No reintegration without representation
Der Wahlrechtsverlust infolge strafrechtlicher Verurteilung
Die Strafverfahren gegen Donald Trump in Manhattan und Björn Höcke in Halle werfen die Frage nach den Auswirkungen strafrechtlicher Verurteilungen für die politische Karriere der Verurteilten auf. Im Ergebnis haben die Gerichte weder Trump noch Höcke ihr aktives oder passives Wahlrecht entzogen – beide können also weiter wählen gehen und gewählt werden. Allerdings sieht das deutsche Recht mit § 45 Strafgesetzbuch (StGB) durchaus Konstellationen vor, in denen eine Verurteilung zum Verlust der Amtsfähigkeit, des passiven oder aktiven Wahlrechts führen kann. Diese Regelung ist aber Ausdruck eines veralteten Strafrechtsverständnisses, das den Verurteilten nach der Erledigung der Strafe nicht resozialisiert, sondern ihn brandmarkt und aus der Gesellschaft verbannt. Außerdem ist die Norm in weiten Teilen verfassungswidrig. Deshalb schlage ich vor, sie zu streichen und de lege ferenda eine Maßregel der Besserung und Sicherung nach dem Vorbild des § 70 StGB (Berufsverbot) zu schaffen. Damit würde aus einer kritikwürdigen Ehrenstrafe ein zielgenaues Instrument zum Schutz der demokratischen Institutionen vor Angriffen „von innen“.
Nebenfolgen im StGB
Die §§ 45-45b StGB regeln den Verlust der Amtsfähigkeit, Wählbarkeit und des aktiven Stimmrechts infolge einer strafrechtlichen Verurteilung. Ich beschränke mich im Folgenden auf den Entzug des aktiven und passiven Wahlrechts, weil es sich beim Verlust der Amtsfähigkeit der Sache nach um eine beamtenrechtliche Regelung handelt (s. etwa Nelles, JZ 1991, 17 [22]). § 45 StGB unterscheidet zwischen automatischen und fakultativen Nebenfolgen. Bei einer Verurteilung wegen irgendeines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verliert der Verurteilte nach § 45 Abs. 1 StGB für fünf Jahre automatisch die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen. Demgegenüber ermächtigen die Absätze 2 und 5 das Gericht dazu, dem Verurteilten nach seinem Ermessen das aktive oder passive Wahlrecht abzuerkennen, wenn dies das Gesetz besonders vorsieht. Die Nebenfolgen werden mit Rechtskraft des Urteils wirksam, § 45a Abs. 1 StGB. Die Dauer des Verlusts der Rechte wird gemäß § 45a Abs. 2 StGB von dem Tag an gerechnet, an dem die Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist.
Mit diesen Regelungen korrespondieren die Vorschriften für die Wahlen zum Europäischen Parlament, Bundestag, den Landtagen und den kommunalen Gremien. Jeweils ist nicht aktiv und passiv wahlberechtigt, wer „infolge Richterspruchs das Wahlrecht nicht besitzt.“1) Auch andere Normen nehmen auf § 45 StGB Bezug. So können Personen, denen das aktive oder passive Wahlrecht entzogen wurde, nach § 10 Abs. 1 S. 4 PartG nicht Mitglied einer Partei sein und nach § 8 Abs. 1 S. 2 BetrVG auch nicht in einen Betriebsrat gewählt werden.
Umstritten ist, wie diese „Nebenfolgen“ in das Sanktionensystem des StGB einzuordnen sind (dazu und zum Folgenden Sobota, ZIS 2017, 248 ff.). Die Systematik des StGB und die repressive Ausrichtung der „Nebenfolgen“ sprechen de lege lata gegen eine Einordnung als Maßregeln der Besserung und Sicherung. Maßregeln sind nämlich auf die Zukunft gerichtet und sollen die Allgemeinheit vor gefährlichen Tätern schützen (Einzelheiten bei Roxin/Greco, Strafrecht AT I, 5. Aufl. 2020, § 3 Rn. 63 ff.). Wegen des Automatismus der Nebenfolge nach § 45 Abs. 1 StGB fehlt es aber auch an einer eigenständigen richterlichen Strafzumessungsentscheidung nach den Grundsätzen des § 46 StGB, weshalb es sich auch nicht um eine (Neben‑)Strafe handelt. Stattdessen wird – nach derzeitiger Lage überzeugend, aber auch etwas hilflos – vorgeschlagen, § 45 Abs. 1 StGB als eine Sanktion eigener Art anzusehen. Demgegenüber trifft das Gericht bei der fakultativen Aberkennung des Wahlrechts nach § 45 Abs. 2 und 5 StGB eine eigene Entscheidung und verhängt zusätzlich zur Freiheitsstrafe eine weitere Sanktion. Hier handelt es sich nach h. M. um eine echte Nebenstrafe.
