/
Ebenso das Verwaltungsgericht Berlin im Rahmen eines Eilverfahrens (Beschluss vom 05. September 2012, Az.: VG 23 L 283.12): Ein in der Ukraine von einer ukrainischen Leihmutter geborenes Kind hat auch dann keinen Anspruch auf Ausstellung eines deutschen Reisepasses, wenn es genetisch von deutschen Staatsangehörigen abstammt. Aus der Zusammenfassung bei Beck:
„Mutter im Rechtssinne sei nach deutschem Recht ausschließlich die Frau, die das Kind geboren habe, nicht aber die genetische Mutter. Folglich sei nach deutschem Recht die ukrainische Leihmutter als Mutter des Kindes anzusehen. Der Vater eines Kindes sei nach deutschem Recht grundsätzlich der Mann, der mit dieser Frau verheiratet sei, folglich der Ehemann der Leihmutter. Daran ändere auch das ukrainische Familiengesetz nichts, nach dessen Regelungen eine genetische Elternschaft in Leihmutterschaftsfällen anerkannt sei. Das ukrainische Familiengesetz verstoße nämlich gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts, da die Leihmutterschaft hier verboten sei. Daher sei das ukrainische Recht zur Klärung der Abstammung eines Kindes in Leihmutterschaftsfällen im deutschen Recht unanwendbar.“
Also ein Kind, das für die Ukraine Kind der deutschen genetischen Eltern und für das deutsche Recht Kind der ukrainischen Leihmutter ist. Staatenlos.
Wenn man gleich danach das (positive) Urteil des OVG Münster vom 31. Mai 2012 – 11 A 2095/10 – in einer Spätaussiedlersache liest, das sich mit der Frage auseinandersetzt, ob die Ehe mit einem russischen Volkszugehörigen den „Bekenntniszusammenhang zum deutschen Volkstum“ unterbricht, (ver)zweifelt man vollends an unserem Staatsbürgerschaftsrecht.
@Peter Bert
Die Staatsbürgerschaftsfrage hängt ganz an der Frage, wer Eltern sind. Staatsbürgerschaftsrecht wird damit eine andere Ebene.
Was ist das grundsätzliche Problem? Vaterschaftsanerkennung, Adoption und die Frage der Staatsbürgerschaft hat sich geklärt.
Erstens finde ich es schon befremdlich, dass das besagte Paar Hilfe in den USA gesucht und bekommen hat, hier aber nach wenigen Kommentaren gleich schon die ja so armen und dazu gezwungenen “ Ukrainischen Leihmütter “ genannt werden!
In den USA ist die Leihmutterschaft in vielen Staaten schon seit einer Ewigkeit Gang und Gebe!
Es gibt Argenturen, bei denen sich die amerikanische Staatsbürgerin von sich aus und aus völlig freien Stücken meldet, dass sie gerne Leihmutter für ein Paar, mit ungewollter Kinderlosigkeit werden möchte! Für diese Frau startet dann ein sehr umfangreiches Programm! Sie MUSS verheiratet sein und bereits eigene Kinder geboren haben und als Familie zusammen leben! Ist das nicht der Fall, werden weitere Untersuchungen erst garnicht gestartet. Wenn die familiäre Situation den Bestimmungen entspricht wird das PAAR psychologisch untersucht, um herauszufinden, warum sie eine Leihmutterschaft machen wollen! Wäre dies nun nur des Geldes wegen, wäre an dieser Stelle Schluss für die potentielle Leihmutter, da dies nicht als ausreichender Grund für einen doch sehr einschneidenden und auch belastenden Weg, keine Basis sein kann! Oft sind diese Frauen sehr gläubig und dankbar für ihre eigenen Kinder und wollen verzweifelten Paaren, von wo auch immer, helfen dieses Glück der Elternschaft ebenfalls zu erreichen, mit ihrer Hilfe als
“ Tummy mummy “ ( Bauch-Mama )!
Es wird auch der Mann psychologisch befragt und beraten, da auch ehr maßgeblich an der Leihmutterschaft mit trägt!
Nach anschließender sehr gründlicher körperlicher Untersuchung und vor allem Anamnese ( wie waren die bisherigen Schwangerschaften; gab es Probleme, wie waren die Entbindungen, ist eine weitere Schwangerschaft für diese Frau tragbar oder aus irgendwelchen Gründen nicht etc.!
Der familiäre Background ist ebenfalls von Interesse. Hat die Frau Rückhalt in der Familie, wer kann sich um die Kinder kümmern, sollten in der Schwangerschaft Probleme auftauchen, welche eine stationäre Behandlung nötig machen?
Wenn all diese Untersuchungen positiv ausfallen, wird die Frau in eine Leihmutterkartei aufgenommen.
Ein Paar in Deutschland, welches ungewollt Kinderlos ist, geht durch die Hölle und wieder zurück!!! Die Reproduktionsmedizin hinkt den heutigen Möglichkeiten derart hinterher, verglichen auch mit unseren direkten Nachbarn, wie Österreich oder Holland, dass es unfassbar ist! Im Schnitt werden die Frauen erst beim dritten Versuch schwanger