Endlich mehr Strategiefähigkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik
Der Nationale Sicherheitsrat im Koalitionsvertrag
Nun also doch: Nachdem die Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrates seit schon fast 70 Jahren diskutiert wird, soll Deutschland gemäß dem Koalitionsvertrag 2025 von CDU/CSU und SPD nun einen solchen erhalten. Die Diskussion lässt sich bis zur Wiederbewaffnungsdebatte der 1950er Jahre zurückverfolgen.1) Problematisch ist dabei, dass Kritiker und Befürworter im Diskurs bisher sehr unterschiedliche Vorstellungen davon zu Grunde legten, was unter einem Nationalen Sicherheitsrat im Einzelnen zu verstehen sein soll.2) Auch im Koalitionsvertrag sind Rolle und Funktion der neuen Institution nur unscharf umrissen, weswegen viele staatsorganisationsrechtliche Fragen offen bleiben. So muss etwa noch die Kompetenz, das Verhältnis zu bestehenden Institutionen und die Verortung des Personalbestandes eines Nationalen Sicherheitsrates geklärt werden. Vor dessen Schaffung sind somit noch politische Grundsatzentscheidungen zur gewollten politischen Hervorhebung und Funktion erforderlich.
Vom Bundessicherheitsrat zum Nationalen Sicherheitsrat
In einer Grundsatzrede vor der Körberstiftung am 23.1.2025, noch als Kanzlerkandidat, hat Friedrich Merz die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates angekündigt, dem die mit innerer und äußerer Sicherheit befassten Minister der Bundesregierung und Vertreter der wichtigsten Sicherheitsbehörden angehören sollen. Dieser soll „Dreh- und Angelpunkt für die kollektive politische Entscheidungsfindung der Bundesregierung in allen wesentlichen Fragen der Außen-, Sicherheits-, Entwicklungs- und Europapolitik“ werden. Dies stärkt in jedem Fall den Bundeskanzler und das Bundeskanzleramt.
Erstmals seit 1966 gehören Bundeskanzler und Außenminister der gleichen Partei an, womit das sonst gegen einen Nationalen Sicherheitsrat vorgebrachte Argument, eine damit einhergehende Kompetenzverschiebung scheitere an Koalitionsregierungen, aktuell nicht verfängt. Die Einrichtung eines dem Bundeskanzler zugeordneten Nationalen Sicherheitsrats bedeutet aber eine grundlegende Neuorganisation der horizontalen Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, die über eine Legislaturperiode hinausgehen soll. Unter der Überschrift „Kohärenz im Außenhandeln“ (Zeile 3989) sieht der Koalitionsvertrag vor: „Wir entwickeln den Bundessicherheitsrat, im Rahmen des Ressortprinzips, zu einem Nationalen Sicherheitsrat im Bundeskanzleramt weiter.“ (Zeile 3990-3991). Wie das im Einzelnen aussehen soll, erfordert einige Auslegung.
Der bestehende Bundessicherheitsrat ist ein Kabinettsausschuss mit eigener Geschäftsordnung, der regulär aus neun Ministern und dem Bundeskanzler als Vorsitzendem besteht. Insofern ist dieser selbst gar nicht „im Bundeskanzleramt“ verortet, sondern lediglich dessen Geschäftsstelle, aktuell im Referat 232. Gemeint ist daher mit „im Bundeskanzleramt“ wohl eher der administrative Unterbau eines solchen Kabinettsausschusses Nationaler Sicherheitsrat. Letztendlich handelt es sich also um zwei miteinander verbundene Institutionen, nämlich den Nationalen Sicherheitsrat als Kabinettsausschuss und dessen personellen und administrativen Unterbau, wohl mit einem Nationalen Sicherheitsberater als Leitung. Ähnlich stellt sich auch der von Peter Neumann vom King’s College London gemachte Vorschlag für die Struktur eines Nationalen Sicherheitsrates dar.
Die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates als Kabinettsausschuss steht der Bundesregierung im Rahmen ihres Selbstorganisationsrechts zu. Gegenüber dem Kabinett als Kollegialorgan kann ein solcher Ausschuss aber nur eine vorbereitende und beratende Funktion ohne eigenes Entscheidungsrecht haben (BVerfGE 137, 185 <137>). Die bisherigen Aufgaben des weitestgehend im Bereich der Rüstungskontrolle nach Art. 26 II GG tätigen Bundessicherheitsrat3) können ggf. einem zutreffender bezeichneten „Bundesrüstungskontrollrat“ zugewiesen werden, um den Nationalen Sicherheitsrat für grundsätzliche, strategische und krisenbezogene Themen freizuhalten.