Ehrenstrafen und öffentliches Reinlichkeitsinteresse
Vorläufer des § 45 StGB waren bis 1969 die §§ 31 ff. StGB, die schon das Reichsstrafgesetzbuch vorsah und die das Gericht insbesondere ermächtigten, neben einer Zuchthausstrafe „den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte“ auszusprechen. Zu diesen Ehrenrechten, die, so die gängige Vorstellung im Kaiserreich, der Staat seinen „Untertanen“ verliehen hat und ihnen daher auch wieder entziehen kann, zählten das aktive und passive Wahlrecht (zur Historie Schwarz, Die strafgerichtliche Aberkennung der Amtsfähigkeit und des Wahlrechts, 1991, S. 20-39; Stein, GA 2004, 22 [29 f.]). Der Täter habe sich durch die Tat selbst entehrt und daher für die Wahrnehmung seiner politischen Rechte disqualifiziert. Diese Ehrenstrafen sollten durch die Große Strafrechtsreform 1969 abgeschafft werden. Eine ersatzlose Streichung der Vorschriften hätte allerdings Folgewirkungen auf andere Rechtsgebiete gehabt, die (ähnlich wie heute das BWahlG, LWG, PartG, BetrVG, die LKrO, GemO usw.) auf den Entzug der Ehrenrechte verwiesen. Diese Folgewirkungen auszugleichen, hätte die Verabschiedung des 1. Strafrechtsreformgesetz (StrRG) von 1969 insgesamt gefährdet (Nelles, JZ 1991, 18 [21]). Deshalb wurden die Normen lediglich neu formuliert und mit einem „neuen“ Schutzzweck versehen. Die neu gefassten §§ 31 ff. StGB (seit dem 2. StrRG die §§ 45 ff. StGB) sollen nun der „Reinhaltung staatlicher Institutionen“ dienen (Nelles, a.a.O., 22).
Letztlich geht es jedoch um dasselbe. Staatliche Institutionen sollen vor Verurteilten „reingehalten“ werden, d. h. ein verurteilter Straftäter ist „unrein“ und würde die Institution durch den Makel seiner Verurteilung „verunreinigen“ – und dies, wohlgemerkt, nachdem er seine Strafe schon verbüßt hat. Das verwirklicht einen „atavistischen Verstoßungsgedanken“ (Jekewitz, GA 1977, 161 [170]) und damit exakt das, was hinter den alten Ehrenstrafen stand. Man setzt den Status des Verurteilten als Staatsbürger herab; man exkludiert ihn aufgrund einer Tat, für die er bereits bestraft wurde, (als Feind?) aus der demokratischen Gesellschaft; man schließt ihn von der Teilnahme an Wahlen als „Integrationsvorgang bei der politischen Willensbildung des Volkes“ (BVerfGE 151, 1 (19)) aus. Mit dem Strafvollzugsziel Reintegration hat der Ausschluss aus diesem „Integrationsvorgang“ nichts zu tun. All dies ist mit dem Bild, das wir heute von „Straftätern“ haben (oder als zivilisierte Gesellschaft haben sollten) nicht vereinbar (Albrecht, in: Nomos-Kommentar zum StGB, 6. Aufl. 2023, § 45 Rn. 1).
