Mellinghoff als nächster BFH-Präsident?
Wie man hört, soll Rudolf Mellinghoff, Richter am BVerfG, den Spitzenposten im obersten deutschen Finanzgericht übernehmen. Die Sache sei noch nicht ganz entschieden, aber es laufe auf ihn zu.
Damit würde schon wieder in Karlsruhe ein Posten frei. Der Post-Lissabon-Umbau des Zweiten Senats könnte weitergehen.
Mellinghoffs Amtszeit endet regulär im Januar 2013. Aber der amtierende BFH-Präsident Wolfgang Spindler wird, wenn ich mich nicht verrechnet habe, nächstes Jahr 65. Also könnten wir uns schon 2011 auf eine weitere Karlsruhe-Personalie freuen.
Mellinghoff kommt vom Bundesfinanzhof, insofern macht das schon Sinn. Und er wird bestimmt die von Spindler begründete Tradition weiterführen, mit großer Penetranz die Vereinfachung des Steuerrechts anzumahnen (und dafür vom Bundesfinanzminister durch Nichtanwendungserlasse marginalisiert zu werden).
Als Karrierepfad ist der Schritt vom BVerfG-Richter zum Präsidenten eines obersten Bundesgerichtes auch nicht vorbildlos: Thomas Dieterich verkürzte 1994 seine Amtszeit als BVerfG-Richter um fünf Jahre, um BAG-Präsident werden zu können.
Was von den “Lisbon Seven” übrig blieb
Die Meldung leuchtet aber auch aus ganz anderer Perspektive ein: Einen der Mehrheitsrichter des Lissabon-Urteils vorzeitig loszuwerden, ist für die Bundesregierung allemal ein höchst plausibler Gedanke.
Seit Honeywell hat die Frage, ob Karlsruhe sich zum Desintegrationsmotor Europas machen will, zwar etwas an Brisanz verloren. Aber mit den Verfahren zum Griechenland-Bailout und zum Euro-Rettungsschirm hängen weiterhin zwei gut geschliffene Damoklesschwerter über den schwarz-gelben Häuptern, um deren stabile Aufhängung sich die Koalitionäre durchaus Sorgen machen sollten.
Dass Schwarz-Gelb mit Karlsruher Personalien umzugehen weiß, um seine Europapolitik abzustützen, hat man schon bei der Ernennung von Andreas Voßkuhle zum Präsidenten des BVerfG beobachten können.
Peter Müller, der fröhliche Schachspieler aus dem frankophilen Saarland, wird nächstes Jahr Di Fabios Sessel einnehmen und wird dort bestimmt nicht versuchen, sich als euroskeptischer Wüterich zu profilieren.
Dann wären von den “Lisbon Seven” nur noch Landau und Lübbe-Wolff übrig, von den wirklichen Hardlinern nur noch Landau.
Wobei man noch nicht weiß, wie die Neuen ticken, Huber und Hermanns. Huber zumindest ist als Wissenschaftler nicht für übertriebenen Mehrebenenenthusiasmus bekannt, gilt aber auch unter Europarechtlern als vernünftiger Mann.
Peter Müller: Kann man machen
Ein Wort noch zu Peter Müller und der Frage, ob ich mich darüber aufregen soll, dass ein CDU-Ministerpräsident Verfassungsrichter wird.
Wir haben im künftigen Zweiten Senat drei Staatsrechtslehrer (Voßkuhle, Lübbe-Wolff, Huber) und vier Bundesrichter (Mellinghoff, Gerhardt, Landau, Hermanns), darunter jeweils einer (Huber, Landau) als Hybrid-Wissenschaftler-Politiker bzw. -Richter-Politiker.
Das sind die drei klassischen Karrierepfade nach Karlsruhe: Die Profs sorgen für Anschlussfähigkeit zur Wissenschaft, die Richter zur Justiz – und die Politiker halt zur Politik.
Wenn jetzt ein Politiker-Politiker dazukommt, kann ich daran nichts fundamental Schlimmes finden.
Wenn Merkel jetzt, sagen wir, Ronald Pofalla nach Karlsruhe schicken würde, als Aufpasser und U-Boot und mit klarem politischem Auftrag, dann wäre das was anderes.
Aber Peter Müller? Der ist ein gescheiter Mann, der sich – wer will es ihm verdenken – in seinem saarländischen Landratsamt krumm und dumm langweilt.