Ressortprinzip aus Art. 65 S. 2 GG als Grenze
Nur das Ressortprinzip aus Art. 65 S. 2 GG, wonach jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung leitet, setzt dem Bundeskabinett als zentralem politischen Führungsorgan Grenzen. Daraus folgt unmittelbar, dass das Kabinett nur Planungen zwischen den verschiedenen Ressorts koordinieren, aber nicht im Wege eines Selbsteintritts Fachaufgaben eines Ressorts übernehmen kann. Zur Aufgabenbeschreibung des Nationalen Sicherheitsrates wird im Koalitionsvertrag ausgeführt: „Er soll die wesentlichen Fragen einer integrierten Sicherheitspolitik koordinieren, Strategieentwicklung und strategische Vorausschau leisten, eine gemeinsame Lagebewertung vornehmen und somit das Gremium der gemeinsamen politischen Willensbildung sein“ (Zeilen 3992-3994). Mit dem Begriff „integrierte Sicherheitspolitik“ wird zudem ein Schlüsselbegriff der Nationalen Sicherheitsstrategie der bisherigen Bundesregierung vom 14.6.2023 beibehalten. Damit wird zugleich deutlich, wie weit der Sicherheitsbegriff verstanden wird, der dem Aufgabenzuschnitt des Nationalen Sicherheitsrates wohl zu Grunde gelegt werden soll.
Dem Bundeskanzler kommt aus Art. 65 S. 1 GG zweifellos eine Leitungs- und Moderationsfunktion innerhalb der Bundesregierung zu und damit auch die politisch-strategische Gesamtplanung. Deshalb wäre eine entsprechende Verlagerung der Erarbeitung gesamtkoordinierender Dokumente – wie der Nationalen Sicherheitsstrategie – auch kompetenzgerecht, während die Federführung für diese bisher im Auswärtigen Amt, genauer im Referat 201 (Grundsatzfragen der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik) lag. Wichtig ist hierbei anzuerkennen, dass es weniger um eine Kompetenzverschiebung, sondern vielmehr um die Füllung einer bisher bestehenden Leerstelle im Kompetenzgefüge der Bundesregierung geht. Bisher besteht ein strategisch-konzeptionelles Defizit in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Es bleibt abzuwarten, ob aufgrund der aktuellen Ressortverteilung innerhalb der Koalitionsregierung der Widerstand gegen einen Nationalen Sicherheitsrat aus dem Auswärtigen Amt – wie bei früheren Versuchen (1998, 2008 und 2023), einen Nationalen Sicherheitsrat einzurichten – ausbleibt oder in Obstruktionspolitik umschlägt.
Aufgrund der Ressortfreiheit des Kabinetts kann einem Nationalen Sicherheitsrat als Kabinettsausschuss selbst aber kein eigener Personalbestand als Unterbau zugeordnet werden. Es gibt aber mehrere verfassungskonforme Möglichkeiten, den personellen und administrativen Unterbau eines Nationalen Sicherheitsrates zu verankern.
Organisatorische Zuordnung der Verwaltung des Nationalen Sicherheitsrates
Für den administrativen Unterbau eines Nationalen Sicherheitsrates, der Aufgaben der strategischen Planung und Vorausschau übernehmen soll, kommen organisatorisch und rechtlich „kleine“ und „große“ Lösungen in Betracht. Die Enquete-Kommission „Lehren aus Afghanistan“, die in ihrem Abschlussbericht vom 27.1.2025 auch die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates empfahl (S. 25), hat sich eingehend mit hierzu bestehenden Alternativen beschäftigt und mehrere Gutachten dazu eingeholt. Größere Lösungen wären entweder ein Nationaler Sicherheitsberater als politischer Beauftragter, ähnlich dem Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM), oder als direkt dem Bundeskanzler unterstehende Behörde unter Leitung eines politischen Beamten, wie das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Zu dessen Einordnung heißt es in einem Organisationserlass des Bundeskanzlers von 1977: „Das Presse- und Informationsamt unter Leitung eines Staatssekretärs untersteht dem Bundeskanzler unmittelbar.“ Auch wenn die letztere Lösung als oberste Bundesbehörde im Organisationsgefüge der Bundesregierung eigentlich naheliegend wäre, scheinen diese beiden „großen Lösungen“ mit der Einordnung im Koalitionsvertrag als „im Bundeskanzleramt“ (Zeile 3991) nicht gemeint zu sein, es sei denn man legt diese Formulierung als lediglich beschränkt auf die Dienstaufsicht aus.