Allgemeinheit der Wahl
Vielleicht würde der ein oder andere die eingangs genannten Personen aber auch gerne aus der Gesellschaft exkludieren. Verständlich. Zu meinen „weichen“ strafrechtstheoretischen Bedenken kommen aber auch „handfeste“ Verstöße gegen das Verfassungsrecht, besonders gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl aus Art. 38 Abs. 1 GG (dazu und zum Folgenden auch Stein, GA 2004, 22 [30 f.]). Dieser garantiert das Recht aller Staatsbürger, zu wählen und gewählt zu werden, und verbietet den unberechtigten Ausschluss Einzelner von der Teilnahme an der Wahl (BVerfGE 151, 1 [18 f.]). Es handelt sich um einen speziellen und streng-formalen Gleichbehandlungsgrundsatz. Ungleichbehandlungen bzgl. des Wahlrechts (z. B. anhand des Wahlalters) bedürfen zu ihrer Rechtfertigung zwingender Gründe. Dazu zählen laut BVerfG die Sicherung des Charakters der Wahl als Integrationsvorgang bei der politischen Willensbildung und die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der Volksvertretungen.
Was aber rechtfertigt die Differenzierung des § 45 StGB anhand der strafrechtlichen Verurteilung? Konservative Strömungen im Verfassungsrecht berufen sich auf die „staatsbürgerlichen Mängel“ des Verurteilten (Klein/Schwarz, in: Dürig/Herzog/Scholz, 103. EL Jan. 2024, Art. 38 Rn. 95 m. w. N.) und ziehen damit genau den Gedanken der Ehrenstrafen heran, vor dem sich die Reform 1969 eigentlich verabschieden wollte. Noch 1973 legitimierte das BVerfG den Wahlrechtsverlust infolge Richterspruchs als „traditionelle Begrenzung der Allgemeinheit der Wahl“ (BVerfGE 36, 139 [142]). Im zitierten Beschluss zum Wahlrecht von Personen mit psychischen Beeinträchtigungen aus dem Jahr 2019 liest man allerdings in expliziter Abkehr von der früheren Entscheidung: „Traditionalität ist kein von der Verfassung legitimierter Grund“ (BVerfGE 151, 1 [40]). Diesem Umstand tragen diejenigen, die sich weiterhin auf den älteren Beschluss beziehen, keine Rechnung.
Möglicherweise rechtfertigt die Abwehr einer Gefahr für die Funktionsfähigkeit der Volksvertretung oder das Konzept „wehrhafter Demokratie“ die Ungleichbehandlung durch § 45 StGB. Verständlich wäre dies bei § 45 Abs. 2 StGB. Die fakultative Entziehung des passiven Wahlrechts hängt davon ab, dass eine andere Strafnorm auf § 45 Abs. 2 StGB verweist. Den entsprechenden Regelungen geht es meist um den Schutz des Rechtsstaats und seiner Institutionen (Aufzählung der Vorschriften z. B. bei Schneider, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Aufl. 2019, § 45 Rn. 16; zweifelhaft bei § 264 Abs. 7 S. 1 StGB oder § 375 Abs. 1 AO). Weil hier erstens ein Konnex zwischen der „Nebenfolge“ und der jeweiligen Straftat besteht und das Gericht zweitens Ermessen hat, um den Umständen des Einzelfalls gerecht zu werden, ist die auf das passive Wahlrecht bezogene Differenzierung des § 45 Abs. 2 StGB anhand der Verurteilung wegen bestimmter Straftatengerechtfertigt.
Anders ist dies bei § 45 Abs. 1 und 5 StGB. Mir erschließt sich nicht, wieso der Rechtsstaat durch § 45 Abs. 1 StGB vor der Wahl eines jeden Kandidaten, der wegen irgendeines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt wurde, geschützt werden müsste. Ebenso wenig leuchtet ein, warum die Ausübung des aktiven Wahlrechts eines strafrechtlich Verurteilten eine Gefahr für die staatlichen Institutionen darstellen soll, trifft man hier doch lediglich eine Auswahl aus mehreren selbst wiederum wahlrechtlich geprüften Kandidaten. Wählen ist keine Gefahr für Staat und Demokratie (Nichtwählen schon eher). Der Schutz der staatlichen Institutionen erfolgt außerdem schon durch die primären Strafnormen, die auf § 45 StGB verweisen, und deren Strafandrohung. Der grobschlächtigen Nebenfolge des § 45 StGB bedarf es dazu nicht.