Er steht Angela Merkel zwar nahe, aber nicht in ihrer Schuld. Er hat Wahlkämpfe geführt und gewonnen – Kenntnisse, die er in Karlsruhe zwar nicht unmittelbar brauchen kann, die aber auch nichts schaden, wenn man sich mal von seinen deutsch-bürgerlichen Reflexressentiments gegen Parteipolitik frei macht.
Also, ich quieke zwar nicht vor Begeisterung, aber aufregen kann ich mich über den Vorgang auch nicht wirklich.
Warum kein Anwalt?
Wenn man sich schon unbedingt aufregen will, dann über zwei ganz andere Dinge:
Da ist zunächst das Verfahren der Richterwahl. Dazu ist schon viel gesagt worden, auch von mir, aber der Skandal ist ungebrochen. Dass wir es uns seit so vielen Jahrzehnten gefallen lassen, diese Personalien als Ergebnis eines derart intransparenten Kohlenkellerverfahrens präsentiert zu bekommen, wo man nicht einmal offiziell weiß, wer da wo mit wem zusammensitzt und Personal-Maumau spielt – das fällt als unsere eigene Schande auf uns selbst zurück.
Der zweite Punkt: Die Anwaltschaft hat es wieder nicht geschafft, dafür zu sorgen, dass endlich mal wieder ein Anwalt in Karlsruhe vertreten ist.
Das ist schwach, liebe Freunde von der Bundesrechtsanwaltskammer und vom Deutschen Anwaltverein.
Wie lang ist das her, dass unter den Richtern des Bundesverfassungsgericht ein Rechtsanwalt saß?
Bei Redeker und bei Oppenländer sitzen ein paar, die brauchen sich, was Reputation und Sachkunde betrifft, hinter keinem Lehrstuhlinhaber zu verstecken.
Vielleicht wird ja bei der Mellinghoff-Nachfolge was draus.
Foto: Evilboy, Wikimedia Commons
Ad Peter Müller: Sie haben völlig recht. Es sind keine grundlegenden Einwände gegen ihn zu erkennen.
Ad warum kein Anwalt: Sie haben völlig recht; ein Vielfalt an Erfahrungshintergründen täte dem Gericht (wie im Übrigen auch anderen Gremien) gut; freilich finden Sie mal eine renommierte hervorragende Anwältin/ einen Anwalt, der für das Gehalt des Karlsruher Schlossbezirks bereit ist, diese Knochenarbeit über 12 Jahre zu machen. Und ob irgendein Verbandsvertreter der geeignete Anwalt wäre, sei dahin gestellt. Bin also skeptisch, ob das in absehbarer Zeit gelingen könnte.
Bleibt als in letzter Zeit schwach vertretene Gruppe die der Verwaltung: Denen fehlt – vermutlich noch mehr als den Anwälten – die Lobby im Richterwahlkungelkreis. Nach meinem Geschmack könnten es durchaus jeweils ca. 1 Politiker, 1 Anwalt und 1 Verwaltungsmensch mehr sein (nicht dass ich etwas gegen Menschen 2. jurist. Staatsexamen und völlig anderen beruflichen Hintergründen hätte).
Angenommen Mellinghoff wird tatsächlich die BFH-Präsidentschaft übernehmen, so wäre das ein beredter Beleg für die fortschreitende Verschränkung von Verfassungs- und Instanzgerichtsbarkeit, haben doch schon die bisherigen Präsident/innen der obersten Instanzgerichte eigene Erfahrungen am Karlsruher Schlossplatz (als wiss. Mitarbeiter/innen am BVerfG). Jeder naive Mensch mag glauben, dass man aus einer solchen Tätigkeit ohne wichtige Kontakte herausgeht. Es bleibt das Desiderat, mal ein Soziogramm der ehemaligen Karlsruher Hiwis zu erstellen. Würde ich zu gerne mal sehen.
Dann entsenden wir eben noch R. Pofalla 🙂 Der hat zwar erst Sozialpädagogik studiert, dann aber noch Jura und hat sich dann als Rechtsanwalt niedergelassen, sagt jedenfalls Wikipedia.
Im Ernst. Rechtsanwälte verfügen über keinen direkten Zugang zum Gericht. Richter kommen via gesetzlicher Richterquote, Rechtswissenschaftler qua Natur der Sache und scheinbarer Überparteilichkeit zu der Ehre. Politiker können sich selbst auswählen. Anwälte dagegen sind qua Mandat parteilich und verfügen über keinen Zugang. Wenn eines fernen Tages ein Rechtsanwalt am Schlossplatz einziehen sollte, dann ist tatsächlich nur ein Politiker mit gleichzeitiger Rechtsanwaltszulassung denkbar.