Bei einer Einordnung in die Regelorganisation des Bundeskanzleramtes als „kleine Lösungen“ stellt sich dagegen die Frage nach Ebene und Größe. Ein eher als Geschäftsstelle ausgelegtes Referat, als kleinste Lösung, dürfte nicht der Bedeutung entsprechen, welche die Koalitionspartner der Institution beimessen wollen. Dagegen erzeugt eine Zuordnung auf Abteilungsebene innerhalb des Bundeskanzleramtes ein Spannungsverhältnis zum bisher in der Presse häufig als „Nationaler Sicherheitsberater“ bezeichneten Abteilungsleiter 2 für Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik. Bisher ist nur klar, dass der zunächst vorgesehene Arbeitsstab im Kanzleramt für die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates direkt dem Büroleiter des Bundeskanzlers zugeordnet werden soll.
Nationaler Krisenstab und Nationales Lagezentrum
Im engen Zusammenhang mit dem Nationalen Sicherheitsrat, genau darauffolgend, sieht der Koalitionsvertrag 2025 die Einrichtung von zwei weiteren Institutionen vor, nämlich einen „Nationalen Krisenstab“ und ein „Nationales Lagezentrum“ (Zeilen 3995-3997: „Für eine ganzheitliche Bewältigung von Krisen braucht Deutschland einen Bund-Länder- und ressortübergreifenden Nationalen Krisenstab der Bundesregierung und ein Nationales Lagezentrum im Bundeskanzleramt, in dem ressortübergreifend ein Gesamtlagebild zusammengefügt wird.“). Inwieweit diese mit dem Nationalen Sicherheitsrat zusammenhängen sollen oder sie dem zugeordnet werden sollen, geht daraus nicht hervor. Nur die Bezeichnung „national“ legt einen Zusammenhang nahe.
Ein Lagezentrum und ein Krisenstab erfüllen zwei sehr unterschiedliche Funktionen, für deren Schaffung sehr unterschiedliche rechtliche Anforderungen bestehen. Für beide gilt: Potenzielle Kompetenzkonflikte mit bestehenden Institutionen können rechtlich vermieden werden, wenn sie nicht lediglich redundant bestehende Zuständigkeiten duplizieren, sondern dazu dienen, eine bisher bestehende Kompetenzlücke zu schließen. Ein Lagezentrum, das verschiedene Informationen, wie Endprodukte der Nachrichtendienste des Bundes und andere Lagebilder als eine Art „Meta-Auswertung“ zusammenführt, besteht so bisher nicht.
Die Krisenkompetenz des sog. „Sicherheitskabinetts“ als Teil des Bundeskabinetts könnte einem Nationalen Sicherheitsrat als Kabinettsausschuss zukommen. Mit „Krisenkabinett“ ist bisher ein informelles ad-hoc Abstimmungsgremium gemeint, das unter Vorsitz des Bundeskanzlers und Beteiligung der jeweils erforderlichen Minister Einschätzungen zu drängenden Sicherheitsfragen trifft.4) Dennoch wäre die Nutzung eines solche neuen Gremium als Krisenreaktionsstab funktionell völlig anders gelagert und rechtlich komplizierter als eine Institution, die sich mit grundsätzlichen strategischen Themen und politisch-strategischer Kohärenz befasst. Dies würde sogar die weitreichende Funktion des US-National Security Council übersteigen, der selbst keine Gefahrenabwehraufgaben im Wege einer „Durchgriffskompetenz“ übernimmt.
Schwieriger zu beantworten ist die Frage, was unter dem „Nationalen Krisenstab“ zu verstehen sein soll und wie dieser mit dem Nationalen Sicherheitsrat zusammenhängt. Es ist unmöglich, die Funktion eines Krisenstabes generell auf jedwede Form von Krise zu beziehen. Einen Nationalen Sicherheitsrat hierfür als universelle Off-the-shelf-Lösung anzusehen, liefe von vornherein auf eine strukturelle Überforderung hinaus. Es verkennt zudem die hochkomplexe Regelungslage und Vielfalt vorhandener Krisenstäbe von Polizei und Katastrophenschutz, wie z.B. dem Havariekommando. Möglich ist hingegen ein bloßes Nachverfolgen der Lage in einer Suprastruktur, um die Bundesregierung – genauer den Nationalen Sicherheitsrat – informiert zu halten, um von dort ggf. Handeln weiterer Behörden zu initiieren.