Strafgericht vs. BVerfG
Mit Art. 38 Abs. 1 GG ist also allenfalls § 45 Abs. 2 StGB vereinbar. Auch dann bestehen aber noch kompetenzielle Bedenken. Gemäß Art. 18 GG kann das BVerfG im Verfahren nach §§ 13 Nr. 1, 36 ff. BVerfGG die Verwirkung bestimmter Grundrechte aussprechen. Dies umfasst zwar die Kommunikationsgrundrechte, nicht aber das Wahlrecht. Zwar sieht § 39 Abs. 2 BVerfGG den Wahlrechtsentzug als mögliche Nebenfolge zur Grundrechtsverwirkung vor. Die Norm ist aber denselben Bedenken ausgesetzt wie § 45 StGB (Schwarz, a. a. O., S. 91.). Darüber hinaus ist zweifelhaft, wieso die Verwirkung von Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit usw. allein das BVerfG aussprechen darf, das Wahlrecht aber jedes Schöffengericht entziehen kann, obwohl es doch für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung mindestens ebenso „schlechthin konstituierend“ ist (BVerfGE 7, 198 [209]).
Gefahrenabwehr statt Strafe
Hauptgebrechen des § 45 StGB sind der Automatismus seines Abs. 1 und der sowohl dort als auch beim Entzug des aktiven Wahlrechts nach Abs. 5 fehlende Zusammenhang zwischen der jeweiligen Straftat und der Verhängung der „Nebenfolge“. Die systematischen Schwierigkeiten der derzeitigen Regelungen werden ihr also normativ zum Verhängnis. Verfassungsrechtlich lässt sich allenfalls § 45 Abs. 2 StGB halten. Auch auf ihm liegt aber der Schatten der exkludierenden Ehrenstrafen. De lege ferenda sollte man § 45 StGB deshalb vollständig streichen. Zum Schutz der Funktionsfähigkeit demokratischer Institutionen könnte stattdessen eine neue Maßregel der Besserung und Sicherung geschaffen werden, die nach dem Vorbild des § 70 StGB den Entzug des passiven Wahlrechts erlaubt, wenn die Gefahr besteht, dass der Täter sein (bereits bestehendes oder künftiges) Mandat missbrauchen wird, um dem Rechtsstaat zu schaden (eine Parallele zu § 70 StGB zieht auch Kilchling, in: FS Albrecht, 2. Aufl. 2023, S. 1075 [1082]). Im Wege der Regelbeispielsmethode könnte wie bei § 69 Abs. 2 StGB aus der Verwirklichung derjenigen Straftatbestände, bei denen heute kraft Verweisung auf § 45 Abs. 2 StGB der Wahlrechtsentzug möglich ist, auf die Gefährlichkeit des Täters geschlossen werden. Damit wäre die Hinwendung zu einem rein präventiven Charakter des Wahlrechtsentzugs zum Schutz der Funktionsfähigkeit der demokratischen Institutionen verbunden. Zwar wäre der Wortlaut des § 45 Abs. 2 StGB hinreichend flexibel, um ihn auch de lege lata schon als Maßregel auszulegen und ihm damit stillschweigend seinen Charakter als Ehrenstrafe zu nehmen. Systematik (§ 61 StGB) und die Rechtssicherheit sprechen aber für eine Neufassung.
Sichergestellt würde dadurch, dass der Wahlrechtsentzug nicht übermäßig in den demokratischen Prozess eingreift, sondern nur, wenn Rechtsstaat und Demokratie auch wirklich vor dem Täter geschützt werden müssen. Alles weitere – wollen wir, dass „so jemand“ in unseren Volksvertretungen sitzt? – sind Fragen, die primär der demokratische Diskurs klären muss. Der Rechtsstaat tut sich keinen Gefallen, wenn er seine Gegner verfassungswidrig behandelt.
References
↑1 | Siehe § 6a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 EuWG, §§ 12 Abs. 1 Nr. 3, 15 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BWahlG jeweils in Verbindung mit § 13 BWahlG und exemplarisch für Baden-Württemberg §§ 7 Abs. 2, 9 Abs. 2 LWG, §§ 10 Abs. 4, 23 Abs. 2 Nr. 2, 38 S. 2 LKrO, §§ 14 Abs. 2, 28 Abs. 2 Nr. 1, 46 Abs. 2 GemO. |
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Sie haben anscheinend den Begriff “Demokratie” nicht verstanden!