Grüße,
w.
Na wer kein Problem mit der Berufung eines Ministerpräsidenten ins wissenschaftliche arbeitende BVerfG hat, den graut juristisch auch garnichts mehr. Dass Merkel ihn nicht via Tagespresse maßregeln wird, ist wohl jedem klar, aber das Parteisoldatentum ist gelernt und wird wohl ab einem gewissen Alter kaum noch abgelegt.
@ Herrmann: Die Gruppe der Verwaltung schwach vertreten? Am BVerfG? Wo unter 90 Prozent der Roben ein öffentlich-rechtlich sozialisierter Jurist steckt? Wenn eines nicht gebraucht wird an diesem Gericht, dann noch mehr Öffentlich-Rechtler.
“Die erkennen Sie leicht, die gucken so amtlich und gründen jede Woche ne neue Zeitschrift. Aber die Grundlagen des Wohlstands, die werden woanders gelegt”, sagte mein alter Handelsrechtsprof S. in Münster über diese Gattung.
Recht hatte er. Wenn das BVerfG seine Nase schon tief in Dinge steckt, die man getrost den Fachgerichtsbarkeiten überlassen könnte, dann aber bitte mit Leuten, die von der Sache was verstehen.
Also: Mehr Zivilisten, zur Zeit auch noch nen Strafrechtler. Gerne auch Anwälte. Aber noch mehr Bürokraten? Nein danke.
Vergleicht man die Rechtsprechung des Conseil d’Etat mit der Rechtsprechung des BVerfG so stellt man fest, dass das BVerfG viel weniger nach der jeweiligen parteipolitischen Zusammensetzung entscheidet (pro Regierungsmehrhet oder Opposition). Dies könnte zu einem großen Teil daran liegen, dass weniger Politiker in Karlsruhe anzutreffen sind. Von daher ist Peter Müller vielleicht der erste Schritt in Richtung Pofalla? Das wäre keine zu begrüßende Entwicklung.
Unter dem Gesichtspunkt des Schutzzweckes des Grundgesetzes der Bürger vor dem Staate, ist meiner Ansicht nach die Berufung eines oberen Vertreters der Exekutive zum Verfassungsrichter durchaus bedenklich.
Es gibt doch bekannte Beispiele dafür, dass eine politische Karriere und die Zugehörigkeit zu einem Lager keine Rückschlüsse auf eine Ausrichtung der richterlichen Tätigkeit am BVerfG erlauben! Man muss sich stets vor Augen, dass bei der täglichen Routine-Arbeit mit einer Vielzahl nicht ansatzweise annahmefähiger Verfassungsbeschwerden kaum ein nennenswerten Spielraum besteht und die übrigen Fälle auch nur sehr selten Grundsatzbedeutung haben. Taucht einmal ein solcher Fall auf, bedeutet das keineswegs, dass weltanschaulichen Vorurteilen Tür und Tor geöffnet ist, sondern die Methodik insbes. aber die bisherige Senats-Rechtsprechung zeichnen Ansatzpunkte und Linien mehr oder weniger deutlich vor. Sicher bleiben teils erhebliche Spielräume, man darf diese aber nicht überschätzen und muss als letzten Gesichtspunkt die Notwendigkeit vor Augen behalten, dass jeder Richter in der Kammer Einstimmigkeit erreichen und im Senat eine Mehrheit der Kollegen überzeugen muss. Da wlrtanschaulich geschlossene Lager kaum denkbar sind, wird ein Richter, der eine klare politische Linie – gibt es eine solche? – aus der Zeit vor seiner Ernennung weiterverfolgt, keinen Erfolg haben.
Schließlich: Haben nicht Univ.-Prof. die Rspr. des Gerichts viel mehr geprägt? Man denke nur an Paul Kirchhof oder Wolfang Hoffmann-Riem!
Fazit: Mag man an den sachlichen Gründen für eine Wahl teilweise auch Zweifel haben, kann man doch kaum eine negative Auswirkung auf die Funktion des BVerfG feststellen. Entweder haben das BVerfG und die dort gepflegten Verfahren der Entscheidungsfindung einen guten Einfluss auf alle Beteiligten oder es bestehen ausreichende Ressourcen, die Folgen allzu großer persönlicher Defizite im Einzelfall aufzufangen. Das Ergebnis jedenfalls überzeugt im Großen und Ganzen! Meckern ist demnach zwar erlaubt, aber man sollte das hohe Niveau der Kandidaten nicht aus den Augen verlieren und wissen, dass es sich allenfalls um Luxusprobleme handelt.