Eine operative „Durchgriffskompetenz“ stieße aber nicht nur horizontal an die Grenzen des Ressortprinzips (s.o.), sondern berührt auch vertikal die Grenzen des Föderalismusprinzips mit der Regelvermutung der staatlichen Aufgabenwahrnehmung durch die Länder (Art. 30 GG). Umgekehrt kann den Ländern durch Entsendung von Verbindungsreferenten keine Mitsprache in Verwaltungskompetenzen eingeräumt werden, die dem Bund vorbehalten sind, etwa den Auswärtigen Angelegenheiten (Art. 87 I GG) und der Verteidigung (Art. 87 a I GG). Daher sind verschiedene und flexible Formate erforderlich. Anderenfalls wird statt zunehmender Kohärenz ein gegenteiliger Effekt von Inkohärenz erzeugt.
Der potenzielle Mehrwert eines Nationalen Sicherheitsrates wird von Praktikern, wie z.B. im GKND-Gesprächskreis Nachrichtendienste in Deutschland, daher auch weniger in einer unmittelbaren Krisenabwehrkompetenz gesehen. Vielmehr bestünde der Nutzen darin, dass kontinuierlich Analyseergebnissen an politische Entscheidungsträger auf Kabinettsebene herangetragen werden. Damit kann mehr Raum für strategische Überlegungen geschaffen werden. Dafür bleibt in der vom Tagesgeschäft bestimmten wöchentlichen Nachrichtendienstlichen Lage (ND-Lage) eher keine Zeit.
Keine überhöhten Erwartungen an einen Nationalen Sicherheitsrat
Völlig zutreffend ist darauf hingewiesen worden, dass die bloße Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates allein noch nicht genügt, um Defizite in der strategischen Vorausschau zu beheben. Institutionen können Entscheidungsprozesse befördern, mangelnden politischen Willen ersetzen können sie jedoch nicht. Frei von verfassungsrechtlichen Erwägungen ersonnene Konzepte, die einen Nationalen Sicherheitsrat geradezu als „Allheilmittel“ und Universalinstitution ansehen, sind eher dazu geeignet, Trugbilder von Lösungskompetenz zu erzeugen und falsche Erwartungen zu wecken, als tatsächlich dienlich zu sein.
Bei dem aus dem Fernsehen bekanntem, vertäfeltem Raum mit Monitoren an der Wand, dem White House Situation Room im Untergeschoss unter dem Westflügel,5) handelt es sich lediglich um einen Besprechungsraum, der nicht mit dem darin gelegentlich tagendem National Security Council verwechselt werden darf. Sich von einem Nationalen Sicherheitsrat im deutschen Verfassungskontext einen vergleichbaren Effekt zu erwarten, wie vom US-amerikanischen National Security Council als „Superministerum“ einer Präsidialverwaltung, verkennt die deutsche Verfassungsrealität. Ressortprinzip, parlamentarische Mitwirkungsrechte und Föderalismus setzen dem Grenzen. Soll es nicht nur darum gehen, schöne Bilder zu produzieren, die Krisenbewältigung suggerieren, sondern tatsächliche strategische Krisenkompetenz zu gewinnen, muss dies berücksichtigt werden.
Eher basale „Aufbauanleitungen“, wie sie seitens des Interessenverbandes Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft e. V. (ASW Bundesverband) publiziert wurden, benötigt die in Staatsorganisation und Behördenaufbau versierte Bundesregierung für die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates sicherlich nicht. Was aber erforderlich ist, sind grundsätzliche Entscheidungen zum genauen Aufgabenzuschnitt und zur Verortung der Institution.
References
↑1 | H. Ehmke, Militärischer Oberbefehl und Parlamentarische Kontrolle, in: ZfP 1954, S. 337-356 (353). |
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↑2 | H. Meiertöns, Ein Nationaler Sicherheitsrat für Deutschland ?, in: GSZ 2023, S.19-24. |
↑3 | K. Zähle, Der Bundessicherheitsrat, in: Der Staat 2005, S. 462-482 (467-468) m.w.N.. |
↑4 | V. Busse, Änderungen der Organisation der Bundesregierung, in: DÖV 2003, 407-413 (412). |
↑5 | B. Rhodes, Im Weißen Haus, München: C.H.Beck 2019, S. 71. |