Insbesondere das Versagen der Amtsfähigkeit oder des passiven Wahlrechts stehen ausschließlich dem Mehrheitswillen des Souverän – in seiner freien Wahl/Entscheidung – zu.
Jede andere Auslegung oder Vorgehensweise führt zwangsläufig zu autokratischen Strukturen oder Diktatur.
Schon das Sinnieren über juristische Abwägungen zeugt von mangelndem Demokratieverständnis.
Die Bedenken, dass für Wahlrechtsausschlüsse eine klare verfassungsrechtliche Grundlage fehlt, teile ich, die grundsätzliche Kritik an dieser möglichen Folge strafrechtlicher Verurteilung dagegen weniger. Aktives und passives Wahlrecht als – typischerweise Staatsbürgern vorbehaltene – demokratische Beteiligungs- und Gestaltungsrechte unterscheiden sich wesentlich von den (teils verwirkbaren) Freiheitsrechten, zumal grundrechtliche Normen ja die demokratischen Gestaltungmöglichkeiten einschränken. Das Wahlrecht ist auch nicht für die (Re-)Integration in die Gesellschaft erforderlich, wie zahlreiche Einbürgerungen bis dato nicht (allgemein) wahlberechtigter Ausländer belegen.
Willkürliche Beschränkungen der Wählbarkeit wären natürlich undemokratisch, aber noch problematischer ist sicherlich der Ausschluss vom aktiven Wahlrecht. Da strafbare Beeinträchtigungen einer demokratischen Wahl aber nicht zwingend von Kandidaten zu eigenen Gunsten begangen werden und etwa bei der Wählerbestechung der Bestochene ebenfalls strafbar ist, kann in solchen Fällen meines Erachtens ein temporärer Entzug auch des aktiven Wahlrechts zu den angemessenen Sanktionen gehören.
Im Übrigen sollten die Wechselwirkungen der verschiedenen Regelungen nicht vernachlässigt werden: Beamtenrecht und Wählbarkeit sind bei den kommunalen Wahlbeamten notwendigerweise verknüpft. (Ob eine andere Behandlung der kommunalen Volksvertretungen sinnvoll wäre, die auch zur vollziehenden Gewalt gehören und deren Mitglieder unter gewissen Umständen als Amtsträger strafrechtlich verantwortlich sein können, bin ich nicht sicher.)
Durch Verweise auf die beamtenrechtlichen Versorgungsregelungen kann es ferner Auswirkungen von Strafurteilen auf die Altersversorgungsansprüche aus einem Abgeordnetenmandat geben.
Am ehesten böte sich eine umfängliche Entkopplung von Straf- und Wahlrecht wohl bei den Parlamentsabgeordneten an. Hier wäre dann auch die parlamentarische Immunität zu berücksichtigen – in einem Artikel wurde hier jüngst schon ihr möglicher Missbrauch durch eine gleichheits- und rechtsstaatsfeindliche Parlamentsmehrheit thematisiert – sowie die Tatsache, dass ein unfreiwilliger Mandatsverlust bisher regelmäßig nur durch eine strafrechtliche Verurteilung eintreten kann: Effektiv muss aufgrund der Immunität also erst das Parlament der Strafverfolgung zustimmen und dann eine entsprechendes Verurteilung folgen.
(Gänzlich ohne parlamentarische Immunität – nur mit einer die Parlamentsarbeit betreffenden Indemnität – kommen beispielsweise das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten aus, wo man sich ansonsten auf die Unabhängigkeit der Justiz verlässt.
In den USA wirken sich Strafverfahren und -urteile umgekehrt ebenso wenig auf die Wählbarkeit oder ein Kongressmandat aus – strafrechtliche Einschränkungen des aktiven Wahlrechts sind allerdings durch den 14. Verfassungszusatz anerkannt. Ein vorzeitiger unfreiwilliger Mandatsverlust resultiert nur aus dem Auschluss eines Mitglieds mit 2/3-Mehrheit durch die eigene Kongresskammer.)
Bei einem Verzicht auf den bisherigen Automatismus (und vielleicht auch die Immunität) erscheint mir jedenfalls irgendeine Regelung erforderlich, um zumindest Abgeordneten, die eine nicht nur minimale Freiheitsstrafe verbüßen, das Mandat aberkennen zu können.